Читать книгу Asta - Michael Reh - Страница 10
Оглавление4 Erster April
Der Hund wedelte nicht mit dem Schwanz oder mit dem, was von ihm übrig geblieben war. Tat er selten. Besonders nicht am Morgen. Als ob es ihm peinlich wäre. Er schaute auf, schien Tom kurz zuzunicken, drehte sich einmal auf dem alten Sessel im Kreis und rollte sich wieder zusammen. Schoko.
Vor drei Wochen hatte Tom den Labrador-Vizsla-Mischling aus dem Tierheim und in die alte Bauernkate am Ende des Deichs geholt. Es schien dem Hund völlig selbstverständlich, mit stolzen sechs Jahren noch adoptiert zu werden und nun ein Landleben zu führen. Er ließ sich zwar streicheln, war aber unabhängig, nicht dauernd nach Liebe und Aufmerksamkeit hechelnd wie so manche anderen gebrannten Hunde, die aus Heimen kamen. Er schaute gerne Fernsehen und verfolgte aufmerksam die ersten Schafe auf dem Deich, ohne zu bellen. Er beobachtete alles mit intensivem Interesse: nicht nur die Schafe, die Fasane, die Möwen auf dem Deich. Auch die Serien auf Netflix, die Tom abends schaute. Am liebsten beobachtete er Tom. Anfangs hatte es ihn gestört, inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, dass ihm zwei dunkelbraune Augen folgten. Es gab ihm irgendwie ein Gefühl von Sicherheit hier in der Einöde der norddeutschen Tiefebene. Das war auch Voraussetzung für sein neues Leben in einem Haus, zu dem ein Feldweg führte und wo das Internet nicht immer reibungslos funktionierte.
Seit sechs Wochen lebte Tom dieses Leben fern von Berlin. Jeden Morgen prasselte der Regen auf das reetgedeckte Dach des ehemaligen Gesindehauses. Er machte den beiden nichts aus. Das kleine Haus hatte vor vielen Jahren zu dem Gutshof gehört, der in der alten Apfelplantage im Ostebogen lag. Der Vormieter war ein besessener Hobbyrestaurator und hatte im Einverständnis mit dem Eigentümer große Glastüren einbauen lassen, wohl wissend, wie dunkel die Winter im Norden waren und wie lange sie dauern konnten. Tom hatte das Häuschen per Zufall im Internet gefunden, seine Vorfahren kamen aus dieser Gegend und sein Ururgroßvater Wilhelm Morten, durch dessen Firma in Illinois die Familie Morton zu Reichtum gekommen war, hatte hier für kurze Zeit auch mit einer norddeutschen Zementfabrik aus der Nähe zusammengearbeitet. Toms Vater war schon lange tot, wie so viele Männer in seiner Familie war er nicht alt geworden. Stockard, Toms versteinerte Mutter, hatte den Niedergang der Firma in den späten Neunzigerjahren dann nur noch aus ihrem Alkoholnebel verfolgt und war vor zehn Jahren mit einer kaputten Leber an Krebs gestorben. Tom weinte ihr und dem Rest seiner seltsamen Familie nicht unbedingt eine Träne nach. Geerbt hatte er genug, eine vermögende Schwester seines Vaters hatte sich großzügig gezeigt und zusammen mit einem bei seiner Geburt angelegten Trust Fond hatte er sich erst sein Atelier in New York und dann später in Berlin einrichten können.
Seitdem er sich an jenem nassen Novembertag im Kleistpark entschlossen hatte, Berlin zu verlassen, erfasste ihn immer wieder eine seltsame Lethargie, die er interessiert beobachtete. Er wusste, dass sich sein Leben geändert hatte. Er hatte nicht mehr vor, sich selbst zu belügen. Seine Kreativität war geblockt, er konnte nichts mehr erschaffen aus den Materialien, die ihn umgaben. Seine fünfzehn Minuten in der Berliner Kunstszene waren vorbei. Wohin die Reise gehen sollte? Die Frage konnte er sich nicht beantworten. Noch nicht! Kreativität und Druck war keine passende Kombination. Eine Auszeit würde ihm guttun. Er spürte es jeden Tag trotz Kälte, Matsch, Regen und Schokos Blick.
Tom fiel das Franzbrötchen im Brotkorb ein und stand auf, ging die alte Stiege hinunter und setzte Wasser auf. Landleben pur, dachte er. Keine Jura-Kaffeemaschine, sondern ein alter Porzellanfilter von Melitta. Er hatte das Haus voll eingerichtet vom detailbesessenen Besitzer angemietet, hatte nichts mitnehmen wollen aus Berlin, aus seinem alten Leben. Kaffee schmeckte auch, ohne durch eine tausend Euro teure Maschine auf Knopfdruck zu fließen!
Nach zwanzig Jahren Hetze durch die Welt, die ihn von New York über einige Zwischenstationen nach Berlin und schließlich hierhergebracht hatte, genoss es Tom, als er auf den nassen Deich schaute, während sein Franzbrötchen im Ofen warm wurde und einen Zimtgeruch im Haus verströmte, dass er nichts weiter hörte als das Tropfen des Kaffees, der durch den Filter drang, und das leise Schnarchen seines vierbeinigen Freundes über ihm.
Es war genug in diesem Moment.