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Kapitel 15 Indianer? Indianer!
ОглавлениеDer Assistent betrat den Raum nahezu lautlos und legte den Ausdruck auf den Schreibtisch. Ebenso leise, verließ der junge Mann Mbuto Sangales Büro wieder.
Sangales war seinem Assistenten dankbar für diese Rücksichtnahme. Er schlief nicht, auch wenn sein Mitarbeiter dies wohl angenommen hatte. Nein, es tat einfach gut, die Augen für einen Moment schließen zu können. Ein wenig zu entspannen, auch wenn man vor den Problemen nicht einfach davonlaufen konnte. Das konnte niemand. Probleme besaßen die unangenehme Eigenschaft, einen immer wieder einzuholen.
Mbuto Sangales war müde, wie so viele Menschen in diesen Tagen. Schlaf, wirklich erholsamer und langer Schlaf, stand auf seiner persönlichen Wunschliste ganz oben. Auf seiner dienstlichen Liste, da standen ganz andere Sachen.
Er richtete sich seufzend auf. Dr. Verenkötter fehlte ihm. Er schätzte den Deutschen, mit seiner immer ruhigen und sachlichen Art. Aber Verenkötter würde erst in zehn Tagen aus der Klinik kommen. Durchbruch eines Magengeschwürs. Kein Wunder, bei dem ganzen Stress. Er rechnete ja selbst mit ähnlichen Auswirkungen. Wenigstens trank er nicht so viel Kaffee, hatte sich für Tee entschieden.
Der Generalsekretär der UNO zog den Ausdruck zu sich heran. Darin würden die üblichen Probleme auf ihn warten, von seinem Assistenten bereits nach Dringlichkeit sortiert. Ja, der junge Mann war tüchtig. Kompetent und tüchtig. Er würde wieder ein Blatt vorne aufgelegt haben, auf dem er handschriftlich Hinweise, zu bestimmten Vorgängen, gemacht hatte. Seltsam. In den letzten Tagen wurde er altmodisch. Wer nutzte heutzutage noch einen Ausdruck auf Papier, wo man doch nahezu jede beliebige Datei auf nahezu jedes beliebige Gerät transferieren konnte? Aber das bedruckte Papier in Händen zu halten, vermittelte ihm ein erfreuliches Gefühl von Ruhe.
Sangales nahm einen langen Schluck. Mal sehen.
Drei Werften auf dem Mond in Betrieb. Nun, das wusste er. Hatte ja persönlich den symbolischen Startknopf der Produktionsanlagen betätigt. Vier weitere Anlagen würden in den kommenden zwei Wochen fertig gestellt. Sehr gut.
Mbuto blätterte weiter. Eine Anmerkung Prenaulds vom Kommandostab des UNSA-Hauptquartiers. Probleme mit der Ausbildung von Besatzungen. Sein Assistent hatte ein Memo angeheftet, und der Schwarzafrikaner blätterte zur angegebenen Seite. Ah ja. Die Leute kamen mit der Schwerelosigkeit nicht gut zurecht. Es war ein Jammer, aber die berüchtigte Raumkrankheit siebte einiges vom qualifizierten Personal aus. Sein Assistent hatte mit der Hand das Wort “Indianer” auf den unteren Rand geschrieben, und es mit einem Fragezeichen versehen. Indianer? Er musste seinen Mitarbeiter unbedingt fragen, was der sich dabei gedacht hatte. Manchmal hatte der Junge unkonventionelle und sehr hilfreiche Ideen.
Weiter. Inzwischen waren 23 Shuttles in Betrieb, drei von ihnen würden allerdings die folgenden zwei Wochen ausfallen. Dringende Wartungsintervalle. Ja, in den kommenden Wochen würde noch so Einiges ausfallen. Die enorme Belastung, von Mensch und Material, musste sich ja irgendwann rächen.
Weiter. Knapp 150 modifizierte Satelliten befanden sich jetzt zur Raumverteidigung im Orbit. Gut, das mochte helfen. Sangales hoffte, der unbekannte Gegner würde die Erde gar nicht erst angreifen. Verdammt, man wusste kaum etwas über die Fremden. Nur sehr wenig über ihre Technik und nichts über ihre Absichten und ihre militärische Stärke. Was waren ihre Motive für die Angriffe? Woher kamen Sie? Der Mars war mit Sicherheit nicht ihre Heimat. Warum griffen sie dort an und nicht die Erde? Wollten sie in Ruhe die Kampfkraft der Menschheit testen? Würden sie die Erde direkt angreifen?
Fragen, auf die es im Augenblick keine Antwort gab.
