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7.3 Das funktionale Modell der Reduktion

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Der bekannteste Vertreter eines funktionalen Modells der Reduktion ist Jaegwon Kim. Wie Kim selbst betont hat, finden sich die zentralen Ideen dieses Konzepts – ohne dass sie explizit im Zusammenhang mit Modellen der Reduktion formuliert worden wären – schon in den Schriften von David Lewis (1966)219 und David Armstrong (1968)220.221 Aus der Zahl weiterer Autoren, die laut Kim ähnliche Überlegungen zu seinem funktionalen Modell der Reduktion aufweisen222, ist besonders Joseph Levine von Interesse, da er, wie Eronen schreibt, die entsprechenden Ideen als vielleicht erster Autor in seinem Artikel „On Leaving Out What It Is Like“223 (1993) in einem umfassenden Modell der Reduktion umgesetzt hat.224

Levine ist Verfechter einer explanatorischen Reduktion. Diese gilt Levine dann als erreicht, wenn man – unter Berücksichtigung der Fakten, die in der Reduktion beschrieben werden – verstehen kann, warum sich die reduzierten Dinge so verhalten, wie sie es tun:

„The basic idea is that a reduction should explain what is reduced, and the way we tell whether this has been accomplished is to see whether the phenomenon to be reduced is epistemologically necessitated by the reducing phenomenon, i.e. whether we can see why, given the facts cited in the reduction, things must be the way they seem on the surface.“225

Levine verwendet als Beispiel die Reduktion einiger Eigenschaften von Wasser: Wenn man bestimmte Eigenschaften von Wasser erklären will, wie z.B., dass es bei Raumtemperatur flüssig ist, am Gefrier- bzw. Siedepunkt jedoch zu gefrieren bzw. zu kochen beginnt, so geschieht dies unter Bezug auf die chemischen Eigenschaften des Wassers. Der Grund hierfür liegt darin, dass die chemischen Eigenschaften kausal verantwortlich für die entsprechenden oberflächlichen Eigenschaften („superficial properties“226) des Flüssigseins, Frierens oder Kochens des Wassers sind. Interessant ist hierbei, dass Levine zwar keine Brückengesetze, so doch in manchen Fällen terminologische Brückenprinzipien („bridge principles“227) für nötig hält: Sind nämlich das Vokabular, in dem die zu erklärende Eigenschaft (z.B. die Durchsichtigkeit von Wasser) beschrieben wird und das Vokabular der erklärenden Theorie verschieden, so bedarf es Brückenprinzipien, welche die zu erklärende Eigenschaft in das Vokabular bringen, das den Theorien eigen ist, auf die sich die Erklärung bezieht. Entsprechend muss, um z.B. die Eigenschaft der Farblosigkeit von Wasser zu reduzieren, erst einmal eine Reduktion der Farblosigkeit auf die Eigenschaft erfolgen, eine spezifische spektrale Reflexion von Licht zu sein, da Farblosigkeit keine chemische Eigenschaft ist. Erst danach lässt sich die Farblosigkeit von Wasser in Bezug auf die molekulare Struktur des Wassers und die Art und Weise, wie diese Strukturen mit Lichtwellen interagieren, erklären.228 Levine fasst die Idee der explanatorischen Reduktion folgendermaßen zusammen:

„Our concepts of substances and properties like water and liquidity can be thought of as representations of nodes in a network of causal relations, each node itself capable of further reduction to yet another network, until we get down to the fundamental causal determinants of nature. We get bottom-up necessity, and thereby explanatory force, from the identification of the macroproperties with the microproperties because the network of causal relations constitutive of the micro level realizes the network of causal relations constitutive of the macro level. Any concept that can be analysed in this way will yield to explanatory reduction. Notice that on this view explanatory reduction is, in a way, a two-stage process. Stage 1 involves the (relatively? quasi?) a priori process of working the concept of the property to be reduced ‘into shape’ for reduction by identifying the causal role for which we are seeking the underlying mechanisms. Stage 2 involves the empirical work of discovering just what those underlying mechanisms are.“229

Den sich aus diesem Modell ergebenden engeren Gehalt eines Konzepts – wie z.B. das des Wassers –, bezeichnet Levine auch als „‘functional role’ view“230, da es durch die inferentiellen Beziehungen zwischen der Gruppe an Auffassungen determiniert ist, die man über das jeweilige Konzept hat.231

