Читать книгу KOMPASS - Zürcher Kompetenztraining für Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen - Maya Schneebeli - Страница 26

1.6.2 Zentrale Bausteine eines Sozialtrainings für Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung auf höherem Funktionsniveau

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An dieser Stelle sollen die wichtigsten Bausteine eines sozialen Kompetenztrainings für Kinder und Jugendliche mit einer Störung aus dem Autismus-Spektrum dargestellt werden, einschließlich der Ziele und Techniken, um diese zu erreichen. Die Interventionen müssen hoch strukturiert sowie direktiver und konkreter als bei anderen Psychotherapien sein (Remschmidt et al. 2006). Howlin et al. (1999) betrachten das explizite Lehren sozialer Verhaltensweisen – beginnend mit einfachen Fertigkeiten und aufbauend auch bei komplexeren – als besonders Erfolg versprechend, wenn sie in kleine Einzelkomponenten aufgeteilt und dann wieder zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Sofronoff et al. (2007) und Attwood (2000) fordern aufgrund ihrer Literaturübersicht, dass sich die Behandlung unabhängig von der therapeutischen Ausrichtung an den kognitiven Charakteristika des Lernens von Kindern mit einer autistischen Störung orientieren soll.

Die theoretischen Überlegungen und Anregungen von Krasny et al. (2003), die sich auf Gruppentrainings beziehen, aber direkt auch auf das Einzelsetting übertragbar sind, dienen als Grundlage für das eigene Konzept. Krasny bezieht sich dabei auch auf den TEACCH-Ansatz (z. B. Häußler et al. 2003), der bei der Frage, wie Menschen mit Autismus pädagogisch und therapeutisch gefördert werden können, eine Vorreiterrolle übernommen hat und die Wichtigkeit von Strukturierung und Visualisierung verweist. Zudem hat der verhaltenstherapeutische Ansatz seine Arbeit beeinflusst. Wo nicht anders gekennzeichnet, stammen die folgenden Ausführungen aus der Arbeit von Krasny et al. (2003).

1. Konkretisierung des Abstrakten: Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung zeigen Schwierigkeiten im Verständnis von abstrakten Regeln und Geschehnissen, da sie diese nicht ausreichen konkretisieren können (Konkretisierungsschwäche). Gerade soziale Kompetenzen basieren aber auf abstrakten Informationen, die von Menschen mit einer normalen Entwicklung im Laufe ihres Lebens intuitiv angesammelt und gelernt werden. Es ist deswegen sehr wichtig, in der Therapie mit autistischen Menschen stets zu versuchen, sich so konkret wie möglich auszudrücken und die zu vermittelnden Informationen so konkret und übersichtlich wie möglich darzustellen. Das Verhalten, das man als Therapeut vom Klienten erwartet, muss explizit verbalisiert werden, sodass kein Raum für andere Interpretationen zur Verfügung steht. »Wenn-dann-Regeln« helfen den Teilnehmern, auf spezifische Situationen auf eine spezifische Art und Weise zu reagieren.

2. Einsatz von Visualisierungshilfen: Visuelle Hilfen, die verhaltenstherapeutisch gedacht als sogenannte »prompts« eingesetzt werden können, stellen eine große Stütze für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung dar, die im Verlauf des Trainings nach und nach ausgeblendet werden können. Visualisierungen helfen auch, Abstraktes zu konkretisieren oder Konkretes zu abstrahieren.

3. Struktur und Vorhersagbarkeit: Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung zeigen sich weniger flexibel als Menschen ohne Autismus-Spektrum-Störung. Man geht davon aus, dass dies auch mit den Defiziten der exekutiven Funktionen zusammenhängt. Es hat sich deshalb als hilfreich erwiesen, ein großes Ausmaß an Struktur und Vorhersagbarkeit in der Therapie zu gewährleisten, wobei gleichzeitig auch Spielraum für flexible Reaktionen und Veränderungen bestehen bleiben soll.

