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6 Kritik der unreinen Vernunft
ОглавлениеWaren so viele Mitbürger wirklich seelisch so stabil, dass sie in Magazinen und in Reportagen fast nur Zustimmung zu noch mehr Beschränkungen in Schulen, Einzelhandel und bei persönlichen Kontakten bekundeten?
Waren die Befragten trotz aller Pleiten so beständig, dass kaum einer von ihnen Herrn Schäuble zustimmte, wenn er mit Blick auf die Abwägung zwischen Lebensschutz und Kollateralschäden auf Warnungen der Vereinten Nationen und der Welthungerhilfe vor Millionen von Unterernährung und Hungertod bedrohten Menschen verwies und wörtlich im Gespräch mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung« im Dezember 2020 sagte und es im Januar 2021 noch einmal wiederholte:
»Gesperrte Häfen, geschlossene Märkte und unterbrochene Lieferketten treffen Bauern hart. Sie können ihre Ernte nicht mehr verkaufen, und es fehlt ihnen an Dünger und Saatgut, die Nahrungsmittelpreise steigen dadurch massiv. Wir können nicht um jeden Preis jedes Leben schützen, und alles andere muss dahinter zurücktreten.«
Wir hatten Hunderttausende von vernichteten Existenzen und keine Nachrichtensendung wurde eröffnet mit der klaren Analyse vom Tübinger Oberbürgermeister, Boris Palmer, wenn er anmerkte:
»Es reicht jetzt, wir müssen leben.«
Die Schäden an Wirtschaft und Gesellschaft seien exponentiell. »Der Innenstadthandel ist schon auf der Intensivstation, der fällt bald ins Koma. Wir halten das nicht durch.«
Weil Boris Palmer weiß, man kann einen Krebskranken mit so viel Chemotherapie überschütten, dass der Körper schließlich an der Chemotherapie kollabiert. Und so können wir die Menschen vor Corona mit so viel Lockdown überschütten, dass ihre Körper schließlich am Lockdown kollabieren.
Nun sind dies alles nicht Argumentationen und Befürchtungen von Menschen, die aus Verschwörungsabsicht den Staat hintertreiben wollen.
Oder will man etwa den langjährigen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Professor Ferdinand Kirchhof in solcher Weise diffamieren, wenn er in der ZDF-Sendung »Berlin direkt« am 25.4.2021 sagte:
»Man kann eine Gesellschaft auch zu Tode schützen (…). Je länger das währt, umso mehr müssen wir auf die Interessen derer Rücksicht nehmen, in deren Grundrechte eingegriffen wird (…). Ein Beispiel: Wenn ich ein Restaurant für zwei Wochen zumache, dann ist das wie Betriebsferien. Das hält der Gastwirt aus. Wenn ich ein Restaurant aber faktisch ein ganzes Jahr schließe, dann kämpft dieser Gastwirt nur noch um seine ökonomische Existenz (…). Und das hat Herr Schäuble schon in den ersten Monaten gesagt: Das Leben ist der Güter höchstes nicht. Und mit diesem Zitat aus Schillers ›Braut von Messina‹ hat er deutlich gemacht, wir dürfen nicht nur auf die Gefahren des Virus schauen. Wir müssen auch auf die Gefahr schauen, was wir in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und bei den Menschen damit Negatives anrichten.«
Will man den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach schmähen, wenn er am 25.3.2021 in der »phoenix runde« bemerkte, dass die Menschen vielleicht zwei Wochen einen Lockdown aushalten, aber nicht ein ganzes Jahr! »Und mich wundert es schon, diese unterschiedliche Betroffenheit, dass die nicht eine große Rolle spielt. Denn diejenigen – Messe, Messebau, Kulturbetrieb, Gastronomie, Hotel, die jetzt nach Monaten mit dem Rücken zur Wand stehen, die nicht wissen, wie es mit ihnen und ihren Betrieben wirtschaftlich weitergeht, die können nicht diese Ruhe und diese Gelassenheit haben (wie die), die wissen, dass sie kein persönliches Risiko haben, die nicht um ihren Arbeitsplatz bangen und die ganz sicher sein können, dass ihr Gehalt pünktlich und in voller Höhe kommt.«
(Mit deutlicheren, anmerkenden Worten des Autors: die bräsig zu Hause in Sicherheit sitzen und nichts von den drastischen Folgen dieser Maßnahmen zu spüren bekommen.)
»Das ist ein großer Unterschied, auch in der Wahrnehmung dessen, was in den letzten Monaten geschehen ist!«
Will man Herrn Kirchhof und Herrn Bosbach des Querdenkertums bezichtigen oder dessen, was man dafür hält? Warum akzeptierte man nicht endlich höchste richterliche und regierungsamtliche Meinungen genauso wie die eines Herrn Wieler oder eines Herrn Lauterbach?
Warum wurde lange über solche Anmerkungen nicht genauso ausführlich und endlos und täglich berichtet wie über täglich heruntergebetete Corona-Zahlen? Und warum wurde darüber nicht genauso lange diskutiert wie über reale oder mögliche neue Maßnahmen?
Man könnte sich zusammenreimen, warum:
Wäre es denkbar, dass es eine freiwillige, logische und aus psychologischen Gründen durchaus nachvollziehbare Vereinbarung zwischen Regierung und Presse gibt, die Entscheidungen der Regierung möglichst nicht infrage zu stellen im Katastrophenfall?
Und den haben wir ja hier.
In der Schweiz ist das übrigens sogar Gesetz.
Und das würde auch Sinn machen.
Es wäre vollkommen schlüssig und selbstverständlich.
Stellen wir uns vor, wir wären im Katastrophenfall Krieg.
Und die Regierung beschlösse, in Moskau einzufallen –
da könnte die Presse nicht sagen:
Paris wäre uns aber lieber gewesen.
Deswegen.