Kims funktionales Modell der Reduktion weist große Ähnlichkeit zu diesen Überlegungen auf. Als Hauptbeispiel – wobei die Wiedergabe hier eng an der Originalpassage orientiert ist – verwendet er die Reduktion von Genen auf DNA-Moleküle: So schreibt er, dass man, um das Gen zu reduzieren, zuerst einmal eine funktionale Interpretation von ihm geben, das heißt, es in Bezug auf seine kausale Rolle beschreiben muss. Demnach ist die Eigenschaft, ein Gen zu sein, die Eigenschaft, eine bestimmte Eigenschaft zu haben (oder ein bestimmer Mechanismus zu sein), welche eine bestimmte kausale Rolle erfüllt. Die kausale Rolle der Gene ist die Übertragung von Informationen über phänotypische Charakteristika von Eltern auf ihre Nachkommen. Diese kausale Rolle wird durch DNA erfüllt, und da Theorien existieren, die besagen, wie genau DNA-Moleküle dieses bewirken, lässt sich mit gutem Grund sagen, dass das Gen auf DNA reduziert wurde.232 Im Detail beschreibt Kim die funktionale Reduktion einer Eigenschaft E auf ihre Realisierungsbasis B als einen Dreischritt. Dabei gilt es zuerst einmal E funktional zu beschreiben:

„Step 1: E must be functionalized – that is, E must be construed, or reconstrued, as a property defined by its causal/nomic relations to other properties, specifically properties in the reduction base B.“233

Kim schreibt in diesem Zusammenhang, dass ein wichtiger Aspekt der Funktionalisierung darin besteht zu entscheiden, welche Aspekte der kausalen/nomischen Rollen von E für ihre funktionale Beschreibung entscheidend sind, und was ausgelassen werden kann. Solche Entscheidungen basierten meist auf empirischem Wissen und könnten zusätzlich durch verschiedene theoretische Überlegungen eingeengt werden.234 Eine funktionale Beschreibung von E dürfte üblicherweise diese Form annehmen:

„Having E = def Having some property P in B such that (i) C1, …, Cn cause P to be instantiated, and (ii) P causes F1, …, Fm to be instantiated.“235

Jede Eigenschaft P in B, welche die kausalen Spezifikationen (i) und (ii) erfüllt – wobei entweder (i) oder (ii) leer sein darf –, kann als Realisierer oder Implementierer von E bezeichnet werden.236 Sind die Realisierer physischer Natur, dann ist E physisch realisiert. Dies lässt die Möglichkeit zu, dass es multiple Realisierer für eine Eigenschaft geben kann, was mit der multiplen Realisierbarkeit von Eigenschaften kompatibel ist.237 Entsprechend ist es der zweite Schritt der Reduktion, die Realisierer von E zu finden:

„Step 2: Find realizers of E in B. If the reduction, or reductive explanation, of a particular instance of E in a given system is wanted, find the particular realizing property P in virtue of which E is instantiated on this occasion in this system; similarly, for classes of systems belonging to the same species or structure types.“238

Wie Kim betont, ist dies ist ein Schritt in der Reduktion, der in der Regel wissenschaftlicher Forschung bedarf. So habe es in Bezug auf das Beispiel der DNA lange gedauert, die DNA als Realisierer der Gene zu identifizieren.239 Der nächste und letzte Schritt der Reduktion besteht darin, eine Theorie zu finden, die erklärt, wie die Realisierer die kausalen Rollen erfüllen, die konstitutiv für E sind. Im Falle der DNA bedeutet dies eine Theorie zu entwickeln, die auf mikrobiologischer Ebene zeigen kann, wie DNA-Moleküle genetische Informationen kodieren und übertragen:240

„Step 3: Find a theory (at the level of B) that explains how realizers of E perform the causal task that is constitutive of E (i.e., the causal role specified in Step 1). Such a theory may also explain other significant causal/nomic relations in which E plays a role.“241

Das funktionale Modell der Reduktion ist vor allem deshalb ein adäquates Modell der Reduktion, weil es Levines Forderung nach explanatorischer Reduktion erfüllt. Das, was reduziert wird, muss nicht länger als etwas unabhängig Existierendes betrachtet werden. Somit bleibt – anders als im Fall der Nagelschen Brückengesetze – nicht etwas übrig, das nicht weiter erklärt werden kann und somit ontologisch und explanatorisch ‚leer‘ ist. Dabei ist das funktionale Modell der Reduktion von herausgehobener Bedeutung für die Diskussion um den Emergenzbegriff: Insofern emergente Eigenschaften in der Regel deshalb emergent genannt werden, weil sie irreduzibel sind, dürften sie sich gemäß des funktionalen Modells der Reduktion nicht funktionalisieren lassen.242

205 Der Hinweis auf die entsprechenden Modelle der Reduktion, die im Exkurs diskutiert werden, geht auf Stephan [Vgl. Stephan (1999b). S. 165-174.] und Eronen [Vgl. Eronen (2004). S. 45-46 und 59-64.] zurück. Letzterer hat besonders den Abschnitt zum funktionalen Modell der Reduktion – Levines explanatorische Reduktion eingeschlossen – beeinflusst.

206 Nagel, Ernest 1961). The Structure of Science – Problems in the Logic of Scientific Explanation. New York (et al.): Harcourt, Brace & World, Inc. S. 338.

207 Nagel (1961). S. 338.

208 Nagel (1961). S. 338.

209 Vgl. Nagel (1961). S. 336-345, Beckermann, Ansgar (1992b). „Supervenience, Emergence and Reduction“ in: Ansgar Beckermann/Hans Flohr/Jaegwon Kim (eds.). Emergence or Reduction? – Essays on the Prospects of Nonreductive Physicalism. Berlin/New York: Walter de Gruyter. S. 107-108 und Stephan (1999b). S. 167.

