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aa) Der Staatschef[123]

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Die Wahl. Seit dem Verfassungsgesetz vom 6. November 1962 wird der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt. Dieses Wahlverfahren soll der Legitimität eines aktiven Staatschefs dienen. Diesem Ziel entsprechend wurde das aus zwei Wahlgängen zusammengesetzte Wahlverfahren in einer Form ausgestaltet, die garantieren soll, dass der Präsident mit absoluter Mehrheit bestimmt wird. Am zweiten Wahlgang nehmen die zwei nach dem ersten Wahlgang bestplatzierten Kandidaten teil. In Hinblick auf die hierdurch bezweckte Legitimation ist das System allerdings nur bedingt befriedigend. In der Tat ist auch das Ergebnis des ersten Wahlgangs für die Legitimation des gewählten Präsidenten von großer Bedeutung. Die Legitimität eines Präsidenten, der in diesem ersten Wahlgang nur eine dürftige Zahl an Stimmen erlangen konnte, ist selbst dann nicht hinreichend sichergestellt, wenn er am Ende mit absoluter Mehrheit gewählt wird. Die Wahl von 2002 statuierte in dieser Hinsicht ein Exempel. Dem Wahlsieger kam die abgrundtiefe Ablehnung zugute, mit der die Öffentlichkeit seinem rechtsradikalen Konkurrenten begegnete; etwa 82% der Stimmen konnte er auf seinen Namen vereinigen. Allerdings zeugt ein solches Votum der Wählerschaft nicht eben von Zustimmung zum politischen Programm eines Kandidaten, der im ersten Wahlgang weniger als 20% der abgegebenen Stimmen (i.e. weniger als 14% der Wahlberechtigten) auf sich vereinigen konnte.

Diese Situation war die Folge einer enormen Zahl an Kandidaten. Auf insgesamt 16 Kandidaten konnten sich die Stimmen der Wählerschaft regelrecht zersplittern.[124] Gegen einen solchen Drift des Wahlsystems hatte der Gesetzgeber schon 1962 versucht, Vorkehrungen zu treffen, wonach jede Kandidatur von Gewählten (Senatoren, Abgeordneten, lokalen Vertretern) „vorgestellt“ (présenté) werden musste. Nachdem sich 1974 zwölf Kandidaten zur Wahl gestellt hatten, wurde die Zahl erforderlicher „Vorstellungen“ von 100 auf 500 erhöht.[125] Dennoch hat das System im Jahr 2002 seine evidente Unzulänglichkeit unter Beweis gestellt.

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Seit 1988 unterliegt die Wahlkampffinanzierung gesetzlichen Rahmenvorschriften. Die Ausgaben der Kandidaten sind begrenzt und werden – wie die Einnahmen auch – auf ihre Herkunft geprüft. Alle Kandidaten erhalten einen staatlichen Zuschuss und ein Teil der darüber hinausgehenden Wahlkampfkosten wird je nach Ergebnis des Kandidaten vom Staat zurückerstattet. Auch müssen alle Kandidaten alle den Wahlkampf betreffenden Finanzbewegungen in einem Budget darlegen und Rechenschaft vor dem Conseil constitutionnel ablegen. Dieser kann im Falle unrichtiger Informationen das Budget ablehnen, was zur Folge hat, dass die Wahlkampfkosten dem Betroffenen nicht erstattet werden.

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Insgesamt prüft der Conseil constitutionnel die ordnungsgemäße Durchführung der Präsidialwahlen. Er setzt die Liste der zugelassenen Kandidaten fest,[126] beaufsichtigt den Ablauf der Wahl, entscheidet über die von Wählern bzw. Kandidaten erhobenen Einsprüche und verkündet die Wahlergebnisse.[127]

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1958 wurde die Amtsdauer des Staatschefs auf sieben Jahre festgesetzt. Mit der Erfahrung der Cohabitation wurde der Unterschied zwischen der Amtsdauer des Präsidenten einerseits (7 Jahre) und der Dauer einer Legislaturperiode der Nationalversammlung andererseits (5 Jahre) zum Problem. Das Verfassungsgesetz vom 2. Oktober 2000 bewerkstelligte durch die Verkürzung der Amtsdauer des Präsidenten auf fünf Jahre die notwendige Synchronisierung.[128] Zur Entsynchronisierung der beiden Ämter könnte es mit der frühzeitigen Auflösung der Nationalversammlung durch den Präsidenten aber auch in Zukunft noch kommen.

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Der Präsident genießt einen weitreichenden Schutz vor Strafverfolgung. Für die im Rahmen seiner Amtsausübung unternommenen Handlungen darf er allenfalls wegen Hochverrats angeklagt werden, wobei der Begriff „Hochverrat“ weder in der Verfassung noch im Strafgesetzbuch näher bestimmt ist. Die Anklage ist Gegenstand eines von beiden Parlamentskammern mit absoluter Mehrheit zu fassenden Beschlusses. Das Urteil verkündet ein aus Parlamentsmitgliedern zusammengesetzter Staatsgerichtshof, die Haute Cour (Art. 67 und 68 CF). Umstritten ist jedoch die Frage nach der strafrechtlichen Immunität des Präsidenten für Handlungen, die nicht an seine Verfassungsfunktion anknüpfen. In seiner Entscheidung vom 22. Januar 1999 hat der Conseil constitutionnel Art. 68 CF dahingehend ausgelegt, dass der Staatschef über die oben erwähnte materiellrechtliche Strafimmunität hinaus ein Jurisdiktionsprivileg genießt.[129] Während seiner gesamten Amtszeit kann der Präsident nur auf Anklage des Parlaments von der Haute Cour verurteilt werden. Dies garantiert dem Präsidenten während seiner Amtszeit de facto Straffreiheit, sei es wegen Zuwiderhandlungen noch vor Amtsantritt, sei es wegen Handlungen während der Amtszeit, selbst wenn diese in keinerlei Beziehung zur Ausübung seines Amtes stehen. Das Resultat dieser Interpretation wäre nicht nur faktische strafrechtliche Unantastbarkeit des Staatschefs während seiner Amtszeit, sondern auch ein ununterbrochener Ablauf der Verjährungsfrist. Der Kassationshof ist dieser Auslegung in seiner bemerkenswerten Entscheidung vom 10. Oktober 2001 nicht gefolgt.[130] Nach dem höchsten Gerichtshof der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist die Haute Cour nur im Falle des Hochverrats zuständig. Für sonstige Taten, die entweder vor Amtsantritt oder außerhalb der Amtsausübung begangen wurden, bleibt also die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig. Doch ruht deren Kompetenz bis zum Ende des Präsidentenmandats, währenddessen die Verjährung unterbrochen bleibt.

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Politisch ist der Staatschef gegenüber dem Parlament nicht verantwortlich. Diese traditionelle Unverantwortlichkeit ließ sich in den früheren Republiken damit rechtfertigen, dass der Präsident keine tatsächliche politische Macht ausübte. Im Verfassungssystem der Fünften Republik lässt sich die Unverantwortlichkeit des Präsidenten nur noch dadurch erklären, dass die politische Verantwortlichkeit des Staatschefs notwendigerweise seine Unterwerfung unter das Parlament zur Folge hätte, was im Geist des gaullistischen Denkens ganz und gar systemfremd ist.[131]

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Im Falle einer Vakanz bzw. eines vom Conseil constitutionnel festgestellten Verhinderungsfalles wird die Funktion des Staatschefs dem Senatspräsidenten übertragen, dessen Befugnisse als Interimspräsident jedoch beschränkt sind (Art. 7 CF).[132]

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