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2. Die Belastbarkeitsproben der präsidentiellen Wechsel und der „Cohabitation“[94]

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Die Normalisierung des Regimes wurde durch drei die politische Geschichte Frankreichs prägende Phänomene oder Ereignisse verfestigt. Das erste andauernde Phänomen war das gemeinhin so genannte Mehrheitsfaktum (fait majoritaire). Die auf das Referendum von 1962 folgenden Wahlen haben das politische Leben Frankreichs insofern nachhaltig polarisiert, als das traditionelle Vielparteiensystem sich nunmehr auf zwei hinreichend stabile Pole verteilte, um stabile Mehrheitskoalitionen bilden zu können. In den teilweise höchst angespannten Perioden, die einige Mehrheitskoalitionen schon erlebt haben (beispielsweise 1976–1981), reichen die Mechanismen zur Rationalisierung des Parlamentarismus und insbesondere das ausgeklügelte System des Art. 49 Abs. 3 CF (unten Rn. 83) zur Aufrechterhaltung der amtierenden Regierung aus. Ebendiese Mechanismen haben auch die Stabilität einer von der kommunistischen Partei geduldeten Minderheitsregierung gewährleistet (1988–1993). Die Polarisierung der französischen Politik wird jedoch seit Anfang der 1990er Jahre langsam, aber mit zunehmendem Nachdruck, im Lichte mehrerer Faktoren in Frage gestellt: Eine anhaltende Massenarbeitslosigkeit und ein Gefühl sozialer Unsicherheit fördern den Machtzuwachs extremer Parteien, die Spaltung in der europäischen Frage deckt sich nicht mit den Spaltungen, die auch die rechten und linken Flügel strukturieren, sondern spaltet die großen Parteien selbst in verschiedene Lager und die Präsidentenwahl begünstigt individuelle Ambitionen und setzt die Parteien höchstem internen Druck aus, der im Zweifelsfalle auch zu Brüchen führt. Das „Mehrheitsfaktum“ ist also nicht der horizon indépassable der Fünften Republik.

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Der politische Wechsel nach der Wahl des Präsidenten François Mitterrand im Mai 1981 hat, zweitens, dem Regime eine andere Legitimität gegeben als diejenige, die de Gaulle als historische und charismatische Persönlichkeit ihm hatte geben können. Mit der Wahl eines dem linken Flügel angehörigen Präsidenten wurde die Fünfte Republik, die unter dem Einfluss der cäsaristischen Tradition und der als Modell eines autoritären Republikanismus bezeichneten Mystik des Chefs stand, auf die Probe gestellt. Der neue Präsident war seit 1958 einer der heftigsten Gegner der Verfassung.[95] Nunmehr an der Spitze des Staates, passte er sich Institutionen an, die der Exekutive Vorrechte und Gewährleistungen einräumen und gerade deshalb unverzichtbar erscheinen, weil ein bedeutendes Reformprogramm in Angriff genommen werden soll. Die Linke hat sich so nicht nur den Institutionen des autoritären Republikanismus angepasst, sondern erheblich zur Festigung ihrer Legitimität beigetragen.

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Drittens ist die Cohabitation ein Meilenstein in der institutionellen Entwicklung der Fünften Republik. Als Cohabitation wird die besondere politische Konfiguration bezeichnet, in der die von der Nationalversammlung gewählte Mehrheitskoalition nicht mit dem politischen Lager des amtierenden Staatschefs übereinstimmt. Da die Regierung und die Minister im Vertrauen der Nationalversammlung stehen müssen, ist der Präsident dazu gezwungen, eine ihm politisch nicht gleichgesinnte Person an die Spitze der Regierung zu setzen und so die Exekutive auf eine Cohabitation rechter und linker Parteien zu stützen.[96] Diese Konstellation, die es bislang dreimal gab (1986–1988; 1993–1995; 1997–2002), hat nahezu automatisch einen Machtverlust des Präsidenten der Republik zur Folge. Besonders in Hinblick auf die französische Innenpolitik geht die Cohabitation mit einem beinahe vollständigen Verlust der Möglichkeiten präsidentieller Einflussnahme auf die Regierungspolitik einher. Gleichwohl verfügt der Präsident über einige verfassungsrechtliche Instrumente, die der Regierung ebenso gut schaden wie sie behindern können, wie etwa die Weigerung, ein Thema auf die Tagesordnung des Ministerrates zu setzen, die Weigerung, bestimmte Dekrete oder Ordonnances zu unterzeichnen oder die Weigerung, eine außerordentliche Parlamentssitzung einzuberufen. Die Cohabitation, die den Staatschef in seiner politischen Handlungsfähigkeit radikal beschränkt, verwandelt das institutionelle System Frankreichs grosso modo in ein parlamentarisches Regime moderner Prägung, also ein Regime, an dessen Regierungsspitze ein mit effektiven Mitteln ausgestatteter Regierungschef steht, der mit Hilfe dieser Mittel die ihn stützende Parlamentsmehrheit lenkt und leitet. Wenn das Regime ohne Cohabitation präsidentieller Natur bleibt, so wird es in Perioden der Cohabitation zu einem System „primoministerialer“ Art. Die Verfassung produziert insofern zwei mögliche Regime und könnte als „duale Verfassung“ bezeichnet werden. Allerdings dürfte die Cohabitation mit der Kürzung des Präsidentenmandats und der Einführung des Quinquennat wenn nicht unmöglich, so doch zumindest unwahrscheinlich werden (unten Rn. 52).

§ 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich › II. Die Entwicklung des Verfassungssystems › 3. Europäisierung und Internationalisierung

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