Читать книгу Die Pferdelords 12 - Der Ritt zu den goldenen Wolken - Michael Schenk - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеDas Pferdevolk bevorzugte die weiten und fruchtbaren Ebenen der tiefer gelegenen Regionen und die Hochmark entsprach keineswegs dem Ideal dieses Reitervolkes. Sie bestand aus einer Reihe von kleineren Tälern und dem großen Tal von Eternas und lag eingebettet inmitten der hoch aufragenden Berge des Noren-Brak. Der Bewuchs in den Seitentälern war meist spärlich, dennoch ermöglichte er eine bescheidene Zucht an Wolltieren und Hornvieh. Es gab eine Handvoll kleiner Siedlungen, die Weiler, und eine Reihe von Gehöften, die von Familien betrieben wurden. Dort, wo sich der Quellweiler erhob, entsprang der Eten. Entlang seines Wasserlaufes erblühte die Mark. Im großen Tal von Eternas, in dem sich die gleichnamige Stadt und die Festung erhoben, hatte er bereits das Ausmaß eines kleinen Flusses angenommen. Von hier strömte er, teilweise unterirdisch, immer weiter nach Norden, wo er schließlich ins Meer mündete. Auf seinem Weg lagen zwei der unterirdischen Kristallstädte der Zwerge, die Öde des untergegangenen Reiches von Rushaan sowie das tropische Land von Julinaash, dessen heiße Quellen das Überleben inmitten ewigen Eises sicherten. Es gab nur zwei Pässe, die in die Hochmark hinein- oder hinausführten: den im Süden, welcher die Verbindung zu den anderen Marken ermöglichte, und jener im Norden, der durch die Nordfeste geschützt wurde, deren Besatzung aus Pferdelords und Zwergen bestand.
Das große Tal von Eternas reichte gute fünfundzwanzig Tausendlängen von Osten nach Westen und fast vierzig Tausendlängen von Süden nach Norden. Auch die anderen Täler wiesen eine beachtliche Größe auf, doch das von Eternas war unbestreitbar das größte und fruchtbarste. Am rechten Ufer des Eten erstreckte sich der einzige Wald der Hochmark, links des Flusses lagen die Stadt, die Festung und die Getreidefelder. Hier gab es nur wenig Hornvieh, denn der kostbare Ackerboden im großen Tal war dem Korn vorbehalten.
Stadt und Festung waren am nördlichen Ende erbaut worden und schützten den dortigen Zugang zum Pass. Der einstige Weiler hatte sich zu einer Siedlung gewandelt, die inzwischen fast achttausend Bewohnern ein Heim bot und am Ende ihrer Aufnahmekapazität angelangt war, denn die Hochmark durfte nur so viele Menschen aufnehmen, wie sie auch ernähren konnte. Die Lage im Gebirge des Noren-Brak bot ihr einen einzigartigen Schutz und bedeutete zugleich eine fortwährende Bedrohung. Schon ein Felsrutsch konnte die Handelsrouten der Gebirgspässe unterbrechen und die Mark isolieren und so mussten die Bewohner in der Lage sein, sich eigenständig zu versorgen.
Entgegen der üblichen Bauweise des Pferdevolkes waren die Gebäude der Hochmark aus Mangel an Holz aus Stein errichtet und wiesen bis zu drei Stockwerke auf. Der Handel mit den anderen Marken hatte dazu geführt, dass viele Bewohner die Fassaden nachträglich mit Holz verkleideten. Einige taten dies, weil sie sich der Tradition verbunden fühlten, andere wollten den neuen Wohlstand augenfällig machen. Handelswege und Straßen waren mit Steinplatten gepflastert, unter denen die Rohre des Abwassersystems verlegt waren. Mehrere Dampfpumpen versorgten die Wasserstellen der Stadt aus dem Eten.
Dampf beherrschte das Ostufer von Eternas, denn dort befanden sich die zahlreichen Handwerksbetriebe. Hier wurde Leder gegerbt und Stoff gewebt, hier wurde genäht, geflickt und geschmiedet. Die Produkte der Hochmark genossen einen guten Ruf in den unteren Marken, doch inzwischen wurde viel Handarbeit durch das Hämmern und Sägen von Maschinen abgelöst. Es gab Leute, die behaupteten, die Qualität leide darunter. Es mochte stimmen oder auch nicht, aber die Pferdelords ließen sich ihre Waffen und Rüstungen lieber von Schmiedemeistern fertigen, welche sich auf die Kraft der Arme und die Geschicklichkeit der Hände verließen.
Die Hochmark galt im Pferdevolk als Besonderheit und ihr Ansehen reichte weit über die Grenzen der Marken hinaus. Dies lag auch an dem Mann, der sie als Pferdefürst regierte.
Nedeam war als Sohn eines Schafzüchters aufgewachsen und hatte das einfache und raue Leben jener Menschen kennengelernt, die das Rückgrat der Wehrkraft des Pferdevolkes bildeten. Sein Vater war ein Pferdelord gewesen und hatte den grünen Umhang der Kämpfer in Ehren gehalten. Das Pferdevolk unterhielt kein stehendes Heer, wie dies im Reich von Alnoa üblich war. Zwar standen bei den jeweiligen Pferdefürsten einige Beritte von gut ausgebildeten und ausgerüsteten Kämpfern bereit, die sogenannten Schwertmänner, doch ihre Zahl reichte nicht aus, große Schlachten zu schlagen. Die Aufgabe dieser Kämpfer bestand darin, die Grenzen und Marken zu bestreifen, Schutz vor Raubgesindel und gefährlichen Tieren zu gewähren und die Grenzfesten zu bemannen. Die wahre Kampfkraft des Pferdevolkes basierte hingegen auf seinen freiwilligen Kämpfern. Bestand Gefahr, so gab der Pferdefürst die Losung und die dem Eid verpflichteten Männer der Gehöfte, Weiler und Städte legten den grünen Umhang der Pferdelords an. Sie nahmen Rundschild und Waffe, um sich unter dem Banner ihres Oberherrn zu sammeln. Die Pferdelords waren Freiwillige und keiner von ihnen nahm es einem Mann übel, der den grünen Umhang nicht tragen und den Eid der Pferdelords nicht ablegen wollte. Sie wussten zu genau, dass sie ihr Heim verließen, wenn sie in die Schlacht ritten, und dass die Zurückbleibenden, ob Mann oder Frau, dieses verteidigen mussten, wenn der Feind in die Marken vordrang.
