Читать книгу Die Pferdelords 12 - Der Ritt zu den goldenen Wolken - Michael Schenk - Страница 18
Kapitel 16
ОглавлениеIn den nördlichen Regionen des Herrschaftsgebietes des Schwarzen Lords waren Pferde und Hornvieh selten. Es gab sie nur in kleinen Gruppen und sie wichen instinktiv den Orks aus, die jederzeit bereit waren, eine schmackhafte Zwischenmahlzeit zu erlegen. Selbst die Anordnungen des Oberherrschers vermittelten den Legionären nicht das Verständnis, dass es sinnvoll gewesen wäre, das Hornvieh zu züchten, um eine ständige Nahrungsquelle zu besitzen. Die Rundohren mochten aufgrund ihrer Disziplin als Herdenwächter geeignet erscheinen, doch die Fressgier und Schläue der Spitzohren erstickten jeden Versuch der Zucht im Keim. Selbst härteste Strafen hatten nichts bewirkt.
In den südlichen Regionen gab es hingegen große Herden des Hornviehs und auch einige größere Gruppen von Pferden. Das Volk der Rumaki verstand sich auf die Zucht und die Tiere waren ein wesentlicher Bestandteil der Nahrungsbeschaffung. Obwohl die Rumaki die Vorteile berittener Einheiten erkannten, ließen sie sich jedoch nicht dazu bewegen, das Reiten zu erlernen. Sie waren so fest in ihrer Tradition als Fußsoldaten verwurzelt, dass nur eine Handvoll bereitwillig auf die Pferde stieg. Diese wenigen wurden als reitende Boten eingesetzt, ansonsten sah man die potenziellen Reittiere als Fleischlieferant und Zugtiere für die Wagen, welche ständig im Gebiet des Allerhöchsten unterwegs waren und für den Transport von Waren und Nahrung sorgten.
Das Reich des Schwarzen Lords war groß und machte die Nachrichtenwege dementsprechend lang. Früher war dies unproblematisch gewesen, da Signalfeuer und die magischen Sprechsteine als Verständigungsmittel ausreichten. Die Sprechsteine erlaubten jedoch nur die direkte Verbindung zum obersten Herrscher und nicht die Kommunikation untereinander. Zudem konnten sie nur von den Grauen Wesen, von denen es nur noch wenige gab, und einer Handvoll Orks genutzt werden.
Mit dem Einsatz der rumakischen Bruderschaft des Kreuzes als Spione in den Ländern der freien Völker war nach alnoischem Vorbild eine Signalsprache für Metallspiegel entwickelt worden, welche die Kommunikation erheblich erleichterte und vor allem beschleunigte. Es gab allerdings keine festen Signalstationen und noch immer gehörten schnelle Läufer oder die Handvoll reitender Boten zu einem wichtigen Bestandteil für die Übermittlung von Informationen.
Wenn einer dieser Reiter zum Turm von Antas-Nataar kam, dann musste er also eine sehr wichtige Nachricht zu überbringen haben.
Legionsoberführer Einohr wartete mit dem Grauen Wesen Bar´Ses und einigen Legionsführern auf das Erscheinen des Allerhöchsten. Sie waren alle in dem runden Raum unter der Spitze des Turms versammelt und Einohr und Bar´Ses waren die Einzigen, die sich bis dicht an den durchsichtigen Klarstahl heranwagten und die Aussicht genossen. Für das kleine Spitzohr bedeutete es eine Genugtuung, zu erleben, dass die sonst so mutigen Rundohren vor der Höhe zurückschreckten. Einer Höhe, die allerdings auch ihm alles abverlangte, doch es würde seinen Ruf als wagemutiger Führer stärken, wenn man ihn so dicht vor dem bodenlosen Abgrund sah.
