Читать книгу Meister römischer Prosa - Michael Albrecht - Страница 28
Zur Einführung
ОглавлениеDen Stil von Catos Geschichtswerk nennt E. Norden85 „kurz, derb, kraftvoll“ und „viel entwickelter als den der Lehrschrift“. Nach F. Leo86 ist in den Origines stilistisch nicht mit allzu tiefgehenden griechischen Einflüssen zu rechnen – abgesehen von der Tatsache, dass der Stoff griechisch vorgeprägt war und dass die Abfassung eines Buches als solche etwas Griechisches war. Wichtig ist seine Feststellung, dass der Stil der Origines gehobener ist als der von De agricultura.87 A. D. Leeman,88 der von der Literaturtheorie ausgeht, urteilt über den historischen und literarischen Wert der Origines viel reservierter als Leo 89 und veranschlagt den griechischen Einfluss höher. Cato hatte den Grundsatz, griechische Bücher „einzusehen, aber nicht durchzustudieren“ (inspicere, non perdiscere). Erborgte aus ihnen in einem Geiste „of dissimulation and rivalry“, der auch für den Scipionenkreis bezeichnend ist (70).
Herausfordernd ist Leemans Stilurteil über die Origines: „This is an interesting sample of Cato’s historical style or rather of his lack of an historical style“ (71). Der Grundcharakter des betrachteten Textes ist in seinen Augen „an unpretentious colloquialism“ (71). Da wir Leeman in diesem Punkt nicht zustimmen können, müssen wir hier etwas mehr ins Einzelne gehen. Er moniert endlose Wiederholungen der Fälle von is und von -que, die untergeordnete Gedanken aller Art koordinieren. Das erstere Phänomen ist aus Plautus wohlbekannt, das zweite ist uns schon in De agricultura (praefatio) begegnet. Es gibt auch lose relative Anknüpfungen wie quod … defluxerat und qui … fecit. Immerhin bemerkt Leeman das plötzliche Ansteigen des Stilniveaus in der Leonidaspartie mit Paronomasie (gloriam – gratiam) und ‚epischen‛ Vokabeln (claritudinis inclitissimae; allerdings kann man sich schwer vorstellen, wie das Wort claritudo ins epische Versmaß passen soll). Weiterhin bemerkt er die Verwendung von -ere, einer Endung, die einer höheren Stilebene anzugehören scheine (vgl. Sallust). Inhaltlich findet Leeman hier einen Reflex der griechischen Theorie von der Beziehung zwischen virtus und fortuna Der Vergleich zwischen dem unbekannten Römer und Leonidas setze die Überzeugung von der Nützlichkeit und Notwendigkeit einer nationalrömischen Geschichtsschreibung voraus.90
Leeman weist auf eine Gemeinsamkeit zwischen Cato und Polybios hin: Polybios, der maßvolle stilistische Prätentionen hatte, scheint in seiner pragmatischen Geschichtsschreibung den catonischen Grundsatz rem tene, verba sequentur gegen die literarischen und stilistischen Ambitionen hellenistischer Geschichtsschreiber hochzuhalten. In dieser Beziehung wirkt Polybios sehr römisch. Missverständlich ist jedoch Leemans Behauptung, Cato setze keinerlei stilistischen Maßstab für die römische Historiographie.91 Aus den Fragmenten schließt er sogar, dass Cato in den Origines viel weniger sorgfältig stilisierte als in den Reden. Immerhin bemerkt er „a savour of honesty, directness and severity“ (71). Wie soll man sich dann jedoch die begeisterten Äußerungen Ciceros und Sallusts92 Cato-Nachfolge erklären?
Im Grunde bedeutet die Behandlung des Stils der Origines durch Leeman beinahe einen Rückschritt gegenüber F. Leo. Dadurch, dass Leeman die Existenz eines historischen Stils bei Cato leugnet, gerät er in Widerspruch zu den Tatsachen. Es genügt, daran zu erinnern, dass sogleich im ersten Satz der Origines sich eine archaisierende Stiltendenz bemerkbar macht: Cato gebraucht die Pronominalform ques, die schon zu seiner Zeit in alltäglicher Rede und in weniger hohen Literaturgattungen ausgestorben war. Ebenso weist der häufige Gebrauch von atque93, einer Konjunktion, die in De agricultura gegenüber et zurücktritt, in den Origines auf das Streben nach „hoher“ Stilisierung. Dass sich an bestimmten Stellen archaische Vokabeln und Poetismen häufen, lässt sich ebensowenig bestreiten. Auch in dem parataktischen Satzbau kann man nicht nur etwas Umgangssprachliches sehen. Wie hätte Cato, der erste nennenswerte lateinische Prosaiker überhaupt, durchgehend in Perioden schreiben sollen? Für diese Form des prosaischen Ausdrucks musste die Sprache erst biegsam gemacht werden, und Cato hat in dieser Richtung viel getan. Weiterhin ist, wie gesagt, streng zu scheiden zwischen „umgangssprachlichen“ und „mündlichen“ Stilelementen. Beispielsweise tragen die Sprache und der Satzbau des frühgriechischen Epos keineswegs umgangssprachliche, aber in vielen Punkten „mündliche“ Züge. Ähnliches gilt von der Sprache des römischen Rechts und auch von der Kunstsprache Catos, auf deren römische Wurzeln wir bereits mehrfach hingewiesen haben. Was Wunder, wenn sein Satzbau in manchen Dingen noch an die Herkunft aus der Mündlichkeit erinnert? Auch im Einzelnen ist manches, was Leeman für seine Ansicht anführt, unsicher.94 Als Beleg für die Zuordnung bestimmter Stellen der Caedicius-Erzählung zu einem niederen Stilniveau nennt er nur die Bezeichnung verruca („Erdhöcker“). Aber Quintilians95 Urteil, dieser Ausdruck sei zu niedrig, gilt ja nicht ohne Weiteres für die Zeit Catos. Sucht man nach altlateinischen Zeugnissen, so stößt man auf einen von Quintilian zitierten Vers. Leeman verschweigt uns, was für die Beurteilung des Stilniveaus von verruca in der altlateinischen Zeit entscheidend ist, dass dieser Vers aus einer Tragödie stammt. Bei näherem Zusehen spricht also gerade die von Leeman herangezogene Quintilian-Stelle nicht für, sondern ganz entschieden gegen seine Ansicht.
Nach Leemans Meinung hat Cato die Reden sorgfältiger stilisiert als die Origines. Dies ist in sich unwahrscheinlich, denn Cato hat doch wohl seine Reden, ehe er sie in die Origines aufnahm, zu diesem Zwecke überarbeitet. Der neue Rahmen war also anspruchsvoller.96