Nedeam stieß schon als Knabe zu den Pferdelords. In weit jüngeren Jahren als sonst üblich. Damals waren die Kämpfer ausgerückt, um nach dem Feind zu suchen, nicht ahnend, dass er längst die Hochmark bestreifte. Nedeam war den Reitern des damaligen Pferdefürsten Garodem gefolgt, um diese zu warnen und Hilfe für die Mark zu holen. Das war selbst für einen Knaben des Pferdevolkes eine sehr tapfere Tat gewesen und zum Dank hatte er den Eid der Pferdelords ablegen dürfen. Seine Fähigkeit und sein Glück im Kampf hatten im Verlauf der Jahre dazu geführt, dass er zum Ersten Schwertmann, dem Führer der ständigen Wache des Pferdefürsten, aufgestiegen war. Als ein Nachfolger für den tödlich verunglückten Garodem gefunden werden musste, war die einstimmige Wahl auf Nedeam gefallen.
Das Amt des Pferdefürsten bedeutete eine Ehre, doch es trug die Last der Verantwortung in sich. Die Führung einer Mark bestand bei Weitem nicht nur darin, ihre Kämpfer in die Schlacht zu führen, sondern vielmehr in der Kunst, über das Wohl ihrer Bewohner zu wachen und es zu bewahren. Die Versorgung der Bevölkerung musste gewährleistet sein, das gesundheitliche Wohl beachtet und der Handel gelenkt werden, der den Wohlstand brachte. Aufgaben, bei denen es zwischen den Interessen vieler Gruppen abzuwägen galt und bei denen ein Pferdefürst auch Fingerspitzengefühl besitzen musste. Aufgaben, die zudem mit viel Schreibarbeit verbunden waren. Obwohl Nedeam zu jenen gehörte, die sich darauf verstanden, die Zeichen der Schrift zu setzen und auch zu deuten, gehörte der Umgang mit Feder und Schreibflüssigkeit nicht zu den Dingen, die ihm besonders zusagten.
Pferdefürst Nedeam war ein schlanker und nicht sonderlich hoch gewachsener Mann mit dem typischen blonden Haar des Pferdevolkes und blauen Augen, die schon zu viel Grausamkeit und Blut gesehen hatten. Eigentlich war er nun sechsundvierzig Jahre alt, doch wer ihn zum ersten Mal erblickte, schätzte ihn höchstens auf Mitte zwanzig. Auf gewisse Weise traf beides zu. Als Nedeam vor vielen Jahren gegen einen bösartigen Grauen Magier des Schwarzen Lords kämpfte und diesen bezwang, übertrug die Kreatur im Tode unabsichtlich einen Teil ihrer Fähigkeiten auf den Pferdelord. Fähigkeiten, die Fluch und Segen zugleich sein mochten. Nedeams Wunden heilten schneller als gewöhnlich und hinterließen keine Narben und er verfügte über die Gabe der Aura. Sie ermöglichte es, die Empfindungen anderer Wesen zu erkennen und zu deuten, ob selbige feindlich oder freundlich gesinnt waren. Ein Grauer Magier konnte diese Fähigkeit bewusst einsetzen, für Nedeam hingegen war es nicht möglich, sie zu kontrollieren. Manches Mal hatte die Aura ihn vor einer drohenden Gefahr gewarnt, doch ebenso oft ließ sie ihn im Stich.
Überaus willkommen war dem Pferdefürsten hingegen, dass die Teilverschmelzung mit der sterbenden Kreatur auch einen Teil ihrer Langlebigkeit auf ihn übertragen hatte. Eine Langlebigkeit, die Nedeam wesentlich langsamer altern ließ und die entscheidend dazu beigetragen hatte, dass er seine geliebte Elfin Llaranya heiraten konnte. Obwohl sie ihn von Herzen liebte, war sie davor zurückgeschreckt, sich mit einem Sterblichen zu verbinden, denn ein unsterbliches Wesen scheute sich, dem Verwelken eines geliebten Menschen hilflos zusehen zu müssen. So hatte die grausame Kreatur auch Gutes bewirkt und Nedeam und Llaranya waren glücklich miteinander.
Llaranya war eine Elfin vom Hause Deshay, dem Urbaum aller Elfen, und im Gegensatz zu dem sonst bei ihrem Volk üblichen weißblonden Haar zeigte das ihre sich in seidig schimmerndem Schwarz. Ihre Schönheit besaß jenes Ebenmaß, wie es der Art der Elfen entsprach, und sie war gleichermaßen eine liebende Frau und Mutter wie auch eine überaus fähige Kriegerin.
Elfen schienen wohl in allen Dingen zur Perfektion zu neigen: ob nun bei dem Aneinanderreihen klangvoller Worte, dem Schlachten ihrer Feinde oder dem Setzen von Füßen im Gleichklang mit Musik. Eine Perfektion, um die Pferdefürst Nedeam in diesen Augenblicken seine Frau und die elfischen Geschwister Lotaras und Leoryn beneidete. Er selbst hatte gerade die Empfindung, sich mit der Grazie eines angeschossenen Pelzbeißers zu bewegen.
„Komm schon, mein Geliebter“, flüsterte Llaranya ihm ins Ohr. „Es ist wirklich ganz leicht. Du musst dich nur dem Klang und dem Takt der Musik hingeben.“
„Rundtanz und Schreittanz des Pferdevolkes behagen mir mehr“, brummte er. „Ich kann diesen neuen Sitten aus dem Königreich von Alnoa nichts abgewinnen.“
„Musik besteht nicht nur aus Trommeln, Flöten und Hörnerklang, mein grollender Gebieter.“ Sie sah ihn mit jenem Lächeln an, welches ein finsteres Verlies in einen sonnendurchfluteten Raum verwandeln konnte. „Tanz ist die perfekte Harmonie von Klang und Bewegung.“
„Ich tanze lieber mit den Orks“, gestand er errötend, als er erneut beinahe auf einen ihrer Füße getreten wäre. Es war wohl nur Llaranyas elfischen Sinnen zu verdanken, dass sie bislang keinen ernsthaften Schaden davongetragen hatte.
„Lieber als mit mir?“ Sie sah ihn mit gespielter Verletztheit an.
„Du weißt, wie ich das meine.“
Die schöne Elfin lachte. „Ich gebe zu, beim Tanz mit den Orks bist du beinahe so geschickt wie ein Elf. Du bist ein wahrhaftig guter Krieger, doch nun musst du dein Geschick im Umgang mit deinen Füßen beweisen.“
„Vielleicht könnte ich zur Eröffnung ein wenig auf dem Pferd reiten“, meinte er hoffnungsvoll. „Das Schwert schwingen … Ein wenig mit dem Banner wedeln … Das gebührt sich eher für einen Fürsten des Pferdevolkes.“
„Ich sehe Furcht in deinem Herzen“, neckte sie ihn. „Du weißt genau, wie sehr sich das Volk, und übrigens auch deine tapferen Pferdelords, auf das morgige Erntefest freuen. Und es ist seit Langem Tradition im Pferdevolk, dass der Pferdefürst und seine Hohe Dame dieses Fest mit ihrem Tanz eröffnen. Du solltest dies wissen, da du dich doch so sehr den Traditionen verbunden fühlst.“
„Wenn es ein Rundtanz oder ein Schreittanz wäre …“, versuchte er erneut einzuwenden.
