Читать книгу Finite-Elemente-Methoden im Stahlbau - Matthias Krauß - Страница 24
2.2 Grundideen und Methodik
ОглавлениеWenn man baustatische Systeme mit dem Weggrößenverfahren untersucht, so folgt der Berechnungsablauf stets einer gleichbleibenden und sehr schematischen Vorgehensweise. Daraus ergibt sich, in Verbindung mit der universellen Eignung für breit gefächerte Aufgabenstellungen, der überwältigende Erfolg des Verfahrens. Nachteilig ist jedoch neben der relativ stark mathematisch ausgerichteten Lösungsmethode, dass die Grundideen des Verfahrens nicht unmittelbar ersichtlich sind. Da sie für das Verständnis von großer Bedeutung sind, werden sie hier in Zusammenhang mit der Methodik erläutert.
Als Beispiel wird das baustatische System in Bild 2.1a betrachtet. Es handelt sich um einen ebenen Rahmen, für den die Schnittgrößen und Verformungen nach der linearen Stabtheorie ermittelt werden sollen. Der Rahmen hat in den horizontalen und schrägen Teilen unterschiedliche Querschnitte und wird durch die Lastgrößen F und g in der Ebene belastet. Eine wesentliche Grundidee der FEM ist bekanntlich die Aufteilung eines Tragwerks in finite Elemente, die in den Knoten miteinander verbunden sind. Wie Bild 2.1b zeigt, kann der ebene Rahmen in vier Stabelemente mit fünf Knoten aufgeteilt werden. Für baupraktische Berechnungen würde man eine feinere FE-Modellierung vornehmen, weil man dafür Schnittgrößen und Verformungen in engeren Abständen benötigt, die bei der groben Aufteilung in Bild 2.1b mit nachträglichen Berechnungen ermittelt werden müssen.
Bild 2.1 Grundlegendes Beispiel zum Verständnis der FEM
Erforderlich bzw. zweckmäßig ist es, Knoten wie folgt anzuordnen:
bei Lagern, Einzellasten und Punktfedern
am Anfang und Ende von Streckenlasten, Streckenfedern und Schubfeldern
bei Querschnittssprüngen
bei Richtungsänderungen der Stäbe (Knicke, Ecken)
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass man bei den Lasten auf die Knoten durchaus verzichten kann, wenn man wie in Abschnitt 3.9 erläutert die entsprechenden Umrechnungen vornimmt. Knoten 2 in Bild 2.1b ist daher nicht zwingend erforderlich.
Lagerbedingungen sind im Sinne der FEM geometrische Randbedingungen. Sie beziehen sich wie auch Einzellastgrößen und Punktfedern stets auf das globale Koordinatensystem und haben daher zu X und Z entsprechende Richtungen. Aus diesem Grund ist die Einzellast F in Bild 2.1a in ihre Komponenten FX2 und FZ2 zerlegt worden (Bild 2.1c), und die Vorzeichen sind positiv, wenn die Wirkungsrichtungen mit X und Z übereinstimmen. Auflagerreaktionen (mit dem Index „R“ gekennzeichnet), sind entgegen X und Z positiv definiert.
Im Zusammenhang mit den Stabelementen werden lokale x-z-Koordinatensysteme verwendet und sowohl Streckenlasten als auch Streckenfedern den Stabelementen zugeordnet. Die „Elementlast“ qz4 in Bild 2.1c bezieht sich daher auf die lokale z-Ordi-nate von Element 4. Sie wird später (s. Bild 2.3 bis Bild 2.5) in äquivalente Knotenlasten umgerechnet, die sich auf das globale X-Z-KOS beziehen. Die Auflagerreaktionen in Bild 2.1c sind unbekannte Größen, die bekanntlich mit den Lastgrößen im Gleichgewicht stehen müssen.
Ein nächster wichtiger Punkt beim Weggrößenverfahren ist die Definition der Verschiebungsgrößen, siehe Bild 2.1d. In jedem Knoten treten die drei Größen und auf, die zu den Lastgrößen FX, FZ und MYL unmittelbar korrespondieren. Da später auch lokale Verschiebungsgrößen benötigt werden, erfolgt die Kennzeichnung der globalen Größen mit einem Querstrich. Wie man sieht, treten 5 ⋅ 3 = 15 unbekannte Verschiebungsgrößen (Knotenfreiwerte) auf. Aufgrund der geometrischen Randbedingungen (Auflagerbedingungen: Einspannung links und gelenkiges Auflager rechts) sind fünf Knotenfreiwerte gleich null, und es verbleiben zehn unbekannte Freiwerte, die zu berechnen sind. Es sei hier angemerkt, dass die Auflagerkräfte am gelenkigen Auflager durch die horizontalen und vertikalen Komponenten ersetzt worden sind.
