Читать книгу Die Pferdelords 12 - Der Ritt zu den goldenen Wolken - Michael Schenk - Страница 11

Kapitel 9

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Nedeam klopfte seinem Hengst Duramont aufmunternd gegen den Hals. „Ruhig, mein Freund, ruhig. Ich weiß, dieser Anblick behagt dir nicht.“

Rechts und links von ihm waren vier Schwertmänner der Westmark ausgeschwärmt und hielten ihre Bogen bereit, während sie aufmerksam umherspähten. Der Beritt fächerte gerade zur Kampflinie aus. Der kommandierende Scharführer war erfahren und achtete darauf, dass seine Männer hinter der Sanddüne verborgen blieben. Nun kam er langsam zu Nedeam getrabt, stets darauf bedacht, dass auch er von der anderen Seite nicht zu erspähen war.

„Sie wissen, dass wir hier sind, Hoher Lord.“ Der Scharführer nahm den Helm mit dem gelben Rosshaarschweif der Westmark ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Dazu brauchen sie uns nicht einmal zu sehen. Sie spüren es an den Schwingungen des Bodens.“

Nedeam nickte. „Deshalb bat ich um Euer Geleit, guter Herr. Die Turiks der Sandclans sollen rasch auf mich aufmerksam werden. Mir fehlt die Zeit, lange nach ihrem Lager zu suchen.“

„Es missfällt mir und meinen Männern, Euch alleine weiterreiten zu lassen. Die verdammten Barbaren werden darauf aus sein, Euch den Schädel zu nehmen.“ Der Scharführer beugte sich im Sattel zur Seite und spuckte aus. „Wir treiben etwas Handel mit ihnen, aber ich will nicht behaupten, dass wir uns gegenseitig über den Weg trauen. Es ist eher eine Waffenruhe, Herr, und wenn Ihr alleine zu ihnen reitet, könnten sie in Versuchung geraten, ihr Schädelhaus um ein berühmtes Exemplar zu erweitern.“

„Habt Dank für Eure Sorge, doch der Turiko des Nagerclans steht in meiner Schuld.“ Der Pferdefürst lächelte schwach. „Ich hoffe nur, die anderen Clans werden das respektieren.“

„Herr, lasst uns Euch begleiten. Das Risiko ist zu groß. Lasst meinen Signalbläser ins Horn stoßen und in einem Zehnteltag sind mehr Beritte hier und Ihr könnt mit Macht auftreten.“

„Ich will Leben retten und keine Leben nehmen“, lehnte Nedeam das Angebot ab. „Das Sandvolk hat seinen Stolz und würde zu den Waffen greifen, wenn wir den Vertrag verletzen. Kein Pferdelord darf weiter als bis zu dieser Stelle in die Wüste vorrücken. Hier, auf dieser Düne, in Sichtweite der toten Wache beginnt das Gebiet der Sandkrieger.“

„Die tote Wache.“ Der Scharführer setzte seinen Helm wieder auf und starrte auf den Anblick, der sich ihnen unterhalb der Düne bot. „Wahrhaftig, sie erfüllt mich mit Grauen. So sollten tapfere Pferdelords nicht enden. Es hat keine Ehre, Hoher Lord.“

„Im Gegenteil, Scharführer. Es ist die Art des Sandvolkes, unsere toten Krieger auf besondere Weise zu achten. Es ist ihre Weise, zu zeigen, dass unsere Toten in Ehren zu den Goldenen Wolken gelangten.“

Jenseits der Düne saß die tote Wache auf ihren Pferden.

Der Wind bewegte die langen Umhänge, welche immer mehr zerfielen und die Schultern der Reiter kaum noch bedeckten. Umhänge, deren grüne Farbe schon lange verblichen war. Die Reiter standen in langen Reihen und es waren viele Reihen, hintereinander gestaffelt, als seien sie zur Schlacht geordnet. Jeder der Reiter sah in Nedeams Richtung. Dorthin, wo die neue Heimat des Pferdevolkes lag. Zweitausend Reiter sahen der neuen Heimat entgegen und ihr Tod hatte das Überleben des Pferdevolkes gesichert.