„Sonst bist du Neuem gegenüber nicht so verschlossen“, mahnte sie ihn und blickte zur Seite. „Nimm dir ein Beispiel an Neliana. Sie hat ihre Freude am Tanz.“
Nedeam sah zu ihrer Tochter hinüber und musste nun doch lachen. „Sie tanzt nicht, meine Liebste. Sie hüpft den anderen zwischen den Beinen herum.“
„Nun, Hauptsache, sie erfreut sich.“ Llaranya schmiegte sich enger an Nedeam und küsste ihn flüchtig. „Aber sie bewegt sich dabei sehr harmonisch.“
„Ja. Und einigen tritt sie ganz bewusst auf die Füße“, raunte er. „Nur bei Lotaras und Leoryn gelingt ihr das nicht.“
„Elfische Reflexe“, erwiderte die Herrin der Hochmark auflachend.
Neliana …
Die relative Unsterblichkeit des elfischen Volkes hatte zur Folge, dass es nur selten das Glück einer Geburt gab. Nedeam und Llaranya war es zuteilgeworden und vor vier Jahren war ihre Tochter Neliana zur Welt gekommen. Ein kleines Mädchen mit den tiefschwarzen Haaren der Mutter, den strahlend blauen Augen des Vaters und den typischen spitzen Ohren des elfischen Volkes. Die Kleine war der ganze Stolz ihrer Eltern und das elfische Wort für „Augenstern“ bezeichnete sehr treffend den Liebreiz, den Neliana ausstrahlte. Es gab kaum jemanden, der das kleine Mädchen nicht sofort ins Herz geschlossen hätte. Inzwischen neigte sie zu allerlei Streichen, was auch darin begründet war, dass man ihr kaum längere Zeit böse sein konnte. Allerdings verlief ihr Tag keineswegs nur unbeschwert, denn Llaranya und die elfischen Geschwister erwiesen sich als strenge Lehrmeister, die Neliana in den verschiedensten Fertigkeiten des elfischen Volkes unterwiesen und, auf Nedeams Drängen hin, auch das Wissen und die Traditionen des Pferdevolkes vermittelten. Sie sog all dies mit einer Leichtigkeit in sich auf, die Nedeam erstaunte und zugleich verlegen machte, denn seine Tochter vermochte inzwischen die Zeichen der Schrift mit einer Mühelosigkeit zu setzen und zu deuten, die er sich nur schwer angeeignet hatte.
Es war Hochsommer und am morgigen Tag würde man überall im Pferdevolk das Erntefest begehen. Es bot eine willkommene Abwechslung von all der Mühsal, mit welcher der Alltag ansonsten verbunden war. Einen ganzen Zehntag lang würde man nur die notwendigsten Arbeiten verrichten. Bis auf die Streifen der Schwertmänner und der Herdenwächter würden wohl alle Bewohner der Hochmark im Tal von Eternas zusammenkommen, um sich dem Frohsinn hinzugeben. Es würde reichlich zu essen geben und Gerstensaft und selbst das Blor der Zwerge würden wohl in Strömen fließen. Musik, Tanz und Schaustellerei wurden geboten. Je näher der morgige Tag rückte, desto sorgenvoller wurden die Mienen jener, die an diesen Festtagen die Ordnung aufrechterhalten sollten.
Die Stadt war festlich geschmückt. Überall hingen bunte Tuchstreifen und selbst die Festung von Eternas und die Garnison der Schwertmänner bildeten dabei keine Ausnahme. Auch den hartgesottenen Kämpfern des Pferdevolkes war die Vorfreude auf das Fest anzumerken. Obwohl sie ihren Dienst und die üblichen Waffenübungen mit dem gebührenden Ernst versahen, kam den Männern doch so mancher Scherz über die Lippen. Vielleicht lag es an den Besonderheiten dieses Erntefestes, denn in diesem Jahr fiel es auf den Gründungstag der Hochmark und so wollte Nedeam etwas Außergewöhnliches bieten.
Illdur der Farbenprächtige, der den Himmel verzauberte und die Herzen erfreute, gehörte mit seiner Schaustellertruppe, der „aufspielenden Flöte“, sicher zu den Besten seiner Art. Er präsentierte nicht nur Gaukler, Akrobaten, Zukunftsdeuter und Tänzer, sondern für die Nächte auch ein einzigartiges Feuerwerk in prächtigen Farben, welches auf dem Sprengpulver der Orks basierte. Nedeam war Illdur erstmalig beim Kampf um die Festung Nerianet begegnet und die Schaustellertruppe hatte sich an der Seite der Pferdelords und der Garde Alnoas tapfer geschlagen. Illdur hatte die Einladung des Pferdefürsten in die Hochmark nur zu gerne angenommen und seine Darbietungen würden sicher zu den Höhepunkten gehören. Derzeit hielt er sich im hinteren Burghof auf, denn er sollte seine farbigen Himmelslichter von der runden Nordmauer abschießen. Da auf ihr nur die Batterie der Dampfkanonen stand, gab es viel Platz und zudem konnte man verhindern, dass Neugierige versehentlich eine der Zündschnüre beschädigten oder vorzeitig auslösten.
Ein anderer Höhepunkt sollte das Spektakel der Vorführung einiger Beritte werden. Die Männer wollten dabei nicht nur in den üblichen Formationen reiten und ihre Wehrfähigkeit demonstrieren, sondern in diesem Jahr ihre Geschicklichkeit beweisen. Nicht alleine im Umgang mit den Waffen, denn hier erwartete man von einem Schwertmann ohnehin nur Perfektion. Nein, in diesem Jahr würde es ein Hindernisrennen geben. Seit vielen Tagen wurde in den Unterkünften gehämmert und gesägt, um die verschiedensten Hindernisse vorzubereiten.
„Nedeam?“
Der Pferdefürst schreckte aus seinen Gedanken hoch und blickte seine Elfin für einen Moment verwirrt an. „Entschuldige, ich war ganz in Gedanken.“
„Das habe ich bemerkt. Du kannst mit dem Gestampfe aufhören, die Musik hat aufgehört zu spielen.“
Nedeam errötete und sah sich verlegen um.
Llaranya legte ihm vergnügt die Hand an den Arm. „Du solltest öfter in Gedanken sein, wenn du zu tanzen versuchst. Eben warst du in Harmonie mit der Musik.“
Sie übten im vorderen Innenhof der Festung von Eternas, denn der neue Tanz war als Überraschung gedacht und sollte zum ersten Mal auf dem Erntefest vorgeführt werden. Keiner der Burgbewohner wollte sich dabei blamieren und so waren die Tore geschlossen, damit niemand die Übungen sah. Außerhalb der Mauern konnte man nur die ungewohnte Musik des fernen Königreiches Alnoa hören. Die Musikantengruppe war hierfür extra aus dem fernen Alneris angereist und wirkte mit ihrer feinen Kleidung und dem etwas gezierten Gehabe ein wenig deplatziert. Sonst spielten sie vor den Adligen der Hauptstadt Alneris auf und das Land des Pferdevolkes schien ihnen nicht ganz geheuer.
