Читать книгу Tote Schwaben leben länger - Max Abele - Страница 8

2

Оглавление

Der Kommissar stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz beim Federseemuseum ab. Vier weitere Fahrzeuge, darunter der Mercedes Sprinter der Spurensicherung und ein Streifenwagen, hatten sich bereits vor ihm hier eingefunden. Der Mini Cooper gehörte seiner Kollegin Janine von Eulenburg. Auch der BMW des Kollegen Bödele stand da.

Es war ein herrlicher, wenn auch etwas kühler Tag. Blauer Himmel, Sonnenschein, ein leises Lüftchen wehte. Querlingers Ziel war der Federseesteg, der einzige Zugang zu dem unter Naturschutz stehenden Gewässer. Am Ende des Stegs, so hatte ihn die Kollegin vom KDD unterrichtet, gab es eine Plattform, wohin die menschlichen Überreste des unbekannten Toten nach der Bergung gebracht worden waren. Etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten würde er brauchen, um zur Plattform zu gelangen. Vorausgesetzt, er ließ es einigermaßen gemächlich angehen, was er auch vorhatte. Schließlich war er ja offiziell gar nicht im Dienst.

Beim Streifenwagen lümmelten mehrere Schutzpolizisten herum, die sich prächtig zu amüsieren schienen. Einer hatte gerade einen Witz erzählt, über den sich die anderen ausschütteten vor Lachen.

Querlinger trat auf sie zu, grüßte und zückte seinen Dienstausweis.

»Wer hat das Skelett entdeckt?«, fragte er.

»Zwei Studenten, die grad ihr Praktikum machen, Herr Hauptkommissar«, sagte der, der den Witz erzählt hatte.

»Aha, und was studieren die?«

»Vermessung und Geodateninformatik.«

»Und wie kommen die dazu, im See ein Skelett zu entdecken?«

»Die waren am frühen Morgen mit einem Boot unterwegs, um für eine Geodatenstelle ein paar GPS-Daten abzugleichen. Dabei haben sie irgend so einen Stab in den Grund gerammt, um Tiefenmessungen vornehmen zu können. Als sie ihn wieder rausgezogen haben, hing ein Totenschädel dran. Daraufhin ist einer von denen runter und –«

»Wie, runter? Der wird doch nicht so verrückt gewesen und da runtergetaucht sein?«

»Doch! Und dabei hat er angeblich eine Menge Knochen entdeckt, wahrscheinlich ein komplettes Skelett. Er hat einen Mordsschreck gekriegt.«

Querlinger ging weiter zum Steg. Auch hier standen zwei Polizisten herum. Eine rot-weiße Flatterleine verriet, dass der Steg für den Publikumsverkehr gesperrt war.

Die eineinhalb Kilometer bis zum Ende des Stegs führten Querlinger durch eine hinreißende Landschaft. Die zwanzig Minuten vergingen wie im Flug. Wohin das Auge auch blickte: herrliche, unberührte Natur. Schilf, Moor und Wasser sowie blühende Streuwiesen und idyllische Fleckchen mit Baumbestand jenseits des Ufers. Am Horizont Wälder, Hügel und, von bläulichem Dunst umflort, der Bussen: der heilige Berg Oberschwabens. Über alldem der blaue oberschwäbische Himmel: ein wirklich paradiesisches Stückchen Erde, dieses Federseeried. Den Steg zu bauen war eine fulminante Idee gewesen.

