Читать книгу KOMPASS - Zürcher Kompetenztraining für Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen - Maya Schneebeli - Страница 24
1.6 Interventionen
ОглавлениеKinder und Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung auf hohem Funktionsniveau benötigen in der Entwicklung ihrer sozio-emotionalen und kommunikativen Fertigkeiten Unterstützung und Hilfe bei der Interaktion mit Gleichaltrigen. Sie erleben trotz ihrer durchschnittlichen Intelligenz ständig Misserfolge aufgrund ihrer Unfähigkeit, soziale Situationen zu verstehen und sich adäquat zu verhalten. Zudem besuchen sie aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten zumindest in den ersten Schuljahren mehrheitlich und später immer noch häufig eine Regelschule und sind so täglich sozialen Erwartungen ausgesetzt, denen sie oft nicht gerecht werden können. Menschen mit geringerem Funktionsniveau hingegen besuchen meistens Sonderschulen, sind diesem sozialen Druck damit weniger stark ausgesetzt und erleben ihre Andersartigkeit nicht im selben Ausmaß (Rao et al. 2008).
Seit der Aufnahme der Autismus-Spektrum-Störungen in die Klassifikationssysteme wurde versucht, den Defiziten durch Therapie entgegenzuwirken (Ozonoff und Miller 1995). Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen, die nicht unter einer größeren kognitiven oder sprachlichen Entwicklungsverzögerung leiden, können unter geeigneter Behandlung bedeutsame Fortschritte in allen Bereichen machen, wenngleich sie bei den subtileren sozialen und kommunikativen Prozessen lebenslang Schwierigkeiten haben werden (Krasny et al. 2003). Die Interventionen unterscheiden sich in der therapeutischen Orientierung, in der Anzahl der Teilnehmer (Einzel- oder Gruppensetting) und in den Zielen (Matson und Swiezy 1994). Die Behandlung erfolgt mehrheitlich im ambulanten, je nach Schweregrad der Beeinträchtigung und zusätzlicher Belastungsfaktoren aber auch zeitweise im teilstationären oder stationären Setting.
Gruppenpsychotherapien sind kostengünstiger als Psychotherapien im Einzelsetting (Hoag und Burlingame 1997). Zudem konnten verschiedene Studien belegen, dass hinsichtlich der Wirksamkeit keine Unterschiede zwischen Einzel- und Gruppentherapie zu finden sind (Hoag und Burlingame 1997; McRoberts et al. 1998). Gerade für das Training sozialer Kompetenzen und bei Kindern und Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (Gresham et al. 2001, zit. nach Tse et al. 2007; Poustka et al. 2008) scheint ein Gruppensetting besonders geeignet, da es die sofortige Einübung der erlernten Fertigkeiten in einem kleinen, geschützten, aber trotzdem realitätsnahen Rahmen ermöglicht (Solomon et al. 2004). Die gemeinsamen Aktivitäten mit den Gruppenmitgliedern, die angenehm und erfolgreich verlaufen, erhöhen das Interesse daran, Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen und Freundschaften zu pflegen. Zudem haben die Teilnehmer die Möglichkeit, neue Kontakte mit Gleichaltrigen zu knüpfen und ein Gefühl der Gruppenidentität zu entwickeln. Nicht zuletzt besteht auch die Möglichkeit, sich gegenseitig als Modell für einen erfolgreichen Umgang mit der Beeinträchtigung zu sehen (Poustka et al. 2008).
Barry et al. (2003) diskutieren verschiedene Interventionsformen im Gruppensetting für Kinder und Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Sie untersuchten Trainings zur Verbesserung der sozialen Fertigkeiten – im schulischen Rahmen und bei mehreren wöchentlichen Sitzungen –, Trainings unter Einbezug unauffälliger Gleichaltriger als »Co-Therapeuten«, ambulante Gruppentherapien und -trainings an Kliniken und weiteren Fachinstitutionen sowie Selbsthilfegruppen. Bei Rogers (2000) finden sich Darstellungen zu evaluierten Trainingsprogrammen zur Verbesserung der Beziehung zu Erwachsenen (Eltern-Kind-Interaktion, Interaktion mit anderen Erwachsenen). Jenny (2010) gibt eine ausführlichere Übersicht über evaluierte und nicht evaluierte Gruppentrainings für Kinder und Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung.