Eine weitere wesentliche Grundidee der FEM besteht darin, die Knoten eines Tragwerks freizuschneiden und an den Knoten mithilfe des Prinzips der virtuellen Verrückungen bzw. der virtuellen Arbeit das Gleichgewicht zu formulieren:
(2.1)
Das Prinzip wird in Abschnitt 2.4.2 erläutert. Beispielhaft wird in Bild 2.2 der Knoten 4 des ebenen Rahmens betrachtet. Die Einzellastgrößen führen zur äußeren virtuellen Arbeit δWext, die Knotenschnittgrößen der angrenzenden Stabelemente zur inneren virtuellen Arbeit δWint. Dabei ist zu beachten, dass sich die Knotenschnittgrößen mit Querstrich ebenso wie die Lastgrößen auf das globale X-Z-KOS beziehen und sich entsprechend die virtuelle Arbeit mit den globalen Knotenverformungsgrößen ergibt. Die Richtungen bzw. Vorzeichen der Knotenschnittgrößen ergeben sich aus dem Gleichgewicht mit den Stabendschnittgrößen (Richtung wie die Lastgrößen!), die übrigens an beiden Elementenden mit den angegebenen Richtungen positiv definiert sind. Die daraus resultierende Vorzeichendefinition II für die Stabendschnittgrößen ist ein wesentlicher Bestandteil der FEM und der systematischen Bildung des Knotengleichgewichts.
Bild 2.2 Gleichgewicht am Knoten 4
Betrachtet man die aus den virtuellen Verrückungen und entstehenden virtuellen Arbeiten getrennt voneinander, so ergeben sich drei Gleichgewichtsbedingungen, die in Bild 2.2 angegeben werden. Die Ausdrücke in den runden Klammern müssen gleich null sein. Dies entspricht den Bedingungen des „klassischen“ Knotengleichgewichts für Σ FX = 0, Σ FZ = 0 und Σ MY = 0.
Da man das Gleichgewicht in analoger Weise an jedem Knoten eines Tragwerks bilden kann, erhält man für den ebenen Rahmen mit fünf Knoten in Bild 2.1 insgesamt 15 Bedingungen, durch die das Gleichgewicht des Rahmens erfasst wird. Die Forderung, dass an jedem Knoten eines Tragwerks die virtuelle Arbeit gleich null sein muss, ist ein zentraler Bestandteil der FEM.
Die Bedingungen für das Gleichgewicht an den Knoten reichen nicht aus, um die unbekannten Knotenschnittgrößen bestimmen zu können. Beispielsweise enthalten die 15 Gleichungen für den ebenen Rahmen mehr als 15 unbekannte Knotenschnittgrößen. Zur Lösung des Problems benötigt man daher eine weitere Grundidee. Dazu werden in Bild 2.3 ebenfalls beispielhaft das Stabelement 4 betrachtet und sechs Beziehungen zwischen den lokalen Stabendschnittgrößen und den korrespondierenden Verformungsgrößen aufgestellt. Ihre Herleitung auf Grundlage der virtuellen Arbeit gehört zum Kern der FEM und des Weggrößenverfahrens und wird in Abschnitt 3.2 für Stabelemente ausführlich behandelt. In Matrizenschreibweise lautet die Elementsteifigkeitsbeziehung unter Berücksichtigung der „Elementlasten“:
In Gl. (2.2) beziehen sich alle Größen auf das lokale x-z-KOS des Stabelementes. Die Transformation in das globale X-Z-KOS wird in Abschnitt 3.4 ausführlich behandelt; als Ergebnis erhält man:
Bild 2.3 Stabendschnittgrößen von Element 4
Bild 2.4 Transformation der lokalen Knotenverschiebungsgrößen von Stabelement 4 in das globale X-Z-Koordinatensystem
