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Mittwoch, 17. Juni

Christina von Flunkern blickte aus der gläsernen Kuppel des Cafés der Hamburger Seniorenresidenz Augustinum auf die Elbe hinunter. Kähne und Kutter, Schlepper und Krane – oder sagte man Kräne? – boten ein buntes Bild hanseatischer Betriebsamkeit. Ein herrlicher Anblick.

Wie jeden Nachmittag hatte sich Frau von Flunkern ihre »Belohnung« bestellt: einen Cappuccino und ein Stück Hamburger Torte. Jeden Tag feierte sie sich dafür, dass sie damals, vor über dreißig Jahren, ihrem Mann Theophil Amadeus von Flunkern die Pistole auf die Brust gesetzt und zu ihm gesagt hatte: »Theophil Amadeus, entweder wir verlassen zusammen dieses bescheuerte Ulm und ziehen nach Hamburg, oder ich verlasse dich und ziehe nach Buxtehude zu deinem Bruder Anselm Gottlieb.« Woraufhin Theophil Amadeus, der in seinem Bruder Anselm Gottlieb einen nicht zu unterschätzenden Konkurrenten vermutete, sich genötigt sah, dem Wunsch seiner Gattin zu entsprechen.

Zwei Jahre später hatte Theophil Amadeus das Zeitliche gesegnet; er war nach einem Spaziergang am Nordseestrand von St. Peter-Ording nicht mehr zurückgekehrt, weil er die Zeiten von Ebbe und Flut verwechselt hatte. Er war halt Ulmer, der gute Theophil Amadeus, und als solcher eher mit dem Glockenschlag des Ulmer Münsters als mit dem Gezeitenkalender von St. Peter-Ording vertraut. Nach seinem Ableben war Anselm Gottlieb für ihn in die Bresche gesprungen, allerdings nicht lange. Ein Jahr später war auch er über den Jordan gegangen. Besser gesagt: über die Elbe. Nach einem Zechgelage auf dem Restaurantschiff im Museumshafen war er von Bord gefallen und nicht mehr gesehen worden. Und so kam es, dass Christina von Flunkern, die vor ihrer Heirat Christa Wolfsperger hieß und als Hebamme gearbeitet hatte, Herrin über das Vermögen zweier gut situierter Männer wurde, mittlerweile drei Weltreisen auf einem Luxusliner und unzählige Aufenthalte am Gardasee hinter sich gebracht hatte und in der Augustinum-Seniorenresidenz das Leben einer lustigen Witwe führte.

»Bitte sehr, Frau von Flunkern, Cappuccino, Torte und Ihre Zeitungen. Nachdem Sie fast eine Woche weg waren, die Ausgaben der letzten fünf Tage«, sagte die Bedienung.

»Danke, min Deern«, sagte Christina freundlich, allerdings mit deutlich schwäbischem Einschlag. Sie nahm einen ersten Schluck Cappuccino und schlug die Ausgabe des Südwestboten vom 9. Juni auf. Die Zeitung war das Einzige, was Christina von Flunkern mit der ursprünglichen Heimat verband. Schon seit Jahren hatte sie das Blatt abonniert, das täglich ins Café der Seniorenresidenz geliefert wurde.

Christina blätterte ein wenig – und hielt plötzlich inne.

»Mord im Moor – Skelette im Federseeried entdeckt«, las sie mit wohligem Schaudern. Christina kannte das Federseeried, und sie liebte Krimis über alles. Umso mehr, wenn es sich um True Crime Storys handelte. Und wenn diese auch noch in der alten Heimat spielten – großartig. Dann aber, als Christina weiterlas, stellten sich ihr die Haare auf. Insbesondere, weil der Artikel von einem Mordfall berichtete, der in ferner Vergangenheit lag. Und – o Gott! – von einem Mann, der einen Klumpfuß hatte. Christinas Hände zitterten. Konnte es möglich sein? Ja, es konnte! Aber war es wirklich so?

Sie ließ die Zeitung sinken und sah nachdenklich auf die Elbe hinunter. Fragte sich, ob sie nicht unverzüglich die Polizei in Ulm anrufen und dort ihren Verdacht mitteilen sollte. Schließlich tappten die Bullen – wie Theophil Amadeus Polizisten immer genannt hatte – im Dunkeln. Zumindest was die Identität einer der Leichen anging. In diesem Fall handelte es sich also nicht um Bullen, sondern um Maulwürfe, konkreter gesagt: um blinde Maulwürfe. Vielleicht konnte sie wenigstens ein bisschen Licht in den polizeilichen Maulwurfshügel bringen.

Und noch eine Frage stellte sie sich, eine ganz entscheidende Frage: Wenn es wirklich so war, wie sie vermutete – wer war dann die andere Leiche? Sie dachte eine Weile nach und überlegte, ob sie außer der Polizei noch jemand anderen anrufen sollte. Dann aber, nachdem sie abermals nachgedacht hatte, entschloss sie sich, niemanden anzurufen. Weder die Polizei noch ihn. Noch nicht.

Tote Schwaben leben länger

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