Die ausgeblichenen Umhänge waren verschlissen und verfallen, so, wie das Fleisch der Reiter und ihrer Pferde längst verfallen war. Hölzerne Stützen hielten Mann und Ross aufrecht, vermittelten den Eindruck von Leben, wo schon so viele Jahre kein Leben mehr war. Der Wind ließ Rüstungsteile und Knochen aneinanderschlagen, rief ein leises Klappern hervor, als pochten die Hufe der Pferde noch über den Sand, als schlügen die Reiter kampfeswillig die Waffen gegen ihre Schilde. Die Toten trugen ihre Helme, an denen die Reste stolzer Rosshaarschweife zu erkennen waren. Aber die Helme bedeckten keine Köpfe. Sie steckten auf kurzen Stangen, denn jene, die das Leben der Reiter einst nahmen, hatten den Toten auch die Schädel genommen. Als Zeichen des Triumphes über die Männer mit den grünen Umhängen. Die Toten waren Pferdelords und sie waren einst die Wache des Ersten Königs gewesen. Sie hatten die Grenzen des Pferdevolkes bewacht und das Volk beschützt. Nun hatte ihr Volk eine andere Heimat gefunden, aber die tote Wache des Königs hielt noch immer die alte Grenze.

„Ich kann keine Ehre darin erkennen, die Knochen unserer toten Kämpfer auf Stöcken zu sehen“, erwiderte der Scharführer grimmig.

Nedeam erwiderte den wütenden Blick des Mannes und lächelte versöhnlich. „Weil Ihr das Sandvolk nicht kennt, guter Herr.“ Der Pferdefürst hatte Verständnis für die Männer der Westmark, die bei diesem Anblick Zorn und Trauer empfanden, doch zugleich war er enttäuscht darüber. Er hatte darauf gehofft, dass der Waffenstillstand mit den Sandclans und der begrenzte Handel zu gemeinsamen Gesprächen führen würden. Gespräche, durch die man gegenseitiges Verstehen erlangte. Es war bedauerlich, dass man diese Gelegenheit nicht ergriffen hatte, und es war zwecklos, jemandem die Schuld dafür zuzuweisen. Wenigstens gab es keine Überfälle der Jungkrieger, der Turs, mehr auf die Westmark, die ihre Kriegerschaft als Turik erlangen wollten, indem sie einen Schädel nahmen.

Nedeam fühlte sich bemüßigt, dem Scharführer ein paar erklärende Worte zu geben. Es mochte sein, dass dies die Sorge des braven Mannes minderte, man werde Nedeam jenseits der nächsten Sanddüne den Kopf von den Schultern trennen.

„Das Pferdevolk hatte einst gut und tapfer gegen die Sandclans gekämpft und die letzte Schlacht hat an dieser Stelle stattgefunden. Ein Rückzugsgefecht, welches den anderen die Zeit verschaffte, sich in Sicherheit zu bringen. Jene tapferen Männer müssen einen verdammt guten Kampf geliefert haben, denn das Sandvolk ehrt sie. Ihre Lieder besingen die Kraft der Pferdemenschen, die hier einst bezwungen wurden, und die Kraft der Krieger, welche dies erreichten. Und nicht nur das, guter Herr Scharführer.“ Der Pferdefürst deutete zu der toten Wache hinüber. „Um unsere Toten zu ehren, erinnert man sich ihrer auf diese besondere Weise. Die Turiks haben die Erschlagenen nicht einfach liegen lassen, sondern sie in mühevoller Arbeit aufgerichtet. Damit unsere Männer nach Osten blicken, dorthin, wo unsere neue Heimat liegt. Damit sie sehen können, dass ihr Opfer nicht umsonst war.“

Der Blick des Scharführers wurde nachdenklich. „Das habe ich nicht gewusst, Hoher Lord. Sagt, woher wisst Ihr all diese Dinge?“

