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8 In der Borke

Babette starrte vor sich hin, ihr Handy seit Minuten verkrampft in der linken Hand haltend. Sie wippte ungeduldig mit dem rechten Fuß. Heiko kannte sie nur zu gut, seit sechs Jahren arbeiteten sie zusammen. Jetzt bloß nichts Falsches sagen, dachte er, sonst musste er ihre miese Laune noch tagelang ertragen und darauf hatte er überhaupt keine Lust.

Babette war nicht schlecht in ihrem Job, hatte einige Erfolge vorzuweisen, aber eine Kommissarin mit Spürsinn war sie nicht. Sie hatte den Job durch die Beziehungen ihres Vaters bekommen, des ehemaligen Leiters der Polizeiinspektion Stade. Kaschmirmantel und Pumps bei einem Einsatz? In dieser Gegend? Bei diesem Wetter? Heiko zog beide Augenbrauen nach oben. Zugegeben, wer hätte heute Morgen bei der Dienstbesprechung mit dem Fund von zwei Leichen gerechnet? Heiko bestimmt nicht und Babette wohl am allerwenigsten. Sie hatte am Nachmittag einen Termin mit dem Staatsanwalt wegen eines ungeklärten Mordfalls, der lange zurücklag, und hatte sich deswegen besonders sorgfältig herausgeputzt. Aber nicht, dass sie jemals in Jeans und Boots zum Dienst erschienen wäre.

Nach dem Anruf von der Baustelle im Wilden Moor heute Vormittag waren die beiden in Babettes altem Mercedes zum Fundort gefahren, um dort nicht nur eine halb verweste Leiche in einem Müllsack zu finden, sondern auch noch Babettes alte Schulfreundin Frauke Schlichting ohnmächtig aus dem Schlamm zu ziehen. Besser gesagt, Heiko hatte das getan, Babette machte sich selten die ­manikürten Hände schmutzig. Die Drecksarbeit überließ sie ihm. Assistent, Lakai, zweite Riege. Er wusste, was sie von ihm hielt.

Dann kam der nächste unerwartete Anruf an diesem verregneten ersten April. Die Zentrale meldete, dass jemand die Leiche einer Frau in einem Nachbarort gefunden hatte. In einem Baumstumpf. Wie um alles in der Welt sollte das gehen, wer hatte sie dort hineingestopft und wie fand man eine Leiche an einem solchen Ort?, fragte sich Heiko.

Er strich sich durch seine blonden Locken und klemmte eine lange Strähne hinter sein linkes Ohr, eine nervöse Angewohnheit seit seiner Kindheit, wenn es spannend wurde. Er war 38 Jahre alt, kam selbst aus Agathenburg, einem Vorort von Stade, wo seine Eltern bis heute einen alten Apfelhof bewirtschafteten.

Sein Vater war nicht erfreut gewesen, als Heiko ihm mitgeteilt hatte, den Hof nicht übernehmen zu wollen. Er wollte zur Polizei, er wollte zur Kripo. Das faszinierte ihn damals und tat es immer noch. Er liebte seinen Job, und Gott sei Dank liebte sein Vater ihn, denn es hatte keine ernsthaften Auseinandersetzungen gegeben. Auch nicht, als er seinen Eltern gesagt hatte, dass er schwul sei. Sein Vater hatte mit den Achseln gezuckt, seine Mutter hatte ihn besorgt angeschaut und damit war das Thema gegessen. Die Menschen hier in der Gegend machten nicht viele Worte und seine Eltern erst recht nicht. Sie liebten ihn, sagen mussten sie es nicht.

Heiko und Babette fuhren jetzt durch die Ortschaft Neuland. Bei zwei Leichen an einem Tag konnte Babette sich nicht herausreden, da musste sie mit! Der Fundort der Leiche lag abgelegen von der Hauptstraße in einer Apfelplantage. Schweigend fuhren sie durch das kleine Dorf. Es hatte eine Tankstelle, eine Kirche und einen ­Gasthof, der seit Jahren geschlossen war. Das wars. Mittagsstunde. Auf der Straße war kein Mensch zu sehen.

Am Ortsausgang führte die Straße in einem scharfen Rechtsbogen zur B 495. Heiko fuhr weiter geradeaus. Vor ihnen lag eine alte Allee, links und rechts Gräben, Wiesen, Bäume. Im Sommer bestimmt wunderschön!

Idyllische Szenerie für eine Leiche, dachte Heiko, während er in die Allee einbog. Nach fünfhundert Metern sahen sie ein altes Holzschild: ÄPFEL. Daneben ein neues Schild mit der Aufschrift Demeter und etwas kleiner darunter, in altdeutscher Schrift, Äpfel und Säfte. Er fuhr links in den alten, ungeteerten Feldweg rein, das Auto schaukelte bei jedem Schlagloch.

