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Gehalt und Gestalt

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Glücklicherweise kennen wir eine Erzählung aus Catos Origines recht genau. Gellius hat sie uns teils wörtlich, teils in einer zuverlässigen Paraphrase erhalten.97 Diese wird beispielsweise von V. Pisani98 so interpretiert, als wäre sie mit dem catonischen Text so gut wie identisch. Wir machen hier kleine Einschränkungen, doch ist das Vokabular so „catonisch“, dass an der stilistischen Treue der Nacherzählung kaum zu zweifeln ist. Vor allem hat Gellius die Reihenfolge der Tatsachen und die Grundlinie der Erzählung bewahrt; die catonische Erzählstruktur geht aus seinem Referat mit aller Deutlichkeit hervor.99

Im Einzelnen fällt die Bezeichnung verruca („Warze“) für einen Erdhöcker auf;100 Cato vermeidet keineswegs drastische Ausdrücke, wenn sie nur treffend sind. Grammatisch und als Vokabel bezeichnend für Cato ist strenuissimos,101 eine Bildung, die uns in De agricultura bereits begegnet ist. An Stilmitteln ist besonders die Häufung von Synonymen oder verwandten Begriffen hervorzuheben: fraudi et perniciei obnoxium; de loci importunitate et hostium circumstantia; imperes horterisque; fortissimus quisque et promptissimus ad occursandum pugnandumque; gratias laudesque agit; in locos tutos atque editos; fortem atque strenuam; gloriam atque gratiam; signis statuis elogiis historiis.102 Neben Fällen von Hendiadyoin erscheinen hier die „erschöpfenden Doppelungen“ 103 der altlateinischen Amts- und Sakralsprache. Sie geben der Diktion eine gewisse Förmlichkeit und distanzierte Feierlichkeit. Pleonastische Fülle trägt auch sonst zur Würde der Darstellung bei: so in terra Sicilia; archaisch breit auch interibi, dum ea pugna pugnatur. An dieser Stelle kommt noch die figura etymologica104 hinzu. Verwandt ist das Mittel der Wiederaufnahme eines Verbums durch sein Partizip: Romani milites circumveniuntur, circumventi repugnant.105 Auf diese Weise wird anschaulich, wie ein Ereignis aus dem anderen hervorwächst. Das Stilmittel ist also mit innerer Notwendigkeit angewandt.

Durch die an die englische „progressive form“ erinnernde Gerundialkonstruktion in expectando sunt ist der Zustand der Erwartung verdeutlicht.106 Nicht sehr häufig, aber desto ausdrucksvoller ist das Hyperbaton: alia nisi haec salutis via nulla est; quisnam erit, qui ducat. In beiden Fällen sind die betonten Worte an den Anfang und ans Ende des Satzes gerückt und bestimmen so seinen Aufbau. Nähere Beachtung verdient der axial-symmetrische Satz: ego hanc tibi et rei publicae animam do. Die Wortstellung zeigt hier die Tendenz, die Pronomina nebeneinander zu rücken, die sich auch sonst bereits bei Cato beobachten lässt.107 Weiter ist an dieser Stelle die anschaulich-gebärdenhafte Bezeichnung der eigenen Person durch das Pronomen hic als ein urtümlicher Zug zu betrachten, der der Darstellung Eindringlichkeit verleiht.108

Genauere stilistische Untersuchung verdient das wertende Schlussstück, das Gellius wörtlich aus Cato zitiert. Im Gegensatz zu Pisani, der merkwürdigerweise seine sprachliche Interpretation gerade dort abbricht, wo die Paraphrase des Gellius in die originalen Worte Catos übergeht, werden wir bei unserer Interpretation auch diesen Abschnitt gebührend berücksichtigen.

Nachdem nun einzelne sprachlich-stilistische Züge hervorgehoben sind, soweit sie sich bei Gellius noch fassen lassen, wenden wir uns dem Aufbau des Berichts im Ganzen zu.

