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a) Gott zeigt sich als Herr: Die synoptischen Evangelien
Оглавление„Nachdem man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,14 f.)
Gott erweist sich als Gott, indem er rettet. Diese für den Glauben Israels zentrale Aussage greifen die synoptischen Evangelien (Mt, Mk, Lk) auf, indem sie vom Reich Gottes sprechen (Schnackenburg/39: 49 – 149; Merklein/76: 17 – 46).
Reich-Gottes-Botschaft
Jesus tritt auf, um die Nähe des Reiches Gottes zu verkünden. Es nähert sich, wie das Markusevangelium berichtet, in einer Zeit, in der Propheten wie Johannes der Täufer ins Gefängnis geworfen und ermordet werden. Es nähert sich, weil die Zeit dafür gekommen ist. Umkehr und Glaube sind nach Aussage des oben stehenden Textes nicht Bedingungen für das Nahen des Reiches Gottes, sondern die von den Menschen erwartete Reaktion auf dessen Ankündigung. Sie sollen umkehren, Gerechtigkeit üben und glaubend darauf hoffen, dass Gott wahr macht, was er ankündigt. Sie können all dies, weil das Reich Gottes nahe ist, weil Gott ihnen heilend und befreiend entgegenkommt.
Vollmacht Jesu
Doch bei dieser, in prophetischer Tradition stehenden Ankündigung des Reiches Gottes bleibt es nicht. Jesus ist nach Aussage der Synoptiker nicht nur Prediger einer ausstehenden Zukunft. Wo er ist, bricht das Reich Gottes bereits an (Scholtissek/84: 126f.; Weiser/90: 77). Er „lehrt wie einer, der Vollmacht hat“ (Mk 1,22). Seine Worte sind wirkmächtig, sie erreichen und verändern Menschen. Dass Jesus in der Kraft und Vollmacht Gottes handelt, wird augenfällig in den Wundern, die er wirkt. Die Dämonen müssen ihm gehorchen, denn er ist stärker als diese Mächte, die Gott entgegenstehen. Weil sie seine Macht als Bedrohung erkennen, sind die Dämonen auch die ersten, die Jesus erkennen als den, der er ist (Mk 1,24; 5,7 u. ö.). Die Austreibung der Dämonen aber ist keine selbstgefällige Machtdemonstration, sondern sie geschieht, damit die von Dämonen niedergedrückten Menschen sich wieder aufrichten können. In der gleichen Vollmacht spricht Jesus den Menschen die Vergebung ihrer Sünden zu. In dieser Zusage überwindet Gott selbst, was die Menschen von ihm trennt (Kertelge/73: 210). Dass mit ihm das Reich Gottes, dessen Kommen er wie die Propheten verkündet, bereits anbricht, unterscheidet Jesus von den Propheten.
„Sohn“ – „Herr“
Die Evangelisten machen dies deutlich, indem sie ihm Titel zusprechen, die Propheten nicht zukamen. Als Sohn Gottes bezeugen sie ihn und stellen damit seine besondere Nähe zu Gott heraus. Allerdings ist dieser Titel zur Zeit der Evangelisten nicht mehr, wie etwa in den Psalmen, ausschließlicher Königstitel. Gott als Vater zu verstehen, wie es für Jesus nach dem Zeugnis der Evangelien vertraut war, sich selbst als Sohn bzw. Kind Gottes zu wissen, ist eine im Frühjudentum durchaus verbreitete Vorstellung (Strotmann/41: 379). Ähnlich wie bei der Messiasvorstellung gibt dies der frühen Kirche die Möglichkeit, die Sohnesbezeichnung auf Jesus anzuwenden und sie, von ihrem Verständnis Jesu ausgehend, mit einem besonderen Inhalt zu füllen, der dann nur auf Jesus zutrifft: Jesus ist der von Gott angenommene, schließlich zu Gott erhöhte Sohn. Er lebt in einer beispiellosen Nähe zu Gott. Als dieser Sohn ist er von Gott auch zum „Herrn“ eingesetzt; in Person seines Sohnes setzt Gott seine Herrschaft auf der Erde durch (Nützel/77; Hahn/70: 131 f.).
geforderte Entscheidung
Wenn und weil mit Jesus von Nazareth die angekündigte Gottesherrschaft beginnt, entscheidet sich an der Stellung, die Menschen zu ihm und seiner Botschaft nehmen, auch deren Verhältnis zum Reich Gottes. Zugespitzter formuliert: Das Ja oder Nein zu Jesus ist gleichbedeutend mit Heil und Unheil (Lk 12,8 par).
