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4.5.2 Modell II: Schwache, synchrone und diachrone Emergenz
ОглавлениеStephan plädiert für die Einteilung in schwache, synchrone und diachrone Emergenz. Die Theorie der schwachen Emergenz ist bei Stephan durch drei Grundannahmen charakterisiert: Durch eine naturalistische Grundhaltung, die Annahme systemischer Eigenschaften und die synchrone Determiniertheit der systemischen Eigenschaften. Die schwache Emergenz ist auch bei Stephan mit einem zeitgenössischen reduktiven Physikalismus verträglich. In Bezug auf die obige Diskussion um Samuel Alexander ist hierbei interessant, dass Stephan anmerkt, die Herausarbeitung eines Begriffs der schwachen Emergenz sei zwar für die neuzeitliche Diskussion erforderlich, verlasse jedoch den historischen Rahmen, da sie von keinem der Britischen Emergentisten vertreten worden sei. Hierin kommt zum Ausdruck, dass er – wie bereits beschrieben – entgegen Clayton den Emergenzbegriff Alexanders nicht als einen solchen der schwachen Emergenz ansieht. Die schwache Emergenz lässt sich auf verschiedene Weise verstärken. Da die beiden Varianten, die Stephan daraus entwickelt, sich besonders dadurch unterscheiden, dass die Emergenz einmal vor einem zeitlichen Hintergrund betrachtet wird und einmal nicht, nennt er diese Varianten der Emergenz diachrone Emergenz und synchrone Emergenz. Die synchrone Emergenz konzentriert sich auf das Verhältnis zwischen den Eigenschaften eines Systems und den Eigenschaften seiner Bestandteile und deren Anordnung. Hierbei wird die schwache Emergenz um die Irreduzibilitätsthese verstärkt. Die synchrone Emergenz ist nicht mehr mit einem reduktiven Physikalismus verträglich.177
Unter den Britischen Emergentisten sieht Stephan C. D. Broad als Vertreter einer synchronen Emergenztheorie an.178 Die diachrone Emergenz hingegen berücksichtigt die zeitliche Dimension und verstärkt die schwache Emergenz um die Neuartigkeitsthese. In der Neuartigkeitsthese kommt der evolutionäre Charakter der Entwicklung von emergenten Phänomenen zum Tragen. In der synchronen Emergenz ist dies nicht der Fall, da es irreduzible Eigenschaften auch in einem nicht-evolutiven Universum geben kann. Durch das Hinzufügen der Neuartigkeitsthese erhält man aber nur eine schwache diachrone Emergenz, die mit einem reduktiven Physikalismus verträglich bleibt. So wird die diachrone Emergenz in stärkeren Varianten um die These der prinzipiellen Unvorhersagbarkeit der neuartigen Phänomene erweitert. Die Unvorhersagbarkeitsthese ist dabei – entsprechend ihrer Definition im Merkmal der Unvorhersagbarkeit179 – in zwei Varianten von Interesse: In der ersten Variante beruht die prinzipielle Unvorhersagbarkeit einer emergenten Eigenschaft auf ihrer Irreduzibilität, in der zweiten Variante ist die Struktur des Systems, das die neue Eigenschaft ausbildet, prinzipiell unvorhersagbar. Der evolutionär orientierte diachrone Emergentismus der zwanziger Jahre ist im Sinne der ersten Variante als eine Verbindung der Neuartigkeitsthese mit dem synchronen Emergentismus zu verstehen: Die Unvorhersagbarkeitsthese erhält man dabei als Folge der Neuartigkeitsthese und der Irreduzibilitätsthese. Der daraus entstehende starke diachrone Emergentismus ist nicht mehr mit einem reduktiven Physikalismus verträglich. Den starken diachronen Emergentismus hält Stephan für die zeitgenössische Betrachtung des Emergenzbegriffs für eher uninteressant, da hier der synchrone Emergentismus nur um die „theoretisch belanglose“180 Neuartigkeitsthese ergänzt würde. Er lenkt sein Augenmerk daher auf die zweite Variante der Unvorhersagbarkeitsthese: Ist die Struktur eines neuartigen Systems prinzipiell nicht vorhersagbar, so auch nicht die – aus dessen Systembestandteilen sich ausbildenden – neuen emergenten Eigenschaften. Zu dieser Form der diachronen Emergenz, die Stephan als diachrone Strukturemergenz bezeichnet, braucht es keine synchrone Emergenz, da es möglich ist, dass die Struktur eines Systems prinzipiell unvorhersagbar ist, obwohl die Eigenschaften des Systems im Prinzip aus den Eigenschaften seiner Bestandteile und deren Anordnung deduziert werden können. Die diachrone Strukturemergenz ist daher grundsätzlich mit einem reduktiven Physikalismus vereinbar. Nicht mit einem reduktiven Physikalismus vereinbar ist hingegen der starke diachrone Strukturemergentismus, den man erhält, wenn einer diachron emergenten Struktur zusätzlich noch die Irreduzibilitätsthese zukommt, man also den diachronen Strukturemergentismus und den synchronen Emergentismus miteinander verbindet.181
Varianten der Emergenz im Modell II182:
Der diachrone Emergentismus lässt sich aufgrund der zeitlichen Komponente nur auf solche Emergenztheorien anwenden, die evolutionär ausgerichtet sind. Hier kommen im Britischen Emergentismus sowohl Samuel Alexander als auch Conwy Lloyd Morgan in Betracht. Lloyd Morgan ist dabei ohne Schwierigkeiten als starker diachroner Emergentist einzuordnen. Folgt man der Stephanschen Lesart der Emergenz bei Alexander, in der die Überzeugung zum Ausdruck kommt, dieser habe emergente Qualitäten als im ontologischen Sinne neu einführen wollen, so ergeben sich zwei Möglichkeiten der Einordnung Alexanders unter die Varianten der Emergenz im zweiten Modell: Entweder, man geht vom Originalzitat aus, in welchem Alexander die Reduzierbarkeit der emergenten Qualitäten postuliert. In diesem Fall muss Alexander als schwacher diachroner Emergentist charakterisiert werden. Oder aber, man folgt dem Vorschlag Stephans, nimmt somit von der uneingeschränkten Form des Alexanderschen Zitats Abstand und geht mithin von der Nicht-Reduzierbarkeit emergenter Qualitäten aus. Dann lässt sich diese Modifikation des Alexanderschen Emergenzbegriffs als starke diachrone Emergenz im Sinne des zweiten Modells charakterisieren. Bei Stephan findet sich jedoch kein expliziter Hinweis darauf, wie er die Einteilung in Bezug auf diese zwei Autoren vorgenommen hat. Sein Modell scheint aber dem ersten Modell gegenüber geeigneter zu sein, da es divergierenden Merkmalen in den verschiedenen Emergenzkonzeptionen (und ihren verschiedenen Lesarten) besser Rechnung tragen kann, wie am Beispiel der Diskussion um den Alexanderschen Emergenzbegriff zu ersehen.