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a) Die Beziehungen innerhalb der Exekutive

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Die Beziehungen innerhalb der Exekutive sind von der Undurchsichtigkeit der einschlägigen Verfassungsnormen gezeichnet. Sie setzen Kompetenzen fest, die stellenweise früheren Verfassungstexten entnommen sind. Indes blieben die von den früheren republikanischen Verfassungstexten festgesetzten Kompetenztitel grundsätzlich formeller und nomineller Natur, zumal die Präsidentschaft in der Dritten und Vierten Republik eine im Wesentlichen ehrenamtliche und symbolische Aufgabe darstellte: Der Staatschef unterzeichnete bloß die in der Sache von der Regierung getroffenen Beschlüsse. Da die Präsidentschaft in der Fünften Republik nunmehr ein machtvolles politisches Amt sein soll, werden die dem Präsidenten zugewiesenen Kompetenztitel als Garantie tatsächlicher Machtbefugnisse, zumindest aber als Einflussmöglichkeit auf Verfassungssystem und politische Strukturen gedeutet. Allerdings konkurrieren diese Befugnisse in recht umfassendem Maße mit den parallel dem Premierminister oder der Regierung zugesprochenen Kompetenzen. Art. 15 CF beispielsweise macht den Präsidenten der Republik zum „Oberbefehlshaber der Streitkräfte“. Wenn diese Aufgabe als Zuweisung von Kompetenztiteln und effektiver Gewalt aufgefasst werden kann, wie ist sie dann in Einklang zu bringen mit der Regelung aus Art. 21 CF, der zufolge der Premierminister „für die Landesverteidigung verantwortlich“ ist? Es ist zwecklos, in einer Interpretation des Verfassungstexts selbst nach einer Antwort auf diese Frage zu suchen. Überdies verfügen weder der Conseil constitutionnel noch die Verwaltungsgerichtsbarkeit über die notwendigen Befugnisse, um die aufgeworfenen Fragen abschließend zu beurteilen. Faktisch bestimmen die institutionelle Praxis und vornehmlich die Praxis der Exekutive über diese Kompetenzverteilung. Allerdings unterliegt diese Praxis starken Schwankungen, je nachdem ob die Regierung in Cohabitation regiert oder nicht. Ein vom Parlament unterstützter Premierminister in Cohabitation erfüllt in vollem Umfang die Aufgaben, die der Verfassungstext ihm überantwortet und „leitet die Tätigkeit“ einer Regierung (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 CF), die ihrerseits – unabhängig von jeglicher Weisung des Präsidenten – „die Politik der Nation bestimmt und führt“ (Art. 20 Abs. 1 CF). Im Gegenzug tendieren entsprechend den politischen Orientierungen des Präsidenten ernannte Premierminister und Regierungen dazu, Vollstrecker der vom Staatschef festgelegten Politik zu werden.[162]

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Völlig ungeachtet der politischen Zusammensetzung der Exekutive normiert Art. 19 CF eine ausdrückliche Regel, die eine gewisse Autonomie des Präsidenten und dessen Eigenschaft als tatsächlicher politischer Akteur gleichermaßen symbolisiert und garantiert. Einige Akte des Staatschefs sind von einer Gegenzeichnung entbunden. Diese Akte werden generell als „eigene Befugnisse“ (pouvoirs propres) des Präsidenten bezeichnet. Er allein übernimmt die Verantwortung für diese Handlungen, eine Verantwortung, die auch nicht vom Parlament in Frage gestellt werden kann. Diese spezifisch präsidentiellen Befugnisse umfassen neben der schon erwähnten Ernennung des Premierministers den Rückgriff auf das Legislativreferendum (Art. 11 CF), die Auflösung der Nationalversammlung (Art. 12 CF), die Ergreifung der Ausnahmebefugnisse (Art. 16 CF), die Ausübung des Mitteilungsrechts, das ihn zum Verkehr mit dem Parlament über Mitteilungen berechtigt (Art. 18 CF), die Ernennung dreier Mitglieder des Conseil constitutionnel und seines Vorsitzenden (Art. 56 CF) sowie die Anrufung des Conseil constitutionnel (Art. 54 und 61 CF). Sie ermöglichen dem Präsidenten die Wahrnehmung seiner Aufgaben, wie sie in Art. 5 CF definiert sind: über die Achtung der Verfassung zu wachen, die ordnungsgemäße Funktionsweise der öffentlichen Gewalt und die Kontinuität des Staates sicherzustellen, die nationale Unabhängigkeit, die territoriale Integrität sowie die Einhaltung völkerrechtlicher Verträge zu garantieren.

