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7 Darf man über Corona lachen?
ОглавлениеSumma summarum ist also immer noch zu fragen, ob der Eindruck täuscht, dass von Regierenden, Entscheidenden und auch Wichtigtuenden im Nichtwissen um die wirklich richtigen Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie
die Demokratie
als das eigentliche Virus empfunden wird?
Ist das Abwägen gegenteiliger Meinungen, selbst wenn sie fachlich und fundiert begründet sind, nur noch eine lästige Krankheit, die zudem als gefährlich dargestellt wird und Menschenleben kostet?
Zumindest die Leben derer, die diese Meinung äußern.
Weil es in einer gespaltenen Gesellschaft inzwischen sogar genügend neutrale Organe gibt, die sich so frenetisch von solcherart Gedanken absetzen, dass damit zu rechnen ist, beim Insistieren darauf an der nächsten Straßenecke erschlagen zu werden.
Wir haben es vor einiger Zeit erlebt:
53 seriöse, ernst zu nehmende Schauspieler haben sich in Ein-Minuten-Takes ironisch und sarkastisch geäußert über die genauso dramatischen Nebenwirkungen des Dramas »Virus-Krise«.
Es ergossen sich Gülle-Kübel unvorstellbaren Ausmaßes über sie. Zumindest verbal wurden sie an jeder Straßenecke erschlagen.
Sie wurden mit Vorwürfen überhäuft, sie hätten sich aus einem Elfenbeinturm mit dickem Finanzpolster hämisch erhoben über die Toten und Kranken, die von Corona betroffen waren.
Dieser Einwand war ein besonders infames Totschlagargument. Hatten doch diese Schauspieler in Wahrheit nur ihren bekannten Namen benutzt und ihre Popularität denen geschenkt, die keinen Namen haben, die nicht gehört werden und die an den Nebenwirkungen der Corona-Maßnahmen verhungert, erkrankt, gestorben sind oder deren Existenz nicht nur bedroht, sondern bereits ruiniert wurde.
Solche, die sich Satiriker nennen, empfahlen zynisch, wenn man mit den Maßnahmen nicht zurecht käme, sich Filmausschnitte von »Berlin, Charité« (ARD) anzuschauen. Diese ›Satiriker‹ erkannten Ironie nicht mehr und missachteten, was sogar Hofnarren im finsteren Mittelalter gestattet war: sich über Zustände, Politik, Entscheidungen, Krankheit und auch Tod lustig zu machen. Sie fielen zurück in eine subalterne, unterwürfige Verhaltensweise, wie wir sie zuletzt aus der Kaiserzeit erzählt bekommen haben. Kein Wunder, laufen sie heute teilweise noch auf unter dem Untertitel »Royal«.
Dies alles ungeachtet der Tatsache, dass das Grundgesetz in Artikel 5 die Meinungs- und Pressefreiheit ausdrücklich garantiert. Und nebenbei auch die Freiheit der Kunst.
Die Frage ergab sich schnell, ob nun diese Schauspieler, oder einige von ihnen, Deutschland verlassen müssen. Schon, weil ein paar von ihnen aufgrund der praktizierten und garantierten Freiheit ihrer Kunst, die weder beleidigend noch volksverhetzend noch anderweitig gesetzeswidrig gewesen war, mit teilweisem Berufsverbot belegt wurden. Respektive wurden ihnen Film- oder Theaterangebote vorenthalten oder diese wurden zurückgezogen.
Das einzige Problem mag hierbei gewesen sein, dass Zuschauer sich schwertun, Ironie als solche zu verstehen, wenn sie von Menschen kommt, von denen man Ironie gemeinhin nicht gewohnt ist.
Und vor allem, wenn dies in nur einer Minute vorgetragen wird. Ironie ist dem Deutschen ohnehin nicht sehr zugänglich, wenn man ihn nicht vorher mit der Nase draufstößt. Und auch dann kann es passieren, dass er sich über die gestauchte Nase beschwert und die Ironie immer noch nicht realisiert. Da bleibt kein Raum für genügend Distanz und für eine Gegenargumentation. Da bleibt oft, wie man gesehen hat, nur eine Reaktion auf ein Schlüsselwort, das alles andere vergessen lässt.
Und das gipfelte dann in der medialen Fragestellung
(n-tv.de, 22.5.2021):
»Darf man über Corona-Witze lachen?