„Das ist eine lange Geschichte, guter Herr. Jedenfalls kostet es das Sandvolk auch eigene Opfer, unsere Toten zu ehren. Sie bewachen diese Stätte und jeder Tur, der zu einem Turik werden will, muss viele Tageswenden damit verbringen, hier die Ehrenwache zu halten.“

„Ich verstehe, Hoher Lord. Deshalb sind wir hier, nicht wahr?“

Nedeam lächelte. „Auch jetzt hütet man die tote Wache und wir werden beobachtet. Für mich ist das der schnellste Weg, mit einem der Sandclans in Verbindung zu treten. Wartet mit Eurem Beritt an dieser Stelle. In vier oder fünf Tageswenden sollte ich zurück sein.“

„Und wenn nicht, Hoher Lord?“

„Seid unbesorgt. Die Turiks mögen ihre eigene Art haben, zu leben, doch sie haben ein ähnliches Ehrempfinden wie wir. Mir wird nichts geschehen.“

Nedeam winkte den Männern zu und trieb Duramont dann die Düne hinab. Er trabte langsam auf die tote Wache zu, ritt aber nicht durch deren Reihen, sondern umritt die makabere Formation an ihrer Flanke. Sein Augenmerk richtete sich auf die gegenüberliegende Düne, denn dort würden sich der oder die Hüter der Wache verborgen halten.

Es war drückend heiß und Nedeam war froh, nicht seine volle Rüstung zu tragen. Er trug den Helm, aber nur ein leichtes Wams über der Reithose. Auf seinen grünen Umhang verzichtete er nicht. Ebenso wenig auf seine Waffen. Er kam als Unterhändler, jedoch nicht als Bittsteller und zudem wusste er sehr wohl, dass nicht alle Turiks von Ehre beseelt waren. Aber das hatte er dem besorgten Scharführer vorsorglich nicht auf die Nase gebunden. Der aufrechte Mann hätte ihn sonst unter keinen Umständen alleine reiten lassen.

Er wusste, dass jemand da sein musste und ihn beobachtete, und hätte gerne die Kraft der Aura genutzt, aber inzwischen war er es gewöhnt, dass sie ihn stets im Stich ließ, wenn er sie hätte gebrauchen können. Die Aura würde ihm daher nicht zeigen, wo sich ein Turik verbarg, doch sie konnte ihm vielleicht offenbaren, ob der Mann zum Reden bereit war oder seinen Kopf nehmen wollte.

Am unteren Rand der Düne zügelte Nedeam sein Pferd. „Hier steht Nedeam vom Pferdevolk!“, rief er zum Kamm empor. „Mein Name ist bekannt bei den Clans des Sandes. Der Turiko der Nager steht in meiner Schuld. Ich berufe mich auf Heldar-Turiko, das Oberhaupt des Nagerclans, und ich will zu ihm.“

Auf halber Höhe des Hanges gab es Bewegung. Nedeam war überrascht, denn er hätte nicht vermutet, dass sich dort ein Turik verborgen hielt. Sand rieselte von der Gestalt, die so unvermittelt vor ihm stand.

„Ich bin Heglen-Turik vom Nagerclan und ich kenne dich, Nedeam vom Pferdevolk!“, rief der Krieger. „Du warst in unserem Dorf und kämpftest an meiner Seite gegen die Orks.“

Nedeam konnte sich nicht an diesen Krieger erinnern, aber es war jetzt sicher nicht der richtige Zeitpunkt, das zuzugeben. „Es war ein guter Kampf“, sagte er diplomatisch.

Der Krieger nickte mit ernstem Gesicht. „Ja, ein guter Kampf. Damals kämpfte ein sehr kleiner Pferdelord an deiner Seite.“

„Mein Freund Dorkemunt. Er ist vergangen.“

„Starb er im Kampf?“

„Das tat er.“

„War es ein guter Kampf?“

„Er war ein wahrer Pferdelord.“

Heglen-Turik nickte erneut. „Dann wird er in Euren Liedern besungen.“ Er wandte sich halb um und stieß einen leisen Pfiff aus. Rings um Nedeam und oben am Kamm erhoben sich wohl an die zwanzig Sandkrieger. Sie bemerkten die Überraschung des Pferdelords und grinsten breit, weil es ihnen gelungen war, sich so gut vor ihm verborgen zu halten. „Wir haben Euch erwartet. Das Klopfen der Hufe auf dem Boden ist schon lange zu hören.“

