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c) Die Ausarbeitungs- und Annahmemodalitäten der Verfassung vom 4. Oktober 1958

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In der ersten Phase befasste sich allein die Regierung mit der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs. Der Justizminister Michel Debré leitete die „Arbeitsgruppe“, die den vorläufigen Entwurf vorbereiten sollte. Selbstverständlich hatte General de Gaulle seinerseits die allgemeine Richtung vorgegeben. Die Vorschläge der „Arbeitsgruppe“ wurden im Rahmen von Ministerialkomitees unter dem Vorsitz de Gaulles beraten und zwischen dem 23. und 25. Juli 1958 von den Regierungsmitgliedern beschlossen. Der vorläufige Entwurf wurde sodann dem Comité consultatif constitutionnel zugeleitet, das vom 29. Juli bis zum 14. August tagte und an ebenjenem Tage der Regierung seine zahlreichen Änderungsvorschläge bekannt gab.[69] Einige dieser Vorschläge wurden übernommen, wonach der veränderte Entwurf auf Beschluss eines Kabinettsrates am 20. August festgesetzt und am 21. August dem Conseil d’État vorgelegt wurde.[70] Am 27. und 28. August wurde der Entwurf schließlich von der Generalversammlung des Conseil d’État beraten. Die Eröffnungsrede des Justizministers bleibt ein wichtiges Dokument zur Erläuterung der neuen Institutionen.[71] Auf Grundlage der Stellungnahme des Conseil d’État wird der endgültige Entwurf mit einigen Änderungen am 3. September 1958 vom Ministerrat festgesetzt. Der Text wird dem französischen Volk im Rahmen einer von André Malraux inszenierten Zeremonie präsentiert, zu deren Anlass General de Gaulle seinerseits eine Rede hält, die an die berühmte in Bayeux aus dem Jahre 1946 anknüpft.[72] In einer Flutwelle der Zustimmung wurde der Verfassungsentwurf mit 82% der abgegebenen Stimmen und somit von insgesamt 66% der Wahlberechtigten per Referendum befürwortet. Der Verfassungstext wurde am 4. Oktober 1958 in Form eines Verfassungsgesetzes verkündet. Die Fünfte Republik war aus der Taufe gehoben worden.

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Genau vier Monate verstreichen zwischen de Gaulles Ernennung und der Annahme der Verfassung – ein Verfahren im militärischen Sturmschritt, aber auch ein geheimes Verfahren, da die Beratungen des Comité consultatif constitutionnel und des Conseil d’État jeweils unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Beratungen sind stricto sensu weniger als „Gesetzesmaterial“ zur Verfassung von 1958 zu verstehen denn als einfache Meinung in der Verfassungsinterpretation.[73] Umso verwunderlicher ist es, dass sich die Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit[74] zuweilen auf die Debatten des Comité consultatif constitutionnel von 1958 berufen, als ob sie den authentischen Sinn der Verfassung zum Ausdruck brächten.

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Nach Maßgabe der Art. 91 und 92 der Verfassung von 1958 (im Folgenden: CF) waren die Institutionen der Republik innerhalb von vier Monaten zu bilden. Ein Punkt sei an dieser Stelle besonders hervorgehoben: Zur Bildung der Institutionen wurde die Regierung dazu ermächtigt, die erforderlichen Texte mittels Ordonnances zu erlassen. Auf Grundlage dieser Ermächtigung erließ die Exekutive beinahe sämtliche zur Verfassungsergänzung notwendigen Normen, die von Verfassung wegen eher als Organgesetze höheren Ranges einzustufen sind denn als einfache Gesetze. Die Exekutive vervollständigte hierdurch die Verfassung, die sie sich soeben gegeben hatte. In der Form ihrer Annahme sowie der ihrer Umsetzung brachte die Verfassung unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Fünfte Republik ein Regime exekutiver Prägung war.

§ 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich › I. Ursprung und Entstehung des Verfassungssystems der Fünften Republik › 4. Die gestaltenden Verfassungsideen

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