Читать книгу Die Pferdelords 12 - Der Ritt zu den goldenen Wolken - Michael Schenk - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеDas Pfeilschiff maß kaum zehn Längen von Bug bis Heck. Es wirkte zierlich und fast verspielt, wie es der Eigenart der Elfen entsprach. Über dem Rumpf erhob sich der schlanke Mast, so hoch, dass es schien, er müsste das Schiff zum Umkippen bringen. An seiner Spitze befand sich eine winzige Plattform für den Ausguck, der den Kapitän vor möglichen Gefahren warnen sollte. Der weiße Rumpf und das weit ausladende muschelförmige Segel machten es sehr auffällig, doch solange auch nur ein Hauch von Wind ging, gab es nichts auf dem Meer, was es an Geschwindigkeit mit einem Pfeilschiff aufnehmen konnte. Sie dienten der raschen Erkundung oder den schnellen Reisen wichtiger Persönlichkeiten. Dieses hatte gleich zwei von ihnen an Bord.
„Wir machen gute Fahrt, Kapitän.“ Der schlanke Seeelf an der Reling stand weit vornübergebeugt und betrachtete die Wellen, die vom scharfen Bug des kleinen Schiffes zerteilt wurden. „Der Leckstopfen hält und mindert unsere Geschwindigkeit nicht.“
Der Mann trug das bei den Häusern der See übliche kurze Gewand. Die Muster waren den Schuppen der Fische und Muscheln nachempfunden. Im Gegensatz zu den Waldelfen bevorzugten die Seeelfen leuchtende und kräftige Farben. Die Füße waren bloß und wiesen dicke Schwielen an den Sohlen auf. Die Elfen der See legten Wert darauf, ein Schiff zu spüren: seine Bewegungen im Wasser und wie es sich auf und ab wiegte, zur Seite legte und wieder aufrichtete, wenn es auf den Segeldruck und das Ruder reagierte. So verzichteten sie auf störendes Schuhwerk und legten es auch an Land nicht an.
„Verdammter Tentakelwal“, brummte Kapitän Herolas und kaute auf seiner Unterlippe. „Hält uns für ein brünstiges Weibchen und will sich mit uns paaren.“
„Es ist ihm schlechter bekommen als unserem Bug“, ertönte die lakonische Feststellung des Steuermannes Gendrion.
„Die Sturmschwinge ist nun einmal ein gutes Schiff und solide Arbeit der Elfen der See“, meinte Herolas durchaus selbstgefällig. „Dergleichen findet man an Land nicht.“
„Denen saufen die Häuser ja auch nicht unter den Füßen weg, wenn sie keine Sorgfalt in ihr Handwerk legen“, stimmte der Steuermann zu.
Der Kapitän trug den hoch aufragenden Helm mit dem Symbol seines Hauses, einem Seevogel mit ausgebreiteten Schwingen. Dazu einen Panzer aus metallen blitzenden Schuppen, was typisch für die seefahrenden Häuser war. An seinem breiten roten Schwertgurt führte er das lange, leicht gekrümmte Schwert der Elfen. Der blaue Umhang wurde von einem Verschluss in Form der Schwingen eines Seevogels gehalten. Die Tatsache, dass auch Herolas barfüßig war, wirkte, wenigstens in den Augen eines Waldelfen, durchaus befremdlich.