Jetzt hatten die Musiker eine Pause eingelegt und setzten sich dazu auf die Einfassung des großen Brunnens. Lotaras und Leoryn gesellten sich zu ihnen und Nedeam schloss sich mit Llaranya an.
„Der volle Klang unserer Instrumente kommt hier nicht richtig zur Geltung“, klagte der Spielleiter. „Die Akustik in diesem Burghof ist sehr bescheiden, Hoher Lord“, wandte er sich an Nedeam. „Die Töne hallen nach und so verschwimmen ihre Akzente.“
Die Herrin der Hochmark lächelte den Mann an. „Morgen werdet ihr alle auf dem großen Platz der Schwertmänner musizieren, guter Herr. Da werden euch keine Mauern stören.“
Es waren nur zehn Paare, die sich auf Llaranyas Bitte an den neuen Tanz gewagt hatten, und sie schienen durchaus dankbar für die Unterbrechung. Ihre Gesichter verrieten, dass sie ihren Spaß hatten, was Nedeam erleichterte, denn er wusste, wie sehr sein Volk in alten Traditionen verwurzelt war. Doch der neue Tanz war ja nur eines der vielen Zeichen, dass sich die Zeiten im Wandel befanden.
Als Nedeam noch ein Knabe gewesen war, da hatte es keine einzige Scheibe aus Klarstein in den Fenstern gegeben. Nun stampften sogar Dampfmaschinen in den Handwerksbetrieben. Selbst die Schwertmänner der Pferdelords, von jeher die Hüter ihrer Traditionen, hatten sich an Neues gewöhnt. An den Waffengurten hing nun der Kriegshammer neben dem Schwert. Obwohl die blanke Klinge noch immer die bevorzugte Waffe der Schwertmänner war, erkannten die Kämpfer jedoch neidlos an, dass sich mit dem schlanken Kegel des Kriegshammers jeder Brustpanzer zertrümmern ließ. Das Bolzenrohr stand nun gleichberechtigt neben dem Bogen und der schweren Stoßlanze des Reitervolkes. Es waren Neuerungen, die Nedeam begrüßte und die ihn zugleich mit Unbehagen erfüllten. Über viele Jahrtausende hatten sich die Bewaffnung und Taktik der Kriegsparteien nie gewandelt, doch in den letzten Jahren begann sich dies zunehmend zu verändern.
Der Pferdefürst spürte, dass diese Veränderungen früher oder später zu einer verheerenden Schlacht führen mussten. Vielleicht zu jener Schlacht, die den langen Krieg zwischen den freien Völkern und dem Schwarzen Lord endlich entschied. Doch wer würde daraus als Sieger hervorgehen? Wessen Leben würde das Schicksal bewahren und wessen Leben würde es nehmen?
Nedeam schüttelte unbewusst den Kopf und versuchte diese Gedanken zu verdrängen. Jetzt war nicht die Zeit, sich mit dem Tod zu befassen, denn das Fest der Ernte stand bevor.
Die Stadt und das Tal boten ein bunt wogendes Bild. Die meisten Teilnehmer des Festes waren bereits eingetroffen. Die Bewohner von Eternas öffneten bereitwillig die Türen ihrer Häuser, um Gäste aufzunehmen, dennoch standen die abgeernteten Felder voller Zeltdächer, unter denen man provisorische Lager hergerichtet hatte. Noch immer drängten Bewohner aus Weilern und Gehöften über die Handelsstraße heran, die durch die Hochmark führte. Es wimmelte von bunten Gewändern und Menschen allen Alters. Manche waren sogar aus den unteren Marken gekommen.
Die Festung von Eternas und die Garnison der Schwertmänner wirkten hingegen fast wie ruhige Inseln.
„Eine Bestie“, raunte einer der Musikanten und deutete verstohlen hinter Nedeam. „Sie haben eine Bestie gefangen.“
Der Pferdefürst konnte sich denken, wer damit gemeint war, noch bevor er die gutturale Stimme hörte.
„Bestie überaus hungrig“, grollte Fangschlag. „Krieger braucht Fleisch. Frisches Fleisch und schön blutig.“ Offensichtlich machte sich das Rundohr einen Spaß daraus, den Musikern aus dem fernen Alneris als blutrünstiger Diener der Finsternis gegenüberzutreten. Er schob sich an Nedeam vorbei, sah den Anführer der Spielleute abschätzend an und plötzlich klangen seine Worte kultiviert und gesetzt. „Ihr würdet mir nicht zufällig die Ehre erweisen und mir einen Bissen Eures Fleisches überlassen, guter Herr?“
Das Gelächter der Umstehenden ging fraglos zulasten der Musikanten. Nedeam gönnte es ihnen, aber er hatte auch Verständnis für deren Überraschung.
„Nun, gute Herren Musikanten, vor euch steht Fangschlag. Einst der Legionsoberführer des Schwarzen Lords und nun ein Verbündeter des Pferdevolkes. Beachtet wohl, dass er ein Krieger von Ehre ist, und behandelt ihn mit dem gebotenen Respekt.“
„Das sollte euch angeraten sein“, war nun die Stimme von Arkarim zu vernehmen. „Wir haben gemeinsam unser Blut vergossen und wer Fangschlag beleidigt, der beleidigt auch die Pferdelords der Hochmark.“
Die Musiker stammelten eine Entschuldigung und ihre Verwirrung war nur zu verständlich. Seit Jahrtausenden kämpften die Menschen und die Zwerge gegen den Schwarzen Lord und seine Legionen, aber mit Ausnahme der Kämpfer hatten die wenigsten Menschen jemals einen Ork zu Gesicht bekommen oder diese Begegnung überlebt. Man kannte sie als blutrünstige Bestien, die das Fleisch der Menschen nicht verschmähten. Nun stand eines der mächtigen Rundohren so unerwartet vor den Alnoern und die Furcht in ihren Blicken wich nur langsam der erwachenden Neugierde.
Fangschlag und Arkarim bildeten sicherlich ein ungewöhnliches Gespann und gehörten zugleich, von Llaranya abgesehen, zu den wichtigsten Vertrauten des Pferdefürsten.