Die Corona-Pandemie ist eine Zeit mit hohen Belastungen (…) Angesichts vieler erkrankter Menschen und pandemiebedingter wirtschaftlicher Nöte stellt sich bei einigen Menschen die Frage, ob man dennoch lachen darf.«
Die Frage danach impliziert bereits die Forderung danach und ist hinlänglich nur bekannt von diktatorischen Regimen. Dass hier in vorauseilendem Gehorsam gewissermaßen moralische Schuldkomplexe bei den Mitbürgern initiiert werden sollen, unterstreicht die Ansicht vieler, dass Freiheitsrechte und freiheitliches Denken nicht nur aus hygienisch oder gesundheitlich notwendigen Gründen beschnitten wurden.
Es fand also eine erschütternde Polarisierung statt, in der es bloß diejenigen gab, die das Virus bestätigten, und diejenigen, die die Behandlungen und die Gegen-Maßnahmen dazu partiell kritisierten und deshalb gleichgesetzt wurden mit Leugnern der Krankheit insgesamt. Und damit gleichgesetzt mit einer generellen Bedrohung für Leib und Leben sämtlicher Deutscher.
Und dies war keine schnell dahingesagte Ansicht in Straßenumfragen, sondern es waren Ansichten von seriös und intelligent sein Wollenden, die gewissermaßen als Fachpersonal endgültig in dieser Sache urteilten.
Wenn beispielsweise ein ZDF-Professor namens Lesch in maßloser Überzogenheit und Undiffenrenziertheit in der ARD-Sendung »ttt – Titel, Thesen, Temperamente« (7.12.2020) zum Besten gab, dass die zahlreichen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Deutschland nur Ausdruck seien,
»dass da ein ganz heftiges Missverständnis besteht, wenn immer wieder sehr stark auf die individuelle Freiheit abgehoben wird und nicht daran gedacht wird, was die Einschränkungen der individuellen Freiheit für kurze Zeit für die Freiheit aller für lange Zeit bedeuten kann«. Dass so viele Menschen kritisierten, dass ihre individuelle Freiheit derzeit für einen kurzen Zeitraum eingeschränkt werde, zeige, dass »der Ethik-Unterricht in der Schule versagt hat«.
Offenbar hatten bei Herrn Lesch der Sozialkunde- und der Demokratieunterricht in der Schule versagt.
Und der Philosophieunterricht noch dazu.
Denn er bemühte zusätzlich Immanuel Kant mit dem Satz: »Handle so, dass deine Handlungen zum allgemeinen Gesetz erhoben werden können.« Was, auf die Corona-Situation übertragen, bedeuten sollte, so Lesch, »dass wir uns jetzt mal einschränken, damit wir demnächst wieder ein Leben führen können, welches zumindest in die Nähe von dem kommt, was vor Corona war«. Ungeachtet dessen, dass Kant eben vermittelte, dass das Leben nicht aufrechenbar ist. Andere Leben oder Existenzen sind nach Kant eben nicht zu opfern, um andere Leben oder Existenzen zu schützen.
Munter und wild durcheinander zitiert Lesch darüber hinaus noch das Grundgesetz, dass »eben auch die Würde der Anderen unantastbar ist«. Was ist aber denn mit der Würde der Anderen? Derjenigen, die mit Herz-, Kreislauf-, Krebs- und anderen Erkrankungen erst später – und vielleicht zu spät? – behandelt wurden, weil Corona in Arztpraxen und Krankenhäusern ganz allgemein Vorrang hatte? Was ist mit der Würde derer, die die ökonomische oder soziale oder psychische Existenzgrenze schon überschritten hatten?
Selbstverständlich gibt das Grundgesetz vor, dass der Staat Leben zu schützen hat. Und dass er dazu auch Freiheiten einschränken kann. Aber wo steht, dass Corona-Betroffene den absoluten Vorrang haben? Warum wurden andere Leben nicht ebenso geschützt?
Warum wurden hier Leben aufgewogen gegeneinander?
Und warum wurden durch Maßnahmen
andere Leben gefährdet?
Und was ist verbrecherisch und staatsgefährdend daran, wenn man diese Fragen auf einer Demonstration zum Ausdruck bringt???
Warum galt eine abweichende Ansicht zu den regierungsamtlichen Verordnungen plötzlich als Landesverrat? Und warum wurde die Regierung plötzlich von so vielen mit Obrigkeitshörigkeit und Untertanengeist verteidigt, Herr Lesch?
