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Das Wichtigste von Williams Anliegen schien gescheitert. Er brauchte dringendst einen Unterschlupf, ein Versteck. Seine Jäger würden nicht aufhören nach ihm suchen, bis sie ihm das Siegel entrissen hätten. Wahrscheinlich würde er selbst nicht überleben.

Henry war reich und ein guter Freund. Er hätte ihm sicher geholfen. Leider kam William dessen Frau in die Quere und er musste sich etwas Neues überlegen. Vielleicht sollte er doch die Kirche um Schutz bitten, seine allerletzte Möglichkeit.

Die beiden Männer kamen an der Straße an und Peter schloss das kleine Gartentor hinter William.

„Mr. Eagle?“

Peter war nicht entgangen, dass Mrs. Bennett sich schon wieder anderen Dingen widmete oder zumindest den beiden Herren keine Beachtung mehr schenkte. William drehte sich um, in seinem Gesicht sah man viele Sorgenfalten, tief wie der Grand Canyon.

„Ja?“ Seine Stimme demotiviert zu nennen, war weit untertrieben.

„Meines Wissens nach, wird Mr. Morrison …“

„Geschichtenonkel!“, rief eine Mädchenstimme dazwischen. Peter stockte kurz, beendete dann aber seinen Satz: „… bald wieder hier sein.“

Sie hatten nicht bemerkt, wie ein Auto fast neben ihnen eingeparkt hatte, ein silberner Kombi. Ein Mädchen lief bereits auf sie zu. William erkannte sie sofort, Luci Morrison. Auf der Fahrerseite stieg auch schon ihr Vater aus, Henry. William fiel ein Stein – oder auch ein ganzer Berg - vom Herzen. Nie war er so froh, das Mädchen zu sehen, welches ihm schon des Öfteren stundenlang in seinem Laden Gesellschaft geleistet hatte. Ihr Vater brachte sie meist vorbei, wenn er selbst Geschäfte erledigen musste und sie dabei nicht mitnehmen konnte. Ganze Geschichtsbänder hatte er der Kleinen schon vorgelesen. Nun bückte er sich, um sie aus vollem Lauf aufzufangen. Er packte sie unter den Armen, hob sie leicht an und drehte sich einmal um die eigene Achse, ehe er sie wieder absetzte. Schwerstarbeit für einen alten Mann wie ihn, immerhin war sie schon zehn. Doch sie lachte und das ließ den leichten Schmerz in seinem Rücken gar nicht erst aufkommen. Es vertrieb sogar für einen Moment seine anderen Sorgen. Peter sah erfreut zu. Auch für ihn war das Erscheinen des Hausherren eine Erleichterung.

„Geschichtenonkel, bist du hier, um mir ein Märchen zu erzählen?“

„Nein, tut mir leid Luci, ich habe meine Lesebrille nicht dabei.“

„Das ist aber schade, dann bin ich ganz traurig.“

Obwohl sie auf ihre Schuhe hinuntersah, konnte William ihre vorgeschobene Unterlippe erkennen. Er kramte kurz in seinem Beutel und holte schließlich ein Buch heraus. Das kleine Gespenst.

„Nicht doch, sieh, was ich da habe. Eine neue Geschichte für dich, jemand anderes wird sie dir sicher vorlesen, vielleicht dein Papa.“

Plötzlich wieder glücklich, sah sie auf.

„Oh, danke Geschichtenonkel!“

Sie drückte ihm einen Schmatz auf die Wange und nahm das Buch mit beiden Händen entgegen. Er hatte natürlich an sie gedacht. Dabei war es gar nicht so einfach, eine Kindergeschichte zu finden, die er ihr noch nicht vorgelesen hatte.

„William, Hallo! Welche Freude dich mal bei mir zu sehen. Was verschafft mir die Ehre, dass du mich besuchst?“

William erhob sich und schüttelte die Hand, die ihm Henry reichte.

