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3. Europäisierung und Internationalisierung
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Wenngleich der Prozess der europäischen Integration seine Anfänge noch vor der Fünften Republik findet, so hat doch ebendiese die europäische Integration in wesentlicher Hinsicht ausgehandelt und zu verantworten. Gerade dasjenige Regime, das zum Zeitpunkt seiner Geburt das Prinzip der nationalen Souveränität ganz besonders gepriesen hatte, sollte nun in die bedeutendsten Beschränkungen dieser Souveränität einwilligen. Frankreichs Öffnung gegenüber Europäischen Institutionen hat erstmals in Abs. 15 der Präambel der Verfassung von 1946, der in der Fünften Republik weiterhin Rechtskraft hat, Niederschlag gefunden: „Unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit stimmt Frankreich den zur Organisation und Verteidigung des Friedens notwendigen Souveränitätseinschränkungen zu.“ In seiner ersten Entscheidung zum Vertrag von Maastricht hat der Conseil constitutionnel diese Norm dahingehend interpretiert, dass Frankreich „unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit internationale Verpflichtungen eingehen [könne], um sich an der Schaffung und Entwicklung einer ständigen internationalen Organisation zu beteiligen, die als rechtsfähiges Völkerrechtssubjekt über Entscheidungsbefugnisse aufgrund einer im Einvernehmen der Mitgliedstaaten erfolgten Kompetenzzuweisung verfügt.“[97] Seit der Verfassungsänderung vom 25. Juni 1992, die für den Abschluss des Vertrags von Maastricht notwendig geworden war, normiert Art. 88-1 CF die Beteiligung der Republik „an den Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union, die sich aus Staaten zusammensetzen, die in freier Entscheidung kraft der von ihnen geschlossenen Verträge einige ihrer Kompetenzen gemeinsam ausüben“[98]. Die Europäisierung des französischen Rechts hat die verfassungsrechtlichen Beziehungen zwischen Exekutive und Parlament deutlich modifiziert. Erstens sind die Befugnisse und der Ermessensspielraum des Gesetzgebers durch die Kompetenzzuweisung an die Gemeinschaften beschränkt worden. Zweitens gilt für den Bereich der nationalen Umsetzung, dass zwar die Umsetzung von Richtlinien im Grundsatz keine Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Verteilung von Rechtsetzungsbefugnissen hat. Für die Ausführung von EG-Verordnungen gilt aber, dass diese auch innerhalb der Bereiche, die verfassungsrechtlich der Gesetzgebung vorbehalten sind, eine Rechtsgrundlage für Verordnungen der Regierung darstellen, ohne dass es eines formellen, also parlamentarischen Gesetzes bedürfte.[99] Im Gegenzug muss die Regierung alle Vorlagen von Gemeinschaftsakten nach deren Übermittlung an den Rat den Parlamentskammern zuleiten, wenn diese Vorlagen Bestimmungen enthalten, die nach französischem Verfassungsrecht materiell dem Bereich der Gesetzgebung unterliegen (Art. 88-4 CF).
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Wenn also die Beteiligung an der Union und den Gemeinschaften nunmehr in der besonderen Vorschrift gemäß Art. 88-1 CF geregelt ist, so sind deren Einbindungsmodalitäten und die Bestimmung ihres Ranges innerhalb der nationalen Rechtsordnung – aus Sicht der französischen Gerichtsbarkeit – nicht in der „Natur selbst“ des europäischen Gemeinschaftsrechts begründet, sondern in Art. 55 CF, der als allgemeine Verfassungsnorm das Verhältnis zwischen nationalem Recht und Völkervertragsrecht regelt.[100] In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen internationalem[101] und europäischem Recht. Gemäß Art. 55 CF gehen ordnungsgemäß zustande gekommene internationale Verträge oder Abkommen den Gesetzen vor. Diese Vorschrift hat die Rolle der Rechtsprechungsorgane im französischen Verfassungs- und Rechtssystem grundlegend verändert. Nachdem der Conseil constitutionnel sich geweigert hatte, im Rahmen der Verfassungsmäßigkeitskontrolle von Gesetzen auch deren Vereinbarkeit mit völkerrechtlichen Verträgen zu prüfen,[102] haben die Fachgerichte diese Aufgabe übernommen und sind dadurch nicht mehr nur Richter der Gesetzesanwendung, sondern darüber hinaus zu Richtern des Gesetzes selbst geworden.[103] Art. 55 CF ist zu einem der wichtigsten Faktoren geworden, die zum Machtzuwachs der Fachgerichtsbarkeit im nationalen Rechtssystem beigetragen haben.
§ 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich › II. Die Entwicklung des Verfassungssystems › 4. Der zunehmende Einfluss der Gerichtsbarkeit