Читать книгу Die Pferdelords 12 - Der Ritt zu den goldenen Wolken - Michael Schenk - Страница 15
Kapitel 13
ОглавлениеDas Gehöft lag im südlichen Tal der Hochmark, in der Nähe zum Südpass, doch weit genug von der Handelsstraße nach Eternas entfernt, sodass sich seine Bewohner ungestört der Zucht ihrer Wolltiere widmen konnten. Die Abgeschiedenheit und die schwere Zugänglichkeit der Hochmark machten es Raubkrallen und Pelzbeißern schwer, bis hierher vorzudringen. In den letzten Jahren waren nur selten Spuren von ihnen gefunden worden. Es war das typische Heim einer der Familien des Pferdevolkes, bestehend aus dem Haupthaus, einem Stall und dem kleinen Verschlag, in dem man seine Notdurft verrichten konnte. Die beiden Pferde des Besitzers waren ausgebildete Reittiere der Pferdelords und benötigten keine Koppel. Sie weideten ungehindert und folgten jedem leisen Pfiff, der sie herbeirief.
Die Familie bestand aus Helkar, seinem Weib und ihren fünf Kindern. Sie alle waren derzeit vollauf mit der Schur der Wolltiere beschäftigt. Die zähen Tiere der Hochmark waren die Hitze des Sommers und die außergewöhnliche Kälte des gebirgigen Winters gewohnt und ihr Wollfell wuchs dicht und wurde im Frühjahr und Spätsommer geschoren. Helkar und sein ältester Sohn verstanden sich auf den raschen Umgang mit den Schurmessern und sein Weib und eine der Töchter spannen die Wolle zu Fäden, die auf dem Markt einen guten Ertrag brachten. Selbst die Kleinste half mit hoch konzentriertem Gesichtsausdruck mit, auch wenn sie die geschorene Wolle eher ziellos hin und her trug.
Helkar hatte die kleine Streifschar der Schwertmänner schon von Weitem kommen sehen. Es war trocken, die Hitze staute sich in den Tälern der Hochmark und die Hufe der Pferde schlugen den Staub zwischen den Gräsern empor. Helkar war einst selber ein Schwertmann gewesen und hatte den grünen Umhang mit Stolz getragen. Im Kampf gegen die Orks hatte er eine Hand verloren und sich beim Sturz vom Pferd das Bein gebrochen. Den Bogen oder die Lanze vermochte er nicht mehr zu führen, aber er war noch immer wehrhaft, denn mit seiner Axt ließen sich gleichermaßen Holz wie Ork-Schädel spalten. Der damalige Pferdefürst Garodem hatte ihn aus seinen Diensten entlassen und für ein Auskommen des alten Kämpfers gesorgt. Es gab keinen Mangel an guten Frauen, denn die Kämpfe forderten ihren Blutzoll von den Männern, und so hatte sich Helkar eine Witwe zum Weib genommen. Die beiden Jüngsten waren ihre gemeinsamen Kinder, doch der einstige Pferdelord hätte nicht zu sagen vermocht, wen er wohl am meisten in sein Herz schloss.
Als es keinen Zweifel daran gab, dass die Streifschar das Gehöft zum Ziel hatte, sah Helkar zu seiner Frau hinüber. „Schwertmänner. Und sie wollen zu uns. Sei so gut und hole einen Krug verdünnten Gerstensaft und ein paar Becher. Ein kühler Trunk wird den Männern guttun.“
Der Trupp aus fünf Reitern kam näher und Helkar erkannte jenen, der an der Spitze ritt. Da er den Bock gerade fertig geschoren hatte, gab er ihn frei. Das Wolltier blickte ihn empört an und trabte dann hastig aus seiner Reichweite.
Der Veteran erhob sich, um die Ankömmlinge zu begrüßen. „Wie ich sehe, seid Ihr doch noch zum Unterführer aufgestiegen, guter Herr Nemus.“ Er grinste den Mann breit an. „Und wohlverdient, will ich meinen.“
„Seid gegrüßt, guter Herr Helkar“, erwiderte Nemus mit ebenso breitem Lächeln und ließ seine Schar absteigen. „Die Männer waren wohl der Ansicht, ich würde mich zum Unterführer eignen, aber ich denke eher, sie wollten ein paar Krüge auf meine Kosten heben.“
Fröhliches Gelächter erklang und rief ein wenig Wehmut in Helkar hervor. Doch seine Zeit als Pferdelord war unwiederbringlich vorbei. Im Herzen würde er wohl immer einer bleiben, doch wenn er nun in den Sattel stieg, hielt er die Ritte kurz, da sein schlecht verheiltes Bein schmerzte. Die fehlende Hand störte ihn hingegen kaum. Einer der Waffenschmiede hatte ihm einen Ersatz gefertigt, mit dem er leidlich zurechtkam.
