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c) Der Einfluss René Capitants

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Zwar befand sich René Capitant zum Zeitpunkt der Ereignisse von 1958 in Japan, doch war er schon in der Vierten Republik General de Gaulles privilegierter Ansprechpartner in verfassungsrechtlichen Fragen. Es ist bekannt, dass sich Capitant als treuer Verfechter von Carré de Malbergs Lehre unermüdlich für die Einführung plebiszitärer Elemente in das Verfassungssystem einsetzte, Elemente, die das Dogma der „parlamentarischen Souveränität“ sprengen konnten. Darüber hinaus brachte Capitant, der ein großer Kenner der Weimarer Republik war, das Carl Schmitt’sche Bild der Präsidentschaft ein. In einer Studie über den Präsidenten der Weimarer Republik aus dem Jahr 1932[84] betont Capitant die Ambivalenz der Schmitt’schen Lehre, ohne diese Ambivalenz jedoch negativ zu bewerten. Einerseits müsse der Weimarer Präsident neutrale und regulierende Gewalt ausüben, herrschen, ohne zu regieren. Die Präsidentenschaft sei „in erster Linie Schiedsrichterfunktion, die darin besteht, die Konflikte zwischen den Weimarer Verfassungsorganen beizulegen“. Diese Funktion soll er „im Interesse der nationalen Einheit“ ausüben. Andererseits aber, so Capitant, übernimmt der Weimarer Präsident „im Wesentlichen politische Aufgaben“. Um diese scheinbare Antinomie aufzulösen, muss der Neutralitätsgedanke nicht als eine Art politische Abstinenz gedeutet werden, sondern als Autonomie, als grundlegende Unabhängigkeit von jeglichen Partikular-, Partei-, Wirtschafts- oder Regionalinteressen. Nur so kann der Staatschef der immer drohenden Gefahr der „Zerstückelung und Zergliederung“ mit dem „Einheitsprinzip“ begegnen.

Es ist auffällig, wie sehr de Gaulles Konzeption der Präsidentschaft dem Idealbild entspricht, das Carl Schmitt in Der Hüter der Verfassung vom Weimarer Reichspräsidenten entwirft: „Dadurch, dass sie den Reichpräsidenten zum Mittelpunkt eines Systems plebiszitärer wie auch parteipolitisch neutraler Einrichtungen und Befugnisse macht, sucht die geltende Reichsverfassung gerade aus demokratischen Prinzipien heraus ein Gegengewicht gegen den Pluralismus sozialer und wirtschaftlicher Machtgruppen zu bilden und die Einheit des Volkes als eines politischen Ganzen zu wahren.“[85] Art. 5 CF definiert die Aufgaben des Präsidenten und es überrascht nicht, dort den Begriff der schiedsrichterlichen Instanz wiederzufinden und zu sehen, dass die Aufgabe des Hüters der Verfassung ausdrücklich dem Staatschef anvertraut wird: „Der Präsident der Republik wacht über die Einhaltung der Verfassung. Er sichert schiedsrichterlich (par son arbitrage) die ordnungsgemäße Tätigkeit der öffentlichen Gewalt sowie die Kontinuität des Staates. Er ist Garant der nationalen Unabhängigkeit, der Integrität des Staatsgebietes, der Einhaltung der internationalen Verträge.“ In diesem Bild der Präsidentschaft treffen sich de Gaulles Konzeptionen und die Ideen Schmitts. Der Mittelsmann dieser Verschmelzung war zweifellos René Capitant.

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