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5 Gegner ungleich Leugner
ОглавлениеDas trieb also Deutschland um in dieser Zeit.
Es gab kein anderes Thema.
Zumal jede einzelne Nachrichtensendung zu jeder vollen Stunde Tag und Nacht im Radio sowie jede einzelne ›Tagesschau‹, jedes ›heute‹, alle News, jede Talkshow und jede Sondersendung im Fernsehen seit März 2020 mit dem Stichwort ›Corona‹ begonnen wurden.
In denen während der ersten zehn Monate der Krise die Wiedergaben der Stimmen derer, die die Rückgabe der Grundrechte einklagten, verdächtig kleingehalten wurden im Verhältnis zu den Stimmen derer, die die notwendigen, aber auch oft irrationalen Einschränkungen befürworteten.
So war man oft schon versucht, zu fragen,
ob denn das eigentliche Virus die Demokratie sei?
Und ob man in Wahrheit die Deutschen vor diesem Virus ›Demokratie‹ schützen müsse, damit nicht zu viele von ihm infiziert werden und damit die Inzidenz minimal gehalten wird, damit das Gemeinwesen nicht überlastet werde, wenn sich an demokratischen Werten Erkrankte in die leerstehenden Innenstädte ergießen?
Das alles führte dazu, dass Bürger, denen die Maßnahmen gegen Corona zu Teilen willkürlich und widersprüchlich vorkamen, sich gezwungen sahen, ständig neu repetieren müssen:
Maßnahmen-Gegner sind KEINE Corona-Leugner.
Und sie sind auch KEINE Verschwörungstheoretiker!
Demonstranten sind mitnichten durchweg Neu-Nazis, AfDler oder Aufwiegler, sondern zum allergrößten Teil Menschen, die in ihrer Existenz nicht nur bedroht, sondern bereits zerstört sind. Sie haben das zusätzliche Pech, dass sie in ihrem Wunsch, ihre Not öffentlich zu machen, benutzt werden von einer minimalen rechten Minderheit, die lautstark genug ist, sich stärker in Szene zu setzen als die anderen.
Das wird gerne übersehen, weil es so einfacher wird, den Gegner regierungsamtlicher Tätigkeit groß genug erscheinen zu lassen.
Und es ist in höchstem Maße bedenklich, wenn im Zuge der Vorwürfe gegen die Anti-Corona-Maßnahmen – gerade weil diese eben oft nicht nachvollziehbar sind – höchste Regierungsvertreter, wie zum Beispiel auch der baden-württembergische Ministerpräsident, betonten, dass der größte Teil der Wirtschaft von den kritisierten Maßnahmen gar nicht betroffen sei.
Sicher in der vielleicht guten Absicht,
zu beruhigen oder ruhigzustellen.
Und vielleicht auch in der verkennenden Wirkung, dass diese Aussage in der Summe stimmen mag. Da Online-Handel, Handwerker et cetera jetzt den großen Reibach machen. Und dadurch das Bruttosozialprodukt tatsächlich vielleicht nicht so minimiert wird, wie man es hätte erwarten können.
Jedoch wurden die Einzelnen – der einzelne Fachhändler, der einzelne Unternehmer, der mittelständische Betrieb, der einzelne Künstler und der einzelne Direktor eines kleinen Theaters – mit solchen Worten vollkommen ignoriert. Wo doch immerhin der Deutsche Städtetag am Frühjahr 2021 vorgerechnet hatte, dass man mit Insolvenzen in den Innenstädten rechnete von bis zu 65 Prozent.
Andererseits wurde zugegebenermaßen aber auch eine gewisse Paradoxie plötzlich überdeutlich, in der sich ganz Deutschland aufregte über die Untersagung von Sterbebegleitung von Oma und Opa in Corona-Lockdown-Zeiten und die Minimalzulassung von Trauergästen bei einer Beerdigung, wo wir doch seit Jahren den Tod ohnehin zunehmend anonymisiert haben:
Gräber werden nach fünf Jahren nicht mehr verlängert. Es gibt immer weniger Todesanzeigen, damit keiner am Tod teilnehmen kann. Es wird ohne Namen beerdigt, verschachert, ins Meer geschmissen.