„Das habe ich vermutet.“ Nedeam lächelte. „Ich muss mit dem Turiko sprechen und ich weiß, dass mir das nur gelingt, wenn Ihr mir dies ermöglicht. Niemand findet einen Sandkrieger, wenn dieser das nicht will.“

Etliche der Turiks lächelten, denn das Lob freute sie.

Die Männer sahen einander sehr ähnlich, denn sie alle trugen die typische Tracht der Krieger des Sandvolkes. Knochen von Tieren und die Fasern der Stachelpflanze bildeten den Grundstoff der Kleidung. Sie bestand aus einem ärmellosen Hemd, aus weich gekauten Pflanzenfasern, welches bis über das Gesäß reichte und die Beine frei ließ. Darüber trugen die Krieger den selbst gefertigten Brustpanzer. Meist benutzte man dafür die leicht erhältlichen Knochen der Sandwühler. Sie wurden durch geflochtene Pflanzenfasern miteinander verbunden und bildeten einen annehmbaren Schutz gegen die Klinge eines Schwertes oder einer Axt. Lanze und Pfeil würden sie jedoch durchschlagen und daher hatten einige der Turiks zusätzliche Metallplatten an ihrem knöchernen Harnisch befestigt. Sie befanden sich unterhalb der Knochen, damit das Metall sie nicht durch seinen Schimmer verraten konnte. Weit wichtiger war dem Sandvolk der Schutz von Bein und Fuß. Man trug knielange Überzieher aus den unvermeidlichen Pflanzenfasern, welche die Stacheln der Pflanzen abhielten. Die dicken Sohlen bestanden aus der mehrfach gefalteten und vernähten Haut von Sandwühlern.

„Fürchtet der Pferdereiter um seinen Schädel?“ Einer der Krieger deutete auf Nedeams Helm und dieser begriff die Anspielung. Keiner der Krieger trug einen Helm. Niemand vom Sandvolk trug einen solchen. Es war unschicklich, den Schädel zu bedecken, und galt als Anzeichen mangelnden Mutes. Man bot dem Feind den Schädel dar. Mochte er ruhig versuchen, ihn zu nehmen, die Stärke des Kriegers entschied darüber, wer wessen Trophäe erhielt.

Nedeam nahm seine Kopfbedeckung ab und grinste den Mann an. „Ich fürchte nicht um meinen Schädel, eher um meinen Verstand. Die Sonne der Wüste brennt heiß herab.“

„Da du kein Kopftuch trägst, magst du deinen Schädelschutz wieder aufsetzen“, entschied Heglen-Turik. „Du gibst dein Wort, dass deine Pferdereiter nicht folgen?“

„Ihr habt mein Wort. Die Männer haben Befehl, dort jenseits der Düne auf meine Rückkehr zu warten.“

Heglen-Turik, der offensichtlich der Anführer der Gruppe war, sah den Pferdefürsten forschend an und lächelte erneut. „Nun, du willst unseren Turiko sehen und du hast Glück. Unser Lager ist nur den Marsch einer Tageswende entfernt.“

Als Nedeam den Männern auf den Kamm der Düne folgte, sah er vor sich mehrere Hundert der Kämpfer. Es würde dem Beritt wohl schwerfallen, ihm zu folgen, falls die Pferdelords tatsächlich den Versuch wagten. Für Nedeam hingegen war es nahezu unmöglich, zu den Seinen zurückzukehren, falls die Clankrieger dies nicht zuließen.

Heglen-Turik führte Nedeam mit einer kleinen Gruppe tiefer in die Wüste hinein.

