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b) Gerechtfertigt in Christus: Die Briefe des Paulus
ОглавлениеDie Briefe des Paulus an die von ihm gegründeten Gemeinden sind die ältesten Texte des Neuen Testaments. Sie gehen ihrerseits – wie auch die Evangelien – auf noch frühere mündliche und vielleicht auch schriftliche Überlieferungen zurück, die als Quellen heute nicht mehr vorliegen. Die griechischen Begriffe „apokalyptein“ und „phaneroun“, die dem deutschen Wort „offenbaren“ am nächsten stehen, werden von Paulus häufiger verwendet als in allen anderen neutestamentlichen Texten. Darin bestätigt sich erneut, dass es sich hier vorrangig um „Reflexionsbegriffe“ handelt, denn ausdrücklicher als die anderen Autoren sieht Paulus seine Aufgabe darin, nachdenkend die Bedeutung Jesu Christi zu erschließen.
Paulus selbst hat seine Berufung zum Apostel, der die christliche Botschaft über die Grenzen Israels hinaus verkündet, in einer Vision empfangen. Die Apostelgeschichte berichtet ausführlich, wie Christus in einer Himmelsvision dem Paulus erscheint (Apg 9). Dieser selbst allerdings geht auf diese Erfahrung nur kurz ein und spricht davon, dass Gott ihm „in seiner Güte seinen Sohn offenbarte“ (Gal 1,15 f.). Von Leben, Tod und Auferweckung Jesu hatte Paulus schon zuvor gehört. Nicht diese werden ihm „offenbart“, sondern ihm wird die Bedeutung dieser Ereignisse erschlossen, die dann zum zentralen Inhalt seiner Verkündigung wird. Doch die „Offenbarung“ im Sinne einer solch unerklärlichen, übersinnlichen Wahrnehmung spielen für die Theologie des Paulus, für seine Verkündigung der Offenbarung Gottes in Christus keine Rolle (Balz/64: 138). Wesentlich für das Offenbarungsverständnis des Paulus ist nicht der Weg, auf dem die Wahrheit des christlichen Bekenntnisses einem einzelnen Menschen einleuchtet, sondern ihr Inhalt.
Gerechtigkeit aus Glauben
„Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden, bezeugt vom Gesetz und von den Propheten: die Gerechtigkeit Gottes aus dem Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben. Denn es gibt keinen Unterschied: Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben. So erweist Gott seine Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen wurden; er erweist seine Gerechtigkeit in der gegenwärtigen Zeit, um zu zeigen, dass er gerecht ist und den gerecht macht, der an Jesus glaubt.“ (Röm 3,21f.)
Sühne und Befreiung
Dieser Text aus dem Römerbrief gilt zu Recht als die prägnanteste Zusammenfassung paulinischer Theologie. In ihrem Zentrum steht die Überzeugung von der Gerechtigkeit Gottes. Doch diese Gerechtigkeit entspricht nicht menschlichen Gerechtigkeitsvorstellungen, zeigt sich anders als in der potenzierten Verwirklichung der Rachephantasien, die zwischen Menschen allzu lebendig sind. Auch für Paulus gilt: Gott erweist sich als Gott, indem er rettet (Röm 4,17). In der Sprache des Paulus: Gott rechtfertigt den Menschen – setzt den Menschen in das rechte Gottesverhältnis. Aus diesem in der Schöpfung angezielten Verhältnis sind die Menschen durch ihre Sünde, durch die mutwillige Zurückweisung Gottes und seiner Weisung hinausgefallen. Sie wissen, sei es durch das Wort Gottes, das an Israel erging (Röm 2,18), sei es durch den inneren Gewissensspruch, unter dem auch die Heiden stehen (Röm 2,15), um diese Verfehlung des rechten Lebens. Wer aber gegenüber einem anderen schuldig wurde, hat weder Macht noch Recht, diese Schuld für ungeschehen zu erklären. Er bedarf der Vergebung des anderen, damit der entstandene Bruch geheilt wird. Jeder Versuch, sich durch die Erfüllung des „Gesetzes“ die Vergebung zu verdienen, ist zum Scheitern verurteilt. Sie kann nur Geschenk sein, also Gnade.