Eine anschauliche Interpretation von Gl. (2.3) gelingt mithilfe von Bild 2.4. Dort werden die lokalen Knotenverschiebungsgrößen von Stabelement 4 in das globale XZ-KOS transformiert, so dass sie durch die Größen im globalen System ersetzt werden können. Da dies in vergleichbarer Weise auch für die Schnittgrößen erfolgen kann (s. Abschnitt 3.4.1), ist es nun möglich, die Schnittgrößen in den Bedingungen für das Knotengleichgewicht zu ersetzen. Diese Vorgehensweise ist anschaulich erkennbar, wenn man beispielsweise die Knotenschnittgrößen am Knoten 4 von Element 4 in Bild 2.2 betrachtet, mit den Stabendschnittgrößen in Bild 2.3 vergleicht und Transformationen wie in Bild 2.4 durchführt. Als Ergebnis können die Gleichgewichtsbedingungen an allen Knoten zu einem Gleichungssystem zusammengefasst werden, s. Bild 2.5:
(2.4)
Bild 2.5 Gleichungssystem für den ebenen Rahmen in Bild 2.1
Für den ebenen Rahmen in Bild 2.1a erhält man das in Bild 2.5 dargestellte Gleichungssystem, das aus 15 einzelnen Gleichungen besteht, die den auf der linken Seite aufgeführten virtuellen Verschiebungsgrößen zugeordnet und in Matrizenschreibweise zusammengefasst sind. Die Gesamtsteifigkeitsmatrix enthält dabei die vier Stabelemente, die durch die 6×6-Elementmatrizen gekennzeichnet sind. Wie man sieht, ergibt sich eine Überlappung der Elementmatrizen an den gemeinsamen Knoten (Verbindungsknoten), so dass in diesen Bereichen ihre Werte aufaddiert werden. Die Punktfeder Cw3 im Knoten 3 ist ebenfalls in der Gesamtsteifigkeitsmatrix zu berücksichtigen. Die Federkraft FZC3 wirkt entgegengesetzt zur Auflagerreaktion FZR3 in Bild 2.1c und kann durch
(2.5)
ersetzt werden. Sie korrespondiert zu , so dass zu dem Hauptdiagonalelement in der 8. Zeile der Wert von Cw3 hinzu zu addieren ist.
Der Vektor enthält die 15 Verschiebungsgrößen in den fünf Knoten, die in Bild 2.1d dargestellt sind. Im Gesamtlastvektor sind die Lastgrößen und die Auflagerreaktionen zusammengestellt. Dabei beziehen sich die Vorzeichen, wie bereits er-wähnt, auf das globale X-Z-KOS in Bild 2.1b.
Zur Lösung des Gleichungssystem in Bild 2.5 müssen die geometrischen Randbedingungen, d. h. die fünf Auflagerbedingungen, berücksichtigt werden. Wegen entfallen die Spalten 1 bis 3 sowie 13 und 14. Dies gilt auch für die entsprechenden Zeilen, da sie zu und gehören und zudem der Lastvektor an diesen Stellen die unbekannten Auflagerreaktionen enthält. In Bild 2.5 ist das Streichen der Spalten und Zeilen durch die horizontalen und vertikalen Pfeilpaare auf der Hauptdiagonalen anschaulich dargestellt. Es verbleibt ein 10×10-Gleichungssystem, das gemäß Abschnitt 3.6 gelöst werden kann. Als Ergebnis erhält man die zehn vorher unbekannten Verformungsgrößen im Vektor .
Die Berechnung der Auflagerreaktionen ist aus Bild 2.5 unmittelbar ersichtlich, da die Zeilen 1 bis 3 sowie 13 und 14 diese Größen enthalten und nun alle Verformungsgrößen im Vektor bekannt sind. Die Ermittlung der Schnittgrößen ist dagegen etwas aufwändiger, da dabei die einzelnen Stabelemente mit ihren lokalen x-z-KOS zu betrachten sind. Die Berechnung erfolgt mithilfe von Gl. (2.2), wobei jedoch die lokalen Verschiebungsgrößen im Vektor für jedes Stabelement ermittelt werden müssen. Dazu wird der Vektor des Systems verwendet, die benötigten Größen den Elementknoten zugeordnet und in das lokale KOS transformiert. Einzelheiten können Abschnitt 3.7 entnommen werden.