4. Sequentielles und progressives Einüben: Ein zu lernendes Verhalten kann in viele kleine Fertigkeiten aufgeteilt werden, die getrennt geübt und dann zu einem Ganzen zusammengefügt werden können. Dies entspricht in etwa der Verkettung (»chaining«) in der Verhaltenstherapie. Wurde ein Verhalten gelernt, muss es aber dennoch weiter geübt werden, damit es nicht schnell wieder vergessen wird. Dunlop et al. (2002) präzisieren, dass diese Verhaltensfragmente in einen Kontext gesetzt werden müssen, der die Bedeutung für das Ganze aufzeigt, damit die Reintegration in einen komplexen Verhaltensablauf in verschiedenen Situationen gelingt.

5. Angebot multipler und unterschiedlicher Lernmöglichkeiten: Ebenso wie Menschen ohne Autismus zeigen auch Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung Präferenzen für bestimmte Lerntechniken und profitieren davon, wenn Wissen auf verschiedenen Ebenen vermittelt und eingeübt wird. Es ist deshalb empfehlenswert, die Hintergrundinformationen zu einem Thema schriftlich auszugeben, zu diskutieren und dann in der (Klein-)Gruppe mithilfe von Rollenspielen, Übungen und weiteren Spielen umzusetzen.

6. Auf andere gerichtete Aktivitäten: Aufgrund der eingeschränkten sozio-emotionalen Gegenseitigkeit ist das Interesse am Gegenüber bei autistischen Menschen oft nur gering ausgeprägt. Es ist ein wichtiger Teil des Gruppentrainings dieses Interesse zu wecken, indem die Teilnehmer zum Beispiel nichts alleine tun sollen, was sie nicht auch zusammen mit einem anderen Teilnehmer machen können. So sollen die Teilnehmer erleben, dass soziale Aktivitäten Freude bereiten und gemeinsames Tun unterstützend wirken können. Dementsprechend sollte bei jeder Gelegenheit die soziale Wahrnehmung, also das Erkennen und Unterscheiden von relevanten und nicht relevanten sozialen Hinweisreizen, explizit geübt werden.

7. Unterstützung des Selbstwertes: Das wiederholt wahrgenommene Versagen und die geringe Akzeptanz durch das Umfeld können bedeutsame Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl von Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung haben. Es ist deshalb wichtig, ihnen auch die positiven Seiten ihrer Störung aufzuzeigen, wie zum Beispiel das gute Gedächtnis, die Fähigkeit zur Visualisierung, Loyalität und den Blick für das Detail. Zudem sollen sie häufig in ihren Stärken bestätigt werden. Komplimentenrunden zum Beispiel können helfen, sich nicht nur auf die eigenen Schwächen zu konzentrieren, sondern diese zu akzeptieren und den Fokus auf die Stärken zu richten. Damit können Introspektion und Identitätsbildung gefördert werden.

8. Auswahl relevanter Ziele: In der Therapie mit Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung soll an grundlegenden Fertigkeiten gearbeitet werden, wie zum Beispiel Blickkontakt und Begrüßung ( Kap. 1.6.1). Wichtig ist es, den Teilnehmern immer zu erklären, warum eine bestimmte Fertigkeit für sie wesentlich ist.

9. Generalisierung: Damit eine Therapie auch als wirkungsvoll bezeichnet werden kann, müssen die erlernten Fertigkeiten auf den Alltag übertragen werden. Um dieses wichtige Ziel erreichen zu können, bedarf es vieler Übungen mit unterschiedlichen Personen und in unterschiedlichen Settings. Dies kann zum Beispiel durch das Einbeziehen von Eltern und Lehrpersonen/Ausbildern erleichtert werden, die jede Woche über das aktuell bearbeitete Thema informiert und gebeten werden, dem Teilnehmer Möglichkeiten zu schaffen, sein Wissen anzuwenden.

Die folgenden Bausteine sollten gemäß KOMPASS-Autoren erfahrungsgemäß ebenfalls beachtet werden:

10. Beachten der neuropsychologischen Hintergründe: Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung weisen Schwierigkeiten mit der Theory of Mind, der ganzheitlichen oder globalen Informationsverarbeitung sowie den exekutiven Funktionen auf ( Kap. 1.5). Zudem zeigen sie eine Stärke bei der lokalen, an Details orientierten Informationsverarbeitung und ein Bedürfnis zu systematisieren. Eine Behandlung sollte dieses Profil berücksichtigen und nicht Fertigkeiten voraussetzen, die Menschen ohne eine Autismus-Spektrum-Störung gut liegen (z. B. Selbstreflexion, Beachten emotionaler Signale, einen Überblick bekommen, So-tun-als-ob/virtuelles Probehandeln).