Fangschlag war wohl gute anderthalb Köpfe größer als ein durchschnittlicher Mann. Obwohl seine Figur der eines Menschen entsprach, gab es doch eine Reihe von Unterschieden. Alles wirkte ein wenig kantig und grob und seine Haut war rot und grün gescheckt. Die Fingerkrallen waren schwarz, die Lippen von dunklem Grün. Seine tiefroten Augäpfel zeigten gelbe schlitzförmige Pupillen, die sich je nach Stimmungslage kreisrund weiten konnten. Das kräftige Gebiss zeigte lange Fangzähne und das Lächeln ihres Besitzers konnte ebenso beeindruckend wie furchterregend sein. Fangschlag hatte den Pferdelords in mancher Schlacht gegenübergestanden. Schon damals war sein ungewöhnliches Ehrempfinden auffällig geworden, denn als einer der Pferdelords seine Waffe verlor, wartete das Rundohr ab, bis sein Gegner wieder bewaffnet war. Das Rundohr hatte den Vorstoß der Orks in die Öde von Rushaan befehligt und dabei viele seiner Krieger durch den Verrat des Spitzohrs Einohr verloren. Dies hatte ihn dazu bewogen, sich in auswegloser Situation den Pferdelords zu ergeben und an ihre Seite zu treten mit dem Ziel, den Verräter Einohr zu stellen und persönlich abzuschlachten. Er erwies sich als zuverlässiger Waffengefährte und doch wusste niemand zu sagen, wie er sich verhalten mochte, wenn seine Rache endlich vollendet war.
Arkarim hingegen war ein typischer Pferdelord, der in den Diensten der Hochmark stand. Er hatte sich vom einfachen Scharführer bis zum Ersten Schwertmann, dem Bannerträger seines Pferdefürsten Nedeam, hochgedient und gemeinsam mit diesem manches Abenteuer bestanden. Der Aufstieg zum Ersten Schwertmann hatte es ihm endlich ermöglicht, seine Etana zu heiraten, denn eigentlich zählte es zu den Verpflichtungen der Schwertmänner, sich nicht an eine Frau zu binden. Arkarim war schlank und ein überaus fähiger Kämpfer. Für Nedeam war er mehr als nur ein treuer Gefährte, auf den er sich bedingungslos verlassen konnte, denn Arkarim zeigte sich, obwohl den Traditionen eng verbunden, Neuem gegenüber aufgeschlossen. In diesen Zeiten der Veränderungen galt dies als eine wichtige Voraussetzung, um gegen den erstarkenden Feind bestehen zu können. Arkarim überlegte sich seine Handlungen und wog das Für und Wider ab. Er war kein Mann, der seine Kämpfer grundlos hetzte oder die höchste Bestimmung im Heldentod sah. Nein, Arkarim war klug und fähig genug, diese Ehre dem Feind zu belassen. Wer sich rechtzeitig zurückzog, konnte an einem anderen Tag erneut zum Kampf antreten. Nedeam schätzte den Ersten Schwertmann als Freund und als Anführer und das erleichterte ihm seine eigene Aufgabe, denn oft genug würde Arkarim eigenständig über Leben oder Tod zu entscheiden haben. Auch wenn Nedeam nun ein langes Leben beschieden sein mochte, so war er doch gewiss nicht unsterblich. Die Jahre der Kämpfe gegen den Feind hatten ihm oft genug seine eigenen Schwächen aufgezeigt. Er würde seine Männer nach besten Kräften führen und konnte nur hoffen, dass ihm dabei keine tödlichen Fehler unterliefen. Die Männer des Pferdevolkes waren tapfere und fähige Kämpfer, aber sie brauchten auch fähige Anführer. Arkarim war sicherlich einer von ihnen.
Nach einer Weile spielten die Musikanten wieder auf und Fangschlag sah dem Tanz sichtlich amüsiert zu. Inzwischen hatte er viele Gebräuche der Menschen kennengelernt. Einige davon würden ihm immer fremd bleiben. Als ungeschlechtliches Wesen war es ihm schwergefallen, das Verhalten von Männern und Frauen im Umgang miteinander zu verstehen. Seine anfängliche Auffassung, wonach Letztere nur eine besonders umständliche Form von Brutbeuteln auf zwei Beinen verkörperten, hatte er revidieren müssen. Inzwischen verstand er, welche Funktionen die Geschlechter hatten, und empfand vor beiden gleichermaßen Respekt. Er war, wenn auch eher ungewollt, zu einer Art Mittler zwischen den Kulturen geworden, denn er zeigte den Menschen, in den Orks nicht nur Bestien, sondern Individuen zu erkennen.
Am Abend zogen sich Nedeam und Llaranya erleichtert in ihre Gemächer zurück. Es war ein langer Tag voller Vorbereitungen gewesen und dem Pferdefürsten schmerzten von dem „Herumgehüpfe“ die Füße.
„Viel Schlaf werden wir in den kommenden Tageswenden wohl nicht finden“, meinte er mit einem leisen Seufzer und akzeptierte es, dass sich Neliana zwischen ihre Eltern drängte.
***
Es war der dritte Tag des Erntefestes. Eternas schien eine Stadt zu sein, die niemals wirklich zur Ruhe kam. Eigentlich galt eine Zeit der Nachtruhe, doch in diesen Tagen begegneten jene, die sich zu ihrer Schlafstelle begaben, denen, die sie gerade wieder verließen. Pferdefürst Nedeam hatte zusätzliche Beritte als Wache aufgeboten, denn die Männer des Pferdevolkes waren einer zünftigen Rauferei nur selten abgeneigt und der reichliche Genuss von Gerstensaft, Brennwasser und Blor ließ die Hemmungen rasch schwinden. Die Heiler der Stadt, zu denen die Elfin Leoryn gehörte, hatten alle Hände voll zu tun, die verschiedensten Blessuren zu versorgen. Viele stammten keineswegs aus persönlichem Händel, sondern waren darauf zurückzuführen, dass sich manche Bewohner der Mark nicht mehr sicher auf ihren Beinen fortbewegen konnten. Einige benutzten alle viere oder schliefen an Orten ein, die dafür nicht gedacht waren. Die Wache sah mit einer gewissen Großmut darüber hinweg, sofern die Schlafstätte nicht inmitten eines Weges oder einer Straße lag. Ansonsten griffen die Schwertmänner nur ein, wenn es unbedingt erforderlich wurde.
Das Hindernisrennen war ein großer Erfolg geworden und hatte die Zuschauer begeistert. Manches goldene Scheibchen wechselte dabei den Besitzer, da man eifrig auf die Beteiligten gewettet hatte. Illdur der Farbenprächtige stellte jedoch alles in den Schatten. Nie zuvor waren in der Hochmark bunte Himmelsbilder aufgestiegen und in der sternklaren Nacht waren die aufleuchtenden Farben weithin zu sehen.
Nedeam begann das Ende des Erntefestes herbeizusehnen. Inzwischen war er den Verpflichtungen eines Pferdefürsten nachgekommen und hatte, wie es der Sitte im Pferdevolk entsprach, manchen Becher mit den verschiedensten Leuten geleert. Oft hatten diese die Gelegenheit genutzt, um ein persönliches Anliegen vorzubringen, und Nedeam war an diesem Tag erleichtert, als er sich ein wenig vom Geschehen zurückziehen konnte. Er musste zugeben, dass die Fürsorge für Neliana dabei einen willkommenen Entschuldigungsgrund lieferte, der es ihm ermöglichte, das eine oder andere Gespräch mit höflichen Worten zu beenden.