„Hallo Henry. Ich … ich habe ein Problem und wollte fragen, ob du mir helfen kannst.“

„Ein Freund von mir hat ein Problem? Klar helfe ich, aber lass uns das drinnen besprechen. Wir waren am Lake Michigan wandern und meine Beine sind etwas schwer.“

„Ok, danke.“ Vielleicht musste er nun doch nicht zur Kirche und vielleicht würde er noch ein paar weitere Tage erleben.

„Daddy, liest du mir nachher die Geschichte vor?“ Sie zupfte an seiner Hose.

„Natürlich mein Schatz, aber erst einmal müssen wir uns um Williams Problem kümmern.“

„Ok Daddy“, antworte sie, nicht ganz ohne zu schmollen, obwohl er ihr über den Kopf streichelte.

„Peter, gehst du bitte vor und machst uns einen Tee?“

„Natürlich Sir und willkommen zu Hause.“

Peter öffnete gerade das Gartentor als Luci an ihm vorbeilief, das Buch immer noch mit beiden Händen fest umklammert.

„Ich geh schon rein und zeig Tante Susan meine neue Geschichte Daddy.“

„Mach das Schatz“, rief ihr Vater hinterher. William sah Henry fragend an und dieser verstand sofort.

„Sie akzeptiert meine neue Frau nicht als Mutter, aber immerhin als Erziehungsberechtigte. Das genügt mir schon.“

„Ich verstehe.“

Seine erste Frau starb bei einem Autounfall vor vier Jahren. Der andere Fahrer stand unter starkem Drogeneinfluss, Heroin und anderes Zeug. Er schwankte auf der Fahrbahn hin und her, bis er schließlich frontal auf Mrs. Morrisons Wagen traf. William erinnerte sich noch recht gut an die Zeit, als er Henry und seine Tochter des Öfteren in seinem Laden trösten musste. Zum Glück war das lange her.

Peter folgte Luci ins Haus. Als die beiden drin waren, legte Henry seinem Freund einen Arm um die Schulter und führte auch ihn durch den Vorgarten. Er ahnte nicht, welche beruhigende Wirkung dies auf William hatte.

„Wie geht es dir? Läuft das Geschäft gut?“

„Ja, man kann nicht klagen. Und bei dir?“

„Meine Manager meinen gut. Dem Geld auf meinem Konto nach zu urteilen, haben sie damit wohl auch recht.“

Sie gingen ins Wohnzimmer. Die Inneneinrichtung war natürlich vom Feinsten. Alles Holzmöbel und die Multimediaanlage hatte mindestens den Wert eines Mittelklassewagens. Die ersten Blicke zog jedoch jedes Mal der riesige Kamin auf sich. Davor standen zwei Ledersessel. Henry bot zuerst William einen an, bevor er sich selbst in den anderen fallen ließ.

„Hach ist das schön, endlich daheim und die Beine ausruhen.“

In dem Moment kam auch schon seine Frau ins Zimmer.

„Henry, Herzblatt, schon wieder da?“

„Ja Darling, wir haben nicht den ganzen See umrundet.“

„Wie ich sehe, hast du deinen Freund noch angetroffen. Wie hießen sie noch gleich?“

„Eagle Mrs. Bennet, William Eagle.“

Sie schlenderte um die beiden herum auf Henrys Seite. Ein kurzer Kuss, dann war sie auch schon wieder auf dem Weg aus dem Zimmer hinaus.

„Ich geh noch mal in die Stadt Schatz, bis später.“

„Wo ist Luci Darling?“

„Sie ist nach oben gerannt, hatte irgendein Buch dabei. Sie will 'versuchen' es selbst zu lesen.“

„Ok, dann bis später Susan.“

„Auf Wiedersehen Mr. … Eagle.“

„Auf Wiedersehen Mrs. Benett.“

William zog es vor, nicht zu plaudern und Henry nicht von seiner angeblichen Geschäftsreise zu erzählen. Die Tür schloss sich hinter ihr und auf der anderen Seite des Zimmers ging eine andere auf. Peter kam mit einem silbernen Tablett hinein. Er servierte den beiden Herren ihren Tee auf dem kleinen Abstelltisch zwischen ihnen.

