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Vorwort

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Zwischen August und Dezember 2008 befand sich mein Lebensmittelpunkt 6.994 Kilometer Luftlinie westlich meines kleinen, beschaulichen Heimatörtchens. Knapp fünf Monate lang lebte, arbeitete und studierte ich in Chicago im US-Bundesstaat Illinois. Als 21-jährige Online-Journalismus-Studentin der Hochschule Darmstadt absolvierte ich ein berufspraktisches Semester am Goethe-Institut. Die Reise war für mich in zweierlei Hinsicht äußerst abenteuerlich: Zum einen war es eine prägende Reise auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Ich, geboren und verwurzelt im ländlich geprägten Speckgürtel nahe Frankfurt am Main, war zum ersten Mal für längere Zeit von Familie, Freunden und festem Freund getrennt und stürzte mich in die Tiefen einer quirligen amerikanischen Metropole.

Zum anderen war es für mich als junge Journalistin und engagierte, ehrenamtlich tätige Kommunalpolitikerin eine einmalige Chance, den historischen Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama in dessen Heimatstadt mitverfolgen zu können – anders als in der Heimat nicht als umtriebige Akteurin, sondern als ausländische Beobachterin.

Ich bin seit 2006 Mitglied der SPD, stieg in meinem Ortsverein in jungen Jahren vor allem aus demographischen Gründen rasch zur stellvertretenden Vorsitzenden auf und stürzte mich mit viel Enthusiasmus und Tatendrang in Wahlkämpfe und das alltägliche kommunalpolitische Geschehen. Als ich im August 2008 in die USA reiste, wusste ich noch nicht, dass der Rest des Jahres für die hessische SPD und auch die Bundespartei eine mehr als turbulente Zeit werden würde. Die dramatischen Geschehnisse rund um die „vier Abweichler“ und Andrea Ypsilanti verfolgte ich aus tausenden Kilometern Entfernung, zugleich gebannt und entsetzt. Zur gleichen Zeit entwickelte sich in Chicago eine politische Stimmung, die gegensätzlicher nicht hätte sein können: Mit der Kandidatur von „Chicago’s own“ Barack Obama politisierte sich die amerikanische Metropole bis ins kleinste Detail hinein, schaukelte sich hoch zur Euphorie, zur „Obamanie“.

Und zwischendurch versuchte ich mich in meinem Praktikum am Goethe-Institut mal als Kulturbotschafterin, mal als Journalistin und mal als Referentin, lernte die Stadt und ihre Menschen kennen und lieben. Dabei merkte ich allerdings auch relativ schnell, dass zwischen meinem fernen Zuhause und meiner Wahl-Heimat auf Zeit mehr lag als nur der atlantische Ozean. Nicht nur politisch.

Meine Erlebnisse und Gedanken aus dieser Zeit hielt ich, teils für mich selbst, aber vor allem auch für die Daheimgebliebenen, in meinem Internet-Blog „Meike in Chicago“ fest. Die Seite ist schon seit Jahren nicht mehr im Netz, ich habe aber alle Texte aufbewahrt und lange unangerührt auf meiner Festplatte liegen lassen. Vor Kurzem sind sie mir durch Zufall wieder in die Hände gefallen. Beim Lesen habe ich an einigen Stellen erinn-erungsselig gegrinst, an anderen die Stirn gerunzelt und an wieder anderen lauthals gelacht. Nicht immer kann ich aus heutiger Sicht die Einschätzungen meines jüngeren Ichs teilen oder dessen Handlungen nachvollziehen. Trotzdem habe ich es bewusst vermieden, die Texte zu verändern, ich habe sie konserviert, ungekürzt, unverändert, echt und authentisch, wie sie waren, samt einer Auswahl an Fotos und Leserkommentaren. Mein Blog auf Papier gebannt. Herausgekommen ist dabei die spannende Retrospektive einer Zeit, die global gesehen politisch zwar auf wackeligen Beinen stand, in der man aber auch ganz deutlich ein Gefühl von Aufbruch, von positivem Wandel spüren konnte, verkörpert durch die Lichtgestalt Barack Obama und seinen Leitspruch „Yes We Can“. Dieses Gefühl habe ich in meinen Blog-Beiträgen versucht einzufangen und für all jene greifbar zu machen, die nicht so hautnah am Puls des Geschehens sein konnten.