Die Kollegen auf der Plattform liefen auf voller Betriebstemperatur: vier in weiße Tyvek-Anzüge gehüllte Mitarbeiter der Spusi oder, wie es fachlich korrekt hieß: des Erkennungsdienstes, auch KTU genannt, Kriminaltechnische Untersuchung, darunter der Leiter der Spurensicherung, Nepomuk Hofzitzel, sowie drei Beamte in Zivil. Obwohl die drei in Zivil ihm den Rücken zuwandten, wusste er sofort, wen er vor sich hatte. Schließlich gehörten Janine von Eulenburg, Guntram Bödele und Armin Feigl zu seiner Truppe. Hofzitzel kniete am Boden und erklärte Bödele und Feigl sowie den Kollegen von der Spusi etwas, die gebeugt um ihn herumstanden. Janine von Eulenburg stand abseits der Gruppe und ging ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Sie googelte auf ihrem Smartphone. Mit ihrer athletischen Figur erinnerte die hoch aufgeschossene Beamtin frappant an eine Diskuswerferin. Was ihrer Attraktivität keinen Abbruch tat. Hübsches, intelligentes Gesicht, strahlend blaue Augen, das brünette Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, der bei jeder Kopfbewegung keck hin und her wirbelte.

»Nach was googeln Sie denn schon wieder, Kollegin? Wie Sie sich, ohne abzusaufen, durchs Moor bewegen können?«

Die Hauptkommissarin hatte ihn aus dem Augenwinkel auf sich zukommen sehen.

»Nö«, antwortete sie trocken und ohne aufzusehen. »Ich suche gerade nach einer Anleitung, wie man seinem Chef taktvoll sagt, dass er sich gefälligst an den Dienstplan halten und seine Untergebenen nicht penetrant mit seiner Gegenwart traktieren sollte, wo er doch heute seinen freien Tag hat.«

Querlinger schmunzelte.

Armin Feigl und Guntram Bödele kamen angetrottet.

»Hey, Chef, du hast doch heute gar keinen Bereitschaftsdienst«, wunderte sich auch Kriminalhauptkommissar Armin Feigl.

»Genau! Treibt dich die Langeweile hier raus, oder fliehst du vor deiner Frau?« Guntram Bödele, der flachsblonde Oberkommissar, grinste anzüglich.

»Wieso sollte ich vor meiner Frau fliehen?«

»Na, so wie du dich gestern beim Tanzen angestellt hast, könnt ich mir vorstellen, dass sie dir ziemlich eingeheizt hat.«

Hundsveregg, das mit seinen Tanzkünsten hatte ja richtig Kreise gezogen.

»Gehe ich richtig in der Annahme, dass der saublöde Kommentar des Kollegen Bödele der Tatsache geschuldet ist, dass er bei seinem gestrigen Versuch, mit der hübschen Kollegin Petrarca anzubandeln, eine deutliche Abfuhr kassiert hat? Die zog es ja vor, mit dem Kollegen Heinerle ein paar Runden zu drehen.«

Das Grinsen verschwand schlagartig aus Bödeles Gesicht.

»Na und? Kann jedem passieren«, brummte er kleinlaut.

»Die Kollegen vom Kommissariat in Biberach? Wo sind die?«, wandte er sich an Eulenburg.

»Hauptkommissar Haberstroh und Oberkommissarin Steger? Die sind schon wieder weg. Sie müssten auf eine Dienstreise. Hätten ’ne Menge am Hals, wie sie sagen, und sind froh, dass wir uns komplett um das hier kümmern. Falls wir Unterstützung bräuchten, sollen wir uns an einen anderen Kollegen wenden, einen Kommissar Keller. Der Einzige, der derzeit die Stellung im Kommissariat hält. Personeller Engpass.«

Personeller Engpass. Querlinger seufzte leise, das kannten sie in Ulm auch.

Querlinger trat auf die Kollegen von der Spurensicherung zu. »Hallo, Abteilung KTU«, grüßte er.

»Hallo«, erwiderte die Abteilung im Chor, die sich offenbar noch immer um den Skelettfund auf der weißen Plane kümmerte. Querlinger sah sofort, dass es sich nur um den oberen Teil eines menschlichen Schädels, das Cranium, handelte.

»Kein Unterkiefer«, merkte Querlinger an.

»Der dürfte noch unten sein, da sollen noch weitere Knochen im Schlamm stecken. Warten wir, bis der Rest geborgen ist.« Hofzitzel deutete mit dem Kopf auf den See hinaus.