Die Frage, inwieweit sich soziale Kompetenzen allgemein bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen anhaltend verbessern lassen, ist gemäß verschiedenen Wirksamkeitsstudien noch offen. Gezielt trainierte soziale Fertigkeiten lassen sich in verschiedenen Behandlungssettings eindeutig verbessern (z. B. Solomon et al. 2004; Smith et al. 2007), die Generalisierung des Erlernten in den Alltag scheint jedoch ein schwieriger und nicht immer erfolgreicher Schritt zu sein (Ozonoff und Miller 1995; Marriage et al. 1995; Barry et al. 2003; Solomon et al. 2004). Gresham et al. (2001, zit. nach Tse et al. 2007) teilen die sozialen Defizite im autistischen Spektrum in Schwächen des Erwerbs (acquisition), der Ausführung (performance) und der Flüssigkeit (fluency) ein. Interventionen, welche der Erwerbsschwäche entgegenwirken, machen unausgesprochene Regeln und Bedeutungen explizit und umfassen die Social Stories (Gray 1994a), die Comic Strip Conversations (Gray 1994b) und das Hidden curriculum (Bieber 1994). Interventionen, die sich den inadäquaten oder unangemessenen sozialen Verhaltensweisen widmen, zeigen Problemlösungen auf und nutzen die positive Verstärkung bei sozialem Lernen. In diese Gruppe gehören die Social Autopsies (Bieber 1994). Interventionen, welche den flüssigen Einsatz der erlernten sozialen Verhaltensweisen verbessern, setzen auf vermehrtes Üben, zum Beispiel mithilfe von Erinnerungskarten, wie bei den Social Skripts (Barnhill 2002).
Unter den zahlreichen Wirksamkeitsstudien zur Verbesserung der sozialen und kommunikativen Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen beziehen sich die meisten auf Einzelfallstudien oder auf die Arbeit im Einzelsetting (Rogers 2000; Krasny et al. 2003). Zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Gruppensetting gibt es wenige Studien. Williams White et al. (2007) haben dazu eine Übersicht zusammengestellt. Diese Studien aus den letzten 20 Jahren lassen sich unter anderem aufgrund unterschiedlicher Patientenpopulationen, diagnostischer Klassifikationssysteme und verschiedener Zielsetzungen, vor allem aber wegen der meist sehr kleinen Stichproben, der unterschiedlichen Dauer und der unterschiedlichen Messinstrumente nur schwer vergleichen (Jenny 2010): Nur drei der 13 Studien weisen eine Kontrollgruppe und zwei eine katamnestische Untersuchung nach rund zwei Monaten auf. Diese Übersicht zeigt aber, dass sich die sozialen und kommunikativen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen erweitern lassen. Vier Studien weisen einen Transfer des Gelernten in andere Situationen außerhalb der Trainingsgruppe nach. Über eine Generalisierung auf andere soziale oder kommunikative Fähigkeiten berichten nur zwei Studien und zwei weitere in eingeschränktem Maße.
Die meisten Behandlungsansätze sind pädagogisch, psychoedukativ oder kognitiv-verhaltenstherapeutisch. Eine Übersicht über die wichtigsten Grundsätze im erzieherischen Kontext findet sich bei Remschmidt et al. (2006). Lediglich in vier der 13 evaluierten Studien wurde mit einem manualisierten Training gearbeitet (Jenny 2010). Außer dem Trainingsprogramm von Herbrecht et al. (2008) finden sich im deutschsprachigen Markt kaum spezifische und evaluierte Programme zur Verbesserung der sozialen Fertigkeiten (Krasny et al. 2003). Das KOMPASS-Praxishandbuch möchte hier das bestehende Angebot ergänzen.