Читать книгу Am Anfang war Ägypten - Michael Höveler-Müller - Страница 18
ОглавлениеAM ANFANG …
… herrschte das Chaos auf der Erde, sein Name war Isfet – ein ungeordneter Urzustand weit vor jeder Schöpfung. Wasser bedeckte die Oberfläche der Welt, ein Urmeer, das Nun genannt wurde und in dem bereits alles Leben unerschaffen enthalten war.
Aus diesem Meer brachte sich der Gott Atum aus eigener Kraft und eigenem Willen hervor, indem er seinen Namen aussprach. Er schwamm an die Wasseroberfläche und an der Stelle, an der er auftauchte, entstand das erste Stück Land, der mythische Urhügel.
Atum erschuf seinen Sohn, den Luftgott Schu, indem er ausspuckte und seine Tochter, die Göttin der Feuchtigkeit Tefnut, indem er sich übergab. Eines Tages verschwanden Schu und Tefnut und Atum weinte aus Sorge um sie. Aus seinen Tränen entstanden die Menschen. Er sandte eines seiner Augen aus, um die beiden zu suchen. Während das Auge den Aufenthaltsort der Götterkinder ausfindig machte, formte Atum ein neues Auge für sich, das er an die Stelle des alten setzte. Als das ausgeschickte Sinnesorgan mit den vermissten Kindern zurückkehrte und merkte, dass sein Platz neu vergeben worden war, wurde es sehr zornig, sodass Atum es sich an seine Stirn setzte, von wo aus es die ganze Welt überblicken konnte, die Atum nun gestalten wollte: Das Urgewässer zog sich in die Erde zurück und hinterließ als Erinnerung an seine Gegenwart den Nil.
Schu und Tefnut zeugten den Erdgott Geb und die Himmelsgöttin Nut. Aber Schu, der Gott der Luft, war ein eifersüchtiger Vater, der nicht zulassen wollte, dass sich Himmel (Nut) und Erde (Geb) vereinigten und stellte sich deshalb zwischen sie. Doch trotzdem schafften es Nut und Geb, vier Kinder zu zeugen: Osiris und seine Schwestergemahlin Isis, die schon eine große Liebe im Mutterleib verbunden hatte, und Seth und dessen Frau Nephthys. Nephthys begehrte ihren Bruder Osiris, der jedoch nur Augen für Isis hatte. So nahm sie die Gestalt der Isis an, und zeugte mit dem nichtsahnenden Osiris ein Kind – den schakalköpfigen Anubis.
Isis jedoch blieb kinderlos und als Osiris König über Ägypten wurde, war dieser ohne Nachfolger. Zudem neidete ihm sein jüngerer Bruder Seth die Königswürde und trachtete ihm nach dem Leben. Heimlich nahm er die Körpermaße von Osiris und ließ einen kostbaren Sarg anfertigen. Diesen präsentierte er während einer Feier seines Bruders und wollte ihn demjenigen schenken, der genau hineinpasste. Enttäuscht verließ jeder der Gäste den Sarg, bis sich zuletzt Osiris hineinlegte. Schnell schlossen Seth und seine Helfer den Deckel, warfen den Sarg mit Osiris in den Nil und ließen ihn treiben. Als Osiris an Land gespült wurde, hatte ein Nilhecht sein Glied abgebissen und aufgefressen. Weil der Fisch ein Körperteil des Gottes in sich aufgenommen hatte, wurde er ebenfalls göttlich.
Isis und die reumütige Nephthys machten sich auf die Suche – aber Seth war schneller, fand seinen verletzten Bruder, zerschnitt ihn in 42 Teile und begrub diese in den 42 Gauen Ägyptens, um eine Wiederauffindung unmöglich zu machen.
Aber Isis und Nephthys gaben nicht auf und suchten, bis sie alle Stücke des Gottes gefunden hatten. Sie nähten den Leichnam zusammen und Isis formte das fehlende Stück aus Ton. Dann verwandelten sich die Schwestern in Falkenweibchen, die mit herzzerreißenden Klagerufen um Osiris trauerten. Durch die Zauberkraft der Isis gelang es ihr, den Verstorbenen noch einmal für kurze Zeit ins Leben zurückzuholen. Ein letztes Mal vereinigten sich Isis und Osiris und zeugten einen Sohn und Nachfolger, bevor Osiris endgültig in die Unterwelt hinabstieg und der Herrscher des Totenreiches wurde. Im Schutz des Papyrusdickichts im Delta gebar Isis den Horus und zog ihn im Verborgenen auf, denn Seth hatte von der Existenz des rechtmäßigen Thronerben erfahren und war auf der Suche nach ihm.
Horus wurde erwachsen, hatte zu kämpfen gelernt und forderte seinen Onkel Seth, den Mörder seines Vaters, heraus. In einem erbitterten, jedoch unentschieden endenden Kampf verlor Horus sein Auge und Seth seine Hoden. Die Göttergemeinschaft trat auf das Schlachtfeld, nahm sich des Auges an und heilte es. Danach gab sie Horus das Geheilte (udjat) zurück. In einem Beschluss der Götter wurde Horus die Herrschaft über das fruchtbare Land übertragen, während Seth in die unfruchtbare Wüste verbannt wurde, über die er gebieten konnte. So trat Horus schließlich das Erbe seines Vaters an.
Hier beginnt die Geschichte, denn der falkenköpfig oder ganz als Falke erscheinende Gott Horus nahm seit Anbeginn der Zeit in jedem Herrscher Ägyptens Gestalt an und das Land, über das er herrschte,
… WAR ÄGYPTEN.∗
∗ Diese Zusammenfassung folgt im Wesentlichen den Darstellungen des Plutarch (etwa bei Chr. Froidefond [Hrsg.] Plutarque – Œuvres morales V/2, Paris 1988). Sie soll dazu dienen, sich in die Vorstellungswelt der alten Ägypter einzufühlen und beschränkt sich darauf, einen Überblick zu geben ohne in theologische Spitzfindigkeiten abzugleiten; dies nur als Hinweis auf die Anmerkung von J. F. Quack, in: JAOS 126/2, 2006, 262f.