Nedeam kannte das Dünenland von seinem Abenteuer, bei dem die Pferdelords nach dem Banner des Ersten Königs gesucht hatten. Er wusste, dass die Wüste keineswegs so unbelebt war, wie sie auf den ersten Blick wirken mochte. Es gab eine Vielzahl von kleinem Getier, darunter ein paar ausgesprochen tödliche Exemplare und sogar ein paar größere Räuber wie die im Rudel jagenden Fleckbeißer. Am tödlichsten war jedoch ein Feind, den man erst sehen konnte, wenn er zuschlug. Nedeam musste an diesen Umstand denken, als sie einen Tag später die Heimstatt des Nagerclans erreichten.

Das Erste, was man von der Siedlung sah, waren die Aussichtsplattformen, die sich oben auf einem einzelnen und sehr hohen Pfahl befanden. Natürlich nutzte man die Möglichkeit, von hier die Annäherung eines möglichen Gegners zu beobachten, doch der Feind, gegen den sich die Plattformen richteten, bewegte sich nicht auf der Erde, sondern darunter.

Die Bestien aus der Tiefe waren riesige Würmer und spürten ihre Beute durch Vibration oder Wärme auf. Um sie zu töten, mussten die Sandkrieger vergiftete Stacheln in den geöffneten Rachen treiben und das war ein selbstmörderisches Unterfangen. Daher versuchten die Clans, die Aufmerksamkeit der Bestien gar nicht erst zu erregen oder ihnen rechtzeitig zu entkommen. Die Ungeheuer gruben sich unter der Erde entlang und verursachten dabei unmerkliche Schwingungen. Deshalb gab es die hohen Plattformen und diese standen viele Längen vor der Heimstatt. Metallene Stangen mit dünnen Metallplatten begannen zu schwingen, wenn sich ein Wurm näherte, und warnten so die Angehörigen des Clans.

Das Dünenland barg manche tödliche Gefahr und in der Nacht drohten Fleckbeißer oder die kleinen Sandstecher mit ihren tückischen Giftstacheln. Aus diesem Grund erhoben sich auch die Zelte des Sandvolkes auf Pfählen über der Wüste. Die kuppelförmigen Pfahlbauten standen in konzentrischen Kreisen. Die äußeren Ringe waren den Zelten der Krieger, der Turiks, vorbehalten, gefolgt von denen der Nichtkrieger, der Turs. Die Eingänge wiesen nach außen, sodass ein Angreifer notfalls vom Zelt aus bekämpft werden konnte. Der innere Zeltring blieb den Frauen und Kindern vorbehalten, die so am besten geschützt waren. In der Mitte der Heimstatt stand das Schädelhaus. Es wurde von einem Gewirr von Pfählen gestützt, denn es war ein großes Haus, in dem der Kriegerrat zusammentrat und die Trophäen der Streifzüge aufbewahrt wurden. Die Eingänge wiesen in die vier Himmelsrichtungen und die Zwischenräume waren mit den genommenen Schädeln der besiegten Feinde gefüllt.

Die Annäherung von Nedeams Gruppe war angekündigt worden. Da er auf Duramont ritt, rief dieses ungewöhnliche Bild große Aufregung hervor. Frauen, Kinder und Jungmänner eilten heran, um den ungewöhnlichen Besucher aus der Nähe zu betrachten. Auch die Krieger konnten ihre Neugierde nicht verbergen, aber sie blieben wachsam. Auch wenn seit vielen Jahren Waffenstillstand herrschte, so gab es doch keine Freundschaft zwischen ihren Völkern.

Zwischen den Erwachsenen drängte sich eine narbige Gestalt hervor. An diesen hinterhältigen Mann konnte sich Nedeam nur zu gut erinnern.

„Was bringst du da für eine seltsame Beute in die Heimstatt?“ Der alte Bimar-Turik war schon ein erfahrener Krieger gewesen, als Heglen-Turik noch Heglen-Tur hieß und gerade seine Prüfungen als Kämpfer ablegte.