Weiter. Oslo. Ja, das war eine furchtbare Katastrophe. Die ganzen Toten und Verletzten. Tragisch. Glücklicherweise gab es keine Strahlung. In Indonesien war noch ein anderes Kraftwerk ausgebrannt, aber glücklicherweise gab es keine Verluste und die Sicherheitssysteme hatten das Schlimmste verhütet. Dennoch würden diese Ereignisse die Unruhe in der Bevölkerung noch schüren.
Mbuto Sangales kniff die Augen zusammen. Sie brannten wieder einmal. Ja, seine Augen waren auch nicht mehr die Besten. Er hatte ja eine Lesebrille, aber er mied ihre Nutzung. Sangales lächelte unmerklich. Vielleicht war es ja eine gewisse Eitelkeit. Aber an die variablen Kontaktlinsen konnte er sich nicht gewöhnen.
Er legte den Ausdruck zur Seite. Indianer?
Der Generalsekretär tippte auf das Sensorfeld seines Schreibtisches. “Können Sie einmal kurz hereinkommen? Ich habe da eine Frage, wegen Ihrer Anmerkung. Ja, richtig, wegen der Indianer.”
Keine dreißig Minuten später schickte Sangales eine Dringendmeldung an den Stab der UNSA.
“Indianer?” Jean Prenauld blickte irritiert auf die entschlüsselte Nachricht auf seinem Notepad. Was sollte das denn schon wieder? Er blickte ratlos die anderen Mitglieder des Stabes an. Doch die schienen ähnlich verwirrt.
“Vielleicht eine politische Geste?” Nishimura tippte eine Anfrage in seinen Laptop, las den vorbeiscrollenden Text. “Tut mir leid, ich finde hier zwar eine Menge Daten, aber keine Erklärung. Moment, da ist ein Querverweis. Ah, hier steht, dass sehr viele Indianer im Hochbau eingesetzt werden.”
“Ja, stimmt”, bestätigte der panamerikanische General Howard. “Sind absolut Schwindelfrei, die Burschen, und kennen keine Höhenangst.”
Jean Prenauld stockte. Nachdenklich legte er seine Stirn in Falten. Verdammt, dass er daran nicht gedacht hatte. Er stellte eine Verbindung mit dem ärztlichen Dienst des UNSA-Hauptquartiers her. Der Mediziner verwies ihn an einen Kollegen. Schließlich erhielt der Franzose eine knappe und interessante Information.
Nachdenklich wandte er sich den anderen zu. “Ich hätte daran denken sollen. Wir haben einige Indianer im Raumdienst, nur drei oder vier, und keiner von ihnen hat je Symptome der Raumkrankheit oder ähnliches gezeigt. Außerdem gibt es noch eine weitere interessante Information. Nahezu alle Indianer haben die Blutgruppe Null. Diese Leute wären prädestiniert für die Raumflotte und für die Marines.”
“Dann ziehen Sie die roten Brüder doch ein”, empfahl Admiral Han.
Der Panamerikaner schüttelte sofort den Kopf. “So einfach ist das nicht. Indianer haben einen Sonderstatus. Man kann allenfalls versuchen, die Werbetrommel zu rühren und Freiwillige anzuwerben. Ich müsste... ja, ich müsste jemanden finden, der sich mit dem Ältestenrat unserer indianischen Bevölkerung in Verbindung setzt.”
Jean Prenauld machte eine Notiz. „Schön. Howard, bitte kümmern Sie sich persönlich um diese Angelegenheit.“ Dann sah er in die Gesichter der anderen. “Weiter im Text. Seit zwei Tagen werden in Star-City die ersten Schiffe gebaut. Fürs Erste haben wir nur die alten Schiffe und die neue russische Pjotr Amassov. Also, die Zerstörer Lancaster, McArthur, Tse-Tung, Makeb und Muhammad. Dazu die Kreuzer Montana und Aboukir sowie die erwähnte Pjotr Amassov. Schließlich die beiden Träger Moskva und Enterprise. Damit müssen wir vorläufig auskommen. Es wird Monate dauern, bis die ersten Neubauten vom Stapel gelaufen sind. Wobei dann noch immer die Testflüge und Endausrüstung anstehen.”
“Ich habe mir die neuen Konstruktionspläne noch einmal gründlich angesehen. Wirklich beeindruckend.” General Ibn Daud gab das fünfte Stück Zucker in seinen Tee. “Großartige Schiffe.”
Tanja Olnarewa nickte. Auch wenn die neuen Konstruktionen noch einige Verbesserungen gegenüber der Pjotr Amassov aufwiesen, so erfüllte es sie doch mit einem gewissen Stolz, dass die Neubauten auf einem russischen Entwurf basierten.
“Ja”, bestätigte Admiral Han. “Aber sie werden sich erst noch bewähren müssen. Ebenso wie die neuen Besatzungen. Derzeit ist der Bau von 12 Schiffen geplant. Drei F-Träger für Flugkörper, also Kampfjäger, ein Träger für Truppen, also T-Klasse, sechs Kreuzer und zwei Zerstörer. Die UNO-Vollversammlung wollte ursprünglich mehr Zerstörer zur Erdverteidigung, aber der Sicherheitsrat hat sie überzeugen können, dass wir unbedingt Offensivkraft benötigen, um den Mars und das Energum zurückzugewinnen. Was macht die Entwicklung der neuen Jäger?”
Howard zeigte sein übliches, schmallippiges Lächeln. “Letztlich haben wir uns für den Bau der neuen F-37A entschieden. Wir haben das Beste vom Besten aller Nationen zusammengeworfen. Die Produktion läuft bereits. In drei Wochen dürfte die erste Staffel fertig gestellt werden. Dann beginnt die Schulung der Piloten.”
“Gut.” Howard seufzte leicht. “Je mehr Zeit uns die Aliens lassen, desto mehr wird sie für uns und die Erde arbeiten.”
Tausende von Kilometern entfernt tauschte ein Mann seinen Raumjäger gerade gegen ein Pferd aus. Bill Wareagle tauschte ein Stück der Gegenwart und Zukunft, um ein Stück in die Vergangenheit einzutauchen.
Es war heiliges Land. Schon seit vielen Generationen. Schon lange bevor der legendäre Medizinmann Sitting Bull gelebt hatte. Die Paha Sapa, die heiligen Berge der Sioux-Stämme. Der weiße Mann nannte sie die Black Hills. Doch für den roten Mann verkörperten sie mehr, als Berge, Hügel, Täler, Wälder und Flüsse. Das Gebiet war seit Generationen in der Hand des roten Mannes, und Colonel Bill Wareagle war immer wieder seltsam berührt, wenn er hier, am Ufer des Big Horn River, weilte.
Der schlanke Ogalalla-Sioux, in der Uniform der Armee der Vereinigten Staaten von Panamerika, blickte hinab in das Tal. Ein Stück entfernt, hinter jener Hügelkette, lag der kleinere Little Big Horn River. Lagen jene Hügel, an denen die vereinten Stämme der Sioux und Cheyennes, vor über dreihundert Jahren, fast die Hälfte von Custers siebenter Kavallerie vernichtet hatten.
Wareagle mutete es seltsam an, dass er hier in einer Uniform mit den Insignien der 7th US-Cavalry saß, der Uniform des weißen Mannes. Auch wenn dieses Regiment schon lange von den Pferden auf gepanzerte Fahrzeuge umgestiegen war, und inzwischen sogar eine Staffel von Jägerpiloten für den Raumdienst stellte.
Bill Wareagle sah unten im Tal die Staubwolke, in der die jungen Krieger des Stammes ihre traditionelle Büffeljagd begingen. Oh ja, es gab wieder Büffel. Ein paar große Herden hatten sich erholt, und die Indianer waren die einzigen Menschen, denen eine limitierte Jagd auf sie gestattet wurde.
Es war die Zeit der Kriegerweihe, in der die jungen Männer der Stämme in den Rang von Männern erhoben wurden. Das Tal war gesäumt von Menschen. Männern, Frauen und Kindern, in der Tracht ihrer Stämme.
Ganz leise vernahm Wareagle die anfeuernden Rufe der Menge über dem Donnern der Hufe, und die Schreie der Krieger, die mit kurzem Jagdbogen und der Büffellanze auf Jagd waren.
Ein oder zwei Menschen in dieser Menge würden die Jagd mit Vid-Kameras aufzeichnen. Mehr moderne Technik war nicht gestattet.
Ein sanfter Wind strich durch das Tal. Bill Wareagle war, wie die meisten seines Stammes, ein modern lebender Mensch, der die Errungenschaften der Zivilisation nutzte. Er mochte die Zahl nicht schätzen, wie viele Rechtsanwälte, Ingenieure, Facharbeiter und dergleichen, in der Menge standen. Doch hier, in diesem heiligen Land, waren sie Indianer. Streiften alle moderne Zivilisation ab. Hier gab es kein Holo-Video, kein Internet, keine Kommunikatoren, keine Autos. Alle Technik war an den Grenzen des Nationalreservats zurückgelassen worden.
Fast alle Technik.
In der Mitte des aus Büffelhäuten errichteten Versammlungszeltes stand ein Holo-Projektor, und die Ältesten, des Stammesrates der Sioux und Cheyenne, betrachteten das Abbild eines Wesens, das nicht von der Erde stammte. Ab und zu glitt der Rauch aus der traditionellen Pfeife durch die Projektion, umgab das Alien mit einem fremdartigen Nebel.
Wareagle hörte der Debatte der Ältesten und Häuptlinge zu. Er mochte ein Adlerhäuptling unter den Weißen sein, doch hier war er Krieger. Ein einfacher Krieger, der in den Palaver der Weisen nicht ungefragt eingriff.
Der indianische Colonel hatte sein Anliegen vor mehreren Stunden vorgetragen, danach bereiten die Ältesten und Häuptlinge unter sich. Vor zwei Stunden rief man ihn wieder hinzu, doch bislang durfte er nur zuhören. Indianer genossen den Plausch, bei dem erst über große Umwege zum Kern der Dinge gekommen wurde. Wareagle hatte ihnen seine Lebensgeschichte unterbreitet, gewürzt mit Anekdoten und Scherzen, die vielleicht nur ein Indianer wirklich verstehen konnte. Nun kam es darauf an, ob er gut gesprochen hatte.
“Sie sind nicht Böse.” Der zeremonielle Kriegshäuptling der Stämme blickte ruhig auf die Projektion. “Auch sie sind Geschöpfe des Großen Geistes.”
Zustimmendes Gemurmel erhob sich ringsum.
“Sie haben Böses getan, Vater”, warf Wareagle ein und legte respektvoll die flache Hand vor die Stirn.
“Auch der weiße Mann hat Böses getan. Viel Böses. Dennoch ist er nicht von Grund auf schlecht oder würde mein Sohn dem Bösen dienen?”
Wareagle machte eine verneinende Geste. “Dennoch, Vater, haben sie angegriffen und getötet.”
Einer der anderen Ältesten nahm die Pfeife, führte die zeremoniellen Atemzüge durch, stieß den Rauch in die vier Himmelsrichtungen, nach oben und nach unten. “Der weiße Mann kam in unser Land, hat getötet, Verträge geschlossen und gebrochen. Hat wieder getötet. Aber er hat sein Unrecht erkannt. Heute sind wir Freunde und unsere Brüder tragen seine Uniform.”
“Das ist wahr.” Bill Wareagle versuchte unmerklich, sich ein wenig anders zu setzen. Er war den Indianersitz einfach nicht mehr gewohnt. “Zwei unserer Brüder sind im Kampf gegen den Spinnen-Feind gefallen.”
Eine Frau trat ein, reichte Büffelfleisch und Pemmikan. Eine andere stellte einen frischen Krug mit Wasser in das Zelt. Wareagle kannte sie. Eine erfolgreiche Managerin in der Computerbranche.
Die Ältesten schwiegen, bis die Frauen gegangen waren, hingen ihren Gedanken nach.
Bill Wareagle bat erneut um das Wort. “Meine Väter, ich stehe hier auf unserem heiligen Boden in der Uniform des weißen Mannes. Doch seit die Fremden erschienen sind, ist es nicht mehr die Uniform der Weißen. Es ist die Uniform aller Menschen. Die Uniform eines Planeten, der sich gegen einen Feind zur Wehr setzen muss. Einen Feind, der uns bedroht und der getötet hat, und von dem wir so wenig wissen. Es mag die Zeit kommen, da wir diese Spinnen-Wesen verstehen und ihnen freundschaftlich begegnen können, aber jetzt ist die Zeit, sich zu wehren. Den Kampf aufzunehmen, um Zeit zu gewinnen. Vielleicht die Zeit, die wir brauchen, um verstehen zu können. Ich bitte meine Väter, mir die Erlaubnis zu gewähren, nach Kriegern für diesen Kampf zu rufen.”
“Mein Sohn möge uns alleine lassen.” Der Älteste lächelte Wareagle freundlich zu. “Die Ältesten haben seine Stimme gehört und werden sich beraten.”
“Wojounihan”, grüßte Wareagle. Respekt. Respekt, den er für den Rat der Ältesten empfand. Sie mochten an Traditionen festhalten, aber auch Wareagle glaubte an die alten Dinge. Auch er hatte die Lanze gegen den Büffel erhoben, bevor er sie gegen einen Kampf-Jet tauschte.
Er würde abwarten, was der Ältestenrat entschied.