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Km 10

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Haßreden führen

Na gut, ihr Scheißkerle, ihr sollt auch einen Kilometer bekommen. Jawohl, ihr seid gemeint, ihr verstöpselten iPod-Egoshooter! Und auch all ihr andern, die ihr vom Start weg auf Autopilot lauft, ihr, die ihr rücksichtslos in die Lücken zwischen den Läufern springt, um euch nach vorn zu drängen! Beim Berlin-Marathon schnellte mir ein Holländer, wie sich herausstellte, bei seinem Zickzackkurs so direkt in die Spur, daß ich auf ihn auflief. Was ihn nicht weiter scherte, er setzte bereits zum nächsten Überholmanöver an. Das erboste mich derart, daß ich sofort hinterherzog und ihm nun meinerseits beim Passieren einen kräftigen Ellbogenstoß verpaßte, ihn vernehmlich wissen ließ, was ich von ihm hielt. Einige Meter lang beschimpften wir einander lautstark. Seb weist mich seitdem bei jedem Rennen auf Holländer hin, ob ich nicht mal wieder ausrasten wolle?

Der Berlin-Marathon ist ohnehin gut geeignet für Haßredenläufer. Zwischen den bekannten Boulevards gibt es jede Menge Straßen, die einfach zu eng sind für eine solche Masse an Menschen, selbst nach zehn oder zwanzig Kilometern bleibt die Strecke vor allem eines: überfüllt. Wie schnell da Euphorie verfliegen, wie heftig Groll hochsteigen kann! Ein Marathon treibt all unsre Emotionen ins Extrem, auch die garstigen und gemeinen. Die Hälfte des Rennens ist man als Plusminus-Vierstundenläufer damit beschäftigt, keinem in die Hacken zu treten und trotzdem voranzukommen; immer wieder drängt auch noch das Publikum in die schlecht abgesperrte Strecke und verengt sie zusätzlich; an den Verpflegungsstellen ist man in Sekundenschnelle umringt von Läufern, die beim Trinken Pause machen.

Laufen ist keineswegs immer so friedlich, wie behauptet wird. Überall dort, wo’s zu eng wird, gibt es jemanden, der andre rücksichtslos wegrempelt, schneidet, schubst oder sonstwie aus dem Weg räumt. Oder sogar, man glaubt es kaum, absichtlich am Überholen hindert. Beim Hamburger Airport Race 2013 baute sich auf dem schmalen Streckenabschnitt am Westzaun des Flughafens ein Muskelshirtläufer extra breit vor Marion auf, die ihn überholen wollte; als sie im zweiten Versuch tatsächlich überholte, stellte er ihr ein Bein. – Überholt zu werden ist für diesen Läufertypus eine Schmach, von einer Frau überholt zu werden, eine regelrechte Demütigung, die mit allen Mitteln verhindert oder nachträglich wieder wettgemacht werden muß.

Auch auf den beliebten Freizeitstrecken einer Großstadt kommt es an sonnigen Wochenenden zu unglaublichen Szenen. Es gilt das Gesetz des Stärkeren, auch zwischen Läufern und Radfahrern, Läufern und Spaziergängern. Letztere beklagen sich nicht selten, daß sie von Läufern ganz grundsätzlich beiseite gedrängt würden, einfach qua Erscheinung und Tempo und weil Läufer in Zweier- oder Dreierformation so stur das Terrain für sich reklamierten, daß einem gar keine andre Wahl bliebe, als Platz zu machen.

Die wütendsten Haßreden führt man als Läufer freilich gegen sich selber. Natürlich nicht im Rennen, das würde unnötig Kraft kosten und alles verschlimmern. Im Training hingegen gibt es reichlich Anlaß, ganz tief in die Abgründe der Läuferseele zu blicken. Wer an seiner Leistungsgrenze trainiert, absolviert auch einen Kurs in Sachen Selbsterkenntnis. Ich habe dabei lernen und letztlich akzeptieren müssen, daß meine Leistung sehr stark von meiner Stimmung abhängt: Geht es mir gut, kann ich für meine Verhältnisse unglaubliche Bestmarken aufstellen; geht es mir schlecht, laufe ich schon lustlos los, mit gedrosselter Energie, den Mißerfolg antizipierend. JP behauptet, er erkenne bereits bei der Begrüßung an meinem Gesicht, wie ich laufen werde. Bin ich mit meiner Leistung unzufrieden, fange ich zu allem Überfluß auch noch an, mit mir zu hadern. Ein Grund findet sich immer – was läufst du wie ein schwerer Sack, was schnaufst du so, wieso ist dein Puls denn jetzt schon so hoch, warum läuft dir Ilka bei jeder Tempoeinheit davon, wieso macht JP ausgerechnet heute dermaßen Dampf, wann ist die Einheit endlich vorbei, was soll der ganze Scheiß? Und dann: Wenn du schon bei 20 Kilometern kaum dranbleiben kannst, wie willst du dieses Tempo jemals über 40 Kilometer durchhalten, gib’s auf! Je stärker die andern aufdrehen, desto mächtiger der Wunsch, einfach auszusteigen und mit dem nächstbesten Bus heimzufahren. In den Monaten des Marathontrainings geht es mächtig rauf und runter auf der Gefühlsskala, innerhalb eines einzigen Laufs kann sich die Stimmung mehrfach drehen. Selbstbeschimpfungsanfälle und Haßreden sind ein fester Bestandteil des Trainings – die aggressive Äußerungsform unsrer geheimsten Versagensängste.