Das Geschenk der Rechtfertigung wird in Christus offenbar, für Paulus vor allem in Tod und Auferweckung Jesu. Diese Offenbarung sucht er noch genauer zu erfassen, indem er von der Sühne spricht, die Christus durch seinen Tod geleistet hat. Wird diese Deutung im Licht der für Paulus selbstverständlichen Sühnevorstellungen gelesen, verbietet es sich, sie als Blutopfer zur Besänftigung eines anders nicht zu beruhigenden Gottes zu verstehen. Sühne zu leisten heißt vielmehr, die Folgen der Sünde auf sich zu nehmen; das Leid, das jede Schuld in die Welt bringt, zu tragen, ohne durch Gegengewalt neues Leid zu verursachen (Wilckens/91: 233 – 243). Genau dies geschieht für Paulus am Kreuz Christi: In seinem Sohn Jesus Christus nimmt Gott die Folgen der Sünde auf sich. So eröffnet er jenseits der Dynamik von Sünde und Gewalt neuen Raum. Die Rechtfertigung ist das Geschehen umfassender Befreiung. Weil die Sühne geleistet und die Vergebung geschenkt ist, können Menschen in der neu gewonnen Freiheit leben und ihr gerecht werden:
„Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe. Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Gal 5,13f.)
das Ärgernis des Kreuzes
Was Paulus als Heilsereignis verkündet, liegt nicht offen vor Augen. Ganz im Gegenteil: Das Offenbarungsverständnis des Paulus versteht nur richtig, wer die paradoxe, Ärgernis erregende Gestalt der Offenbarung nicht übersieht.
„Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit die Weisheit Gottes nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (1 Kor 1,21 – 24)
Der Gekreuzigte ist nach verbreiteten Maßstäben keine Rettergestalt, sondern Symbol vollkommenen Scheiterns. Doch gerade in dieser extremen Schwachheit erweist Gott seine Kraft. Sie ist die Weise, in der er befreit und rechtfertigt. Alles in der Welt mächtig Scheinende – einschließlich der großen Gedanken über Gott – wird in der Gestalt des Gekreuzigten gerichtet. Es wird aufgedeckt als Gewalt, die in den Tod führt. Der einzige Weg aus diesem Tod führt für Paulus über das Kreuz. Diese paradoxe Gestalt wiederholt sich in denen, die für Christus eintreten: Auch sie sind in den Augen der Welt schwach und zum Scheitern verurteilt, doch in ihrer Schwachheit erweist Gott seine Kraft (2 Kor 12,9; Balz/64: 139f.). Der Gegensatz wird noch deutlicher herausgestellt, indem Paulus die Ärgernis erregende Gestalt des Gekreuzigten als Gottes „Weisheit“ bezeichnet. Was weltlichen Maßstäben als Torheit erscheint, ist für die Glaubenden die Weisheit Gottes, die ihrerseits alles menschliche Denken als töricht erweist.
Glaube
Die Rechtfertigung des Menschen, die ihn von seiner Schuld und den fesselnden Folgen der Sünde befreit, geschieht nach Paulus „im Glauben“. Schwer auszumachen bleibt, was dieser Begriff für Paulus genau bedeutet. Ist er die Antwort des Menschen auf das rechtfertigende Entgegenkommen Gottes? Oder ist der Glaube eine Wirkung der göttlichen Offenbarung im Menschen, die nicht in der Wahl und Entscheidung des Menschen liegt? Die Äußerungen des Paulus dazu bleiben in einer ähnlichen Schwebe, wie sie bereits in den synoptischen Evangelien zu beobachten war (Hahn/70: 149.461; Strecker/87: 163).
Liebe
Einig mit den Synoptikern ist sich Paulus auch in zwei anderen Hinsichten: Wie die Nähe des Reiches Gottes fordert auch die Rechtfertigung des Menschen Konsequenzen. So voraussetzungslos die Gnade Gottes ist, der unter ihr stehende, mit ihr lebende Mensch wird „Werke der Gerechtigkeit“ hervorbringen. Nicht mehr in der Sünde gefangen, ist es ihm möglich, den Zwang zur letztlich stets gewaltsamen Selbstsicherung hinter sich zu lassen und in einer Form zu leben, die dem liebevollen und gerechten Zusammenleben dient (1 Kor 12).
Hoffnung
Und auch für Paulus, nach dessen Überzeugung die Gerechtigkeit Gottes im Kreuz Jesu offenbar geworden ist, steht die endgültige Offenbarung nicht nur noch aus, sondern nah bevor. Erst im Wiederkommen Christi wird den Mächten der Welt, als letzter von ihnen dem Tod, endgültig die Kraft genommen (1 Kor 15,20 – 28). Erst dann wird es zur vollen Erkenntnis der Gerechtigkeit Gottes kommen, erst dann werden die Menschen ihn von Angesicht zu Angesicht sehen (1 Kor 13,12; Sand/97: 22).