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ОглавлениеSeitdem Edward vor wenigen Minuten seinen Laden verlassen hatte, war William noch unruhiger als zuvor. Er war hektisch. Auf der Suche nach seinem alten Notizbuch zerwühlte er seine eigenen Regale. Er warf die Hälfte der Bücher auf den Boden. Dabei lag es wie immer in seiner Schublade am Schreibtisch.
Ich muss hier weg … ich muss raus aus der Stadt.
Dieser Gedanke verfolgte und drängte ihn. Zusammen mit seinem Notizbuch und dem Zigarrenkästchen stürmte er zur Tür.
Du brauchst noch was zum Schreiben.
Er hastete zurück und nahm Block und Kugelschreiber mit, bevor er wieder nach vorne ging.
An die Ladentür hängte er ein Schild ‚Im Urlaub‘ und schloss sie ab. Er selbst setzte sich in seine kleine Leseecke und machte sich in dem Sessel so klein wie möglich. Ein Schauer lief ihm jedes Mal über den Rücken, wenn jemand durch das Fenster hinein sah und er dachte, es wären seine Verfolger. Doch sie zeigten sich nicht, noch nicht.
Im Madelaine’s sah er Linda. Sie kümmerte sich gerade um ein paar Gäste. Ihm war so, als würde auch sie ab und an zu ihm hinüber sehen. In den Sessel gedrückt konnte sie ihn aber freilich nicht erkennen. Er fragte sich, ob und wann er sie wieder sehen würde, ohne eine Straße zwischen Ihnen. Wie zwanzig Jahre zuvor drohte sich alles um ihn herum zu verändern. Verdammt, sein Leben selbst stand auf dem Spiel und drohte jeden Augenblick zu enden.
Fortwährend schaute er auf die Uhr. Er war nervös und er hatte Angst. Vor einer Tür auf seine mündliche Abschlussprüfung zu warten war ein Witz dagegen.
Am ganzen Körper schlotterte er - wie Schüttelfrost, doch war dieser getrieben durch die Furcht. Seine Stirn glänzte vom Schweiß. Seine Hände krallten sich in die Armlehnen. Die Spuren seiner Fingernägel würde man wohl für immer im Leder sehen können.
Ich muss hier weg … ich muss raus aus der Stadt.
Andere hätten seine Angst vielleicht belächelt, doch nur bis sie erahnt hätten, welche Mächte hinter ihm her waren. Er konnte nur davonlaufen, sich verstecken und hoffen, dass sie lange Zeit wieder nach ihm suchen müssten. In Deutschland kannte er keinen Weg sie auszuschalten und nun würde es wahrscheinlich nicht einfacher werden.
Es waren nur gut vier Minuten vergangen, doch ihm kamen sie wie vier Stunden vor. Er sprang aus seinem Sessel, schnappte sich seinen Beutel und rannte zur Hintertür hinaus.
Ein eisiger Hauch erfasste ihn. Bei minus zehn Grad im T-Shirt nach draußen zu gehen, hätte sich nicht kälter anfühlen können.
Sie waren sehr nah, zu nah. Noch bevor er den ersten Schritt getan hatte, fasste William etwas am Arm oder zumindest bildete er sich das ein. Er wollte gar nicht wissen, was es war, er wollte nur weg. Der alte Mann zeigte, dass noch etwas Fitness in ihm steckte und spurtete los.
Es war nicht leicht für ihn, sich auf den ramponierten Pflastersteinen auf den Beinen zu halten und er stolperte mehrfach. Jedoch konnte er sich immer wieder abfangen, ohne auf den Knien zu landen. Langsamer werden durfte er nicht, er wusste, sie waren ihm dicht auf den Fersen, wie in seinen Träumen. Er war selbst überrascht wie schnell er noch laufen konnte, Linda wäre stolz auf ihn gewesen. Doch er spürte, dass sie ihn langsam einholten. Viel länger konnte er das nicht mehr durchstehen.
Er sah den Ausgang der Gasse und die Straße vor sich. Das Licht am Ende des Tunnels, er hatte es beinahe erreicht. Doch kurz bevor er es schaffte, ging er zu Boden. Er hatte die herumliegenden leeren Bierflaschen nicht gesehen, über die er stolperte.