„Ich habe nichts gegen eine schnelle Fahrt und eine lange Reise“, murmelte Gendrion. „Doch es wäre mir lieber, wenn wir nicht ständig so hohe Gäste an Bord hätten. Ihnen zu Ehren trägst du ständig das ganze Zeug. Ich sage dir, Kapitän, wenn es am Mittag etwas wärmer wird, wirst du mir noch an Überhitzung sterben.“
„Es ist nun einmal eine große Ehre, gleich zwei Mitglieder des Hohen Rates der Häuser an Bord meiner Sturmschwinge willkommen zu heißen.“ Der Kapitän lächelte herzlich. „Jalan-olud-Deshay gehört immerhin zum Haus des Urbaums und auch das Haus Elodarion ist eines der ältesten.“
„Trotzdem sind und bleiben es Waldfüße.“ Gendrion deutete mit dem Kinn zu den beiden Ältesten. „Sie stehen schon wieder an der Reling und starren aufs Meer hinaus. Sie können es bestimmt nicht erwarten, wieder festen Boden unter den Landfüßen zu spüren.“
„Ich denke doch eher, dass sie die Schönheit der Reise genießen. Was bekommen sie denn sonst zu Gesicht? Grünzeug, Krabbeltiere und was sonst im Wald herumläuft. Was ist das gegen die Erhabenheit der Meere und ihrer Bewohner? Solche Vielfalt an Formen und Farben bekommen sie an Land nicht zu sehen.“
Gendrion schüttelte entschieden den Kopf. „Sie sind nun schon einige Male mit uns gefahren und doch sind ihre Gesichter bleich und sie verneigen sich über der Reling.“
„Nun ja, wenn sich der Magen dem Wellengang anpasst, so gilt dies auch für seinen Inhalt.“ Herolas lächelte nun ebenfalls. „Und manche Wellen sind mächtig hoch für das Empfinden eines Landfußes.“
„Jedenfalls bin ich froh, wenn wir wieder an den neuen Ufern sind. Es ist auch ohne unsere verehrten Gäste schon beengt genug an Bord.“ Gendrion musterte den Wellengang und den Himmel. „Gegen Mittag wird ein kräftiger Wind aufkommen.“
Sein Kapitän nickte. „Das wird unseren Ältesten und ihren Mägen nicht behagen.“
„Sie scheinen ohnehin nicht sonderlich beglückt. Sie kehrten weit früher aus dem Menschenreich zurück und ohne ihre Kinder.“
„Ich sage dir, Gendrion, das ist kein gutes Zeichen. Mich würde wahrhaftig interessieren, was die beiden jetzt wohl zu bereden haben.“ Herolas spuckte über die Bordwand. „Ich habe das Gefühl, dass sich Bedeutsames ereignen wird, und es ist gewiss nichts Gutes.“
Jalan und Elodarion hatten sich auf der Reling abgestützt, doch keineswegs weil ihnen übel war. Sie hingen ihren Gedanken nach und schienen die zahlreichen Meeresbewohner, die bis dicht unter die Oberfläche kamen, kaum zu bemerken. Das Wasser war klar und man konnte sogar die Gruppen der Silberlinge und Buntschwärmer in einiger Tiefe erkennen. Doch für die Schönheiten der See waren sie im Augenblick nicht empfänglich.
„Mein Herz ist schwer“, gestand Jalan unvermittelt ein. „Es ist nicht leicht, ein Kind zurückzulassen. Doch sie müssen wohl selbst über ihr Schicksal entscheiden. Ebenso wie die Menschen.“
Elodarion warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. „Ja, so sollte es sein. Doch haben wir ihnen ebendies nicht von Anbeginn verwehrt? Haben wir nicht mit wachsender Furcht ihr Erstarken beobachtet? Waren wir nicht erleichtert, als die drei Magiertürme ihre Macht entfalteten und die Geschicke der Völker beeinflussten?“
Jalan nickte. „Ja, wir hatten Angst vor den Menschen. So kurzlebig sie auch sein mögen, so sind sie doch viele und sie lernen rasch. Sie erschufen die Paladine von Rushaan mit ihren tödlichen Lichtwaffen, metallenen Kampfwagen und pfeilschnellen Flugschwingen, die den Tod aus der Luft brachten. Wäre der große Krieg gegen den Schwarzen Lord nicht gekommen, so hätten sie uns eines Tages aus unseren Ländern verdrängt. Menschen sind ein unersättliches Volk, Elodarion, du weißt es.“
„Dem stimme ich zu, alter Freund. Wenn sie diese grausame Prüfung bestehen, der sie nun ausgesetzt sind, so werden sie wohl zu einer fernen Tageswende an unsere Stelle treten. Vielleicht hätten auch unsere Häuser den Weg zu den Sternen antreten sollen, wie es einige der anderen taten.“
„Die Menschen werden niemals die Unsterblichkeit erlangen.“ Jalan schüttelte entschieden den Kopf. „Sie werden nie an unsere Stelle treten.“
„Aber sie traten an unsere Seite. Und was ist schon Unsterblichkeit?“ Elodarion legte dem Freund die Hand auf die Schulter. „Wir flohen zu den neuen Ufern. Zeigt dies nicht, dass wir den Tod fürchten und in gewisser Weise auch nur Sterbliche sind?“
„Du hegst seltsame und trübe Gedanken. Dass deine Kinder in der Hochmark zurückblieben, das macht dich schwermütig.“
„Ich fühle mich den Menschen verbunden, Jalan.“
„Wir konnten sie nicht retten.“
„Konnten wir es nicht oder wollten wir es nicht? Nein, mein Freund, unser Volk hat Schuld auf sich geladen. Wir beide haben Schuld auf uns geladen.“
In Jalans Blick lag Trauer. „Doch wir bezahlen teuer dafür, denn unsere Kinder bleiben hinter uns zurück.“