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aa) Die Konkurrenz der Normsetzungsbefugnisse
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Mit dem Ersten Weltkrieg haben die parlamentarischen Kammern der Dritten Republik – wie eine Vielzahl parlamentarischer Versammlungen im Ausland auch – mit der Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen begonnen, sich schließlich ihrer Gesetzgebungskompetenzen weithin entledigt und diese ganz der in den Händen der Regierung liegenden Verordnungsgewalt anvertraut („décrets-lois“).[165] Diese Praxis bewegte sich am Rande der Verfassungsmäßigkeit, zuweilen ging sie gar mit Verfassungsbrüchen einher. Der Verfassungstext der Vierten Republik hatte solchen Übertragungen zwar entgegenwirken sollen und nach Maßgabe des Art. 13 ein an die Nationalversammlung gerichtetes Verbot statuiert: „Die Nationalversammlung allein verabschiedet die Gesetze. Sie darf dieses Recht nicht übertragen.“ Um jedoch die Arbeit der Nationalversammlung zu erleichtern, katalogisierte das Gesetz vom 17. August 1948 einige als „verordnungsrechtlicher Natur“ qualifizierte Angelegenheiten. Der Conseil d’État wurde im Rahmen seiner Beratungsfunktion mit der Frage nach der Vereinbarkeit dieser Vorgehensweisen mit Art. 13 betraut. Er erklärte nicht jegliches Delegationssystem für verfassungswidrig, sondern legte die Verfassung dahingehend aus, dass die der Regierung gewährte Ermächtigung hinreichend bestimmt und beschränkt sein und die Nationalversammlung in den übertragenen Angelegenheiten die wesentlichen Grundsätze festlegen müsse.[166]
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Die Verfassung der Fünften Republik setzte dieser paradoxen Situation ein Ende. Das Parlament hatte bisher die nationale Souveränität an sich gerissen, fand jedoch, aufgrund seiner Unfähigkeit, die Gesamtheit der Normsetzungsbefugnisse wahrzunehmen, keine andere Lösung, als durch Delegationen „sich selbst aufzugeben“ (A. Tardieu). Diese Situation meistert die Verfassung auf zwei Arten. Einerseits schafft sie einen Bereich, in dem die Exekutive verfassungsrechtlich dazu ermächtigt ist, Normen zu erlassen, ohne dass es hierfür einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Diese „autonome Verordnungsgewalt“ wurde als eine der wesentlichsten juristischen Revolutionen betrachtet, die 1958 Eingang in die Verfassung gefunden haben (Art. 34 i.V.m. 37 CF). Andererseits führt sie ein besonderes Verfahren zur Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen ein, das über ein einfaches Gesetz die Regierung zeitweilig und in einem beschränkten Bereich der Gesetzgebung zur Wahrnehmung des Verordnungsrechts mittels als Ordonnances bezeichneter Akte ermächtigt (Art. 38 CF). Hier sei kurz erwähnt, dass Art. 16 CF über diese ordentlichen Rechtsetzungsbefugnisse der Exekutive hinaus im Notstand die außerordentliche Konzentration der gesetzgeberischen sowie exekutiven Macht zugunsten des Staatschefs vorsieht. Art. 16 CF zählt eine Reihe von Voraussetzungen auf, die eine Notstandserklärung durch den Staatschef legitimieren können. Jedoch gibt es keinerlei richterliche Prüfung einer solchen Erklärung. Außerdem unterliegen die vom Präsidenten aufgrund des Art. 16 CF getroffenen Maßnahmen keiner richterlichen Kontrolle, soweit sie in den Bereich des Gesetzesvorbehalts fallen. Über die Frage nach dem Ende der Anwendung des Art. 16 CF ist ebenso keine Prüfung möglich.[167] Das Parlament tritt von Rechts wegen zusammen, ist aber völlig entmachtet. Eine parlamentarische Ratifizierung der Notverordnungen nach dem Modell des Art. 48 der Weimarer Verfassung ist nicht vorgesehen und wird auch nicht praktiziert. Vom Art. 16 CF wurde einmal zwischen April 1961 und September 1961 aus Anlass eines Militärputsches in Algerien Gebrauch gemacht. Die Schmitt’sche Idee des Hüters der Verfassung wird hier konsequent verfolgt.