Freundlich lächelnd und immer wieder höflich nickend bewegte er sich mit Neliana und Llaranya die Hauptstraße von Eternas entlang und näherte sich dabei der Festung, die ihm ein wenig Ruhe versprach.
„Ich bin aber überhaupt nicht müde“, versicherte Neliana, welcher der strategische Rückzug des Vaters überhaupt nicht gefiel. „Da hinten zeigen sie das Feuerspeien.“
„Du hast es schon mehrfach gesehen, mein Augenstern“, wehrte Nedeam ab, der sich einfach nach Ruhe sehnte.
„Mein Kleines, es ist auch kein Wunder, dass du noch nicht müde bist.“ Llaranya bückte sich und setzte die Tochter auf Nedeams Schultern. „Schließlich bist du eine Elfin und dein Vater ist nur ein Mensch.“
„He!“, protestierte Nedeam prompt und vergewisserte sich, dass Neliana sicher saß. „Sie ist ein halber Elf und ein halber Mensch.“
Llaranya gab Nedeam einen liebevollen Kuss und zog dann Neliana etwas näher, da auch diese ihren Anteil an Liebe einforderte. „Je größer und älter sie wird, desto mehr hat sie von einer echten Elfin.“
Nedeam nahm es hin, da er wusste, dass seine Gemahlin dies nicht ernst meinte. Wenigstens hoffte er das, denn manchmal betonte sie ihre Abstammung doch zu sehr und das vermittelte ihm das unangenehme Gefühl, dass sie ihr Volk vermisste.
„Elfen.“
Nedeam nickte und bewegte dabei die Schultern. Neliana kreischte vergnügt und strampelte mit den Beinen, sodass ihr Vater Mühe hatte, sie oben zu halten. „Ich weiß, meine Liebe, Elfen sind in allen Dingen überaus begabt. Sie reihen wunderschöne Worte aneinander, bewegen sich mit unnachahmlicher Eleganz und …“
„Unsinn. Das meine ich doch gar nicht.“ Ihre Stimme klang seltsam und als er sie nun von der Seite ansah, bemerkte er den Unglauben in ihrem Blick. „Da sind Elfen. Da ist … Vater!“
Nedeam fuhr herum und Neliana riss ihm beinahe den Helm vom Kopf, als sie sich an dessen blauem Rosshaarschweif festhielt. Ein Stück die Straße hinunter sah man die typischen hellblauen Umhänge des elfischen Volkes und das Blitzen goldener Rüstungen. „Elfen.“
„Das sagte ich doch.“
Vor Jahren war das elfische Volk zu seinen „neuen Ufern“ aufgebrochen und hatte seine angestammten Länder verlassen. Niemand wusste, wo die neue Heimat des langlebigen Volkes lag. Llaranya war aus Liebe zu Nedeam bei den Menschen des Pferdevolkes geblieben und bis zu diesem Moment war es ungewiss gewesen, ob sie ihren Vater jemals wiedersehen würde. Ähnliches galt für die elfischen Geschwister Lotaras und Leoryn, die, aus Freundschaft zu Nedeam und Llaranya, in der Hochmark lebten. Und nun, vollkommen unerwartet, kam eine Gruppe Elfen die Straße entlang, an deren Spitze zwei wohlbekannte Männer schritten.
Elodarion-olud-Elodarion war ein Elf der Häuser des Waldes und der Älteste des Hauses Elodarion. Als Vater von Lotaras und Leoryn war es ihm schwergefallen, sich von seinen Kindern zu trennen, dennoch hatte er ihren Wunsch akzeptiert. Jalan-olud-Deshay war Llaranyas Vater und ihn verband nicht nur die Tochter, sondern auch die Geschichte seines Hauses auf besondere Weise mit Nedeam.
Zur Zeit des ersten großen Krieges gegen den Schwarzen Lord hatten sich die Krieger des Hauses Deshay auf einer Lichtung in den versteinerten Wäldern versammelt, um sich darauf vorzubereiten, in die Kämpfe einzugreifen. Die Grauen Magier überraschten und bannten sie, sodass den fünftausend Elfen ein grausames Schicksal drohte. Zur Bewegungslosigkeit verdammt, mussten sie Jahrtausende in hilfloser Starre verbringen und manche von ihnen verfielen dem Wahnsinn. Der Schwarze Lord benutzte die gebannten Elfen als Druckmittel gegen die Frauen und Kinder des Hauses Deshay, denn er wollte an das geheime Wissen der Elfen gelangen. Eine Schar Pferdelords, zu der Nedeam gehörte, konnte schließlich die Grauen Wesen und die Orks vertreiben und den Bann lösen. Bei besagtem Ereignis kam es zur teilweisen Verschmelzung von Nedeam mit einem der Grauen, was sich letztlich als Glücksfall erwies, da er ja so jene Langlebigkeit erhielt, die Llaranya an seine Seite führte. Jalan gehörte zu jenen gebannten Kriegern und Llaranya, damals noch Llarana, zu den Frauen und Kindern, die im Haus des Urbaums zurückgeblieben waren. Ihre Mutter verfiel dem Wahnsinn und starb, als die Pferdelords dem Entsetzen ein Ende bereiteten. Jalan willigte nicht nur in die Vermählung seiner Tochter mit Nedeam ein, sondern schenkte dem jungen Pferdelord als Dankesgabe eine elfische Klinge.
Nun kamen Elodarion und Jalan an der Spitze eines kleinen Kriegertrupps die Straße entlang und für Llaranya gab es kein Halten mehr. Sie lief der elfischen Gruppe entgegen und fiel ihrem Vater in die Arme, während Nedeam rasch Neliana von den Schultern hob und folgte. Er winkte einen Schwertmann der Wache herbei. „Benachrichtige Lotaras und Leoryn. Dies ist auch für sie eine Tageswende der Freude.“
Die Begrüßung war überaus herzlich und selbst die sonst eher zurückhaltenden elfischen Krieger der Ehreneskorte lächelten und scherzten, als sie das Mädchen erblickten. Kinder waren ein sehr seltenes Geschenk im elfischen Volk und hier konnte Jalan zum ersten Mal seine Enkelin in den Arm nehmen.
Neugierige eilten herbei, denn niemand hatte mit dem Besuch der Elfen gerechnet und den Neuankömmlingen wurden Erfrischungen und Speisen angeboten.