11. Ressourcenorientierung: Wenn die Intervention auf den Stärken der Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung aufbaut, ist sie erfolgreicher. Zu den Stärken gehören die Detailverarbeitung, das Systematisieren und die Sachorientierung. Entsprechend sollten auch soziale Konzepte sachlich-explizit und systematisierend vermittelt und die gute Beobachtungsgabe für Details genutzt werden.

12. Rationales vor emotionalem Verstehen: Zu den Ressourcen gehört der intellektuelle, sachliche Zugang zum Leben, der genutzt wird, um den intuitiven emotionalen Zugang, der schwächer entwickelt ist, zu unterstützen. Preißmann (2009) empfiehlt Therapeuten, mit konkreten Beispielen, Ratschlägen, Empfehlungen und bei der Exploration auch mal Auswahlantworten zu arbeiten, da es Menschen mit autistischen Schwierigkeiten schwerfällt, sich fiktive und demnach abstrakte Situationen, wie es letztlicher jeder Bezug vom Therapiezimmer aus in die vergangene oder zukünftige Alltagserfahrung darstellt, vorzustellen. Therapeuten sind meist sehr gut dafür ausgebildet, ihre Klienten dabei zu unterstützen, aus ihren emotionalen Erfahrungen eine rationale Erkenntnis zu ziehen. Eine Therapie geht symbolisch ausgedrückt »vom Bauch zum Kopf« bzw. »von unten nach oben«. Für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ist dies oft das ungünstigere Vorgehen, da sie unter anderem wegen der Schwäche der Theory of Mind Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung und Interpretation ihre eigenen und fremder sozioemotionaler Signale und der emotionalen Selbstreflexion haben: Sie benötigen rationale Erklärungen und verständnisorientierte Übungen und haben danach vielleicht ein emotionales »Aha-Erlebnis« zum Beispiel im Sinne davon, dass es nun Spaß macht, jemandem ein Kompliment zu machen, dass sie sich am Arbeitsplatz im Umgang mit anderen Menschen sicherer fühlen oder dass die Beziehung zu jemandem vertrauter geworden ist. Die Therapie geht also »vom Kopf zum Bauch« bzw. »von oben nach unten«.

13. Implizites explizit machen: Da Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung sozio-emotionales und kommunikatives Verhalten nicht primär intuitiv und inzidentell lernen, sondern die sozialen Regeln des Zusammenseins bewusst erlernen und in ihrer Bedeutung verstehen müssen, müssen sozioemotionale Kompetenzen gezielt so aufbereitet werden, dass sie kognitiv verstanden und vermittelt werden können. Menschen ohne eine Autismus-Spektrum-Störung denken oft, dass irgendeine implizite Erwartung oder soziale Regel selbstverständlich sei, da sie auf einem stillschweigenden kollektiven Einverständnis beruht. Für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ist dieses angeblich so Selbstverständliche und auf dem sogenannten gesunden Menschenverstand Beruhende meistens alles andere als selbstverständlich. Sie benötigen oft eine explizite Formulierung, explizite Erklärung und eine explizite Anleitung.

