Читать книгу Die Pferdelords 12 - Der Ritt zu den goldenen Wolken - Michael Schenk - Страница 14

Kapitel 12

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Wenn man sich dem Berg vom Land her näherte, wirkte er wie ein flacher Kegel, dessen Oberteil man abgetrennt hatte. Das Gestein wies die verschiedensten Schattierungen von Schwarz über Grau bis Braun auf, war scharfkantig und stieg vom Fuß des Berges immer steiler an. Oben, auf dem Rand des Kraters, erhob sich in strahlendem Weiß das typische glatte Mauerwerk menschlicher Baukunst. Eine hohe und massive Wehrmauer, die sich um den gesamten Krater herum zog, unterbrochen von achteckigen Türmen mit Plattformen, auf denen schwere Dampfkanonen standen. An der nordwestlichen Seite hatte das Beben vor einigen Jahren schwere Schäden angerichtet. Dort waren Türme und Mauerteil ausgebessert worden und der Stein unterschied sich ein wenig von dem der anderen Abschnitte.

Überragt wurde diese Anlage von dem gewaltigen Turm, der sich inmitten des Kratersees auf einer Insel erhob. In seiner Größe wirkte er trotz seines Durchmessers schlank und filigran, unterbrochen von zierlich wirkenden Balkonen und Brüstungen, bis die Spitze des Turms in der Plattform endete, auf der sich die Signalstation befand. Er war von Gebäuden und Grünflächen umgeben. Hier wirkten König und Kronrat des Reiches von Alnoa. Geschwungene Brücken führten über den großen Kratersee hinweg zu seinem Rand.

Die Häuser der Stadt folgten dem Verlauf der Kraterwände, zogen sich ringförmig herum und stiegen immer höher an, sodass die Stadt ein wenig den Eindruck vermittelte, die Häuser seien Zuschauer eines riesigen Amphitheaters, dessen Bühne der Königspalast bildete. Auch hier waren die Spuren unübersehbar, die das Beben hinterlassen hatte. Ein ganzes Stadtviertel war mit der Kraterwand herabgerutscht und Gebäude und Menschen waren in den Tod gerissen worden. Noch immer lagen sterbliche Überreste zwischen den Trümmern unten im Hafenbecken, denn die Bergung und der Wiederaufbau gingen nur langsam voran und gestalteten sich aufgrund der Tiefe des Kratersees teilweise sehr schwierig.

Es gab nur einen Zugang zur Stadt: dort, wo einst ein Teil der Kraterwand eingestürzt war und nun die Verbindung des Sees mit dem Meer ermöglichte. Schwere Tore und mächtige Batterien schützten die breite Straße und die Zufahrt des Hafens von Alneris. Der Fluss Genda verband die Stadt mit dem offenen Meer und der Hafenstadt Gendaneris. Seit dem Seefrieden mit den Schwärmen der See blühte der Handel mit anderen Völkern, doch in Alneris war dies nur indirekt zu bemerken. Der begrenzte Raum des Hafens war Hauptankerplatz der königlichen Flotte. Die Schiffe aus fernen Ländern nutzten die an der Küste liegende Stadt Gendaneris als Anlaufstelle. Ein reger Warentransport herrschte zwischen der Hauptstadt und dem Handelszentrum des Reiches.

Die Stadt Alneris bildete das politische und kulturelle Zentrum des Königreiches von Alnoa und das Zentrum seiner Macht, in dem die wichtigen Entscheidungen getroffen wurden. Das Reich bestand aus Provinzen mit deren Hauptstädten und Dörfern, die dem König Tribut zollten. Sie unterhielten eigene Stadtmilizen, die nicht dem Oberbefehl des Königs unterstanden, und entsendeten ihre Ratsherren, um sich durch diese im Kronrat vertreten zu lassen.

Der König Alnoas war eher ein Repräsentant als ein Befehlshaber und er musste auf die Wünsche der verschiedenen Interessengruppen Rücksicht nehmen. Nur im Kriegsfall, wenn das Reich unmittelbar durch einen Feind bedroht wurde, übte er seine Herrschaft uneingeschränkt aus. Dies führte immer wieder zu Spannungen im Kronrat, der für die goldenen Schüsselchen der Schatzkammer eine bessere Verwendung sah, als sie für die Garde auszugeben.