„Sonst noch etwas Mr. Morrison?“

„Nein danke Peter. Wenn sie möchten, können sie meiner Tochter beim Lesen helfen, sie ist wohl oben.“

„Sehr gerne Sir. Doch ich hoffe meine Fähigkeiten als Zuhörer reichen aus, sie wird sicher keine Hilfe benötigen.“

„Ja, da haben sie wohl recht Peter.“

Beiden kam ein Lächeln über die Lippen. William spürte, dass das etwas mehr als eine Hausherr-Butler-Beziehung war, eher so etwas wie Freundschaft.

„Wenn sie noch etwas wünschen, ich bin dann oben bei ihrer Tochter. Mr. Eagle, sehr erfreut.“

Er verbeugte sich kurz aber höflich.

„Freut mich ebenfalls Peter.“

Er ließ die beiden vor dem Kamin allein.

„Nun erzähl William, was plagt dich?“

William nahm zuerst einen Schluck Tee, bevor er zu reden begann.

„Ich denke, ich werde verfolgt und muss für ein paar Tage aus der Stadt.“

„Du wirst verfolgt? Von wem?“

Henry hatte keinen Grund an Williams Worten zu zweifeln. Er hielt ihn für einen sehr intelligenten Mann und keineswegs für senil oder gestört. Zudem kam William das erste Mal zu ihm, um ihn um etwas zu bitten.

„Das kann ich nicht genau sagen. Ich kenne ihre Namen nicht. Ich weiß nur, dass sie hinter mir her sind, weil ich etwas habe, was sie wollen.“

„Und das wäre?“

„Ein altes Siegel.“

„Was ist das für ein Siegel, dass dich dafür jemand verfolgt?“

„Es ist alt, soviel weiß ich. Mein Großvater vermachte es mir und meinte damals schon, ich müsse darauf aufpassen, als ob mein Leben davon abhängt.“

Natürlich erzählte William nicht alles, es würde zu fantastisch klingen und spielte für Henry auch keine Rolle. Er wollte auch nicht, dass sich sein Freund zu sehr mit hineinsteigert.

„William, willst du damit nicht zur Polizei gehen? Hast du das Siegel dabei, kann ich es einmal sehen?“

„Nein Henry, die Polizei würde mir nicht glauben oder gar helfen. Ich habe es auch nicht dabei, es ist … sicher aufbewahrt.“

„Hast du sie schon gesehen?“

„Nein, nicht gesehen, eher gespürt.“ Von dem Angriff wollte er nichts erzählen. Er befürchtete, Henry würde dann sofort zur Polizei rennen.

„Woher weißt du dann, dass jemand hinter dir her ist? Und was meinst du mit gespürt?“

„Es … es ist ähnlich wie damals in Deutschland. Albträume in der Nacht und dieses ständige Gefühl verfolgt zu werden. Ich sehe sie in jedem Schatten. Sie sind da Henry … ich weiß es…“ Wieder die zitternden Hände.

„Schon gut William, ich glaube dir. Aber was ist damals eigentlich passiert, dass du nach Amerika gekommen bist?“

„Ich musste flüchten. In Deutschland hatten sie mich gefunden und ich bin ihnen nur um Haaresbreite entkommen. Meine Frau hatte nicht so viel Glück. Und nun weiß ich, dass sie wieder auf meiner Spur sind.“

„Beruhige dich William, hier in dem Haus bist du sicher.“

Er war nirgends sicher, das war ihm bewusst. Sein Herz pumpte wie nach einem Hundertmetersprint. Sie konnten sogar schon vor Henrys Tür stehen.