»Habt ihr schon Taucher geordert?«

Nepo nickte. »Die Wasserschutzpolizei Überlingen wird uns welche schicken. Und da der Fund eventuell für die Archäologen interessant sein könnte, haben wir auch das Landesdenkmalamt in Stuttgart informiert. Sind angeblich schon unterwegs.«

Es war natürlich richtig, das Landesdenkmalamt hinzuzuziehen. Schließlich galt das Federseemoor als eine der ergiebigsten archäologischen Fundstätten Europas.

»Na, dann warten wir mal, bis sie da sind. Bin gespannt, wie die die Knochen einschätzen.«

»Sind Sie sicher, dass Sie auf die warten wollen? Wollen Sie nicht lieber heimgehen und uns das Ganze überlassen? Wo Sie doch heute Ihren Freien haben«, insistierte Eulenburg erneut.

»Ich seh schon, Sie wollen mich unbedingt loswerden, gell, Kollegin?«

»Ich mein ja nur, Chef. Bis die vom LDA da sind, kann’s dauern. Archäologen sind nicht unbedingt die Schnellsten. Die denken nicht in Stunden und Minuten, sondern in Zeitaltern«, grinste Eulenburg.

Tja, da hatte sie möglicherweise recht. Und eigentlich hatte er keinen Bock, sich über Äonen hinweg die Füße in den Bauch zu stehen.

»Die beiden Studenten, die den Schädel rausgezogen haben, was ist mit denen?«

»Um die hast du dich doch zuletzt gekümmert, Armin, wo sind die jetzt?«, gab Eulenburg die Frage an Feigl weiter.

»Vielleicht im Gasthaus Hecht, da hab ich sie befragt. Sie wollten sich aufwärmen und was essen. Aber ich weiß nicht, ob sie da noch sind.«

»Wieso aufwärmen? Ist zwar ein bisschen kühl, aber so kalt auch wieder nicht«, wunderte sich Querlinger.

»Denen war schon kalt, als sie den Schädel aus dem Wasser gezogen haben. Vor allem, als ihnen klar wurde, dass noch weitere Skelettreste auf dem Grund liegen. Du hättest sie mal sehen sollen. Die beiden waren totenbleich. Die haben mit den Zähnen geklappert, als ich sie befragt habe, so kalt war denen. Außerdem war der eine ja auch im Wasser.«

»Dieses Gasthaus Zum Hecht – wo ist das?«

»Wieso? Willst du sie auch noch befragen?«

»Zwei Befrager kriegen vielleicht mehr raus als nur einer«, meinte Querlinger sibyllinisch und nicht ohne Hintergedanken. Da er noch keinen einzigen Kaffee intus hatte, hörte sich das mit dem »Hecht« nicht schlecht an. Und hier vor Ort wurde er momentan ohnehin nicht gebraucht. Und eigentlich war er derzeit ja auch außer Dienst.

»Also, wo ist dieser ›Hecht‹?«

Feigl erklärte es ihm, und im Nullkommanichts war Querlinger auf dem Weg zu seinem ersten Kaffee an diesem Vormittag. Glaubte er zumindest.

Hätte er sich bloß anders entschieden! Als er eine gute halbe Stunde später – der Weg zurück über den Steg dauerte einfach – das Gasthaus Zum Hecht betrat, wäre er am liebsten sofort wieder umgekehrt. Aber da hatte Dieter Oxheimer ihn schon erspäht. Der kugelrunde, gerade mal eins fünfundfünfzig große Reporter mit dem feisten »Arschbagge-G’sicht«, der beim Südwestboten arbeitete, saß mit zwei blassen Jünglingen, denen man den Studiosus auf drei Kilometer Entfernung ansah, an einem Tisch. Weitere Gäste waren nicht im Raum. Nur in der Küche rumorte es; es klang, als ob Schnitzel geklopft würden. Kaum dass er den Kommissar zur Tür hereinkommen sah, griff Oxheimer nach seiner Mappe, sprang auf und steuerte mit einem hinterhältigen Graf-Dracula-Grinsen auf ihn zu.