Die Rundohren standen um den Kartentisch des Allerhöchsten herum und versuchten die unzähligen Markierungen zu deuten. Einohr sah ihnen amüsiert zu. „Ich glaube nicht, dass sie die Zeichen zu deuten wissen“, flüsterte er Bar´Ses zu. „Im Voranstürmen und an der Spitze ihrer Legionen mögen sie recht gut sein, aber ihnen fehlt die Gabe des Überblicks.“
„Nur gut, dass wir einen so fähigen Legionsoberführer haben“, erwiderte das Graue Wesen.
Einohr konnte die Gesichtszüge des Reptiliers nicht recht deuten und interpretierte die Worte als Anerkennung seiner Fähigkeiten. „So ist es. Der Allerhöchste hat für alles seine Gründe. Seine guten Gründe, wie ich betonen möchte.“ Er wippte unmerklich auf den Fersen. „Allerdings frage ich mich, warum er uns heute so lange warten lässt und was er mit den Rundohren will. Dinge von Belang sollten nur mit den wichtigsten Persönlichkeiten besprochen werden.“
„Wie du schon sagtest, Spitzohr, er wird seine Gründe haben.“
Diesmal war die Verachtung in Bar´Ses´ Stimme deutlich zu erkennen und Einohr blähte kurz die Wangen und marschierte dann leicht verärgert zu der riesigen Panoramascheibe. Aus diesem Grund war er der Erste der Versammelten, der den Reiter nahen sah.
„Ein Bote auf einem Pferd!“, rief er, ohne sich umzuwenden. „Offensichtlich wichtige Kunde.“
„Offensichtlich.“ Bar´Ses stieß ein undefinierbares Zischen aus. Er spürte die abwägenden Blicke der Rundohren, die ihn immer wieder heimlich musterten. Als Graues Wesen und direkter Vertreter des Allerhöchsten war er ihnen unheimlich. Er und seine Art schienen den Orks stets unnahbar und unverletzlich und alleine ihr Anblick hatte ausgereicht, Furcht in den harten Kämpfern zu entfachen. In den letzten Jahren schwand diese Angst. Bar´Ses wusste, dass dies eine Folge der hohen Verluste war, welche die Grauen Wesen hatten hinnehmen müssen. Nun stand fest, wie verletzlich sie trotz ihrer magischen Gabe waren. Das dumme Volk glaubte nur zu bereitwillig an die Unüberwindlichkeit magischer Wesen und dass ein Zauber nur von einem noch mächtigeren Zauber gebrochen werden konnte. Dabei bedurfte es nur eines Stückes kalten Stahls, um einem unsterblichen Wesen seine Sterblichkeit vor Augen zu führen.
Einohr zuckte erschrocken zusammen, als die Luft vor ihm unvermittelt flimmerte. Doch es war nicht der Schwarze Lord, sondern ein erschöpft wirkender Rumaki, der den Rang eines stellvertretenden Legionsführers innehatte und einen eindeutigen Geruch verbreitete.
„Du stinkst nach Pferd“, stellte Bar´Ses fest. Die Worte waren allerdings nicht unfreundlich gemeint. „Wenn ein solches Tier auf diese Weise schwitzt, so wurde es hart geritten. Somit bringst du schlechte Kunde, An der Rumaki, denn bei guter hättest du dich nicht derart gehetzt.“
„Ja, es ist schlechte Kunde“, bestätigte der An. „Doch sie ist für den Allerhöchsten bestimmt.“
„Ich bin Bar´Ses und du kennst mich. Ich bin Augen und Ohren des Allerhöchsten und so kannst du mir die Worte anvertrauen, die für ihn bestimmt sind.“
Der An nickte zögernd und griff in die lederne Umhängetasche, um ein gefaltetes Schriftstück hervorzuziehen. Er übergab es Bar´Ses. „Die Meldung kommt von Angehörigen der Bruderschaft, die im Land der Ehrlosen Informationen sammeln.“
„Die Verdienste der Bruderschaft sind mir bekannt“, meinte das Graue Wesen und begann die Nachricht zu lesen. „Und ebenso die Verluste, die sie bei ihrer wertvollen Tätigkeit erleiden. Die Armtätowierung des Kreuzes ist verräterisch.“
„Das ist sie“, räumte der rumakische Offizier ein. „Doch sie wurden vor vielen Jahreswenden angebracht und lassen sich nicht wieder entfernen.“ Er räusperte sich. „Die Informationen kommen von verschiedenen der Brüder, doch sie lauten alle gleich.“
„Dies entnahm ich deinen Worten bereits, An.“ Die Schlitzpupillen des Echsenwesens richteten sich auf den Offizier. „Du kennst die Nachricht?“
„Ich musste sie mir einprägen für den Fall, dass das Schriftstück verloren geht.“
„Das ist bedauerlich. Es gibt nur wenige gute Reiter in unserem Reich.“
Bevor der Rumaki begreifen konnte, berührte das Graue Wesen ihn mit der flachen Hand. Die Rundohren gaben erschrockene Laute von sich und Einohr konnte seine Schließmuskeln nur mit Mühe beherrschen, als der Körper des Mannes aufflammte und in Augenblicken zu Asche zerfiel.
