Читать книгу Einführung in die Theologie der Offenbarung - Michael Bongardt - Страница 26
1. Gott, der rettet
ОглавлениеGottes Heilswille
„Denn ich, der Herr, bin dein Gott, ich, der Heilige Israels, bin dein Retter“ (Jes 43,3); „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lk 2,11). So unterschiedlich, ja gegensätzlich die Erfahrungen, die Menschen mit Gott machen, und die Schlussfolgerungen, die sie daraus ziehen, auch sein mögen: die biblischen Texte sind von einer bemerkenswerten Eindeutigkeit geprägt. Sie zeugen alle von dem Vertrauen, dass Gott das Heil der Menschen will (Talmon/42: 32f.). Sein Wille, Heil heraufzuführen, und seine Macht, diesen Willen durchzusetzen, unterscheiden ihn von allen Götzen und auch von den begrenzten Möglichkeiten der Menschen. Als Schöpfer hat er die Welt so weise geordnet, dass die Geschöpfe in ihr leben können; als Weisung öffnet sein Wort den Menschen Wege, in dieser Welt menschlich zu leben; als Verheißung richtet es sich an die, die unter Unrecht und Unheil zu leiden haben, und weckt in ihnen die Hoffnung auf das rettende Eingreifen Gottes. Gott, der sich an sein Volk und damit an die Welt der Menschen gebunden hat, ist uneingeschränkt vertrauenswürdig. Mehr noch: Nur in der vertrauensvollen Bindung an ihn kann nach biblischer Überzeugung menschliches Leben gelingen (Jes 7,9).
Gottes Gericht
Auf den ersten Blick mag es scheinen, als stünde die häufige Rede von Gott als Richter, der unbestechlich belohnt und bestraft, dem Bekenntnis zum Heilswillen Gottes entgegen. Doch näherem Hinsehen zeigt sich, dass sie diesem Bekenntnis notwendig zur Seite steht. Im Licht erfahrenen oder erhofften Heils wird die Dunkelheit des Unrechts und Leidens umso klarer und schmerzlicher wahrgenommen. Soll das Gute sich durchsetzen, muss das Böse als böse benannt und überwunden werden.
Wandel der Bilder
Diese Aussagen über die rettende Barmherzigkeit und die richtende Gerechtigkeit Gottes sind sehr abstrakt. Immer wieder haben Glaubende Heil und Gericht konkreter auszumalen gesucht. Dabei entstand schon in der Bibel eine Vielzahl von Bildern, die sich nicht vollständig harmonisieren lassen. Deren Veränderungen haben einen wesentlichen Grund im Wandel der Lebensumstände und in den wechselnden Kontakten zu anderen Kulturen und Religionen. Umherziehende Nomadenstämme, aus denen auch das Volk Israel hervorging, sind von anderen Fragen umgetrieben als sesshafte Stadtbewohner, zu denen es schließlich zählte. Im Leben von Händlern sind andere Orientierungen gefragt als in der unerlässlichen Ortsgebundenheit einer Ackerbaukultur. Wer von der stark auf die Ordnung der Welt und des Großreiches ausgerichteten Religion Ägyptens weiß, ist mit anderen religiösen Antworten konfrontiert als Menschen, in deren Umfeld Fruchtbarkeitsriten im Zentrum kultischer Handlungen stehen.
Die Geschichte der biblischen – und später auch der kirchlichen – Glaubensaussagen als linearen Fortschritt zu beschreiben, widerspräche einem nüchternen Blick auf die Theologie- und Kirchengeschichte, in der es auch wiederholt zu folgenreichen Verdunklungen und Verzerrungen der Gottesvorstellungen kam. Schon die Bibel weiß um die Möglichkeit solcher „Verfallsgeschichte“. Deshalb mahnen ihre Texte oft, zum Glauben der Vorzeit, zu den Einsichten der Väter und Propheten zurückzukehren (Dt 32,7; Jer 6,16 u. ö.).
Klärung der Bilder
Doch bei aller deshalb gebotenen Vorsicht wird man auch von klärenden Entwicklungen der biblischen Gottesrede sprechen können, hinter die nicht ohne Schaden zurückgegangen werden kann. Im Blick auf die hier interessierende Eindeutigkeit biblischer Gottesrede sind vor allem zwei derartige Entwicklungen zu benennen: Zum einen der bereits erwähnte Weg zu einem strengen Monotheismus. Zum anderen ein bedeutsamer Wandel der Gerichtsvorstellungen.
Dass die Aufrichtung des Guten nur unter Überwindung des Bösen gelingen kann, ist selbstverständlich. Immerhin naheliegend ist es, sich die Überwindung des Bösen als Vernichtung der Bösen, der Menschen die Böses tun, vorzustellen. Sie begegnet biblisch etwa im Bericht über den Tod der Ägypter, die den Auszug Israels aus Ägypten verhindern wollen; aber auch noch in wesentlich jüngeren, vornehmlich in apokalyptischen Texten, die das Elend der Verurteilten mitunter plastisch ausmalen. Je mehr aber der Glaube sich durchsetzt, dass der Heilswille Gottes sich auf alle Menschen richtet, desto fragwürdiger werden solche Verurteilungsbilder. Alternative Vorstellungen werden entwickelt. Sie sprechen davon, dass Gott das Böse überwindet, indem er die, die in ihrem bösen Tun gefangen sind, befreit. Deshalb können die, die um ihre Schuld wissen, Gott darum bitten, sich ihnen vergebend zuzuwenden. So sprechen nicht nur die Worte und Taten Jesu, sondern auch bereits die alttestamentlichen Propheten von der Hoffnung, dass sich die von Gott geschenkte Vergebung umfassend durchsetzt. Das Böse wird überwunden sein, wenn es niemand mehr tut, weil niemand mehr unter der Macht eigener wie fremder Bosheit steht (Jes 2,1 – 5; Offb 21,22 – 22,5). In solchen Vorstellungen gewinnt die Überzeugung Gestalt, dass Barmherzigkeit und Gerechtigkeit bei Gott einander nicht ausschließen (Ps 62,12): Er nennt in seiner Gerechtigkeit das Böse böse und rettet in seiner Barmherzigkeit die, die unter der Macht des Bösen das Böse tun.
Eine Offenbarungstheologie, die sich den biblischen Schriften verpflichtet weiß, wird den Klärungsprozess, der in die Eindeutigkeit der biblischen Gottesrede mündete, nicht nur als Vorgabe akzeptieren: Sie wird diesen Prozess selbst dem Offenbarungsgeschehen, von dem die Bibel zeugt, zurechnen.