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Montag, 15. Juni

In Erwartung zweier Lkws mit Senf – Lkw: schwäbische Abkürzung für »Leberkäswecken«, auf Hochdeutsch »Brötchen mit Fleischkäse« – hatte Querlinger es sich gerade zur Mittagspause bequem gemacht, als es klopfte und Zimmernagel und Feigl hereintraten.

»Hallo, Chef! Es gibt Neuigkeiten!«

»Und die müsst ihr mir ausgerechnet jetzt auftischen.«

»Ja, schon, weil –«

Erneutes Klopfen, Eulenburg trat ein. In der Hand zwei Metzgertüten, denen ein wunderbarer Duft entströmte.

»Hallo zusammen! Neuigkeiten, Chef! Hab heute Morgen was Interessantes recherchiert.«

»Moment, Eulenburg, schön der Reihe nach. Zuerst die beiden und dann Sie. Aber vorher hätt ich gern meine Lkws. Und hinsetzen bitte, es stehen genug Stühle rum! – Also, Armin, was –«

Abermaliges Klopfen. Ziemlich energisch.

Querlinger verdrehte die Augen. »Was ist denn heut los?«

Heini trat ein.

»Um Himmels willen, Heini, bloß keine Neuigkeiten.«

»Doch! Und was für welche«, grinste Heini und setzte sich.

»Trotzdem, du bist noch nicht an der Reihe! Zuerst der Armin, dann Eulenburg, dann du. Also, Armin, was gibt’s?«, sagte Querlinger.

»Wir haben zusammen mit der Petrarca und dem Henssler die Vermissten der letzten dreißig Jahre gecheckt. Weiter gehen die Akten nicht zurück. War relativ schnell erledigt, es gibt im ganzen Südwesten im besagten Zeitraum nur drei unaufgeklärte Fälle.«

»Nur drei?«

»Eine Frau und zwei Männer. Allerdings passen die Männer weder forensisch-anthropologisch noch zeitlich zum Opferprofil unserer beiden Federsee-Leichen. Der eine verschwand 1969, der andere 1973.«

»Genau«, ergriff Zimmernagel das Wort. »Der eine hieß Korbinian Weidenlehner. Zum Zeitpunkt des Verschwindens war er sechsundneunzig, also deutlich älter als unsere beiden Leichen. Das Altenheim, in dem er untergebracht war, hatte seinerzeit die Vermisstenmeldung aufgegeben. Wie gesagt 1969.«

»Und der andere?«

»Der war zum Zeitpunkt seines Verschwindens zwar erst fünfundzwanzig, also in etwa so alt wie unsere jüngere Leiche, trotzdem kann es sich bei ihm nicht um sie handeln«, schaltete Feigl sich wieder zu. »Der Vermisste dürfte nämlich ein total anderes Skelett gehabt haben!«

»Du machst mich neugierig, war das ein Alien?«

»Ein Liliputaner. Giovanni Rossi. Er gastierte 1973 mit dem Zirkus Ronaldo in Biberach und verschwand nach einer Vorstellung spurlos.«

»Wir haben uns auf Vermisste aus dem Südwesten konzentriert, also mehr oder weniger auf die Gegend zwischen Ulm, Biberach und Bad Buchau, richtig?«, hakte Eulenburg nach.

»Richtig. Wieso?«

»Na ja, wer sagt denn, dass die Opfer aus der Gegend waren? Was, wenn beide auf der Durchreise waren oder wenn sie – was weiß ich – in Hamburg oder Berlin getötet wurden und der Mörder sie einfach im Federseeried entsorgt hat?«

»Hm, berechtigte Frage«, brummte Querlinger.

»Aber wir können uns doch nicht die Vermissten der letzten dreißig Jahre aus ganz Deutschland um die Ohren schlagen, wie soll denn das gehen?«, regte sich Feigl auf.

»Das wäre nicht das Problem, ich hab da mal bei INPOL nachgesehen«, entgegnete Eulenburg. »Es gibt derzeit etwa elftausend Vermisste. Fälle, die erst wenige Tage alt sind, und solche, die bis zu dreißig Jahre zurückreichen. Nach dreißig Jahren wird eine Vermisstenakte geschlossen. Die Quote bei den Langzeitvermissten, also Personen, die länger als ein Jahr vermisst werden, liegt statistisch bei drei Prozent. Es ist ja wohl klar, dass da nicht viele drunter sein können, die seit über dreißig Jahren verschwunden sind. Unser Problem liegt unter Umständen woanders.«

Querlinger hatte sofort begriffen. »Verstehe. Wenn der Fall unserer beiden Federseeleichen länger als dreißig Jahre zurückliegt, bedeutet das, dass wir ein paar geschlossene Akten wieder aufmachen müssen.«

»Genau da liegt der Hund begraben«, nickte Eulenburg.

»Puh, das wird ’ne Sisyphusarbeit«, stöhnte Zimmernagel.

»Hilft alles nix, wir müssen da ran. Mord verjährt nicht, Herrschaften.«

»So seh ich das auch. Vielleicht könnten wir unsere Archivspezialisten darauf ansetzen, die uns schon beim Schwarze-Henne-Fall unter die Arme gegriffen haben«, schlug Eulenburg vor.

»KHK Heinrich Göppel und KHK Arthur Bommel? Einen Versuch wär’s wert. War es das, was Sie neu recherchiert haben?«, wollte Querlinger wissen.

»Nein, es gibt noch was anderes. Es geht –«

Klopfen! Querlinger verdrehte die Augen.

Bödele trat ein und wollte gerade den Mund aufmachen, was Querlinger ihm mit einem verärgerten »Spar dir deine Neuigkeiten für später auf!« verbot.