„Bedauerlich“, wiederholte der Magier. „Er wäre uns bei anderer Gelegenheit sicher noch nützlich gewesen.“
„Was steht in der Nachricht?“, stieß ein Rundohr mutig hervor. „Warum musste die weite Hose sterben? Er ist sicher nicht der Einzige, der ihren Inhalt kennt.“
„Ja, möglicherweise werde ich auch andere mit dem Flammzauber belegen müssen“, sinnierte Bar´Ses. Er ließ die Botschaft in seiner Robe verschwinden. „Nun, vielleicht sollte ich euch mit ihrem Inhalt vertraut machen.“
Einohr starrte auf das Aschehäufchen am Boden. „Nun, äh, ich bin eigentlich nicht sonderlich neugierig.“
Bar´Ses trat an den Kartentisch. Seine gespaltene Zunge glitt kurz über das lippenlose Maul. „Immerhin seid ihr die fähigsten Führer der Legionen“, überlegte er. „Nein, ihr müsst die Kunde erhalten. Der Allerhöchste wird das erwarten.“
„Wir, äh, können warten, bis er eintrifft“, stammelte Einohr.
„Das Land der freien Reiche wird untergehen“, eröffnete der Magier.
„Das wird es“, stimmte Dreischlag, einer der Legionsführer, zu. „Die Legionen stehen bereit.“
„Es sind nicht die Legionen, die das bewirken … Das Land selbst wird sich öffnen und alles verschlingen. Städte und Dörfer und alles Leben werden im Meer versinken.“
„Aber … Aber das ist ja großartig“, entfuhr es Einohr. „Dann brauchen wir ja gar nicht erst zu kämpfen.“ Er warf einen Blick zu den Legionsführern, deren scheckige Gesichter Verwirrung zeigten. „Natürlich ist das für unsere tapferen Rundohren sehr bedauerlich. All das viele Üben und Herumgestampfe ... Sie haben sich sicherlich schon sehr auf ausgiebige Gemetzel mit viel Blutvergießen gefreut.“ Der Legionsoberführer runzelte die Stirn. „Äh, es wird doch genug Gelegenheit für ein bisschen Plünderung bleiben, oder?“
Bar´Ses starrte das kleine Spitzohr an. Er schien zu überlegen, ob die kleine Kreatur ihre Worte wohl ernst gemeint hatte. „Du verstehst die Bedeutung der Worte nicht, Einohr. Nicht nur das Land der Feinde wird untergehen, auch das unsere.“
Einohr wurde fahlgrün. „Untergehen? Wir?“
„Alles wird im Meer versinken.“
„Das ist … entsetzlich“, keuchte das Spitzohr. „Wir … Wir müssen uns retten! Ein Schiff! Ein Schiff schwimmt auf dem Wasser … Ich brauche ein Schiff!“
„Wir können keine Schiffe bauen“, stieß Legionsführer Dreischlag grimmig hervor. „Und wir können auch nicht auf Wasser laufen.“
„Das nennt man schwimmen“, korrigierte Einohr automatisch, ohne sich dessen richtig bewusst zu sein. Dann drangen ihm die Worte des anderen Ork erst richtig ins Bewusstsein. „Keine Schiffe? Wir können keine Schiffe bauen?“
„So erkennt ihr nun die Weisheit meiner Gedanken und die Bedeutung meines langen Plans.“
Übergangslos stand die Gestalt des Schwarzen Lords im Raum. Der Herrscher kam näher und Einohr wich ihm hastig aus.
