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e) Sozialstaat

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Dem Prinzip, wonach „Frankreich eine soziale Republik ist“, kommt als solchem in der Rechtsprechung keine praktische Bedeutung zu. Es hat allenfalls symbolische Funktion. Der Grund hierfür ist, dass die mit Verfassungsrang in Kraft bleibende Präambel der Verfassung von 1946 eine Reihe besonderer sozialer Garantien beinhaltet, die den Rückgriff auf die Generalklausel der „sozialen Republik“ erübrigen. Während der Rückgriff auf die Formel des „Sozialstaats“ in Deutschland ermöglicht, der Interpretation der klassischen Grundrechte den Weg zu weisen, so spielt die Formel der „sozialen Republik“ in Frankreich nicht dieselbe Rolle. Doch im Gegensatz zu einigen europäischen Staaten, deren Verfassungen ganz oder teilweise zwischen den „sozialen Grundrechten“ und den Rechten differenzieren, die vor einem Richter individuell geltend gemacht werden können, ist den französischen Verfassungstexten eine derartige Unterscheidung unbekannt. Aus diesem Grund werden diese Rechte im Allgemeinen als „Grundrechte“ wie andere auch betrachtet.[216] Besonders in der Literatur zu den „sozialen Rechten“ ist der gegenwärtige Mangel einer die Grundrechte in Frankreich wirklich strukturierenden Dogmatik auffallend, zumal Frankreich sich gegen den „Import“ der Kategorie „Grundrechte“ noch sträubt.[217] Die „sozialen Rechte“ kennzeichnet ihre Heterogenität: Die Freiheit des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses und das Streikrecht können unter dem Gesichtspunkt ihrer Struktur betrachtet ohne Weiteres als klassische Freiheitsrechte bezeichnet werden, wohingegen andere die sozialen Beziehungen berührenden Verfassungsprinzipien weniger als „Rechte“ denn als objektive Regeln zu analysieren sind, die aufgrund ihrer Unbestimmtheit über nur schwache normative Dichte verfügen und deswegen meist in Form von Staatszielen der Rechtfertigung von Freiheitsbeschneidungen dienen. Alles in allem ist der Unterschied zwischen der deutschen Formel des „Sozialstaats“ und der französischen Rechtsprechung zu genannten sozialen „Rechten“ recht gering: die sozialen „Rechte“ oder besser „Staatsziele“, die von der französischen Verfassungsordnung garantiert werden, stellen lediglich eine Kasuistik der Generalklausel der „sozialen Republik“ zusammen, ohne jedoch im Grundsatz bestimmte subjektive Ansprüche begründen zu können. Hinzu kommt, dass die durch das Völkervertragsrecht gewährleisteten „sozialen Rechte“, so die Fachgerichte, regelmäßig keine unmittelbare Wirkung entfalten können, da ihre Durchsetzung eine interpositio legislatoris erfordere. Letzten Endes bilden die so genannten sozialen „Rechte“ einen Gesamtkomplex verhältnismäßig vage formulierter und an den Gesetzgeber gerichteter Zielbestimmungen, deren normatives Gewicht im französischen Rechtssystem äußerst gering bleibt.[218]

§ 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich › IV. Fazit: Die Fünfte Republik zwischen Normalisierung und nationaler Besonderheit

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