Der Versammlungssaal des Kronrates befand sich in einer der obersten Ebenen des Königsturms, den das Beben weitestgehend verschont hatte. Der Saal war kreisförmig und im weißen Stein gehalten. Die bequem gepolsterten Sitzbänke waren im Rund angeordnet. Gegenüber dem erhöhten Thron des Königs betrat man den Ring der Ratsversammlung. In der Mitte befand sich eine mehrere Längen messende Karte des Königreiches und der bekannten Regionen. Im Verlauf der letzten Jahre wurde sie immer wieder ergänzt, doch im Reich des Schwarzen Lords gab es nur wenige Markierungen, da keine Kundschafter so weit vorgedrungen waren.

Die Versammlung des Kronrates umfasste sechzehn Mitglieder sowie den König und den Kommandeur der Gardekavallerie.

Venval ta Ajonas, Herrscher über das Reich und seine Provinzen, nicht jedoch über dessen Kronrat, beriet sich mit seinem Freund Daik ta Enderos, dem Oberkommandierenden der Gardekavallerie, bevor beide den Ratsmitgliedern gegenübertraten und ihnen eröffneten, was die Zusammenkunft in Enderonas offenbart hatte.

Als Venval schwieg, setzte erregtes Stimmengewirr ein. Schließlich verschaffte sich ein Mann Gehör, der sicher nicht zu den Anhängern des Königs gehörte.

Welbur ta Andarat, Hochgeborener des Reiches, vertrat keine der Provinzen, sondern gehörte zum Hochadel der Hauptstadt. Er war ein sehr gut aussehender Mann und hätte sicher für ein Kriegerdenkmal Modell stehen können, doch er kämpfte lieber mit Worten als mit der Klinge. Er galt als Weiberheld und tat vieles, um diesen zweifelhaften Ruf zu nähren. In seiner Funktion als Schatzmeister des Rates gelang es ihm immer wieder, dem König und der Garde Schwierigkeiten zu bereiten, wenn es um die Zuteilung der goldenen Schüsselchen für zivile oder militärische Zwecke ging.

„Unbenommen hat Euer Majestät eine weise Entscheidung getroffen, den Bau der Schiffe in die fähigen Hände unserer alnoischen Konstrukteure zu legen“, begann Welbur und deutete eine Verneigung in Richtung des Königs an. Dieser wusste aus Erfahrung, dass ein solcher Respektbeweis seitens des Hochgeborenen meist das Vorspiel eines heftigen Geplänkels war, bei dem Welbur ta Andarat alles daransetzen würde, das Ansehen des Königs zu schädigen. „Gleichwohl stellt sich mir die Frage“, fuhr der Adlige auch prompt fort, „wer wohl all die goldenen Schüsselchen aufbringen soll, um den Bau der Schiffe zu finanzieren?“

„Für den Bau der Schiffe benötigt man Werften und Arbeiter und alles verlangt nach goldenen Schüsselchen“, fügte ein anderes Ratsmitglied besorgt hinzu. „Bei der Vielzahl der Schiffe, die Ihr erwähntet, Eure Majestät, muss es sich um Unsummen handeln.“

„Und die Zahl der goldenen Schüsselchen ist begrenzt“, nahm Welbur das Wort wieder auf. Er zog ein feines Spitzentuch aus dem Ärmel und betupfte sich die Stirn. „Ich denke mit großer Sorge an all die Summen, die wir nach dem großen Beben für den Wiederaufbau aufwenden mussten und noch immer aufwenden.“ Er deutete auf den kleinen Gardekommandeur. „Und jene Schüsselchen, welche die Garde stärkten.“

Ratsherr ta Halda erhob sich. Er hatte bei dem großen Beben seine gesamte Familie verloren und litt noch immer unter diesem Verlust. „Wie können wir von goldenen Schüsselchen sprechen, wenn es um das Überleben des Reiches geht?“ Er deutete um sich. „Ihr habt die Worte des Königs gehört. Die Elfen sagen, das Land wird im Meer versinken. An den Worten dieser Wesen ist nicht zu zweifeln.“

Welbur ta Andarat hörte zustimmendes Gemurmel und nickte. „Gleichwohl darf man sich fragen, wie aufrichtig diese Spitzohren sind. Immerhin haben sie die Flucht ergriffen und uns, ihre Freunde und Verbündeten, über den Grund im Ungewissen gelassen.“ Sein Blick und seine Stimme waren eine einzige Anklage. „Sie waren bereit, uns alle dem Tod zu überlassen.“

„Dem stimme ich zu.“ Ein Ratsmitglied stieß den Fuß auf den Boden und andere folgten seinem Beispiel.

