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Eid

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Der Eid, ein subtiles Mittel der Macht, der Drohung, der Fremdbestimmung. Mehr als die Pflicht zur Wahrheit. Ein Stück ewige Verdammnis, ein bisschen Vorgriff auf die Hölle, etwas Aberglauben und ein erhöhtes Strafmaß. Im Idealfall mit Gott, insoweit allerdings über die Jahre wirkungsgeschwächt.

Der Eid, erfolgreiches Mittel zur Perpetuierung des nationalsozialistischen Unrechtssystems. Der Eid auf den Führer als Mittel zur Verlängerung des Krieges, zur Mehrung von Tod und Trauer, zur Perfektionierung der Judenvernichtung.

Danach schien es so, als habe man gelernt. Gelernt aus millionenfachem Versagen, aufgedrängtem Versagen. Der Eid wurde nicht abgeschafft, aber säkularisiert. Nur noch die Verfassung sollte beschworen werden.

Wie ging es weiter? Der Eid wurde belassen, sein positiver Teil, die Verpflichtung auf Verfassung und Grundrechte systematisch vernichtet. Wer Missstände aufzeigt, Rechts- und Gesetzesverstöße, Verfassungsbrüche und Menschenrechtsverletzungen, wird selbst zum Straftäter. Auch wenn er zum Wohl des Gemeinwesens handelt, getreu den Grundrechten. Illoyal. Ein Verräter. Ein Nestbeschmutzer. Ein aus Geltungsbewusstsein Handelnder. Verrat von Dienstgeheimnissen. Ruhiggestellt. Was kümmert uns die Gegenwart? Der deutsche Staat hat es doch nicht nötig, auf die Grundrechte im dritten Jahrtausend zu achten. Wer Rang und Namen hat, schafft sich dadurch moralische Reputation, verschleiert seine Missetaten dadurch, dass er nicht müde wird, längst verstorbenen Großvätern bei jedem fiktiven Friedhofsbesuch mit gerunzelter Stirn die Frage zu stellen: Warum hast du denn nichts getan, nicht einmal etwas gesagt?

Bei Beckmann im bundesdeutschen Staatsfernsehen 2013: Geladen war ein Reporter von Bild. Bekannt für sorgfältige und sachliche Recherche und Berichterstattung. Für den mitfühlenden Kondolenzbesuch über den Gartenzaun bei der trauernden Mutter. Für die hübschen Brüste als Magnet, um die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Hungeropfer in der Randnotiz nebenan zu lenken. Der Mann darf sich zu jenem Amerikaner äußern, der den deutschen Bürgern – die Regierung wusste es vielleicht längst – eröffnete, dass ihr millionenfacher Emailverkehr überwacht wird. Ohne Richter. Ohne Verdacht. Nur aus Interesse. Schließlich kann jeder zum Bombenleger werden, selbst eine Kanzlerin oder ein Papst. Niemand ist unfehlbar. Und was sagt der Mann von Bild: Mr. Snowden, so heißt der Amerikaner, habe einen Verschwiegenheitseid geleistet, diesen durch Verrat gebrochen und dafür wäre im amerikanischen Recht eben eine Strafe vorgesehen, beispielsweise fünfunddreißig Jahre Haft. Und Asyl könne er schon gar nicht erhalten, ihm drohe schlicht nur eine Strafe wegen Geheimnisverrats.

Übersetzt: Tritt ein Staat die Freiheitsrechte unbeteiligter Menschen mit den Füßen, so ist dies legitim; wer dies dann verrät, ist der Bösewicht, der mit schlappen 35 Jahren Haft zur Strecke gebracht werden soll. Auf dass ja niemand mehr auf die Idee kommt, seinen Eid als tatsächlich auf Verfassung und Freiheitsrechte geleistet anzunehmen. Gesucht wird also wie in allen totalitären Staaten der nibelungentreue Beamte und Mitarbeiter, der auf entsprechende Verordnung oder Weisung zu allem bereit ist. Der hirn- und willenlose Vollstrecker, der Mann fürs Grobe. Natürlich vereidigt. (2013)

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