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Der Ministerrat ist – wie gesagt – das Kollegialorgan der Regierung. Einer französischen Tradition zufolge, die bis auf die konstitutionellen Monarchien (1814–1848) zurückgeht, übernimmt paradoxerweise nicht, wie im parlamentarischen Regime sonst üblich, der Regierungschef den Vorsitz dieser wöchentlichen Versammlung der Regierungsmitglieder, sondern der Staatschef. Die Gesamtheit der wichtigsten Regierungsbeschlüsse wird im Rahmen des Ministerrates erörtert und gefasst: Ernennung zu den höchsten zivilen und militärischen Staatsämtern, die wichtigsten Dekrete sowie alle Ordonnances, Gesetzesvorlagen, der Beschluss, in der Nationalversammlung die Vertrauensfrage zu stellen (Art. 13, 38, 39 und 49 CF). Die Tagesordnung wird auf Vorschlag des Premierministers vom Präsidenten der Republik festgesetzt. Alle im Ministerrat durchgesehenen Dekrete (Regierungsverordnungen und Ernennungen) und Ordonnances werden vom Präsidenten der Republik unterzeichnet. Diese Unterschrift stellt die Ausübung einer tatsächlichen, nicht einer lediglich nominellen Kompetenz des Präsidenten dar. Die vom Staatschef unterzeichneten Dekrete sind an der Spitze der Hierarchie der Verwaltungsmaßnahmen (actes administratifs) anzusiedeln, können also nicht durch einfaches Dekret des Premierministers modifiziert werden. Der Regierungschef übt „unter Vorbehalt des Art. 13“, d.h. vorbehaltlich der im Ministerrat erörterten und vom Präsidenten unterzeichneten Dekrete, das Verordnungs- und Ernennungsrecht aus (Art. 21 Abs. 1 Satz 4 CF). Da jedoch, was Verordnungen anbetrifft, keine allgemeine materielle oder formelle Vorschrift existiert, die klar bestimmt, welche Maßnahmen dem Ministerrat unterstehen, führt die Praxis zu einem vom Conseil d’État gebilligten Evokationsrecht des Präsidenten: Im Ministerrat sind diejenigen Regierungsverordnungen zu erörtern, für welche die Verfassung oder ausnahmsweise ein Gesetz dies vorsieht, sowie diejenigen, die der Präsident eigenmächtig aufwirft.[163] Zudem stellt diese Präsidialfunktion im Rahmen des Ministerrates eine uneinnehmbare Bastion dar, mit der der Präsident selbst im Falle der Cohabitation noch über Möglichkeiten zur Einflussnahme verfügt, indem er die Aufnahme eines Themas in die Tagesordnung ablehnt oder aber die Unterzeichnung eines von der Regierung vorgeschlagenen Dekrets verweigert.

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Erkennen lässt sich dies insbesondere anhand der Ordonnances des Art. 38 CF. Ein Ermächtigungsgesetz kann der Exekutive zeitweilig die Rechtsetzungsbefugnis in begrenzten Bereichen einräumen, die normalerweise den formellen Gesetzgebungskompetenzen unterliegen. Gemäß Art. 38 Abs. 1 CF wird hierbei die Regierung, nicht der Staatschef ermächtigt. Allerdings zeichnet sich im Lichte des Art. 38 Abs. 2 CF, der die Erörterung solcher Ordonnances im Ministerrat zwingend vorschreibt, und des Art. 13 CF, der die Unterzeichnung im Ministerrat erörterter Ordonnances durch den Präsidenten vorsieht, eine Spannung in der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung ab. Diese problematische Konstruktion ermöglicht einem Präsidenten in Cohabitation, vom Parlament autorisierte und von der Regierung ausgearbeitete Ordonnances abzulehnen.[164]

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