»Ich wollt bloß ›Mahlzeit‹ sagen, ich hab doch gar keine Neuigkeiten«, maulte Bödele beleidigt.

»Bist du dir da sicher?«, feixte Heini hinterhältig.

Bödele sah ihn unter zusammengezogenen Brauen an, verkniff sich aber eine Antwort und nahm den letzten freien Stuhl.

»Also, Eulenburg, was wollten Sie sagen?«, forderte Querlinger die Kommissarin auf.

»Es geht um die Granitbüste, mittels derer die Ermordeten im See versenkt wurden.«

»Die malträtierte Goethe-Büste?«

»Nix Goethe!«

»Wie ›Nix Goethe‹?«

»Wagner! Bei dem Kopf handelt es sich nicht um Goethe. Das muss Wagner sein!«

»Hoi! Also nicht ›Fest gemauert in der Erden‹, sondern ›Carmen‹«, gab Bödele den Kulturfreak. »Die Oper mit der rassigen Spanierin. Tolle Frau. Die würd ich nicht von der Bettkante stoßen, olé!«

»Aber sie dich, Bödele, und zwar hochkantig«, warf Eulenburg trocken ein. »Ich glaub nicht, dass die sich mit ’nem Typen einlassen würde, der französische Komponisten mit deutschen Dichtern verwechselt und Goethe nicht von Schi–«

»Genau, Bödele, du Depp!«, fiel Heini ihr ins Wort. »›Fest gemauert in der Erden‹ stammt doch nicht von Goethe, sondern von Shakespeare und ›Carmen‹ von Moz–«

»Ruhe!«, brüllte Querlinger. Der Kommissar war fahlweiß im Gesicht. Von welchen Banausen war er hier bloß umgeben? Er würde dem männlichen Teil seiner Mannschaft VHS-Kurse verordnen müssen, damit die wenigstens einen Hauch von Allgemeinbildung schnupperten.

»Weiter, Eulenburg, fahren Sie fort. Wieso ist der Goethe auf einmal der Wagner?«

»Wie gesagt, das Gesicht der Büste ist total verhunzt. Ich hab das Foto auf dem Computer mal analysiert, also mit anderen Bildern von Goethe verglichen. Teile davon, die relativ gut erhalten sind, sprechen gegen die Gesichtszüge von Goethe, dafür umso mehr für die von Wagner. Die Stirn- und Augenbrauenpartie beispielsweise.«

Bödele ließ einen künstlichen Lacher hören. »Aufgrund von Augenbrauen- und Stirnpartie willst du bestimmen können, wen du vor dir hast? Also gesetzt den Fall, man würde von mir eine Büste machen. Wenn jetzt jemand mein Gesicht … ähm …«

»Red ruhig weiter, Bödele«, grinste Eulenburg. »Wenn jetzt der Heini deine steinerne Visage mit ’nem Hammer polieren würde, würde ich aufgrund deiner extrem niedrigen Stirn auf einen geringen Hirninhalt schließen müssen. Ich hätte dich sofort identifiziert.«

Schallendes Gelächter.

»Gut, und von welchem Nutzen ist es für uns, zu wissen, dass es sich um eine Wagner-Büste handelt?«, brachte Querlinger die Runde wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

»Na ja, von irgendwoher muss die Büste ja stammen. Vielleicht wurde sie entwendet. Aus einem Park oder was weiß ich, von wo. Wir könnten Fotos der Büste in den Medien veröffentlichen. Vielleicht meldet sich jemand.«

»Nach fünfunddreißig Jahren?«

»Warum nicht? Alternativ könnten wir einen Kunstsachverständigen hinzuziehen. Der sieht vielleicht Dinge, die wir nicht sehen.«

»Gute Überlegung, Eulenburg. Hängen Sie sich da mal ran. – Also Leute, das wär’s erst mal, ich schlag vor –«

»Halt, stopp!«, rief Heinerle dazwischen. »Ich hab auch noch was zu verkünden.«

»Ach so, ja, sorry, dich hätt ich beinahe vergessen. Also?«

Heinerle grinste und sah mit einem boshaften Augenzwinkern zu Bödele hinüber.

»Unser Kollege Guntram Bödele wird stolzer Vater!«, verkündete er.

Die versammelte Runde war wie erstarrt, Bödele am erstarrtesten.

»Du … du … Woher weißt du denn das, du blöder …«, zischte er.

»Wahnsinn, gratuliere, Bödele. Ist doch super, das schafft der Heini nie!«, rief Eulenburg vergnügt dazwischen und rettete so mal wieder die Situation.

»Seh ich auch so, Bödele. Gratulation, auch von mir«, rief Querlinger nicht minder vergnügt.

Auch Zimmernagel und Feigl schlossen sich lautstark an.

»Das feiern wir, Bödele, wenn’s so weit ist«, meinte Zimmernagel und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, was Bödele zu einem stolzen Grinsen veranlasste.

»Tja, der eine kann’s halt, der andere nicht«, sagte er süffisant an Heinerle gewandt.

Der hatte sich das Ergebnis seiner Verkündigung deutlich anders vorgestellt.

»Ja, also dann … ähm … Guntram. Glückwunsch«, sagte er säuerlich.

Querlinger klatschte in die Hände.

»Und jetzt, Leute, würd ich gern meine Mittagspause fortsetzen, gönnt mir bitte meine zehn Minuten Yoga.«

Das war natürlich verschlüsselt. Im Klartext bedeuteten »zehn Minuten« eine Stunde, und »Yoga« war das Synonym für »Nickerchen«. Was dazu geführt hatte, dass in der Kriminaldirektion ein neues geflügeltes Wort Einzug gehalten hatte: »Querlinger’scher Yoga-Schnarch« …

Tote Schwaben leben länger

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