Die Reiter waren dankbar für den verdünnten Gerstensaft. Sie waren eine Streifschar des Pferdefürsten und daher trugen sie aus Stolz trotz der Hitze den vollen Harnisch.
„Der Stall sollte vor dem Winter ausgebessert werden“, stellte einer der Schwertmänner sachkundig fest.
„Das wird geschehen“, brummte Helkar.
Nemus nickte. „Ihr wart ein vortrefflicher Kämpfer und seid wohl auch ein guter Wolltierzüchter. Ihr kommt zurecht, Helkar, doch scheut Euch nicht, um Hilfe zu bitten. Ihr wisst, dass die Streifscharen nicht nur auf Gefahren achten, sondern auch dort zulangen, wo eine zusätzliche Hand benötigt wird.“
„Wie es im Pferdevolk üblich ist“, meinte Helkar zustimmend. „Falls ich Hilfe benötige, so werde ich mich nicht scheuen, sie einzufordern.“
„So ist es recht.“ Nemus nahm einen Schluck aus dem Becher und räusperte sich. „Wir sind übrigens nicht rein zufällig hierhergekommen.“
Helkar lachte. „Ich dachte es mir. Sonst liegt mein Gehöft erst auf dem Rückweg der Streife.“
„Im Augenblick sind viele Streifscharen in der Hochmark unterwegs“, erklärte der Unterführer. „Zu jedem Gehöft und zu jedem Weiler.“
„Die Losung?“
War Gefahr im Verzug, so gab der Pferdefürst die Losung und rief auf diese Weise die Pferdelords zu den Waffen.
Nemus schüttelte den Kopf. „Diesmal ist es weit bedrohlicher als ein Angriff der Legionen des Schwarzen Lords. Unser Pferdefürst hat für heute eine Versammlung aller Bewohner der Mark in Eternas einberaumt. Man wird sich auf dem Übungsplatz der Schwertmänner versammeln und dort wird Nedeam zu allen sprechen. Die Scharen hat er ausgeschickt, da man Gehöfte und Weiler nicht verlassen kann, um seinen Worten zu lauschen.“ Der Unterführer zuckte mit den Schultern. „So werdet Ihr mit den Meinen vorliebnehmen müssen.“
„Das klingt nach Ungemach“, knurrte Helkar und strich sich über das Kinn. „Schön, so lasst mich noch rasch die Becher auffüllen und dann erzählt mir, was es zu sagen gibt.“
„Ruft Euer Weib hinzu“, riet Nemus. „Es geht Euch alle an.“
Diese Bitte war nicht ungewöhnlich. Im Pferdevolk waren Mann und Frau von jeher gleichgestellt, auch wenn sie unterschiedlichen Aufgaben nachgehen mochten. Man teilte Freud und Leid und die Frauen verteidigten Heimstatt und Kinder, wenn die Pferdelords der Losung folgten und in den Kampf ritten.
Als Nemus ihnen eröffnete, was ihnen allen bevorstand, zog Helkars Frau instinktiv die Kinder an sich, während er selbst mit starrem Blick vor sich hin sah. „Die Heimstatt aufgeben? Die Hochmark verlassen? Unsere Heimat?“
„Wir alle müssen es tun. Keinem von uns gefällt es.“
„Uns bleibt keine Wahl?“ Die Verzweiflung in der Stimme von Helkars Frau war nicht zu überhören. Prompt begannen die beiden kleinen Kinder zu weinen.
„Keine, gute Frau.“ Nemus wandte verlegen den Blick. Der Gerstensaft, der ihm gerade noch so gut gemundet hatte, schmeckte nun schal.
