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5. Die eine Bibel

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zwei Testamente

Als Vorgabe der offenbarungstheologischen Reflexion soll das biblische Zeugnis gelten und anerkannt werden. Diesem Anliegen folgend, wurden bisher verschiedenste Texte der Bibel vorgestellt und zu deuten gesucht. Der Reihenfolge ihres Entstehens gemäß, waren zunächst das Alte, dann das Neue Testament Gegenstand der Untersuchung. Doch die Grundentscheidung, die der gesamten Darstellung biblischer Überlieferung wie der folgenden Reflexion zu Grunde liegt, wurde noch nicht ausdrücklich benannt und begründet. Sie besteht darin, beide Teile der Bibel als gleichwertige und gleich verbindliche Vorgaben christlicher Theologie zu verstehen.

„Altes“ Testament?

Dieses Verständnis der Bibel, vor allem des Alten Testaments, steht im Gegensatz zu einer Jahrhunderte währenden Bibelauslegung und ist bis heute nicht unumstritten. Müssen Christinnen und Christen, so das Gegenargument, nicht die ganze Bibel im Licht ihres Christusglaubens lesen? Muss ihnen nicht das Neue Testament Maßstab des Alten sein? Ergibt sich daraus nicht die Notwendigkeit, Teile des alttestamentlichen Zeugnisses auszuscheiden? Kann es nicht sein, dass das Alte Testament etwas Offenbarung nennt, was aus Sicht des Neuen Testaments nicht mehr als solche gelten kann (z. B. Fries/181: 209; Hübner/72: I.164f.)?

Verheißung – Erfüllung

Eine von dieser Überzeugung geleitete Lektüre der Bibel ordnet die beiden Testamente nach dem Schema „Verheißung / Erfüllung“ einander zu. Das Alte Testament wird als Vorgeschichte des Neuen gelesen, all seine Texte weisen verhüllt auf das hin, was Gott erst in Christus enthüllen wollte. So wird erst im Neuen Testament offenbar, worin die Wahrheit des Alten bestand. Zweifellos findet sich diese Zuordnung bereits im Neuen Testament (Hahn/70: 116 – 119). Zu fatalen Folgen führt sie jedoch, wenn die für die neutestamentlichen Autoren selbstverständliche Verwurzelung in der frühjüdischen und alttestamentlichen Tradition verloren geht. Dann bildet das Alte Testament als Verheißung allenfalls noch den Hintergrund, vor dem die Erfüllung erkannt wird. Als Vorgeschichte ist es abgeschlossen, wenn das Entscheidende geschehen ist. Das Recht, als eigenständiger Text zu gelten, hat es verloren, sobald das Neue Testament ihm folgt.

Antijudaismus

Bei all diesen abwertenden Urteilen ging es niemals nur um das Verhältnis zweier alter Texte. Zwangsläufig richteten sie sich auch gegen das Judentum, dem ausschließlich der Tanach (s. S. 17) als Offenbarung gilt (Stemberger/19: 23 – 132). Der jüdischen Tradition ihr Recht zu bestreiten, so lange sie sich nicht zu Jesus als dem Christus bekennt, ist die notwendige Konsequenz einer Bibelauslegung, die dem Schema von Verheißung und Erfüllung, gar einer „Enterbung“ Israels durch die Kirche folgt. Verhängnisvoll hat sie sich in der langen Geschichte der Judenverfolgung und Judenvernichtung ausgewirkt, die glaubte, sich christlich nennen zu dürfen.

der Jude Jesus

Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts traten jüdische Gelehrte dem christlichen Antijudaismus entgegen, indem sie mit den Mitteln moderner Exegese und Geschichtsforschung an das Judesein Jesu und die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens erinnerten (Grunden/263: 5 – 87). Doch die christlichen Kirchen sahen sich zu einer Neubestimmung ihres Verhältnisses zum Judentum erst veranlasst, als sie voll Schrecken die verhängnisvolle Verbindung zwischen der christlichen Judenfeindschaft und dem nationalsozialistischen Völkermord erkannten.

Die viel zu spät begonnene Diskussion um das Verhältnis der Kirche zur jüdischen Tradition hält an. Sie kann in ihrem Verlauf und ihren bisherigen Ergebnissen hier nicht dargestellt werden. Festzuhalten aber ist das neue, aus ihr erwachsene Verständnis der Bibel.