Heglen mochte den Alten nicht, der für seine spitze Zunge bekannt war. Doch Bimar zählte zu einem der ältesten Krieger und gehörte dem Rat an, auch wenn seine Macht zunehmend schwand. „Es ist der Pferdelord Nedeam, dessen Name im Clan der Nager bekannt ist, und er will mit unserem Turiko sprechen.“

Bimar-Turik kam näher und seine Augen funkelten Nedeam bösartig an. „Ja, den kenne ich. Damals war er ein wenig jünger.“ Sein Blick fiel auf das Schwert an Nedeams Waffengurt. „Eine elfische Klinge!“ Er lachte. „Du hast wohl eines ihrer verlassenen Häuser geplündert, nicht wahr, Pferdereiter?“

Nedeam lächelte in übertriebener Freundlichkeit. „Es ist eine Ehrengabe. Doch ich will mit dem Turiko sprechen und nicht mit dir.“

Der Alte legte die Hand an den Griff seiner Schädelkeule. „Vielleicht wirst du dich mit mir begnügen müssen.“

Heglen-Turik trat vor. „Er kommt zu uns, um zu sprechen, und nicht, um uns seinen Schädel anzubieten.“

„Gut, lassen wir ihn reden und nehmen dann seinen Schädel.“

Einige der Krieger lachten und die Stimmung schien feindselig zu werden.

„Je weniger Zähne Bimar in seinem Maul hat, desto bösartiger werden seine Gedanken und desto kürzer ist sein Gedächtnis.“ Eine imposante Gestalt war in einem der Eingänge des Schädelhauses aufgetaucht und sah von der Höhe der Plattform auf die Menge hinunter. „Bringt den Pferdemann herein und ruft den Rat der Turiks zusammen.“

Heldar-Turiko war das Oberhaupt des Nagerclans und eine lebende Legende des Sandvolkes. Als einziger Krieger trug er einen Helm, der seinen Kopf bedeckte. Einen hohen Helm mit golden schimmerndem Kamm und einer fein gearbeiteten Figur am Stirnschutz. Es war der Helm eines Elfen, der schon lange keine Verwendung mehr für seinen Kopfschutz hatte. Heldar-Turiko hatte Helm und Schädel in einem bemerkenswerten Kampf erfochten. Niemand würde den Mut des Turiko anzweifeln und so trug er diesen Helm als Zeichen seiner Würde. Nicht nur der erwiesene Mut des Clanführers war bemerkenswert. Auch sein Haar war es. Die Menschen des Sandvolkes hatten schwarze Haare, doch der Turiko hatte Haare, die in der Farbe der Sonne schimmerten. Haare, wie viele Menschen des Pferdevolkes sie hatten. Damals, als man das Reitervolk besiegte, hatte man einige ihrer Weiber genommen. Die Verluste waren hoch gewesen und man brauchte neue Krieger. Einige der daraus entstandenen Kinder waren ebenso blond gewesen wie der Turiko, doch im Laufe der Generationen waren Sonnenhaare immer seltener geworden. Es hieß, der Turiko sei der einzige Mann des Sandvolkes, der noch das Sonnenhaar besaß.

„Ich grüße dich, Turiko!“, rief Nedeam. „Ich bin gekommen, weil es wichtige Dinge zu bereden gibt, die über die Zukunft der Völker entscheiden. Dinge, die wir zunächst unter vier Augen besprechen sollten.“

Sofort wollte Bimar-Turik widersprechen, doch eine Geste des Turikos brachte den Alten zum Schweigen. Heldar musterte Nedeam nachdenklich. Schließlich nickte er. „Dann komm herauf, Nedeam vom Pferdevolk, und lass uns reden.“

Nedeam war sich des Umstands bewusst, dass es nicht genügen würde, diesem Mann die Einladung zu einer Versammlung zu überbringen. Der Turiko war kein Freund der anderen Völker und musste zunächst erfahren, welches gemeinsame Schicksal ihnen allen bevorstand. Also erzählte Nedeam, was er wusste und welchen Zweck die Versammlung der Herrscher erfüllen sollte.