Himmel, also asphaltieren hätten sie den langen Weg wirklich können, typisch Ökobauer, dachte Babette, die auf der ganzen Fahrt keinen Ton von sich gegeben hatte. Nach einer endlos langen Schaukelei machte der Feldweg eine Kurve und sie standen vor einem verschlossenen Gatter. Heiko stieg aus dem Auto und versuchte, einiger­maßen trockene Schuhe zu behalten. Seine Gummi­stiefel hatte er im Kofferraum seines Wagens vergessen, das noch an der ersten Fundstelle im Wilden Moor stand. Definitiv ein Fehler! Er öffnete das quietschende Gatter, stieg wieder ins Auto und zuckte mit den Schultern, als er Babettes vorwurfsvollen Blick sah.

»Was soll ich machen? Ich kann nicht übers Wasser laufen, wie du weißt. Keine Angst, der Fußboden trocknet schon wieder.«

Ihr Handy klingelte. Sie verdrehte die Augen, als sie sich meldete: »Petersen!« Sie zog die Vokale in ihrem quengeligen Tonfall in die Länge. Genervt hörte sie der Stimme am anderen Ende zu. »Ja, natürlich brauchen wir Verstärkung. Ich habe bereits vier Beamte an der Fundstelle im Wilden Moor, und einen Notarzt, da eine Zivilistin in Ohnmacht gefallen ist. Also schicken Sie gefälligst einen Streifenwagen und einen Leichentransport zur neuen Fundstelle. Heiko, wie heißt die Straße noch mal? Was sag ich da, Straße!« Sie rümpfte die Nase. »Es ist nur ein Feldweg. In der Borke heißt er. Und wenn Sie Frau Römer erreichen sollten, sie soll mitkommen. Es wird sich ja wohl keiner freiwillig zum Sterben in einen Baumstumpf legen. Eine Rechtsmedizinerin am Fundort scheint mir also sinnvoll. Wir sind gleich da.«

Ungeduldig hörte sie auf die Fragen am anderen Ende der Leitung. »Nein, Frau Sievers, ich denke, ein Streifenwagen genügt. Der Mörder wird wohl nicht am helllichten Tag auf dem Grundstück rumlaufen oder neben der Leiche im Baumstumpf hocken.«

Gisela Sievers war die gute Seele der ­Polizeiinspektion Stade und arbeitete dort als Sekretärin beim FK 1. Sie war schon über sechzig, eine Quasselstrippe, und hatte immer ein offenes Ohr für jeden. Ihre Vorliebe für selbst ­gestrickte Handschuhe und Mützen war bekannt. Babette mochte sie nicht, aber Frau Sievers gehörte zum Inventar und hatte bereits für Babettes Vater gearbeitet.

Heiko fuhr weiter und sie konnten jetzt den Hof und das alte Gebäude links daneben sehen.

»Ich stelle mal auf Lautsprecher. Heiko wird mithören. Erzählen Sie bitte kurz, was uns erwartet und wem das Grundstück gehört.«

Gisela Sievers räusperte sich und sprach wie immer mit ruhiger und freundlicher Stimme: »Hallo, Heiko, also, der Anruf kam vor dreißig Minuten von einem gewissen Thomas Morten. Er hat die Leiche gefunden, als er mit seinem Hund spazieren war. Er wohnt ebenfalls in der Borke am Ende des Deiches in einem alten Gesindehaus, der Besitzer ist ein Hamburger Anwalt. Herr Morten hat es vor einigen Wochen gemietet. Die ­Apfelplantage ­gehört Malte Jensen, aber die Leiche wurde in einem Baumstumpf gefunden, der zu einem Einlieger­grundstück auf der Plantage gehört. Es ist das alte Fachwerkhaus, die Besitzerin ist eine gewisse Clara Jolcke, soviel ich in Erfahrung bringen konnte. Sie hat einen alten R4, der auf ihren Namen zugelassen ist. Frau Jolcke ist Jahrgang 1950 und lebt seit Ende des Jahres 1995 in dem Altbau.« Sie stockte. »Oh Mann, das gibt’s doch nicht!«

Heiko fuhr jetzt nach links und sah den großen Baumstumpf. Daneben einen Mann in Regenmantel und Mütze und einen durchnässten Hund. Das musste Thomas Morten sein.

Babette ballte die linke Faust. »Und? Was gibt es sonst noch Wichtiges? Um Himmels willen, was hat Ihnen denn jetzt die Sprache verschlagen?«, schnauzte sie Gisela an.

»Ich glaube, Sie sollten doch mehr Verstärkung anfordern. Clara Jolcke hat zehn Jahre in Haft gesessen, wegen eines Doppelmordes.«

Asta

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