Heilige Schrift der ersten Gemeinden

Wie Jesus waren auch seine Jünger, waren auch die Autoren des Neuen Testaments Juden. Nach dem Tod Jesu und vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen, dass der Gekreuzigte lebt, mussten die ersten Gemeinden das Geschehene deuten. Den Horizont, in dem allein ihnen dieses Verstehen möglich war, eröffnete ihnen die Heilige Schrift, die erst im 4. Jahrhundert, nach Entstehung und Festlegung des „Neuen“, „Altes“ Testament genannt werden konnte (Fohrer/48: 274 – 276). Auf das Zeugnis der Bibel greifen die Christen zurück, wenn sie Jesus von Nazareth verstehen als Propheten, als Messias, als den, in dem Gott spricht und handelt. Für sie ist es selbstverständlich, dass es der „Gott der Väter“, der „Gott Israels“ ist, der sich in und an Jesus von Nazareth erneut als Retter gezeigt hat (Blum/16, kritisch dazu Safrai/37; Klumbies/74: 243 – 247). Nur so können sie verstehen, was ihnen widerfuhr. Daraus aber folgt: Wo immer der Wahrheitsanspruch des Alten Testaments untergraben wird, verliert das Christuszeugnis des Neuen Testaments sein Fundament.

der „niemals gekündigte Bund“

Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu dem theologisch entscheidenden Argument für ein verändertes christliches Verständnis des Alten Testaments. Lange Zeit unbeachtet findet es sich bereits in dem theologischen Versuch des Paulus, das Verhältnis zwischen dem jüdischen Volk und der Kirche, zu der auch getaufte Nichtjuden zählen, zu klären (Röm 9 – 11). Wer dem jüdischen Volk und seinem Gottesglauben das bleibende Daseinsrecht abspricht, stellt die Treue Gottes in Abrede, die dieser seinem Volk zugesagt hat. Worauf aber soll christlicher Glaube, der auf den Gott Israels baut, sich gründen, wenn dieser Gott der Untreue überführt wurde? Die Kirche kann den „niemals gekündigten Bund“ (Lohfink/31) Gottes mit Israel nicht in Zweifel ziehen, ohne sich selbst und ihre Botschaft ins Unrecht zu setzen. Die Urkunde dieses Bundes aber ist die Heilige Schrift Israels, das „Alte Testament“ der Christen (Sänger/79, 295 – 297; Kampling/270: 176f.).

eine Schrift – zwei Traditionen

Es verbietet sich dem christlichen Glauben also bereits um seiner selbst willen, die Schriften des Alten Testaments geringer zu schätzen als das Christuszeugnis des Neuen. Nicht verwehrt aber ist es christlicher Theologie, das Gotteszeugnis Israels im Licht des Glaubens an die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zu lesen. Dieses Licht wird in den überlieferten Texten auch Bedeutungen erkennen lassen, die einer nicht christlichen Lesart unverständlich bleiben. Hier geht es um einen gegenseitigen Erschließungsprozess: Die Texte des Alten und Neuen Testaments interpretieren sich gegenseitig und lassen so die Bedeutung erkennen, die für Christen Jesus von Nazareth hat. Eine solche Lektüre der Bibel unterscheidet sich selbstverständlich von der bis heute andauernden jüdischen Lesart der Schrift. Doch beide können einander nochmals ergänzen, korrigieren, bereichern (Hahn/70: 136 – 142). Voraussetzung dafür aber ist, dass christliche Theologie nicht nur das bleibende Eigenrecht des Alten Testaments anerkennt (Zenger/61: 18 – 21; Dohmen/19: 173 – 213). Sie hat auch ihre eigene Interpretation dieser Texte der jüdischen Auslegung zur Seite zu stellen, statt sich über diese zu erheben. Erst in jüngster Zeit hat die katholische Kirche offiziell dieses Verständnis des Alten Testaments und der jüdischen Tradition anerkannt und die christliche Theologie darauf verpflichtet (Päpstl. Bibelkom./3: 166 f.).

Die inhaltlichen wie formalen Vorgaben, die aus dem biblischen Zeugnis für die offenbarungstheologische Reflexion erhoben wurden, beschließen den ersten Teil dieses Buches. Wie notwendig und wie schwierig es ist, über die Möglichkeit und Wirklichkeit göttlicher Offenbarung und menschlicher Gotteserfahrung nachzudenken, dürfte damit offen zutage liegen.

Einführung in die Theologie der Offenbarung

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