Beide Handflächen schürfte er sich auf. Sein Kinn konnte er vorm Aufschlag bewahren. Ein gebrochener Kiefer war das Letzte, was ihm fehlte. Er versuchte auf den Gehweg zu robben. Die vorbeiziehenden Passanten beachteten ihn nicht einmal. Sie sahen ihn nicht, sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Oft genug hatten sie irgendwelche Trunkenbolde oder Obdachlose aus den Gassen kriechen sehen.
William probierte wieder aufzustehen, als ihn etwas am Bein festhielt. Noch immer drehte er sich nicht herum. Er wollte nur den Gehweg erreichen. Doch sie zerrten an ihm. Sie hätten ihm die Hose ausgezogen, hätte er den Gürtel etwas weniger eng geschnallt. In Williams Lage war das eher ein Unglücksfall. Die spottenden Blicke wären ihm lieber gewesen, als von seinen Feinden gefasst zu werden.
Er kämpfte um jeden Zentimeter. Seine Hände hatten die Schatten der Häuser bereits verlassen und er spürte die Wärme. Nur noch ein kleines Stück, bis er in Sicherheit gewesen wäre, so glaubte er zumindest. Aber sie ließen nicht locker und rissen weiterhin an ihm. Er spürte ihre kalten Klauen nun auch an der Hüfte und am Rücken. Er wehrte sich mit aller Kraft, doch sie waren zu stark für ihn. Schließlich verloren seine Knie den Halt, er rutschte weg und landete auf dem Bauch. Ein kurzer Schmerzensschrei presste sich aus seiner Lunge. Er sah zur Straße, doch niemand reagierte. Konnten diese Leute wirklich so ignorant sein? Offensichtlich ja.
William versuchte, sich an der Bordsteinkante des Gehwegs festzukrallen. Doch außer blutigen Fingerkuppen erreichte er nichts. Ein weiterer Schrei vor Schmerzen blieb ihm im Hals stecken. Gleich drei seiner Fingernägel brachen zur Hälfte ab, als sie über den harten Steinboden kratzten.
„William, wir haben dich.“ Sie klangen amüsiert, während sie ihn langsam in die Gasse zurückzogen. William erkannte sofort diese kratzige, beinahe flüsternde Stimme wieder. Dabei war er sich nicht sicher, ob sie wirklich mit ihm redeten oder er sie nur in seinem Kopf hörte.
Die Erinnerungen an seinen letzten Tag in Deutschland schossen an seinen Augen vorbei. Dann wurde es plötzlich hell. Der Bus, den er nehmen wollte, war vorgefahren. Es musste ein Ersatzfahrzeug sein, denn das Ding sah aus, als hätte man es den Achtzigern gestohlen – eine glänzende, silberne Lackierung. Sie reflektierte die Sonne. Sie blendete ihn. Das war ihm allerdings in diesem Moment auch egal. Seine Feinde hatten ihn und schon bald würde er keine Probleme mehr haben. Doch dann merkte er, dass sich ihr Griff gelöst hatte. Auch sie mussten von der grellen Reflektion erfasst worden sein.
Egal was, William nutzte den Augenblick. So schwer es ihm auch fiel, es gelang ihm, sich aufzurichten und zum Gehweg zu sprinten.
Diesmal nicht, war sein erster Gedanke, als er schließlich die Fullerton-Avenue erreichte und ihm die Sonne ins Gesicht lachte. Er spürte, sie hatten sich vorerst zurückgezogen. Seine blutigen Hände wischte er an seinem Taschentuch ab. Diese und ein Paar schmerzende Knie hatte der Angriff hinterlassen. Es hätte weitaus schlimmer enden können.
Wenigstens bist du pünktlich, dachte er und stieg in den Bus ein. Auch den Fahrer kümmerte Williams abgehetztes Erscheinungsbild nicht. Nur ein weiterer Kunde, der den Bus fast verpasst hätte.
Die Türen schlossen sich und William konnte zumindest für den Moment einmal durchatmen. Er hoffte, er könnte nun noch ein paar Gefallen einlösen und dann die Stadt verlassen. Ihm war jedoch bewusst, sie könnten ihm jederzeit erneut auflauern.