Es mühte William, die Tasse an seinen Mund zu führen, ohne etwas zu verschütten. Nach einem weiteren Schluck Tee ging es jedoch wieder und sein innerer Aufruhr nahm etwas ab. Henry betrachtete ihn sorgenvoll.

„Ich muss erst einmal raus aus dieser Stadt, weg von ihnen, mich verstecken. Kannst du mir helfen Henry?“

„Natürlich kann ich dir helfen. Aber willst du nicht lieber ein paar Tage bei mir unterkommen? Die Gästezimmer sind alle frei und ich brauch die nächste Zeit auch nicht in die Firma.“

„Nein, ganz aus der Stadt raus. Früher oder später würden sie mich auch hier finden und du und deine Familie wären ebenfalls in Gefahr.“

„Dann bleib wenigstens eine Nacht und erzähl mir heute Abend die ganze Geschichte.“

„Nein, besser nicht. Tut mir leid Henry aber ich will die Stadt sofort verlassen.“

Henry spürte, dass es keinen weiteren Sinn machte, William aufhalten zu wollen. Helfen wollte er ihm jedoch um jeden Preis. So aufgeregt wie er war, musste es ernst sein.

„Schon ok William. Du kannst unsere Jagdhütte, oben im Kettle Moraine Forrest haben. Du hast kein Auto oder?“

„Nein, habe ich irgendwann verkauft. Brauchte bisher in Chicago kaum eins.“

„Gut, dann nimmst du den Audi, der ist aufgetankt. Ich hol dir gleich die Schlüssel.“

Er verschwand im Flur. Es war nur einen Augenblick, doch William wurde beinahe verrückt durchs Warten. Als Henry zurückkam, folgte ihm Luci herein. Sie lief geradewegs zu Williams Sessel.

„Onkel William, bleibst du heute bei uns und liest mir weiter vor? Ich hab schon drei Seiten selbst gelesen.“

Sie kletterte auf Williams Schoß und hielt ihm das Buch hin.

„Tut mir leid kleine Luci aber ich muss sofort aufbrechen. Aber wenn ich wieder da bin, lese ich dir das ganze Buch vor, oder ein anderes, solltest du dieses hier schon beendet haben.“

„Versprochen?“

Sie sah ihn mit großen Kinderaugen an, Augen, denen man keinen Wunsch abschlagen kann. Wenn man sie ansah, würde man sogar für sie lügen, sodass der Baron Münchhausen daneben wie ein Heiliger wirken würde.

„Ja, versprochen.“

Das zweite Versprechen an diesem Tag, dass er nicht halten konnte. William hob Luci sanft von seinem Schoß und auf den Boden, dann begann der Abschied. Luci weinte und riss William fast mit, doch er konnte die Tränen abermals unterdrücken.

Wenige Minuten später fuhr er mit dem Auto fort. Zuerst in ein Internet-Café, er musste noch Emails versenden. Darauf zu einem weiteren Freund, den dritten Gefallen zu erbitten. Egal wohin er fuhr, die Angst begleitete ihn stets und er war immer in Eile.

Als er wieder zum Auto zurückkehrte, versteckte sich die Sonne bereits hinter den Wolkenkratzern. Im Schatten der Häuser sah William Gestalten auf sich zueilen. Sie hatten ihn wiedergefunden. Würden sie ihn diesmal erreichen, könnte er ihnen nicht mehr davonrennen. Er hastete ans Steuer. Seine Finger zitternden so stark, dass er Probleme hatte, den Schlüssel einzuführen. In der Hektik ließ er zudem den Motor zunächst absterben. Erst der zweite Versuch gelang und er fuhr mit quietschenden Reifen los. Eine Sekunde später und sie hätten ihn eingeholt.

Doch er hatte seine Verfolger einmal mehr hinter sich gelassen. Es war denkbar knapp. Wie oft würde er noch dieses Glück haben? Er hoffte, im Wald, weit außerhalb der Stadt, würden sie ihn nicht so schnell wiederfinden.

Der letzte Titan

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