Wir haben den Tod schon lange abgeschoben.
In dieser Hinsicht müsste doch Corona für unsere steigende Emotionslosigkeit ausgesprochen hilfreich gewesen sein?
Und eine gewisse Paradoxie wurde ebenso deutlich in der Farce der politischen Vorgabe, dass zum Beispiel wegen Corona im Schulbetrieb die Schüler sich möglichst wenig durchmischen sollen und auf den Schultoiletten der Kontakt vermieden werden müsse. Was war denn in den Schulen los auf den Klosetts, fragte man sich? Was wurde hier unterstellt? Wo doch immerhin ein Gericht in Nordrhein-Westfalen gerade das Prostitutionsverbot aufgehoben hatte.
Oder war das zu weit gedacht?
Und eine Paradoxie und irritierende Lächerlichkeit wurden noch zusätzlich deutlich, wenn Kanzlerin Merkel auf den Einwand, dass es Schülern bei viertelstündlich geöffnetem Fenster in den Schulen im Winter einfach auf Dauer eines ganzen Schultages zu kalt würde, empfahl, man könne »ja auch mal zwischendrin eine Kniebeuge machen. Oder mal in die Hände klatschen«.
Oder wenn Gesundheitsminister Jens Spahn in der »Neuen Osnabrücker Zeitung« (9.12.2020) gar zitiert wurde: »Um die Ansteckungsgefahr im privaten Bereich zu minimieren, kann womöglich auch Gurgeln helfen.«
Und nicht nachvollziehbar wurde, dass es zum Beispiel als Bundesregelung ab dem Frühjahr 2021 eine Sperrstunde gab, in der man dennoch alleine von 22 Uhr bis 24 Uhr joggen durfte, aber in dieser Zeit alleine Auto zu fahren verboten gewesen ist.
Warum es überhaupt eine Sperrstunde gab, wo zu dieser Zeit alle Läden, Restaurants und Bars geschlossen waren, blieb unerklärt.
Ganz Findige wie der Gesundheitsminister sein wollende Karl Lauterbach argumentierten, dass man damit verhindern mochte, dass Menschen sich besuchen nach 22 Uhr. Hatte man folgerichtig in Hochhäuser Polizisten abgestellt, die beobachteten, ob keiner seine Wohnung im ersten Stock verließ, um sich zum Nachbarn im zehnten Stock zu gesellen?
Oder war man in der Beschränkung von Grundrechten
einfach nur noch nicht so weit gekommen?
Auf dieser Basis spürte man seit Beginn der Krise eine denkwürdige Veränderung in der Gesellschaft.
Von November bis zum Dezember 2020 und dann vom Januar bis zum Frühjahr 2021 wurde der Lockdown immer weiter verschärft. Offenbar ohne Wirkung, denn es stiegen die Fallzahlen dennoch. Und trotzdem wurde berichtet, dass sich eine große Mehrheit der Bürger aussprach für noch mehr Stillstand und für noch längeren Stillstand und für noch schärferen Stillstand. Um die 85 Prozent, hieß es manchmal, würden noch weniger Kommunikation wollen, noch weniger Kontakte und noch weniger soziale Umfelder.
Ein Wert übrigens,
um den uns ein Erich Honecker beneidet hätte.
Das Lieblingsrestaurant war geschlossen, das bevorzugte Modegeschäft war pleite, der Stamm-Friseur war insolvent. Und alle diese Arbeitslosen oder Betroffenen waren für noch mehr Lockdown??
Wie selbstlos.
Fragte man sich da nicht manchmal, ob AIDS, Ebola und Malaria in Afrika mit Millionen von Toten im Jahr so viel harmloser sind als Corona, dass man nicht auch Afrika deswegen schon längst komplett gelockdownt hatte?