Glaube und Erkenntnis
Doch wann und wie kommt es zu dieser Entscheidung? Sie setzt voraus, dass Jesus als der erkannt wird, der er für die Glaubenden ist. Zu dieser Erkenntnis reicht es nach dem Zeugnis der Synoptiker nicht, die Wunder zu sehen: Sie führen zum Staunen, nicht notwendig zum Glauben (Lk 4,22). Viele nehmen an Jesus Ärgernis. Nur der Glaube erkennt die Wahrheit Jesu, weiß ihn als den, der den Vater kennt und offenbart (Mt 11,27 par). Verbindet man die verschiedenen Äußerungen der synoptischen Evangelien, kommt man zu der paradox anmutenden Aussage, dass Glaube und Erkenntnis sich gegenseitig voraussetzen. Vor diesem Hintergrund gewinnt das kurze Lobgebet, das Jesus an den Vater richtet, besondere Bedeutung: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ (Mt 11,25 par). Dass Menschen die Offenbarung als solche erkennen und ihr glauben, ist nicht Frucht ihrer Klugheit, sondern zum Dank Anlass gebendes Geschenk Gottes (Hahn/ 70: 148f.).
Tod und Auferweckung
Ausführlicher als alle anderen Schriften des Neuen Testaments berichten die Evangelien vom Leben und Wirken Jesu. Alle bisher herangezogenen Aussagen sind diesen Berichten entnommen. Dabei bleibt allerdings zu berücksichtigen, dass auch sie erst nach Ostern, also im Glauben an die Auferweckung Jesu geschrieben sind. Ohne auf den Tod und die Auferweckung Jesu zu schauen, ist die Bedeutung seines Lebens nicht zu erkennen. Die Überlieferung des Leidens und Todes Jesu nimmt deshalb in den Evangelien einen breiten Raum ein. Am Tod Jesu, an dessen Unrechtmäßigkeit und Grausamkeit lassen die Evangelien keinen Zweifel zu. Doch sie berichten von ihm in der Überzeugung, dass dieser Tod Gott nicht daran hindert, seine Herrschaft aufzurichten. Dass er dazu den Willen und die Macht hat, wird für sie in der Auferweckung Jesu sichtbar.
Todesdeutungen
So eindeutig dieses Zeugnis der Evangelien für die Macht Gottes ist, so wenig erklärt es die Bedeutung des Todes Jesu. Steht dieser doch im extremen Gegensatz nicht nur zur Botschaft Jesu, sondern auch zum Herrschaftsanspruch Gottes selbst. In den synoptischen Evangelien ist das Ringen um ein Verständnis des Todes Jesu noch deutlich zu erkennen – verschiedene, kaum zu harmonisierende Deutungsansätze sind in ihnen zu finden (Friedrich/67). Fest steht für sie, dass das Entsetzliche geschehen „musste“ (Mt 16,21 par), weil es dem Willen Gottes entsprach. Durch Vergleiche mit dem Schicksal verfolgter Propheten, aber auch mit Hilfe von Vorstellungen wie der befreienden Hingabe, des „Lösegelds“, versuchen sie verständlich zu machen, dass und inwiefern dieser Tod „für die Menschen“ geschah (Schürmann/86: 294 – 299). An zentraler Stelle, im Bericht vom Abschiedsmahl Jesu mit seinen Jüngern, greifen sie auf die Überzeugung zurück, dass Gott mit den Menschen einen Bund geschlossen hat: Als Zeichen eines neuen Bundes wird das Blut Jesu gedeutet, das vergossen wird, damit die Sünden der vielen vergeben werden (Mt 26,28 par). Der enge Zusammenhang des Todes, der Sündenvergebung und des damit eröffneten Heils wird hier wie an anderen Stellen eher konstatiert als entfaltet. So drücken die Evangelisten ihre Überzeugung aus, dass Gott seine Herrschaft nicht trotz des Todes Jesu aufrichtet, sondern dass sein Tod und seine Auferweckung eine Voraussetzung und Bedingung dieser Aufrichtung sind.
Eingeschrieben wird der Blick auf Jesus Christus von ihnen schließlich in eine Zukunftsperspektive, die deutlich apokalyptische Züge trägt. Die Vollendung des Reiches Gottes, das in Jesu Leben und Geschick nahe gekommen ist, steht noch aus. Ihr wird das Gericht vorausgehen, in dem Christus als Richter erscheint, um endgültig Heil und Unheil voneinander zu trennen.