Die innere Form dieser Erzählung ist ebenso schlicht wie überzeugend. Der Blick fällt zunächst auf die Peripherie: Die Karthager besetzen die Hügel. Auf diese Weise ist der Rand des Schauplatzes abgesteckt. Dann wendet sich die Aufmerksamkeit der Mitte zu: Die Römer dringen ein. So hat sich das Gesichtsfeld von den Höhen auf die Talsohle verengt. An dritter Stelle konzentriert sich das Augenmerk auf einen noch kleineren Kreis: den Tribun und den Consul.

In diesem sachgemäßen Fortschreiten von außen nach innen zeigt sich Catos schriftstellerischer Instinkt. Die Bewegungen der beiden Heere sind zur Ruhe gekommen. Die Lage wird durch ein nachdrücklich ans Ende gestelltes Attribut in ihrer Gefährlichkeit charakterisiert: (in locum insinuant) fraudi et perniciei obnoxium. Dieser vollklingende Schluss bildet syntaktisch einen Haltepunkt und inhaltlich eine Vorbedingung für die folgende Handlung.

Die erste Person, die tätig in den Vordergrund tritt,109 ist der römische Tribun; er ist Träger der Hauptaktion: tribunus ad consulem venit. Sein Name erscheint in unserem Text nirgends;110 wir wissen aus anderen Zeugnissen, dass Cato in seinem gesamten Geschichtswerk die Römer nicht mit Namen, sondern nur mit ihrer Amtsbezeichnung nennt. Dies ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass der Ruhm des Einzelnen nicht ihm selbst – aber auch nicht bloß seiner gens,111 sondern der gesamten res publica gehören soll. Durch das Verschweigen des Namens wird der Tribun zum Repräsentanten römischer Haltung. Die Handlung nimmt überhaupt ihren Ausgang von dem Entschluss des Tribunen, zu seinem Vorgesetzten zu gehen und ihm einen Vorschlag für die Rettung der Römer zu machen. Die Bereitschaft zur Selbstaufopferung ist ein Grundzug römischer Religiosität (vgl. den Brauch der devotio). In der wörtlich angeführten Rede des Tribuns dokumentiert sich ein planender Wille; symptomatisch sind die Verbalformen: Futurum, Gerundiv, Konjunktiv.112 Nun ist die Aufmerksamkeit nicht mehr auf die beiden Gesprächsteilnehmer, sondern auf den gedanklichen Inhalt der Rede gerichtet; dies bedeutet einen weiteren Schritt in der von Anfang an eingehaltenen Bewegung von außen nach innen.

Die Gegenrede des Consuls ist zunächst indirekt wiedergegeben (ähnlich war es mit dem Anfang der Äußerung des Tribunen gewesen);113 erst im zweiten Teil erklingen seine Worte unmittelbar; nicht zufällig ist dies der Satz, der die heroische Antwort des Tribunen zur Folge hat.

Der Dank und das Lob des Consuls schließt diesen ersten Abschnitt ab und weist auf die Verherrlichung des Helden am Schluss der ganzen Erzählung voraus. Am Anfang wie am Ende des bisher betrachteten Abschnitts stand eine Willensentscheidung des Tribunen. Die formalen Einschnitte sind also mit den inhaltlichen identisch; die Form besitzt innere Notwendigkeit und ist bei aller Schlichtheit zweckmäßig.