„Ihr hohen Herren, das ändert jedoch nichts an den Tatsachen“, erinnerte der König. „Zumal der gute Graue Marnalf sie bestätigt und wir alle wertschätzen das magische Wesen.“

„Dennoch ist er ein Graues Wesen“, gab Welbur zu bedenken. „Wir alle kennen die grausamen Kreaturen, die der Finsternis dienen, und ich frage mich, warum er als Einziger ein Freund der Menschen blieb. Mag es sein, dass er von den Ereignissen wusste, die uns bevorstehen, und dass er sie verschwieg, um an unserem Untergang teilzuhaben?“

„Mag es sein, dass Euer Geist verwirrt ist, Ratsherr ta Andarat?“ Daik ta Enderos war keine beeindruckende Gestalt, doch fraglos ein überaus fähiger Kommandeur und überall geachtet. Nun trat er einen Schritt vor und sah den Hochgeborenen drohend an. „Euer Gedächtnis scheint mir kurz zu sein, Euer Hochgeboren. Marnalf hat uns schon oft zur Seite gestanden und erst vor wenigen Jahreswenden war er es, der entscheidend zur Vernichtung der Faust des Schwarzen Lords und vieler Grauer Wesen beitrug.“

„Dem stimme ich zu“, sagte ta Halda. „An Marnalfs Treue und Verbundenheit zum Menschenvolk gibt es keinen Zweifel.“

Welbur ta Andarat betupfte sich die Mundwinkel, als er das zustimmende Stampfen der anderen Ratsmitglieder vernahm. „Daran kann es wahrhaftig keinen Zweifel geben“, lenkte er rasch ein. „Ich wollte dies auch nur erwähnt wissen, damit uns der Ernst der Lage bewusst wird.“

„Eure Sorge rührt mein Herz“, versicherte ta Enderos mit deutlichem Spott in der Stimme.

König Venval ta Ajonas hob beschwichtigend die Hand. „Ihr hochgeborenen Herren, besinnt Euch. Die Situation ist viel zu bedrohlich, als sich in Streit zu ergehen. Es gilt, das Volk zu retten und die Schiffe zu bauen.“

„Und dieses, lassen wir das nicht außer Acht“, mahnte ta Andarat, der nicht bereit war, zurückzustecken, „auch zu bezahlen. Gewiss ist Alnoa ein reiches Land, doch sehe ich keine Not bei den anderen Völkern. Euer Majestät haben sicherlich nur versäumt, uns zu berichten, dass sich auch diese an den Kosten beteiligen.“

„Es geht nicht um die Zahl der goldenen Schüsselchen“, erinnerte der König, „sondern um die Zahl der Leben, die es zu retten gilt.“

„Mit unseren goldenen Schüsselchen“, beharrte ta Andarat.

„Ihr seid kindisch“, wies ta Halda den Hochgeborenen zurecht. „Auch die größte Zahl goldener Schüsselchen ist nicht in der Lage, ein Leben zurückzubringen. Aber sie kann Leben erhalten und Ihre Majestät hat vollkommen recht, genau darum geht es. Wir haben die Fertigkeiten, um Schiffe zu bauen. Wir haben das Holz und das Eisen. Wir haben die Hände, um dies zu bewerkstelligen.“ Ta Haldas Blick wanderte von ta Andarat zu Venval ta Ajonas. „Der Rat der Könige und Pferdefürsten hat dies sicherlich bedacht.“

„Man wird uns mit allen verfügbaren Mitteln unterstützen“, bestätigte der König. „Aber bedenkt wohl, dass es Jahreswenden braucht, um die Schiffe zu bauen. Während dieser Zeit muss das Leben weitergehen. Die Völker können ihre Kraft nicht nur auf den Bau der Schiffe konzentrieren.“

„Ah, jetzt kommt wohl die Garde zu Wort“, spottete ta Andarat.

„In der Tat.“ Der König überging den Spott und nickte seinem Freund zu.

Die Blicke der Versammelten richteten sich auf Daik ta Enderos. Dieser legte dar, welche Gefahr von den Streitkräften des Schwarzen Lords ausging und wann man mit einem ernsthaften Angriff rechnen musste. Das erschien den Ratsherren durchaus logisch und sie stimmten bereitwillig zu, noch bevor ta Andarat einen Widerspruch einlegen konnte. Dies galt auch für den Plan, eine zweite Grenze zu errichten. Ta Andarat schloss sich zögernd der Zustimmung des Kronrates an.