»Oha, der Herr Hauptkommissar persönlich. Ja, ist das eine Freude«, begrüßte er ihn. »Schon lang nicht mehr gesehen, gell, Querlinger? Ich nehme an, du bist wegen der Wasserleiche da? Die beiden Herren haben mich schon informiert.« Oxheimer deutete mit dem Kopf auf die beiden Studenten am Tisch. »Du leitest doch bestimmt die Ermittlungen, oder seh ich das falsch?«

Rindvieh, saubleeds, dachte Querlinger. Dass sie sich duzten, bedeutete nicht, dass sie sich mochten. Im Gegenteil: Oxheimer war für Querlinger ein rotes Tuch. Ein schmieriger Giftzwerg. Trotzdem rang er sich zu einem Grinsen durch, das dem Oxheimers in puncto Hinterhältigkeit in nichts nachstand.

»Ja, der Herr Chefreporter persönlich, schau an. Wieder mal Blut geleckt, Oxheimer?«

»Könnt mer so nennen, Querlinger, könnt mer so nennen. Wird Zeit, dass jemand dem Chefermittler des K1 mal wieder auf die Finger schaut. Wie du weißt, war ich länger krank. Und zwar ernsthaft. Bin dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen – würd ich mal sagen.«

»Nicht nur dem Tod, auch dem Teufel – würd ich mal sagen. Jammerschade, dass die beiden auf dich verzichten mussten!«

»Noch immer der alte Charmebolzen, gell, Querlinger? Aber wie wär’s, wenn du mal deiner Informationspflicht nachkämst, anstatt blöd daherzuschwafeln. Könnt ihr schon Näheres sagen? Wie die Person ums Leben kam? Wurde sie erschossen, erwürgt, erschlagen? Lässt sich schon was zur Identität sagen? Könnte es jemand sein, der schon lange vermisst wird?«

»Weder sind wir Hellseher, noch arbeiten wir mit Lichtgeschwindigkeit, Oxheimer, krieg das endlich mal in deinen Schädel rein! Und von wegen Wasserleiche. Du vergisst, dass wir es vorerst lediglich mit einem menschlichen Schädel zu tun haben. Und allein an dem abzulesen, wie der, zu dem er gehört, gestorben ist – da hätte selbst ein phantasiebegabter Medienfuzzi wie du seine Schwierigkeiten. Wir müssen warten, bis weitere Skelettreste geborgen sind, und das kann dauern. Es könnte sich auch um jemanden handeln, der schon Jahrhunderte da unten liegt. Da müssten dann die Archäologen ran. Und überhaupt: Wer hat dich über den Fund informiert?«

Es war eine rhetorische Frage; nicht nur Querlinger wusste, dass Oxheimer so ziemlich alles an Infos nutzte, was der Polizeifunk hergab. Allerdings hatte man ihm bis jetzt nie nachweisen können, dass er aktiv mithörte. So blöd war er nämlich nicht. Er umging das Risiko, indem er bestimmte Leute gegen »Honorar« für sich arbeiten ließ. Und weil diese bestimmten Leute ihren Lebensunterhalt mit bestimmten anderen Delikten verdienten und mit Abhören lediglich ihr Taschengeld aufbesserten, fiel dieses Risiko für sie nicht ins Gewicht. Natürlich gab es weitere Kontakte, die Oxheimer nutzte. Die sowohl hinunter in den Sumpf des organisierten Verbrechens als auch hinauf in die höheren Etagen der organisierten Polizei reichten. Munkelte man zumindest.

»Kann dir scheißegal sein, von wem ich das weiß. Wichtig ist, dass ich’s weiß. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, umfassend informiert zu werden, nur darauf kommt’s an. Und was das angeht, macht ein gewisser Kriminalhauptkommissar Querlinger den Presseorganen bekanntermaßen immer wieder Schwierigkeiten. Irgendwann kostet dich das Kopf und Kragen, das schwör ich dir!«

»Kümmere dich um deinen eigenen Kopf und Kragen, Oxheimer, da hast du genug aufzupassen. Und jetzt würd ich vorschlagen, dass du dich vom Acker machst. Ich hab nämlich zu tun.«

Oxheimers Dracula-Grinsen wich einem verkniffenen Gesichtsausdruck. Er erinnerte an einen dicken Ochsenfrosch, der einen fetten Wurm im Visier hat, aber nicht an ihn herankommt.