Heldar-Turiko hörte schweigend zu und in seinem Gesicht zeigten sich die Zweifel, die ihn erfüllten. Als Nedeam geendet hatte, starrte er vor sich hin. Schließlich blickte er den Pferdefürsten mit düsterer Miene an. „Die Clans sollen das Dünenland verlassen?“

„Alle Völker müssen ihre Heimat verlassen, sonst ist ihnen ihr Tod gewiss.“

„Wer sagt mir, dass ihr unser Volk nicht in eine Falle locken wollt, um uns alle abzuschlachten?“

Nedeam hatte diese Frage erwartet. Das Misstrauen war einfach zu groß und in vielen Generationen der Feindschaft gewachsen. „Warum sollten wir das tun? Um wieder ins Dünenland zurückkehren zu können? Turiko, du weißt, dass mein Volk seine fruchtbaren Ebenen liebt. Dies hier“, er deutete um sich, „ist nicht mehr unser Land. Trockenheit, Sand und Hitze locken uns nicht.“

„Hm. Das mag sein oder auch nicht.“

„Die Elfen haben ihre Häuser verlassen und dieses Volk tut nichts ohne guten Grund.“

„Wir dachten, sie würden die Orks fürchten.“

„Jeder hat Grund, ihre Macht zu fürchten“, gestand Nedeam ein. „Aber wir wissen auch, wie man sie besiegen kann.“

„Das ist wahr“, räumte Heldar ein. Er nahm den Helm ab und strich sich durch sein langes Sonnenhaar. „Ich weiß noch gut, was vor vielen Jahreswenden geschah.“ Er grinste Nedeam an. „Es war eine schlaue List, uns in die Falle der Zwerge zu locken.“

Nedeam schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass es nicht so war. Du hattest uns freies Geleit bis zur Grenze zugesichert.“

„Bis zur Grenze, ja.“ Der Turiko lachte vergnügt. „Dort hätten wir euch die Schädel genommen, wenn die Zwerge nicht dazwischengekommen wären.“

„Nun haben wir Waffenruhe und einen begrenzten Handel, Turiko. Doch jetzt müssen sich unsere Völker die Hand reichen. Der Gefahr, die uns jetzt bedroht, können wir nur gemeinsam begegnen.“

„Ich kenne keinen Grund, warum du die Unwahrheit sagen solltest, Pferdereiter Nedeam“, gestand das Oberhaupt des Nagerclans. Heldar seufzte schwer. „Gut, so werde ich dir folgen. Ich werde sofort mit dir reisen.“

„Was ist mit den anderen Clans des Dünenlandes?“

„Darum mach dir keine Sorgen. Wenn ich von der Versammlung zurückkehre, werde ich die anderen Clans informieren.“

„Aber werden sie dir folgen?“

„An meinem Wort ist nicht zu zweifeln“, lautete die harsche Erwiderung. „Und sie werden mir folgen. Spätestens wenn die Nager in euer Land wandern, dann werden auch die anderen begreifen, dass es ums Überleben geht. Sie werden kommen.“

Nedeam trat ins Sonnenlicht hinaus und schloss für einen Augenblick geblendet die Augen. Um das Schädelhaus herum hatte sich der gesamte Clan versammelt. Ein Raunen lag über der Menge und verstummte, als Heldar-Turiko ins Freie trat und eröffnete, dass er mit Nedeam gehen werde.

„Während meiner Abwesenheit wird Heglen-Turik den Clan führen“, bestimmte der Turiko.

„Ich bin der Älteste!“, erhob Bimar-Turik sofort Protest.

„Aber nicht der Klügste“, hielt Heglen dagegen und es gab ein paar schadenfrohe Lacher.

„Ich verlange mein Recht als ältester Turik der Nager“, keifte der Alte.

Der Turiko sah Heglen-Turik an. „Wenn er dir Schwierigkeiten macht, dann nimm dir seinen Schädel. Es bringt dir zwar keine Ehre, aber es verschafft deinen Ohren Ruhe.“ Ein drohender Blick traf Bimar. „Du wirst dich fügen, Turik, so ist es mein Wille.“

Wenig später waren Nedeam und der Turiko auf dem Weg zur Grenze.


Die Pferdelords 12 - Der Ritt zu den goldenen Wolken

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