„Habt Dank für Eure Zuwendung, Ihr guten Herren und Frauen“, lehnte Elodarion freundlich ab. „Doch wir sind von der langen Reise erschöpft und würden es begrüßen, uns ein wenig zurückziehen zu können.“
„Wir werden eine Menge zu bereden haben“, pflichtete Nedeam bei. „In den vergangenen Jahreswenden hat sich vieles ereignet und wir sind begierig, zu erfahren, wie es Euch an den neuen Ufern ergeht.“
Jalan schlug ihm aufmunternd an den Arm. „Ja, wir werden viel zu besprechen haben, Hoher Lord. Lasst uns zur Feste gehen. Dort wollen wir uns gerne stärken, bevor wir unsere Erfahrungen austauschen.“ Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. „Es wäre gut, wenn wir dieses Gespräch auf unsere Familien beschränken.“
Nedeam runzelte die Stirn. „Nun gut, wenn Ihr es wünscht, so mag es so sein. Doch ihr Elfen werdet nicht umhinkommen, den Abend mit meinen Schwertmännern im großen Saal zu verbringen. Sie alle sind neugierig, zu erfahren, wie es euch ergangen ist, denn du weißt doch, wie stark die Bande zwischen unseren Völkern sind. Wir selbst sind durch das Blut Nelianas und Llaranyas verbunden, doch unsere Kämpfer haben das ihre Seite an Seite mit den Kriegern der Elfen vergossen.“
„So ist es, Pferdefürst Nedeam, und Ihr seid für mich ein Freund und Sohn“, bestätigte Jalan und warf Elodarion einen kurzen Blick zu. „Der Abend soll uns allen gehören und so mag der Gerstensaft fließen, während wir uns gute Geschichten erzählen. Doch zuvor muss ich Worte an Euch richten, die nicht für aller Ohren bestimmt sind.“
Die Worte seines Schwiegervaters beunruhigten Nedeam. Er sah zu Llaranya, die mit Elodarion und Neliana scherzte. Auf halbem Weg zur Festung war ein tremolierender Pfiff zu hören. Ein Dreiklang von Tönen, wie ihn nur eine elfische Kehle hervorbringen konnte. Lotaras und Leoryn eilten herbei und auch ihnen war die Wiedersehensfreude anzusehen. Erneut gab es eine herzliche Begrüßung und Neliana zupfte dabei beleidigt an den Umhängen der Elfen, da deren Aufmerksamkeit nicht mehr ungeteilt ihr galt.
Die kleine Truppe der Schwertmänner, die während des Erntefestes in der Befestigung die Wache hielt, erkannte die elfischen Umhänge und Rüstungen. Ein metallenes Horn der Hochmark rief die Männer zusammen, die rasch eine Ehrenformation bildeten. Die Haltung der Elfen straffte sich, als die Schwertmänner ihnen Respekt erwiesen.
„Es ist dem Hause Elodarion und dem Hause Deshay eine Ehre, wieder unter den tapferen Kämpfern des Pferdevolkes zu weilen“, grüßte Elodarion die Wache. „Möge unser Arm Euer Schild und unser Atem Eure Wärme sein.“
Das war eine sehr persönliche Grußformel des elfischen Volkes, die verriet, wie sehr sich Elodarion den Pferdelords verbunden fühlte. Der Scharführer der Wache brauchte keinen Befehl zu geben, spontan stießen die Schwertmänner die Spitzen ihrer gezückten Klingen rhythmisch auf den Boden und sie taten es mit einer Begeisterung, dass Nedeam um die Schärfe der Waffen fürchtete.
„Sucht Arkarim und Fangschlag“, befahl Nedeam dem Scharführer. „Obwohl sie sicher schon erfahren haben, wer uns so unerwartet besucht. Sie sollen alles für den Abend vorbereiten. Es wird ein Gelage im Burgsaal geben, denn unsere Freunde, die Elfen, sind zu Gast.“
„So soll es geschehen, Hoher Lord.“ Der Mann salutierte und lächelte dann. „Wahrhaftig, Herr, ich hätte nicht gedacht, jemals wieder Elfen zu Gesicht zu bekommen.“
„Kümmert Euch um das Wohl der Elfenkrieger, guter Herr.“ Nedeam wies um sich. „Es soll ihnen an nichts fehlen. Bereitet Quartier für sie in der Feste. Und lasst ein paar Erfrischungen in meinen Amtsraum bringen.“
„Ja, Hoher Lord.“ Während Nedeam mit den anderen zum Hauptgebäude hinüberging, erteilte der Scharführer eine Reihe von Befehlen. Die elfische Eskorte lockerte ihre Haltung und schien unsicher, wie sie sich verhalten sollte, doch schon waren sie mit Schwertmännern und anderen Burgbewohnern in Gespräche verwickelt.
An diesem Tag stand keine Ehrenwache vor dem Amtsraum des Pferdefürsten und Nedeam öffnete die Tür selbst und bat die anderen herein. Es war wohl das erste Mal, dass hier so viele Elfen versammelt waren, und den beiden Ältesten fiel durchaus ins Auge, dass beide Völker dem Raum eine besondere Prägung verliehen. Der Boden war mit grauen Steinplatten ausgelegt. Dort, wo sich die kleine Sitzgruppe befand, bedeckte den Boden ein dunkelgrüner Teppich, in den das Wappen des Pferdevolkes eingewebt war. Der Tisch bestand aus einem massiven hölzernen Fuß, auf dem eine grau gemaserte Steinplatte thronte. Die drei Stühle hingegen waren filigran gearbeitet und verrieten zweifellos die Kunst elfischen Handwerks. An der Stirnseite gegenüber der Eingangstür stand der große Schreibtisch mit seinem bequemen Polsterstuhl. An der Wand hing eine elfische Karte der erforschten Gebiete, in einer Halterung war die Lanze mit dem Banner Nedeams befestigt. Es bestand aus dem grünen Tuch des Pferdevolkes und war in der blauen Kennfarbe der Hochmark eingefasst. Das Banner, welches Llaranya angefertigt hatte, zeigte das Symbol des Pferdevolkes, dessen Mitte die stilisierte Form einer Pelzbeißertatze schmückte. Es war das persönliche Zeichen Nedeams und erinnerte an dessen Begegnung mit diesem Raubtier in seinen jungen Jahren. Eine der Längswände wurde von einem hohen Regal eingenommen, in dem sich eine überraschend große Anzahl von Schriftrollen und Büchern befand. Auch hier gab es eine Reihe von elfischen Schriften. Elodarion, der sie neugierig betrachtete, stellte fest, dass sie neuen Datums waren und unzweifelhaft aus der Hand seiner Kinder und der Llaranyas stammten. Das Regal beinhaltete zudem einige Erinnerungsstücke an Nedeams bisherige Abenteuer. Auf einem kleinen Schränkchen standen einige Becher und zwei Krüge mit Wasser. Die andere Längsseite wurde von den großen Fenstern dominiert.