Heute, nur zehn Jahre später, wissen wir leider, dass sich die Welt in vielen Bereichen ganz anders entwickelt hat als wir uns das im Jahr 2008 noch erhofft hatten. Es scheint fast, als habe sie sich rückwärts gedreht. Auf dem Höhepunkt der „Obamanie“ war die Vorstellung, dass weniger als zehn Jahre nach der Wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten rechtspopulistische Parteien weltweit die Parlamente stürmen, dass offen geäußerter Rassismus plötzlich wieder salonfähig ist, dass Mauern gebaut statt abgerissen werden und dass die Welt unter den Trumps, Putins, Erdogans und Orbans aufgeteilt wird, so fern wie eine andere Galaxie. Auch mein persönliches Leben ist in vielen Punkten leider ganz anders verlaufen als ich das 2008 noch gedacht hatte. Redakteurin beim Spiegel oder der Zeit zu werden, vielleicht als Auslandskorrespondentin, das war mein hochgestecktes Ziel. Oder in die Politik gehen, professionell, in den Landtag oder den Bundestag. Was ich lieber machen wollte, wusste ich damals noch nicht genau. Ich war ja noch so jung und hatte alle Zeit der Welt. Ich konnte nicht ahnen, dass mich nur gut drei Jahre später eine schwere Erkrankung aus der Bahn werfen würde. Im Alter von nur 24 Jahren hatte ich einen Schlaganfall, aufgrund eines sehr selten vorkommenden plötzlichen Gefäßeinrisses in der Halsschlagader.

Diese einschneidende Erfahrung sortierte auch die Prioritäten in meinem Leben neu. Ich wurde weder Auslandskorrespondentin noch Berufspolitikerin. Dafür schrieb ich ein Buch über meine Erkrankung („Der Spalt“, ebenfalls erschienen bei neobooks) und bin heute als Botschafterin in Sachen Früherkennung von Schlaganfällen unterwegs. Das Leben ist nun mal wie ein Zug, den man besteigt, ohne wirklich zu wissen, wohin er fährt. Und obwohl man einen Reiseplan dabei hat, obwohl man alle Stopps, alle Umstiege und alle Anschlusszüge penibel herausgesucht hat, muss man plötzlich feststellen, dass es auf dem Weg Steigungen, Täler, Windungen und Unwetter gibt, die man nicht einkalkuliert hatte. Aber das macht doch überhaupt erst den Reiz des Lebens aus, oder?

Mein Abenteuer Chicago hat mich als Mensch und als Journalistin so sehr geprägt wie kaum eine andere Erfahrung. Ich denke, die folgenden Beiträge werden Ihnen als Leser/in einen recht guten Eindruck davon vermitteln. Es wäre schade gewesen, diesen spannenden Zeitzeugenbericht, der sich phasenweise liest, als beschreibe er eine andere Welt, auf der Festplatte versauern zu lassen.

Ich glaube nach wie vor daran, dass eine bessere Welt möglich ist. Doch sie ist kein Selbstläufer. Wir alle müssen etwas dafür tun. Das muss ja nicht gleich in eine „Obamanie“ münden. Aber ein Gemeinschaftsgefühl, ein Gefühl des Aufbruchs und der Glaube daran, etwas zum Guten verändern zu können – das ist möglich, und dieser Glaube kann uns einen. Es hat doch schließlich schon mal geklappt. Yes we could. Yes we can.

Meike Mittmeyer-Riehl im August 2018

Yes We Could

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