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Die Errichtung der autonomen Verordnungsgewalt wurde zunächst dahingehend interpretiert, dass sie parallel zum Bereich der Gesetzgebung eine Verordnungsdomäne begründet habe, für die das Parlament nicht zuständig sei. Mit anderen Worten, jedes in der Verordnungsdomäne zustande gekommene Gesetz konnte durch den Conseil constitutionnel für verfassungswidrig erklärt werden. Dieser hat aber diese anfängliche Auslegung der Kombination aus den Art. 34 und 37 CF völlig modifiziert. Die Begründung der wichtigen Entscheidung vom 30. Juli 1982 lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:[168] Art. 37 CF, nach dem Materien, die dem Bereich der Gesetzgebung nicht zugewiesen sind, „Verordnungscharakter“ („un caractère règlementaire“) aufweisen, habe keine Verordnungsdomäne begründen können, in der allein die Form der Verordnung geltend gemacht werden könne. Vielmehr habe er eine materielle Verordnungsdomäne begründet, in der ein formelles Gesetz zustande kommen könne, ohne verfassungswidrig zu sein. Allerdings handelt es sich um einen Bereich konkurrierender Kompetenzen, in dem die Exekutive zwei besondere Befugnisse genießt. Die erste berechtigt die Regierung, die Diskussion einer Vorschrift mit Verordnungscharakter im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu hindern (Art. 41 CF). Die zweite Befugnis besteht darin, die Normsetzungskompetenz wieder zu gewinnen, wenn der Conseil constitutionnel feststellt, dass ein formelles Gesetz materiell Verordnungscharakter trägt (Art. 37 Abs. 2 CF). Dies hat zur Folge, dass eine formelle Gesetzesvorschrift mit materiellem Verordnungscharakter vom Conseil constitutionnel nicht für verfassungswidrig erklärt werden kann, wenn dieser gemäß Art. 61 CF (abstrakte Normenkontrolle) angerufen wird.
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Art. 38 CF sieht die Möglichkeit vor, dass die Exekutive aufgrund einer parlamentarischen Ermächtigung das Verordnungsrecht durch „Ordonnances“ im Bereich der Gesetzgebung wahrnimmt, deren wichtigste Angelegenheiten in Art. 34 CF aufgezählt sind. Der Conseil constitutionnel hat die Befugnis des Parlaments, sich seiner Kompetenzen zu entledigen, verhältnismäßig gut eingerahmt, insbesondere über das Erfordernis einer hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigung. Überdies trägt der Conseil constitutionnel über den Rückgriff auf die verfassungskonforme Auslegung dazu bei, die genauen Schranken der Ermächtigung und somit auch der Kompetenzen der übertragenen Verordnungsgewalt zu bestimmen.[169] Der Rückgriff auf das Instrument der Ordonnances hat sich seit Mitte der 1990er Jahre erheblich fortentwickelt und dadurch das institutionelle Gleichgewicht in der Ausübung der Rechtsetzungsbefugnisse in Gefahr gebracht. Die Ordonnance neigt dazu, eine gewöhnliche Methode des Normerlasses zu werden. Sollte sich diese Tendenz bestätigen und nachhaltig wirken, so müsste man sich mit der Feststellung begnügen, dass die Fünfte Republik für das Problem der Selbstaufgabe des repräsentativen Regimes letzten Endes keine Lösung hat bieten können. Sie hätte – im Gegenteil – durch eine allgemeine, stellenweise sogar radikale Beschränkung des Parlaments zur Schärfe des Problems beigetragen.[170]