„Wie zuvor erwähnt, muss das Leben in den kommenden Jahreswenden weitergehen und kann sich nicht ausschließlich auf die Rettung unserer Völker ausrichten“, nahm ta Enderos die Worte des Königs auf. „Man muss sich um Hornvieh, Wolltiere und Getreide kümmern und zusätzliche Vorräte für die Reise anlegen, von der wir nicht wissen, wie lange sie dauern wird. Zwerge, Sandclans und Pferdevolk werden sich um Erz, Holz und Gold kümmern und es zu uns nach Mintris schaffen. Sie werden auch ihre fähigsten Holzarbeiter und Schmiede zu uns senden und viele Hände, die an den Schiffen und der zweiten Grenze anpacken. Alnoa steht also keineswegs alleine mit dieser großen Aufgabe.“

„Nun, schließlich wollen alle auf die Schiffe“, wandte ta Andarat ein. „Doch was, wenn wir nicht rechtzeitig genügend davon fertig bekommen?“

Der König runzelte die Stirn, denn er spürte, dass hinter diesen Worten mehr verborgen war. „Worauf wollt Ihr hinaus, Hochgeborener ta Andarat?“

Der betupfte sich mit kummervollem Gesicht die Mundwinkel. „So schrecklich diese Vorstellung auch sein mag, doch könnte es nicht sein, dass uns der Untergang droht, bevor wir genug Schiffe für alle haben? Wir dürfen uns diesem Gedanken nicht verschließen. Nein, wir müssen ihn sogar ernstlich in Betracht ziehen.“ Er sah die Anwesenden der Reihe nach an. „Vielleicht vermag man nicht alle zu retten, nicht wahr? Doch unser Volk braucht eine Grundlage, um einen neuen Anfang in einem fremden Land wagen zu können. Landvolk und Handwerker und fähige Anführer, die es zu den richtigen Schritten anleiten.“ Er sah rasch zu Daik ta Enderos hinüber. „Und ebenso fähige Gardisten, die es vor den unbekannten Gefahren der neuen Heimat schützen.“

„Hm, das ist wahr“, meinte ein Hochgeborener nachdenklich. „Das gilt es zu bedenken.“

„Wir sollten eine sorgfältige Auswahl treffen, um in jedem Fall die Besten unseres Volkes in Sicherheit zu bringen“, fügte ta Andarat hinzu. Er sah die finstere Miene von ta Enderos und lächelte freundlich. „Und dies gilt natürlich ebenso für alle unsere Freunde. Wenn man nicht alle retten kann, so doch jene, die für das Überleben von Belang sind, nicht wahr?“

„Wozu fraglos der Kronrat gehört“, mutmaßte Daik ta Enderos.

„Wer wäre besser geeignet, das Volk zu führen?“ Der Hochgeborene breitete theatralisch die Arme aus. „König und Rat müssen in jedem Fall gerettet werden.“

„Könnt Ihr einen Nagel in ein Brett treiben?“, fragte ta Enderos leise.

„Äh, bitte?“

„Getreide aus einem Feld ziehen?“

Ta Andarat betupfte sich die Mundwinkel. „Was sollen diese unsinnigen Fragen?“

„Ihr beherrscht nichts, was für das Überleben des Volkes von Belang wäre“, sagte der Gardekommandeur mit harter Stimme. „Ihr beherrscht nur das Zählen der goldenen Schüsselchen und das wird fürwahr in einem neuen Land unsere geringste Sorge sein.“

„Also, ich muss doch …“

„Der Hochgeborene ta Enderos hat recht“, stand ein anderes Ratsmitglied dem Gardisten bei. „Wir dürfen nicht vordergründig an unser eigenes Wohlergehen denken. Gleichwohl ich dem zustimme, dass ein neues Reich auch seine Führung braucht. Doch das sollte in Ruhe erörtert werden. Jetzt und an dieser Stelle ist es noch nicht von Belang. Wenden wir uns den dringenden Problemen zu: Werften, Arbeiter und Material sowie dem Bau der zweiten Grenze.“

„Dem stimme ich zu“, meinte ta Halda prompt und die anderen bekundeten Beifall.

Welbur ta Andarat zuckte lächelnd mit den Schultern. „Ich wollte es nur zu bedenken geben. Nichts liegt mir ferner, als mein persönliches Wohl über das des Volkes zu stellen.“

„Davon bin ich überzeugt“, murmelte ta Enderos.

Welbur ta Andarat setzte sich und lächelte versonnen. Er betrachtete die anderen Ratsmitglieder verstohlen, während man über die Einzelheiten diskutierte. Wenn die Gefahr des Untergangs an die Türen der Ratsmitglieder pochte, dann würden sich viele seiner Meinung anschließen. Jedenfalls würde er dafür zu sorgen wissen, rechtzeitig auf ein Schiff zu gelangen.


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