Denn dass sich dieses Verhalten nicht als weltumspannend erwies, sondern zu Teilen auch an typisch deutsche, ehemalige Gepflogenheiten erinnerte, zeigte sich beispielsweise an Schweden oder der Schweiz, wo es noch genügend Bewusstsein für Freiheit und eigenverantwortliches Handeln gab, um eine allumfassende Ausgangssperre zu verhindern.
Es ist nicht ungefährlich, an eine bestimmte Zeit in diesem Zusammenhang zu erinnern. Deshalb sei ausdrücklich vermerkt, dass keine Seite in irgendeine politische Ecke gestellt werden soll, wenn gesagt sei:
Vor 80 Jahren war man entweder Nazi oder Staatsfeind.
Dazwischen gab es nichts.
Zumindest diesen absoluten Tatbestand unter dem Vorzeichen anderer Definitionen haben wir heute wieder:
Entweder ist man regierungskonform und subaltern für jegliche Entscheidung von oben oder man ist Staatsfeind, Gesundheitsgefährder, wenn nicht versuchender Totschläger.
Dazwischen gibt es nichts.
Wie man es dreht und wendet –
man kommt immer wieder zu der Erkenntnis, dass der Deutsche eine gehörige Portion davon mitbringt, Dinge in seinem Sinne missverstehen zu wollen.
Vielleicht, um Schuld zuweisen zu können.
Oder von sich abzulenken.
Der Deutsche ist im Zynismus nicht beheimatet.
Der uralte Satz, dass Humor sei, wenn man trotzdem lacht, gilt nicht mehr. Obwohl jedem Kind beigebracht wird, dass durch Lachen Schmerzen und Leiden erst erträglich werden können. Vor allen Dingen in Zeiten wie dieser Krise, in der man durch Generalisierung und Universalität der Maßnahmen nirgendwo mehr einen Ausweg finden kann aus den Belastungen.
Und der uralte Satz, dass Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden bedeutet, gilt ja auch nichts mehr. Es gilt nur noch die vereinfachte, weil einfach gemachte Meinung. Und wer sich daran nicht hält, wird auf ein Schlachtfeld geführt, auf dem nun auch noch die Freiheit der Kunst geopfert wurde. Insofern in besonders bedrückender Weise, als fast zwanzig der betreffenden und betroffenen, oben erwähnten 53 Schauspieler selbst ihre Kunst und damit sich geopfert hatten und ihren Beitrag zurückzogen.
Dieserart eine Schere im Kopf zu haben war bislang vorwiegend bekannt aus antidemokratisch geführten Staaten.
Den haben wir per definitionem in Deutschland nicht!
Aber ein regelrechter Volkssturm setzt im Eventualfall gerne selbst die entsprechenden Regeln dafür an.
Mit einer gewissen Erleichterung mag man dann festgestellt haben, dass sich die Stimmung – auch medial – im Laufe des Jahres 2020 mehr zum Bürger und zu vermehrtem Bewusstsein verkehrte, was die Wahrnehmung von Veränderung und Beschränkung von Grundrechten anging.
Und immerhin war es ein Armin Laschet, der – leider erst – nach über einem Jahr Ende Juni 2021 bei einer Gedenkstunde für die Opfer der ganzen Corona-Krisenzeit im nordrhein-westfälischen Landtag eingestand:
»Die Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass Menschen einsam sterben mussten, waren ein gravierender Fehler.« Zum Tod haben auch Einsamkeit und Isolation beigetragen, sagte er dazu und bat Angehörige »von ganzem Herzen« um Entschuldigung. Äußerungen, die im gesamten politischen Spektrum ziemlich singulär geblieben sind.
Doch bis es auch dazu kam, dachte man wehmütig an die Zeit vor der Krise. An die Zeit vor Ausbruch dieses Corona-Virus. An die Zeit, in der nach subjektivem Empfinden in diesen Monaten der permanenten Überschüttung von viralen Informationen die deutsche Welt noch in Ordnung war.
Was gab es doch, erinnerte man sich, im Vergleich zur Corona-Zeit für wunderbar übersichtliche Problemata?! Konflikte, Themen oder Irritationen, die man in nur zwei oder drei oder vier Talksendungen und abzählbaren Nachrichtensendungen abhandeln konnte.