„Als ich den Dienst des Pferdefürsten verlassen musste, da hat mein gutes Weib mir alles über die Wolltierzucht beigebracht“, murmelte Helkar. Er legte den Arm um sie und sah den Unterführer wie ein waidwundes Tier an. „Wahrhaftig, guter Herr Nemus, ich habe diese Tiere früher nie gemocht. Ich wusste nur ihre Wolle zu schätzen, da wir ja gute Kleidung und sogar die Umhänge der Pferdelords daraus fertigen. Inzwischen mag ich die Viecher. Sogar den alten Bock, der ständig nach mir stößt.“
„Können wir sie mitnehmen?“, fragte die Frau hoffnungsvoll. „Sie sind es, die uns ein Einkommen ermöglichen und uns ernähren.“
„Einige Tiere wird eine jede Familie mitnehmen können. Auch in der neuen Heimat wird man sie brauchen. Andere wird man schlachten müssen, damit es genug Vorräte gibt. Die meisten wird man wohl sich selbst überlassen.“
Helkar nickte bedächtig. „Die Hochmark bietet ihnen genügend Wasser und Nahrung. Sie werden gedeihen.“
Nemus fand es nicht den richtigen Zeitpunkt, nun erneut darauf hinzuweisen, dass mit dem Land auch alles Leben versinken würde.
„Nun gut.“ Der einstige Pferdelord straffte seine Haltung. „Dann werden wir das Notwendigste zusammenpacken.“
Nemus schüttelte den Kopf und lächelte freundlich. „Ihr habt ein schönes Haus, guter Herr Helkar.“
„Es wurde aus dem Stein der Hochmark errichtet“, sagte nun die Frau mit sichtlichem Stolz. „Mein früherer Mann hat alles sorgfältig gefügt. Er war ein guter Mann. So, wie Helkar einer ist.“
Der beugte sich zu ihr und küsste sie liebevoll.
„Nun, es hat sicher eine Weile gebraucht, das Haus zu erbauen.“
„Eine halbe Jahreswende“, bestätigte sie. „Stein für Stein und Balken für Balken … Das dauert seine Zeit. Nicht wie bei einem Holzhaus. Das steht in einem Zehntag.“
„Gleichwohl wird auch der Bau der Schiffe eine Weile brauchen.“ Nemus wies um sich. „All dies bleibt Euch noch für einige Jahreswenden erhalten. Wenn es so weit ist, dann wird der Pferdefürst die Losung geben. Dann bleibt genug Zeit, die Dinge zu ordnen und das Nötigste zu packen. Viel wird es nicht sein, was Ihr mitnehmen könnt.“
Helkar nickte. „Was zum Überleben gebraucht wird. Und ein oder zwei Erinnerungsstücke. Alles, was man gut tragen kann.“
„Wir werden viel zurücklassen“, seufzte der Unterführer. „Doch ich hoffe, wir können wenigstens die Leben retten.“
„Werden manche früher zu den Schiffen gehen?“
„Nein. Wir sind ein Volk und ziehen auch als solches. Mark um Mark.“
Helkar deutete in Richtung der Handelsstraße. „Das dort ist jedoch kein Handelszug.“
Nemus wandte sich halb um, musterte die kleine Kolonne aus Wagen und Karren und nickte dann. „Nein, das sind Holzarbeiter und Schmiede aus der Stadt. Wer dort nicht unbedingt gebraucht wird, der zieht nun ins Reich Alnoa, um beim Bau der Schiffe zu helfen und bei dem der zweiten Grenze.“ Er sah die Familiengruppe wieder an und lächelte ganz offen. „Bis wir hingegen alle losziehen, da geht alles seinen gewohnten Gang. Eure Wolle wird sicher einen guten Preis erzielen.“
„Das wird sie.“ Helkar nahm den geleerten Becher entgegen und erhob sich. „Nun denn, ich denke, Ihr werdet die Kunde noch zu anderen Gehöften tragen müssen und habt noch einen langen Ritt vor Euch. Wenn es an Verpflegung fehlt …?“
„Habt Dank, doch wir sind gut versorgt. Zwei Gehöfte noch, dann werden wir über die Nachtwende im Horngrundweiler nächtigen.“
Die kleine Streifschar brach auf und Helkar legte die Arme um seine Frau und die Kinder, soweit ihm dies möglich war. „Es ist ein Elend, all dies verlassen zu müssen“, sagte er leise. „Doch der Unterführer hat recht. Es gilt, die Leben zu retten, und solange wir einander haben, will ich uns wohl in jedem Land ein neues Heim erschaffen.“