An manchen Tagen kommt es besonders dick. Da verzweifelt man nicht nur an sich als Läufer, da verzweifelt man an der ganzen Welt. In meinem ganzen Leben habe ich kaum derartige Tiefpunkte erlebt wie während des Lauftrainings. Zuletzt bei einem Dreistundenlauf Anfang Februar 2014, die Strecke führte durchs Alstertal und war so spiegelglatt gefroren, daß ich mehrfach stürzte und mir die Hosen zerriß. Bei jedem Schritt mußte man aufpassen, wo man am besten aufsetzte. Bei 2:20 brach ich ein, ging ein Stück, trabte wieder los, bei 2:40 brach ich erneut ein. Hatte ich mich bislang noch mit aller Gewalt zusammengerissen, beschimpfte ich mich während des restlichen Nachhausewegs als Versager schlechthin, als Läufer, Schriftsteller, Mann, Mensch. Zu Hause angekommen, wechselte ich gerade mal in den Bademantel – und zischte mir ein Bier. Ein Bier nach einem Dreistundenlauf, der mich an die Grenze meiner Kraft gebracht hatte, man kann sich vorstellen, wie wunderbar direkt das ins Blut schoß. Dann ein zweites Bier. Ein drittes. Rechtschaffen zerknirscht feierte ich meine Niederlage. Meine Gesamtlebensniederlage. Schon nach den ersten Schlucken war ich blau gewesen, nun war ich sternhagelblau.

Drei Biere auf nüchternen Magen kippen und sich dann ungeduscht im Bett verkriechen, das läßt sich beim nächsten Lauf sehr schön erzählen. Aber am Tag selbst muß man sich auch erst mal ertragen haben. Ich schätze, jeder Läufer ist häufiger ganz unten, als ihm lieb ist; erzählt wird davon meist nur die Pointe. Und dann gibt es ja auch noch Haßreden, die gegen Personen geführt werden, mit denen man in ganz andrem Zusammenhang zu tun hat – nicht selten sind Trainingsläufe eine einzige Suada an Beschimpfungen. Waren wir nicht eben noch bestens gelaunt? Was ist da passiert, daß wir nun permanent vor uns hin schimpfen? Als ob uns der Lauf gegen unsern Willen gelockert hätte, als ob sich da etwas Bahn bricht, was im Alltag verdrängt oder zumindest verschwiegen und zurückgehalten wird.

Ja, ihr versammelten Kacksäcke und Kackflaschen, dieser Kilometer ist auch für euch! So kontemplativ friedlich das Dahintraben auf der Stammstrecke aussehen mag, im Innern des Läufers fliegen nicht selten die Fetzen. Haßreden gegen Arbeitskollegen, Mütter, Ehepartner, Freunde, Rivalen, Zufallsbekanntschaften können sich zu Haßgesängen steigern, es hagelt Flüche, Androhungen von Prügel bei nächster Gelegenheit, Verwünschungen, Schmähungen, auch gegen Personen, die gar nicht real existieren. Laufen scheint das Ventil schlechthin und für alles zu sein. Eine innere Generalreinigung. Danach sind wir ganz leicht geworden, den Rest des Tages wieder mit uns und der Welt im reinen. Wir könnten glatt ein Bier drauf zischen.

Einer wie Achim Achilles steht ganz offen zu seinen Anwandlungen von schlechter Laune, er beschimpft in seinen Laufkolumnen,49 was immer zu beschimpfen sich gerade anbietet (am liebsten Walker). Meinen Segen hat er! Frage ich hingegen meine Laufkumpel, geben die meisten von ihnen zu Protokoll, sie würden beim Laufen lediglich ans Laufen denken. Dabei würden sie mehr oder weniger schnell alles andre ausblenden, würden vollkommen leer werden. JP zum Beispiel sagt, daß ihm allenfalls die ersten zwanzig Minuten eines Laufs zum Nachdenken blieben. Danach schalte sein Kopf in einen andern Modus, es begänne ein tieferes, klareres Nachdenken als das am Schreibtisch, er sei konzentriert, ohne sich eigentlich zu konzentrieren. Das klingt eher nach Zen-Übung als nach Dampf-Ablassen – beneidenswert!

Bleibt der Haß mancher Läufer auf Hunde und Hundehalter, aus naheliegenden Gründen ein Dauerbrenner in der Szene. Günter Herburger darf für sich reklamieren, die Speerspitze der Bewegung zu verkörpern; ich kenne niemanden, der sich während seiner Läufe bzw. bei Niederschrift der dazugehörigen Strecken- und Trainingsprotokolle so oft zu Haßtiraden hat hinreißen lassen. Eingedenk einiger »Asphaltläufe« durch deutsche Städte notiert er:

»Wo immer trainiert wird (…), es bleibt die Quadrathaftigkeit der Entgegenkommenden, die nicht hören, nichts sehen, niemals weichen. Erbittertes Geschrei, das auch Hunden gilt, die (…) überernährt und nervös umherjagen, endlich Wild spürend. Eines Tags werde ich eine hochbezahlte iranische Truppe aufstellen, die jeden Morgen die abgeschlagenen Köpfe der Doggen, Schäferrüden, Bernhardiner, Windspiele und KZ-Spitze in einer Reihe vor dem strahlenden Siegestor niederlegt.«50

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