Der zweite Teil der Erzählung, den Gellius wahrscheinlich stärker gekürzt hat, beginnt mit der sicher catonischen, lapidaren Vorankündigung: tribunus et quadringenti ad moriendum proficiscuntur. Das unabänderliche Schicksal ist im Gerundium vorweggenommen. Vom Aufbruch der Römer wendet sich dann der Blick – seit Beginn der Erzählung zum erstenmal – den Gegnern zu. Nicht nur das äußere Verhalten der Feinde wird geschildert, sondern auch ihre Gefühle angesichts der Kühnheit der Römer. Cato versteht es also, durch Einbeziehung der Gegenpartei und ihrer Empfindungen einen wirkungsvollen Hintergrund für das ungewöhnliche Unternehmen der Römer zu schaffen. Die Stelle hat aber noch eine weitere Funktion. Die Spannung soll erhöht werden: von der ersten Verwunderung, die sich in einem ausdrucksvollen Kompositum spiegelt (demirantur)114 bis zu bewusst abwartendem Verhalten, das in einer reizvollen Satzkonstruktion bildhaft zum Ausdruck kommt; in expectando sunt. Die Kunst des Retardierens ist hier also auch stilistisch fassbar. In einem temporalen Nebensatz folgt die Einsicht, im Hauptsatz die Reaktion der Feinde: Die Tüchtigsten treten den Vierhundert entgegen. Die Römer werden umzingelt und setzen sich verzweifelt zur Wehr. Wieder ein Satz, bei dem alles in der Schwebe bleibt und der auf diese Weise retardierend wirkt: fit proelium diu anceps. Dann die Feststellung, dass die Übermacht siegt. Mit dem Tode der Vierhundert schließt sich der Ring. Die Ankündigung vom Anfang des zweiten Teils (ad moriendum proficiscuntur) hat sich erfüllt.

Wir wissen nicht, wie stark Gellius hier umgeformt – stammen die historischen Praesentia aus seiner Feder?115 – und gekürzt hat. Klar ist, dass er das Wechselspiel von raschem Fortschritt (im gut catonischen Asyndeton) und betonter Retardierung (für deren Echtheit die altlateinischen grammatikalischen Besonderheiten sicheres Zeugnis sind) treu bewahrt hat. Auch der Wechsel des Erzählerstandpunkts, die Spiegelung der Kühnheit der Römer in der Empfindung der beobachtenden Feinde, ist ein ebenso einfaches wie wirkungsvolles: Kunstmittel.

Auf noch festerem Boden bewegen wir uns von §19 an, wo Gellius Catos Worte zitiert. Hier lassen sich bei der Interpretation Einzelbetrachtung und Untersuchung der Gesamtform noch enger miteinander verbinden.

Der erste Satz fasst überschriftartig den Inhalt der folgenden zusammen: di immortales tribuno militum fortunam ex virtute eius dedere. Der thematische Charakter des ersten Satzes war uns auch zu Beginn des ersten und des zweiten Teils aufgefallen; nachträglich gewinnen wir von hier aus eine Bestätigung der Zuverlässigkeit der Paraphrase in den ersten beiden Teilen. Mit nam ita evenit wird der Übergang zum Folgenden geschaffen. Die Erzählung bewegt sich dann in meist unverbunden aneinandergereihten Hauptsätzen, deren Verben im Perfekt stehen (was rückblickend die an sich so eleganten historischen Praesentia des Gellius etwas verdächtig macht). Nur am Anfang und am Ende des Abschnittes erscheinen Nebensätze. Beide haben eine bedeutsame Funktion: Die adversative Unterordnung tritt am Anfang auf, wo inhaltlich alles auf den Kontrast zum Vorhergehenden, auf die überraschende Wendung ankommt. Der Aufwand an Konstruktionsmitteln steht bei Cato in einem Verhältnis zur erstrebten Wirkung. Dies macht die Sachlichkeit seines Stils aus. Eine Bestätigung bietet auch der zweite, am Ende stehende Nebensatz: quod illos milites subduxit, exercitum ceterum servavit. Dass Cato den Abschnitt hier abschließen will, drückt sich inhaltlich in der Tatsache des Rückblicks aus, formal in der Anwendung des Nebensatzes.

