Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Martin Loughlin - Страница 107

c) Die Grenzen der Verfassungsänderung

Оглавление

46

In den Absätzen 4 und 5 des Art. 89 CF sind Schranken hinsichtlich der Umstände und des Inhalts von Verfassungsänderungen normiert. Die erste Vorschrift verbietet Einleitung und Durchführung von Änderungsverfahren, wenn die Integrität des Staatesgebietes gefährdet ist. Erinnert sei an ein ähnliches Verfassungsgesetz vom 10. Juli 1940, das Marschall Pétain nach der Niederlage der französischen Armee eine Generalvollmacht erteilte.[116] Laut der zweiten Vorschrift kann die „republikanische Regierungsform“ in keinem Fall Gegenstand einer Verfassungsänderung sein. Es handelt sich um die einzige expressis verbis geregelte materielle Schranke der Verfassungsänderung.[117]

47

In seiner Entscheidung vom 2. September 1992 (Maastricht II)[118] hat der Conseil constitutionnel zum ersten Mal die Schranken der Verfassungsänderung erwähnt. „Die verfassunggebende Gewalt ist souverän“, bestätigt der Conseil constitutionnel; allerdings „unter dem Vorbehalt“ der in der Verfassung verankerten umstandsbedingten und materiellen Schranken. Indes handelt es sich hierbei um ein obiter dictum. Das Urteil hat seinerzeit zahlreiche Stellungnahmen von Seiten der Lehre nach sich gezogen und wurde als Anzeichen gedeutet, dass der Conseil constitutionnel implizit seine Zuständigkeit für die Kontrolle von Verfassungsänderungsgesetzen bestätigt habe. Dies verkennt allerdings, dass der Conseil constitutionnel sich lediglich zum materiellen Recht geäußert hat, in keiner Weise jedoch zur Frage nach seiner Zuständigkeit. Auch wurde vernachlässigt, was der Conseil constitutionnel in einer unmittelbar danach verkündeten Entscheidung, in einem weiteren obiter dictum, präzisiert hat: Seine Zuständigkeit sei „von der Verfassung scharf umgrenzt“; Art. 61 CF ermächtige den Conseil insofern nur, die Verfassungsmäßigkeit „von Organgesetzen und einfachen Gesetzen“ zu beurteilen, was seine Zuständigkeit für Verfassungsgesetze, sogar parlamentarische Verfassungsgesetze, recht eindeutig ausschließt.[119] Die Frage nach der Zuständigkeit des Conseil constitutionnel für Verfassungsgesetze wurde erst 2003 endgültig geklärt: Unter Rückgriff auf die prägenden Worte des obiter dictums vom 23. September 1992 schloss der Conseil constitutionnel seine Zuständigkeit aus.[120] Verfassungsgesetze, gleich ob per Referendum angenommen oder vom Parlament, sind also jeglicher gerichtlichen Kontrolle entzogen. Diese Entscheidung bestätigt im Grunde die Tradition, die seit der Dritten und Vierten Republik Wurzeln schlägt, der zufolge kein wesentlicher Unterschied zwischen Verfassung und Verfassungsgesetz, zwischen Verfassunggebung und Verfassungsänderung besteht.[121]

§ 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich › III. Die Struktur des Verfassungssystems

Handbuch Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх