Читать книгу Spinnen-Feind - Michael H. Schenk - Страница 7
Kapitel 4 Erste Kampfberührung
ОглавлениеDie Schiffe fuhren in enger Formation. Bei den Verhältnissen des Raumes hieß dies, einen Mindestabstand von fünftausend Kilometern einzuhalten. Der Kreuzer Arkansas fuhr an der Spitze, gefolgt von dem Containerschiff Conestoga. Diese wurde von den Zerstörern Rapid und Lancaster flankiert. Es waren nur noch wenige Stunden bis zum Mars, und die Arkansas hatte bereits Verbindung mit der Yang-Tse aufgenommen.
“Zieh es hoch und schluck es runter”, knurrte First-Sergeant Logan und sah Janice Rhyes Schulterzuckend an. “Wir kriegen ja bald Landgang und dann kannst du dir einen wunderhübschen Baum aussuchen. Weil du es bist, werde ich dir sogar dabei helfen.”
Der weibliche Corporal dachte an die Wahrscheinlichkeit von Bäumen auf dem Mars, und verkniff sich eine weitere Bemerkung. Jack Logan konnte ja schließlich nichts dafür. Hier waren fünfzig Marines in den Container gepfercht. Fünfzig Männer und Frauen, die sich, seit vier Wochen, zwei hastig montierte Campingtoiletten teilen durften. Schon am dritten Tag hatten die Mistdinger angefangen zu stinken. Aber was machte es schon. Sie stanken ja alle.
Janice sah grinsend zu Lieutenant Dusty Rhodes hinüber, der sich verstohlen bemühte, eine, unter dem Gurtzeug des Kampfanzuges verborgene, juckende Stelle zu kratzen. War nicht einfach. Aber es war auch nicht daran gedacht worden, tagaus und tagein, über Wochen hinweg, in derselben Uniform und mit angelegtem Gurtzeug zu verbringen. Manchmal stimmte es, dass beim Militär alle gleich waren. Zumindest roch es sehr einheitlich. Die Sandflöhe auf dem Mars würden Freudensprünge machen, wenn die Truppe landete. Und vor Feinden brauchten sie sich gar nicht erst zu verstecken. Was nützte die beste Tarnung, wenn man gerochen wurde? Die Marsluft mochte dünn sein, aber nicht dünn genug, um diesen Gestank nicht doch zu übertragen.
Janice Rhyes kratzte sich ebenfalls, blickte dabei den Lieutenant an, und plötzlich mussten sie beide verstohlen grinsen. Sie sah erneut aus dem Fenster. Ja, sie hatte fast schon das große Los gezogen und sich einen Aussichtsplatz ergattert. Allerdings zufällig, und zu sehen gab es auch nicht fiel. Nicht einmal den Mars konnte sie erkennen. Vielleicht war einmal eine der anderen Einheiten der Expeditionsgruppe sichtbar, doch dann allenfalls als Lichtpunkt, und auch nur, wenn zufällig das Licht der Sterne auf dem Rumpf reflektierte oder eines der Lagetriebwerke gezündet wurde. Was selten vorkam.
Mann, das musste sie sich immer wieder vor Augen führen. Vor fünf Wochen saß das erste Batallion der 1st UN-Marines noch gemütlich in seiner Garnison in der Eifel. Dann, von einer Minute zur anderen, der Vollalarm. Kampfzeug fassen, eine flüchtige Einweisung, und dann ging es zum Dresden-Spaceport.
Dann, mit dem Shuttle, hoch zur ISS. Verdammt, das Ding war schier aus den Nähten geplatzt, von Leuten. Jede Menge Techs und Wissenschaftler, Arbeiter und, natürlich, die Truppe. Mann, erst bekam sie Plattfüße, weil ständig jemand darauf herumgelatscht war, und nun stand sie sich, wie alle anderen, seit Wochen die Füße in den Bauch. Wahrscheinlich musste sie nach dem Einsatz zum Röntgen, um sicher zu sein, dass ihre Kniescheiben nicht mit den Schulterblättern verwachsen waren. Janice übersah geflissentlich, dass die Truppe sich, mit Ausnahme der Triebwerkzündungen, unter Schwerelosigkeit befand.
Zugegeben, auf der ISS hatte man ein paar Container für die Truppe hergerichtet, so gut es in der Kürze der Zeit möglich war. Die tollen Campingtoiletten eingebaut und eine Luftversorgungsanlage, denn fünfzig Männer und Frauen, pro Container, mussten ja über ein paar Wochen auch ein paar Mal Luft holen. Dazu kamen die Wassertanks, und damit war ihr 5-Sterne-Hotel auch schon fertig. Keine Pritschen oder so ein unsinniger Luxus. Passte ja auch nichts mehr rein, außer den Leuten und ihrem Gepäck.
Gerade schob Marine Müller ihr unabsichtlich den Lauf seines M41-Karabiners unter der Nase durch. Nun, hier ging es halt beengt zu.
Auch die Tatsache, dass sie sich seit vier Wochen von Kampfrationen ernähren durfte, besserte ihre Stimmung nicht gerade. Corporal Janice Rhyes war ziemlich sauer. Auf sich, die Sergeants, die Offiziere und die Mission. Aber, wie alle UN-Marines, schluckte sie es runter. Es war ihr verdammter Job, in diesem verdammten Container zu sein und ihren verdammten Auftrag zu erledigen. Aber danach konnten alle sie einmal am verlängerten Rückgrat besuchen. Sie würde die Badewanne für ein halbes Jahr nicht mehr verlassen, und der verdammte Lieutenant konnte ihr dabei den Rücken schrubben.
Sie hörte die kurze Warndurchsage und hielt sich fest. Die Bremsmanöver des kleinen Geschwaders begannen früher, als üblich. Die Marines in den umgebauten Containern verfügten nicht über Andruckliegen. Sie mussten den Andruck der Bremsmanöver mit ihren Körpern abfangen. Die Männer und Frauen hielten sich fest, wo immer es ging. Dann war es vorbei. Corporal Rhyes sah, wie der Lieutenant eine Nachricht über seinen Helmfunk erhielt.
“Noch eine Stunde, Leute. Dann geht es los. Alle checken noch einmal ihre Ausrüstung durch. Notrationen und Feldflaschen auffüllen. Die Sergeants überprüfen die Funktion der Marsanzüge. Vollzug an mich, in 30 Minuten.”
Automatisch prüfte Rhyes ihre Ausrüstung durch. Es war ein Ritual, welches bis ins kleinste Detail erfüllt wurde. Jeder gute Marine achtete darauf, dass seine Ausrüstung stets in einem Top-Zustand war. Sein Leben und das der anderen konnte davon abhängen. In diesem speziellen Fall, zusätzlich von den Marsanzügen. Im Grunde waren es einteilige Kombinationen, in welche Heizelemente eingebaut waren. Die dazugehörigen Energumzellen befanden sich im Kampfgurt und wurden mit einem einfachen Kabel eingestöpselt. Die Anzüge waren, wegen der steinigen Marsoberfläche und des Sandes, sehr robust, auch wenn sie einem Vergleich mit den Kampfanzügen, die jedoch unterhalb der Marsausrüstung getragen werden mussten, nicht ganz standhielten. Die Kampfuniformen besaßen eine zusätzliche Beschichtung aus Spinnenfasern in Tarnmuster. Ein hochflexibles Gewebe von extremer Reißfestigkeit. Leider nicht absolut Kugelfest, wie Corporal Rhyes bei einem Einsatz festgestellt hatte. Die Narbe trug sie noch immer an ihrer linken Brust. Nun, knapp vorbei, war auch daneben, wie ihr Ausbilder immer gesagt hatte.
Rhyes prüfte ihre Helmfunktionen mit dem Lichtschutzvisier, welches sich den verschiedenen Helligkeiten anpasste, und die dazugehörigen Filtersysteme. In dem probeweise herabgelassenen Visier leuchtete das innere Display auf, und zeigte die Funktionsbereitschaft der Systeme an. Im Gefecht wurde das Radarbild des Kampfgebietes eingeblendet, und jeder Marine konnte in seinem Display die befreundeten Einheiten lokalisieren. Was nicht Blau war, das war der Feind. Oder ein Neutraler. Ein Nicht-Kombattant konnte zu einem Problem für die Kampftruppen werden. Im Gegensatz zu Spezialeinheiten oder Polizeitrupps, waren die Marines, wenigstens im Allgemeinen, nicht für “chirurgische” Eingriffe gedacht. Ihre Devise war einfach. Was sich bewegt, ist feindlich – was feindlich ist, töte. Darauf waren sie trainiert und darin waren sie gut. Verdammt gut.
Deswegen hatte der Colonel des Regiments auch jedem einen kräftigen Arschtritt versprochen, der versehentlich einen freundlichen Kolonisten erledigte. Rhyes und ihren Kameradinnen und Kameraden schmeckte das nicht besonders. Die Unterscheidung, zwischen einem Neutralen und einem Feind, konnte Zeit und Leben kosten. Aber es war ihr verdammter Job, okay?
Rhyes war mit ihrer Ausrüstung fertig. Als Corporal unterstand ihr eine Gruppe von sieben Marines, welche sie jetzt ebenfalls kontrollierte. Sie wusste, nach ihr würde einer der Sergeants noch einmal alles überprüfen. Dann der First-Sergeant. Nur der Lieutenant, der würde sich mit einer höflichen Stichprobe zufrieden geben. Sein Job war es, die geschärfte Klinge des Bataillons von seinen Sergeants in Empfang zu nehmen, und erfolgreich durch den Einsatz zu führen.
Corporal Rhyes hätte gerne ausgespuckt. Der Junge mit den Lieutenant-Balken war brandneu. Sie war froh, dass im benachbarten Container der Captain und Lieutenant Forbish auf den Einsatz warteten. Die waren okay.
Dann rumpelte irgendetwas.
Rhyes flog gegen eine andere Marine, kam taumelnd auf die Füße, um einen zweiten Stoß zu empfangen.
Ringsum torkelten Männer und Frauen, als ein dritter Schlag erfolgte. Doch außer ein paar saftigen Flüchen herrschte Ruhe. Die ersten UN-Marines waren eine disziplinierte Elitetruppe. Rhyes sah den Lieutenant in sein Helm-Com sprechen und blickte zum Fenster hinaus. Vielleicht konnte sie etwas erkennen.
Was sie sah, gefiel ihr absolut nicht.
Ein helles Licht blitzte auf und blendete sie kurz.
Das war einer der beiden Lasertürme des Zerstörers Rapid gewesen. Die Punkte mit den langen Feuerschweifen waren Raketen, welche von den Schnellstarteinrichtungen des Kriegsschiffes abgefeuert wurden.
“Scheiße, was geht da vor sich?” Niemand antwortete auf ihre gemurmelte Bemerkung. Nur undeutlich nahm sie die aufgeregte Stimme des Lieutenants wahr. Der Offizier schrie etwas Unverständliches. Rhyes spürte eine erneute Erschütterung. Doch diesmal von Sergeant Walters ausgelöst, der sich rücksichtslos durch die dicht gedrängten Marines schob, und zum anderen Ende des Containers hastete.
“Oh, verdammt”, fluchte Rhyes erneut. Das war nicht geplant. Absolut nicht geplant. Die Typen in der ISS hatten die Container mit manuellen Steuerungen versehen. Normalerweise wurden die Dinger ferngesteuert gelandet und später von den Pendlern wieder aufgenommen. Aber aufgrund des Ausfalls der Funkverbindungen zum Mars, hatte man eine provisorische Handsteuerung zusammengebastelt. Die eingewiesenen Marines, die als Aushilfs-Piloten fungierten, waren auf den zusammengeklebten Monitor mit Radar-Display, und die Hilfe ihrer Götter, angewiesen.
“Ausklinken, ausklinken”, schrie der Lieutenant immer wieder, während Walters bereits an den Schaltern tätig war und hilflos mit den Schultern zuckte. “Ausklinken!”
Rhyes knurrte unterdrückt. Kein guter Stil von dem Mann. Aber verständlich, dachte sie ironisch. Wir sitzen hier wie die Truthähne, während es draußen knallt. Lieber am Boden sein, wo man zurückknallen konnte.
Der Schlag traf sie unvorbereitet. Corporal Janice Rhyes fühlte, wie sie durch die Luft gewirbelt wurde. “Das ist der Vorteil der Schwerelosigkeit”, dachte sie erstaunlich ruhig. “Der Flug macht echt Spaß, wenn man davon absieht, gegen alle möglichen Leute und Dinge zu krachen.”
Sie schlug hart gegen eine der Wandungen des Containers, und betrachtete mit großen Augen, wie diese Wand sich verformte und nach innen wölbte. Das gefiel ihr nicht. Ganz und gar nicht. Unwillkürlich atmete sie auf, als das dünne Metall hielt. Janice hatte schon zu spüren geglaubt, wie sie ins Vakuum des Weltraums gesogen wurde. Angeblich ein rascher Tod, aber die 23-jährige hatte, verdammt noch mal, nicht die geringste Lust, das auszutesten.
Alles ruckte und schaukelte, das Licht im Container flackerte und erlosch. Jemand schaltete eine Notlampe ein. Es herrschte ein wirres Durcheinander von Mensch und Material. Noch während weitere Erschütterungen durch den Frachtcontainer gingen, schafften die Unteroffiziere langsam Ordnung, begann die Versorgung der Verletzten.
Vor Janices Augen wirbelten die Sterne durcheinander, beruhigten sich nur ganz allmählich, begleitet von ungleichmäßigem Rucken und Andruckschüben. Sie erreichte das Fenster. Der Anblick der Sterne veränderte sich. Die Conestoga änderte ihre Richtung, ihre Haupt- und Lagetriebwerke flammten. Vor ihrem Fenster sah Janice Rhyes verbogene Streben und Metall, welches sich vorher an anderer Stelle befunden hatte. Der benachbarte Container fehlte.
Für einen kurzen Moment kreiste der Mars durch ihr Sichtfenster. Seltsame Feuerblumen schienen in seiner Atmosphäre zu wachsen und wieder zu verblühen.
Dann sah der Corporal einen der Zerstörer.
Sie wusste nicht, welcher es war. Aber viel war von ihm nicht mehr übrig. Die Bugsektion fehlte vollständig und der mittlere Teil schwer beschädigt. Von der Kommandobrücke, mit dem riesigen Radardom, war nur ein Stumpf übrig. Aber das Schiff schien noch Überlebende und Energie zu haben. Aus dem einzigen, noch funktionsfähigen Laserturm, hinter der Brücke, zuckten regelmäßig die Schussblitze auf. Instinktiv zählte Rhyes die Pause zwischen den Schüssen. Das war der Zeitraum, den die Speicherzellen benötigten, bis genug Energie für den nächsten Laserimpuls angesammelt war. Drei Sekunden. Ein HE-4, klassifizierte Rhyes sachkundig. Verdammt, mit Babys mochte sie sich nicht auskennen, aber einen verdammten Hochenergie-Laser, den konnte sie jederzeit zuordnen.
Dann verschwand der Zerstörer aus ihrem Blickfeld, als das Containerschiff weiter in die neue Richtung eindrehte. Wieder warf sie eine Erschütterung vom Fenster zurück. Die Haupttriebwerke der Conestoga zündeten erneut, beschleunigten das Schiff. Der Andruck hielt an, wuchs auf über 5-fache Erdschwere an. Fünf G, stärker konnte das Schiff nicht beschleunigen. Corporal Rhyes und die anderen Marines wussten, dass sie auf der Flucht waren.
Es gab den letzten Schlag. Das war der stärkste von allen, und Rhyes wurde bewusstlos. Als sie aufwachte, stand Sergeant Walters an ihrem Fenster, und blickte fasziniert hinaus.
“Tolle Aussicht, was Sergeant?” Rhyes grinste schon wieder. “Jede Menge Sterne bis nach Hause.”
Walters sah sie von der Seite an. “Yeah”, dehnte er mit seinem breiten, texanischen Akzent. “Jede Menge.”
Der Unteroffizier, mit den drei Winkeln am Ärmel, wies nach Draußen und als Janice hinaus sah, erkannte sie auf etwas Neues, Unerwartetes. Zwischen den verbogenen Streben des Mittelteils der Conestoga, steckten die Überreste eines fremdartigen Objektes. Es war deformiert, schien zu brennen, aber Janice erkannte einen fünfzackigen Umriss.
“Wow, ein Souvenir”, flüsterte sie leise. “Noch ein Stern.”
Walters nickte. “Yeah, ein Todesstern.”
Captain Jeremiah Hartford stand zur gleichen Zeit, kaum dreißig Meter von Janice entfernt, im Bugmodul der Conestoga und schüttelte immer wieder den Kopf. “Unglaublich. Ein Desaster. Ein echtes Desaster. Unglaublich.”
Sein Erster Offizier stimmte ihm unumwunden zu, aber er war sich nicht sicher, ob der Captain sich auf die Ereignisse bezog oder auf dieses fremde Objekt, dessen Einschlag ihr Schiff fast ruiniert und zweigeteilt hätte. Im Grunde schien die Conestoga allenfalls noch von Spucke zusammengehalten zu werden. Die meisten Hauptstreben waren zerstört und verbogen. Ein Wunder, dass dieses alte Frachtschiff nicht auseinanderfiel und die Leitungen zum Maschinenraum noch standen.
“Die Marines sind gerade auf EVA gegangen und beheben in Raumanzügen die schwersten Schäden, so gut es geht. Wobei sie bei den Hauptstreben natürlich machtlos sind. Das lässt sich mit Bordmitteln nicht beheben. Die Brände in dem fremden... Ding... sind durch das Vakuum erloschen. Einer der Offiziere der Marines hat sich das Objekt kurz angesehen, aber er will nichts daran unternehmen. Kann passieren, dass uns dieses Sternförmige Objekt doch noch um die Ohren fliegt.”
“Um Gottes Willen, bloß nicht.” Der Captain wandte sich von der Beobachtungsluke ab. “Nun, wir werden nicht verfolgt, wie es scheint. Die Energieversorgung zu den Containern steht wieder, und wir haben nur leichter Verwundete an Bord. Wenn unser altes Mädchen hält, dann werden wir in drei Wochen an der ISS docken können.”
“Wohl für längere Zeit”, knurrte der Erste Offizier. “Wir haben unverschämtes Glück gehabt. Im Gegensatz zu anderen.”
“Ja”, erwiderte Hartford leise. “Im Gegensatz zu vielen anderen.”