»Wenn’s was Neues gibt – du weißt ja: Das K1 hat meine Telefonnummer. Auf gute Zusammenarbeit, Querlinger. Habe die Ehre.«

Die beiden Studenten – der eine blond, Bürstenhaarschnitt und Hornbrille, der andere schwarze Dreadlocks, Nickelbrille und Nasenpiercing – sahen Querlinger neugierig an, als er sich zu ihnen an den Tisch setzte. Sie hatten einzelne Brocken des Schlagabtauschs zwischen dem Kommissar und dem Reporter mitbekommen und wunderten sich, wie ein Kriminaler dazu kam, sich mit einem Medienvertreter derart zu fetzen.

»Tag, die Herren! Querlinger, Kriminalhauptkommissar, Kripo Ulm«, stellte sich der Kommissar vor. »Darf ich?« Er deutete auf einen der Stühle am Tisch.

»Ja, klar, Herr Kommissar, bitte sehr«, antwortete der Kleinere, der Blonde.

»Hauptkommissar, du Bachel«, zischte der mit den Dreadlocks ihm leise ins Ohr.

Querlinger grinste, er hatte ein gutes Gehör.

»Würden Sie mir Ihre Namen verraten?«, bat er höflich.

»Gerald Schubert«, antwortete der Kleinere.

»Heinz Dollinger«, sagte der Größere.

»Ich weiß, dass meine Kollegen Sie schon danach gefragt haben, aber würden Sie mir bitte auch noch mal erzählen, wie Sie das Skelett entdeckt haben?«

»Ähm ja, also …«, fing Schubert an. »Wir sollen eine Geodatenerhebung von der Gegend hier machen. Für eine neue Touristenapp: ›Wandern am Federsee‹. Da müssen wir auch diverse Vermessungen vornehmen beziehungsweise ältere Ergebnisse überprüfen, auch was den See angeht. Tiefe und so weiter. Na ja, deswegen waren wir mit dem Boot draußen und haben an der tiefsten Stelle im See eine Nivellierstange in den Grund getrieben, um die Tiefe nachzumessen. Wir –«

»Wie tief ist der See dort?«, unterbrach Querlinger ihn.

»Knapp dreieinhalb Meter.«

»Okay, weiter?«

»Wir haben sofort gemerkt, dass da was war, hat sich irgendwie komisch angefühlt. Dann, als wir sie wieder rausgezogen haben … puh …«

»Genau!«, sprang Dollinger seinem Kommilitonen bei. »Wir ziehen sie also wieder raus, und was sehen wir? Dass da ein ganzes Büschel Schlingpflanzen oder so was Ähnliches und ein Totenschädel dranhängen! Der muss sich in den Schlingpflanzen verfangen haben …«

»Umgekehrt, die Schlingpflanzen, oder was auch immer, sind im Lauf der Zeit mit dem Schädel verwachsen«, warf Schubert ein.

»Is doch wurscht. Uns traf jedenfalls der Schlag. Da hab ich meine Klamotten ausgezogen und bin runter –«

»Stopp, Augenblick! Sie wissen schon, dass das Tauchen im Federsee verboten ist?«, wandte sich der Kommissar an Dollinger.