210 Nach Beckermann ist N die Zahl der Moleküle des idealen Gases unter Betrachtung im Volumen V, k ist die Boltzmann-Konstante und T die absolute Temperatur des Gases [Vgl. Beckermann (1992b). S. 107. Fußnote 13.].

211 Vgl. Nagel (1961) S. 338-345. Vgl. für die vorliegende Zusammenfassung besonders Beckermann (1992b). S. 107-108 und Stephan (1999b). S. 167.

212 Der Hinweis auf die Einwände von Dupré und Kim stammt von Eronen [Vgl. Eronen (2004). S. 59.].

213 Beckermann sieht in diesem Umstand eher einen Grund für Kritik an den Teilnehmern der Debatte um die Supervenienz: So kritisiert er, dass diese den Nagelschen Ansatz nicht adäquat aufgenommen hätten. In der Debatte um die Supervenienz würde Reduktion oder Reduzierbarkeit nämlich nahezu vollständig mit der Existenz von Brückengesetzen – in diesem Zusammenhang: nomologischen Bikonditionalen – identifiziert. Doch selbst im klassischen Reduktionsmodell von Nagel würde die bloße Existenz solcher Brückengesetze für eine adäquate Reduktion nicht ausreichen. Dort müssten die Brückengesetze es außerdem ermöglichen, die Gesetze der einen Theorie aus den Gesetzen der anderen Theorie abzuleiten. Dieser Aspekt des Nagelschen Reduktionsmodells sei aber in der Debatte um die Supervenienz verlorengegangen, weil Supervenienz sich nur mit den Beziehungen zwischen Familien von Eigenschaften oder Aussagen und nicht mit den Beziehungen zwischen verschiedenen Theorien beschäftige. Trotz dieser Kritik an einer unvollständigen Umsetzung des Nagelschen Modells in der Supervenienzdebatte betont Beckermann ausdrücklich, dass sein Modell letztendlich inadäquat sei und zu Recht seinen Einfluss in der wissenschaftstheoretischen und geistesphilosophischen Diskussion verloren habe. [Vgl. Beckermann (1992b). S. 108-117.] Vgl. auch Eronen (2004). S. 60.

214 Vgl. Dupré, John (2000). „Reductionism” in: W. H. Newton-Smith (ed.). A Companion to the Philosophy of Science (Blackwell Companions to Philosophy). Oxford/Malden: Blackwell. S. 402-403. Vgl. besonders Eronen (2004). S. 59.

215 Vgl. Sklar, Lawrence (1967). „Types of inter-theoretic reduction“. The British Journal for the Philosophy of Science. Vol. 18. S. 110-111. Vgl. auch Eronen (2004). S. 59.

216 Kim (1999). S. 10-11.

217 Vgl. Eronen (2004). S. 59.

218 Vgl. Levine, Joseph (1993). „On Leaving Out What It‘s Like“ in M. Davies/G. W. Humphreys (eds.). Consciousness. Oxford/Cambridge: Blackwell. S. 134. Siehe auch die Abschnitte 7.3 und 9.1.3.

219 Vgl. Lewis, David (1966). „An Argument for the Identity Theory“. The Journal of Philosophy. Vol. 63. S. 17-25.

220 Vgl. Armstrong, David M. (1968). A Materialist Theory of the Mind. London: Routledge/Kegan Paul.

221 Vgl. Kim (1999). S. 34-35. Fußnote 15 und Eronen (2004). S. 61.

222 Vgl. Kim (1999). S. 34-35. Fußnote 15.

223 Vgl. Levine (1993). S. 121-136.

224 Vgl. Eronen (2004). S. 61.

225 Levine (1993). S. 129.

226 Levine (1993). S. 131.

227 Levine (1993). S. 131.

228 Vgl. Levine (1993). S. 131-132.

229 Levine (1993). S. 132.

230 Levine (1993). S. 133.

231 Vgl. Levine (1993). S. 133.

232 Vgl. Kim (1999). S. 10.

233 Kim (1999). S. 10. Das ‚B‘ der ‚Basismenge B‘ ist im Original fett gedruckt. Um es von den Kursivierungen der anderen Kürzel abzusetzen, wird es hier und in den folgenden Zitaten sowie im Fließtext ohne Hervorhebung oder Kursivierung zitiert.

234 Vgl. Kim (1999). S. 11.

235 Kim (1999). S. 10.

236 Vgl. Kim (1999). S. 10-11.

237 Vgl. Kim (1999). S. 11. Zur multiplen Realisierbarkeit siehe auch Kapitel 8.

238 Kim (1999). S. 11.

239 Vgl. Kim (1999). S. 11.

240 Vgl. Kim (1999). S. 11-12.

241 Kim (1999). S. 11.

242 Vgl. Eronen (2004). S. 64.

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