Die Erzählung ist zu Ende, Cato geht zu einer Betrachtung über. Das Problem wird zu Beginn wieder überschriftartig zusammengefasst: sed idem benefactum quo in loco ponas nimium interest. Die Betrachtung ist in sich zweigliedrig, wobei das zweite Glied dem ersten durch at als (im übrigen selbständiger) Hauptsatz gegenübergestellt ist: Der erste Teil bezieht sich auf den Griechen Leonidas, der zweite auf den römischen Tribun. Beide kontrastierenden Teile unterscheiden sich zunächst einmal durch die verschiedene Länge. Dabei wird das „Gesetz der wachsenden Glieder“ von Cato an dieser entscheidenden Stelle umgekehrt: Das gewichtigere zweite Glied ist bei ihm erheblich kürzer als das erste; wir haben schon früher auf diese Besonderheit catonischen Sprechens aufmerksam gemacht. Aber nicht genug mit der Verschiedenheit des Umfangs: auch im Wortschatz und in der Stilisierung differieren die beiden gegensätzlichen Teile beträchtlich. Im ersten Teil ist der Wortschatz erlesen; claritudo, das durch seine archaische Bildung hervorsticht, erhält das poetische Beiwort inclitus, das überdies noch im Superlativ erscheint; hinzu kommt die Doppelung gloriam atque gratiam (Paronomasie, in der sich Alliteration mit Homoiteleuton verbindet): eine Häufung von Stilmitteln, die sich in der bemerkenswerten Reihe signis statuis elogiis historiis116 fortsetzt: Vierzahl der Worte und wachsende Silbenzahl! Schließlich ein weiterer Superlativ (gratissimum) und ein Hyperbaton.117 Der Reichtum an Kunstmitteln, die Fülle der wertsteigernden Ausdrücke ist so groß,118 dass die Schlichtheit der Sprache im nachfolgenden Satz vor diesem Hintergrund wie eine Offenbarung wirken muss: at tribuno militum parva laus pro factis relicta, qui idem fecerat atque rem servaverat. Wieder fasst ein Relativsatz rückblickend die Leistung des Helden zusammen. Die Sprache hat dabei die grandiose Einfachheit einer Inschrift.

Besonders in dem wörtlich erhaltenen Schlussteil der catonischen Erzählung zeigt sich, dass Sprache und Stil im höchsten Maße funktional gehandhabt sind. Wo es sich um ein Nacheinander von Ereignissen handelt, wird nicht versucht, künstlich Abwechslung oder Relief zu schaffen, sofern die Sache es nicht erfordert. Sobald es aber gilt, bestimmte Glieder zu akzentuieren, Zusammenhänge oder Gegensätze aufzuzeigen, stehen Cato die logischen Partikeln und auch die hypotaktischen Satzverbindungen sämtlich zur Verfügung. Die Farbigkeit der archaischen Sprache und Syntax dient der Retardierung, wo die Sache es verlangt und wo der Geschehenszusammenhang verdeutlicht werden soll. Gilt es, römische Nüchternheit der großsprecherischen Heldenverehrung der Griechen gegenüberzustellen, so tritt in bewusster Kontrastierung neben den schweren Prunk archaischer ubertas inschriftartige Kargheit. In dieser wirkungsvollen Antiklimax bewährt sich aufs Neue der von uns beobachtete spezifisch catonische Rhythmus, der – entgegen dem Behaghelschen Gesetz – das zuvor aufgebauschte Große durch ein Kleineres schlagend überbietet. Eine psychologische Feinheit hingegen, wie die Spiegelung des römischen Wagemuts in der Verwunderung der Feinde, erscheint eher als ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt, das sich aus der Sachbezogenheit der Darstellung ergibt. Was Cato sagen wollte, hat er gesagt, und er hat es jeweils in einer dem Gegenstand angemessenen Form gesagt. Das Wort stand ihm zu Gebote und es folgte willig den wechselvollen, aber stets an der Sache orientierten Wegen seines Denkens. Wenn das Geschriebene oft künstlerisch wirkt, so ist jedoch gerade diese Wirkung nie letztes Ziel des Schreibenden gewesen. Dass sie zu spüren ist und sich sogar in der Geschichte der römischen Literatur als ungemein fruchtbar erwiesen hat, gehört zu den Geheimnissen der Größe des Mannes Cato, dem diese Art des Ruhmes sicherlich nicht besonders erstrebenswert schien.

Meister römischer Prosa

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