14. Konzepte statt einzelne Verhaltensweisen: Es sollte bei der Therapie von Jugendlichen und Erwachsenen im hochfunktionalen Bereich nicht darum gehen, isoliert einzelne Fertigkeiten »anzutrainieren«, wie es Mesibov und Lord (1993, zit. nach Häußler et al. 2003) bei den primär fähigkeitsbezogenen Ansätzen bemängeln. Die einzelnen Kompetenzen müssen immer in einen Kontext gesetzt und das übergeordnete Verhaltenskonzept oder eine allgemeingültige Anleitung vermittelt werden. Wenn man anhand eines Rezeptes gelernt hat, wie man Kochrezepte liest und anwendet, kann später auch andere Gerichte ab Rezept kochen, im Verlauf mal eine Zutat ersetzen und eigene Ideen auf der Rezeptgrundlage ausprobieren und mit der Zeit die immer wiederkehrenden Abläufe so weit generalisieren, dass man auch ohne Rezept kochen oder sogar ein ganz eigenes Menü entwickeln kann. Jede zu erlernende soziale Verhaltensweise wird demnach so konzeptualisiert, dass sie möglichst viel Spielraum für eigene Ausgestaltung, Variation und Anpassung an die Gegebenheiten bietet. So werden auch der Transfer auf neue Situationen und die Generalisierung des Erlernten ermöglicht.

15. Prompting: Diese verhaltenstherapeutische Vorgehensweise ist in der Therapie beim Erlernen neuer sozialer Strategien und Kompetenzen sehr hilfreich oder fast unerlässlich. Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung lernen wie andere Menschen am Erfolg. Bei ihnen besteht mehr als bei anderen die Gefahr, dass sie bei Misserfolg aufgeben, da Fehler und Misserfolg zu Unklarheit, Unsicherheit und einer Art Kontrollverlust führen. Daher sollen sie möglichst nahe an ihrer Leistungsgrenze üben, sodass jede Übung möglichst schnell zu einem Erfolgserlebnis wird. »Prompts« helfen, dass das Verhalten (z. B. Einsatz von Gestik) erfolgreich gezeigt werden kann. Zu Beginn sollten jeweils mehr spezifische Prompts (z. B. Bild von Gesten, Abb. 1.1) eingesetzt werden, die dann später nur noch eine Erinnerungs- oder Platzhalterfunktion haben (z. B. Mühlesteine als Erinnerungshilfe, mehr Gesten einzusetzen) ausgeschlichen werden, bis sie nicht mehr nötig sind. Sollte das Verhalten nicht mehr sicher oder wieder zu selten gezeigt werden, können wieder »Prompts« verwendet werden.

16. Shaping: Nach Howlin et al. (1999) soll der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben und Übungen laufend gesteigert werden. Mit dem verhaltenstherapeutischen Begriff »Shaping« ist gemeint, dass ein Verhalten zuerst im Ansatz da ist, und dann durch weiteres Üben immer mehr verfeinert wird und mehr Merkmale umfasst und der Teilnehmer auch allfällige Ausnahmen dazu kennt.

17. Abstrahieren von Konkretem: Die KOMPASS-Autoren sind der Ansicht, dass auch die umgekehrte Problematik zur Konkretisierungsschwäche, nämlich die Abstraktionsschwäche, beachtet werden muss. Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung fällt es immer wieder schwer, aus einzelnen konkreten Informationen ein übergeordnetes Konzept zu bilden, was mit der präferierten lokalen Informationsverarbeitung von Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung zu tun hat. So geschieht aber implizites Lernen: Man erkennt in Einzelbeobachtungen oder Informationen den roten Faden und deduziert die zugrundeliegende konzeptuelle Idee. Erst das abstrakte Konzept kann man zur Generalisierung auf neue Situationen nutzen. Der Therapeut muss dem Klienten mit einer Autismus-Spektrum-Störung helfen, diese abstrakten Konzepte zu erkennen und zu verstehen.

18. Inzidentelles Lernen: Das Lernen in der natürlichen Umgebung und nicht innerhalb einer gezielten Übungssituation ist besonders wirksam.


Abb. 1.1: Zeige (beschreibende) Gestik

Es gibt keine ideale Therapie für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, weder im Einzel- noch im Gruppensetting. Die Interventionen müssen individuell an den Betroffenen angepasst werden und seine Entwicklung berücksichtigen. Nach Remschmidt et al. (2006) sollte »die Intervention – neben Verhaltensaspekten – kognitive, emotionale, motivationale und körperliche Faktoren in gleichem Masse berücksichtigen, um dem Menschen mit Asperger-Syndrom in seiner Ganzheitlichkeit gerecht zu werden und ihn auf allen Ebenen zu fördern« (S. 190).

KOMPASS - Zürcher Kompetenztraining für Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen

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