„Wir brauchen Schiffe“, flüsterte das kleine Spitzohr ängstlich. „Das Land wird untergehen und wir alle werden am Wasser sterben.“
Der Allerhöchste lachte und das Vibrieren schien im Raum nachzuhallen. „Ich weiß dies schon seit vielen Jahrtausendwenden und habe meinen Plan gemacht.“
„Aber wenn Ihr es schon so lange wisst, Allerhöchster“, wandte Dreischlag ein, „warum habt Ihr es uns nicht gesagt?“
„Warum sollte ich das?“ Erneut lachte der Herrscher. „Ihr könnt schließlich keine Schiffe bauen, nicht wahr?“
„Aber andere können es.“ Bar´Ses nickte und verzog das lippenlose Maul zu einem Lächeln. „Nun verstehe ich Eure Weisheit, mein Gebieter.“
Einohrs verbliebenes Ohr war eingeknickt und er glich einem Häufchen Elend. Doch die Worte von Bar´Ses deuteten an, dass es Hoffnung gab. „Der lange Plan?“, fragte er eifrig.
Der Herrscher nickte. „Der sich nun seiner Vollendung zuneigt. Es verbleiben nicht viele Jahreswenden, bis das Land versinken wird. In dieser Zeit könnten wir den Schiffsbau niemals erlernen und auch nicht genügend Schiffe fertigstellen.“
„Nun, ein paar würden vielleicht reichen“, meinte Einohr prompt. „Für die wichtigsten Persönlichkeiten und ein paar kräftige Rundohren, die für ihren Schutz sorgen.“ Das schwarz schimmernde Gesicht wandte sich ihm zu. „Nur so … nur so ein flüchtiger Gedanke.“
„Offensichtlich machen die Menschen kein Geheimnis aus dem drohenden Untergang.“ Bar´Ses zog die Nachricht aus seiner Robe, doch der Herrscher bedeutete ihm, sie wieder wegzustecken. „Überall spricht man davon und Unmengen von Arbeitern und Material gehen in die Provinz von Gendaneris.“
„Dort wird man die Schiffe erbauen.“ Der Herrscher schien zu lächeln. „Natürlich machen sie kein Geheimnis daraus. Sie hoffen ja, dass wir davon erfahren.“
Bar´Ses zischte leise. „Sie wissen, dass wir auf ihre fertigen Schiffe angewiesen sind.“
Dreischlag begriff und in seiner kehligen Stimme lag Triumph. „Dann wird es doch zur Schlacht kommen!“
„Sobald sich die Schiffe der Vollendung nähern“, stimmte der Schwarze Lord zu. „Bis dahin herrscht Waffenruhe und werden wir uns weiter rüsten. Doch bevor sie ihre Schiffe besteigen, wird der Sturm der Orks beginnen.“ Er deutete auf den Kartentisch. „Und nun überlegt, wie wir am schnellsten nach Gendaneris vorstoßen können, wenn es so weit ist.“
Einohr gefiel es nicht, dass es nun doch zum großen Krieg kommen würde, doch er wusste, dass man die Schiffe des Feindes erobern musste. Seufzend sah er den Allerhöchsten an die Klarsteinscheibe treten, doch die Worte des Herrschers konnte er nicht verstehen.
„So beginnt es nun endlich und der lange Plan geht der Vollendung entgegen“, flüsterte der Schwarze Lord. „Doch letztlich werdet ihr alle ihn erst verstehen, wenn die Zeit dazu gekommen ist.“