»Ja, klar, aber … meine Güte … in dem Moment sind mir andere Sachen durch den Kopf gegangen. Ich mein … man hört und liest da ja die gigantischsten Geschichten.«

Klar, das war nachvollziehbar. Auf dem Grund hätte ja auch ein gigantischer Schatz liegen können. Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste …

»Konnten Sie da unten überhaupt was sehen?«

»Schon. Aber halt nicht so gut, nachdem ich den Schlamm aufgewühlt habe. Aber dass da Skelettteile liegen, das konnte ich klar erkennen. Die Knochen stecken im Schlick, ich glaub, so was wie einen Schuh hab ich auch gesehen. Ich hätte mir das näher angeschaut, wenn mir nicht die Luft ausgegangen wäre, ich musste schnellstens wieder rauf. Wir haben dann die Bull… ähm … die Polizei verständigt.«

»Exakt so war’s«, bekräftigte Schubert. »Mit dem Handy. Wir haben mit Hilfe der App auf unserem Smartphone die GPS-Koordinaten notiert und sind dann zurück zum Steg gerudert, den Schädel haben wir natürlich mitgenommen. Dort haben wir dann gewartet. Nach ’ner halben Stunde waren Ihre Kollegen da … also die aus Bad Buchau. Die aus Ulm kamen ’ne Stunde später. Denen haben wir dann auch noch mal alles erzählt. Haarklein. Wie Ihnen. Aber da waren wir schon im ›Hecht‹. Uns war nämlich saukalt, wir brauchten dringend einen heißen Tee. Der Heinz musste außerdem warten, bis seine Unterhose trocken war.«

»Und was macht ihr jetzt? Wollt ihr wieder raus auf den See?«

»Nee, wir warten auf unser Schnitzel, das wir schon vor ’ner halben Stunde bestellt haben, und dann geht’s ab nach Hause. Nach Biberach.«

»Ihr habt Schnitzel bestellt?«

»Klar, wir haben einen Mordshunger.«

Querlinger sah auf seine Armbanduhr: drei viertel zwölf. Eigentlich zu spät für einen Kaffee. Ob er nicht auch …?

»Gibt’s hier eine Bedienung, die sich hin und wieder mal blicken lässt?«

»Die hat frei, und der Koch ist krank. Der Wirt muss heut alles selber machen, zum Glück ist nicht viel los. Aber ich geh mal in die Küche. Wollen Sie auch was, Herr Hauptkommissar? Dann bestell ich’s für Sie«, bot Schubert an.

»Ähm … was gibt’s zu dem Schnitzel dazu?«

»Kartoffelsalat. Den machen die hier selber. Sehr gut!«

Schnitzel und Kartoffelsalat. Der Klassiker. Blieb zu hoffen, dass der Chef den Kartoffelsalat genauso gut machte wie der Koch.

»In Ordnung, dann nehm ich das auch. Und ein Helles dazu.«

Das Essen war gut und die Unterhaltung mit Schubert und Dollinger sehr gepflegt. Querlinger hatte die Spendierhosen an und schlug den beiden vor, nicht nur das Schnitzel zu bezahlen, sondern auch noch einen Kaffee und ein Stück Torte zum Nachtisch.

Sie waren gerade beim Kaffee, als Querlingers Handy klingelte. Janine von Eulenburg.

»Hallo, Eulenburg, was gibt’s?«

»Die vom Landesdenkmalamt haben endlich zurückgerufen. Zwei Archäologen und einige Helfer sind bereits unterwegs. Müssten in circa zwei Stunden da sein.«

Respekt. Die dachten ja doch im Stunden- und Minutentakt. Die Zeitalter schmolzen im Zeitraffer dahin.

»Und die Taucher?«

»Müssten ungefähr um die gleiche Zeit da sein.«

»Danke, Kollegin. Mich braucht ihr ja vorerst nicht, oder?«

»Überhaupt nicht, Chef. Fahren Sie nach Hause, wir informieren Sie dann.«

Nach Hause? Um Himmels willen! Dort erwartete ihn das nackte Grauen.

»Ihr könnt mich im Büro anrufen. Ich hab noch Schriftkram abzuarbeiten.«

»Am Sonntag?« Eulenburg klang, als hätte sie es mit einem Verrückten zu tun.

»Für den Rechtsstaat opfere ich auch gerne mal einen Sonntag, Frau Kollegin. Und zwar freiwillig«, schmunzelte Querlinger, und schon hatte er aufgelegt.

Tote Schwaben leben länger

Подняться наверх