Jalan berichtete von der schwierigen Überfahrt zu den neuen Ufern, während sie darauf warteten, dass die Erfrischungen gebracht wurden. Nedeam hielt sich bei dem einsetzenden regen Austausch der Elfen zurück. Vielleicht fiel ihm dadurch auf, dass die Ältesten kaum eine Information zu den neuen Ufern preisgaben. Ihre Beschreibungen beschränkten sich fast ausnahmslos auf die lange Reise dorthin.
Ein Schwertmann und zwei der Köche brachten einen kleinen Imbiss und beschworen, dass sie sich für den Abend etwas Besonderes einfallen lassen würden.
Nedeam wartete, bis die Männer gegangen waren und sich alle bedient hatten, dann unterbrach er Elodarions Geplauder, indem er seine Hand hob und um Ruhe bat. „Es mag ungebührlich erscheinen, Hohe Lords, wenn ich Euch unterbreche, doch ich glaube, Ihr habt uns etwas von Belang mitzuteilen. Nun, da wir unter uns sind, bitte ich Euch, uns den Grund des überraschenden Besuches zu offenbaren.“
Elodarion und Jalan sahen sich kurz an und als Elodarion nickte, ergriff Nedeams Schwiegervater das Wort. „Hoher Lord Nedeam, wir sind durch Blut miteinander verbunden. Nicht nur durch Eure Vermählung mit meiner geliebten Tochter und durch meine Enkelin Neliana, sondern auch weil wir in der Schlacht gemeinsam Blut vergossen. Das Haus Deshay hat Euch viel zu verdanken.“
Es war fast eine Wiederholung der Worte, mit denen Nedeam die unerwarteten Gäste begrüßt hatte, und die Eindringlichkeit, mit der Jalan sie sprach, rief ein warmes Gefühl in Nedeam hervor. Er konnte sehen, dass Llaranya ähnlich empfand, denn ihr Lächeln vertiefte sich.
„Das gilt für das gesamte elfische Volk“, fügte Elodarion hinzu. „Ihr befreitet das Haus Deshay aus den Fängen der Grauen Wesen und habt entscheidend dazu beigetragen, uns aus den Händen der Schwärme der See zu befreien, als wir in deren Gefangenschaft gerieten. Ohne dies wäre es unserem Volk vielleicht niemals möglich gewesen, die neuen Ufer zu finden und in die neue Heimat aufzubrechen.“
Jalan nickte. „Dies müsst Ihr Euch vor Augen führen, damit Ihr die Konsequenzen unseres Handelns und Eures eigenen Handelns richtig versteht.“
„Ihr seid einer von uns Elfen“, bekräftigte Elodarion. „Wenigstens in gewisser Weise.“
Nedeam war ein wenig überrascht. Niemand betonte gerne, wie sehr er in der Schuld eines anderen stand, und dies galt erst recht für das elfische Volk, welches für seinen Stolz bekannt war. Zudem hatte das Haus von Jalan-olud-Deshay seine Schuld wohl beglichen, denn die wiedererweckten Krieger hatten die Stadt Merdonan davor bewahrt, von den Orks überrannt zu werden.
Llaranya hob Neliana auf ihren Schoß und blickte ihren Vater eindringlich an. „Eure Worte erfreuen unsere Herzen, doch bitte ich euch, sattelt nun das Pferd, wie es beim Pferdevolk heißt.“
Jalan lächelte sanft. „Du bist unzweifelhaft ein elfisches Wesen und doch trägst du die Ungeduld der sterblichen Menschen in dir.“
„Ja, ich bin eine Tochter des Hauses Deshay und stolz auf meine Abstammung von dir, Vater“, antwortete sie mit sichtlichem Stolz. „Aber ich bin auch die Hohe Dame der Hochmark und die Gattin des Pferdefürsten Nedeam.“
„Kinder sind ein kostbares Gut im elfischen Volk.“ Elodarion lächelte die Geschwister an. „Das lange Leben und die relative Unsterblichkeit haben zur Folge, dass uns das Glück der Geburt nur sehr selten beschieden ist.“
„Wahrhaftig, ich kann dies sehr gut nachempfinden.“ Nedeam sah zu Neliana hinüber, die auf dem Knie der Mutter schaukelte.
Elodarion seufzte vernehmlich. „Wie ich es erwähnte, sind uns unsere Kinder sehr wertvoll und wir werden immer danach streben, sie vor Ungemach zu schützen.“
„Welches Ungemach sollte uns in der Hochmark drohen?“ Lotaras beugte sich vor und schaute seinen Vater an. „Habt ihr geheime Kenntnisse über den Schwarzen Lord, die uns verborgen blieben?“
„Es ist der Beschluss unseres Volkes, dass wir euch an den neuen Ufern aufnehmen.“ Jalan leckte sich über die Lippen.
„Wir sollen in eure neue Heimat ziehen?“, fragte Nedeam vollkommen überrascht.
„Alle von elfischem Blut und natürlich auch du, mein Freund und Sohn“, bestätigte Jalan.
Nedeam richtete sich halb auf und stützte die Hände auf den Schreibtisch. „Was geht hier vor?“
„Euer Land wird untergehen.“
Der Pferdefürst sah Elodarion verwirrt an. „Was?“
„Euer Land hier und nicht nur dieses. Euer ganzer Kontinent wird vernichtet werden. Die Länder der freien Völker und das Reich des Schwarzen Lords … All das wird im Meer versinken.“
Nedeam wurde bleich. „Unsinn.“
Jalan machte eine bedauernde Geste. „Es ist wahr. Wir Elfen kennen die Zeichen. Es ist eine lange Geschichte und …“
„Dann erzählt sie uns.“ Nedeam sank in seinen Stuhl zurück und sah zu Llaranya und den Geschwistern. Sie schienen ebenso verblüfft wie er selbst.
Erneut tauschten Elodarion und Jalan Blicke aus. Schließlich räusperte sich Elodarion. „Wir Elfen sind ein Volk von großen Kenntnissen und wissen die Zeichen zu deuten. Nein, Nedeam, lasst mich aussprechen. Ihr wollt erfahren, was uns zu Euch führt? Dann lasst es mich erklären und hört aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen.“
Nedeam nickte stumm. Die Freude über das Wiedersehen war der bedrückenden Gewissheit gewichen, dass die Elfen eine schlechte Kunde brachten.
Der Älteste des Hauses Elodarion trank einen Schluck Wasser, erhob sich und trat an die elfische Wandkarte. „Es begann vor vielen Jahrtausendwenden. Noch bevor der Kampf gegen den Schwarzen Lord begann. Damals verspürten wir die ersten Erderschütterungen. Sie waren noch schwach und kamen in sehr großen Abständen. Kaum jemand beachtete sie. Aber Ihr wisst, dass wir Elfen auf besondere Weise mit der Natur verbunden sind. Die Bücher unseres Gedächtnisses reichen weit zurück. Wir überprüften sie und stellten fest, dass die Erschütterungen der Erde immer häufiger kamen und stärker wurden.“
„Das große Erdzittern, welches den Spaltpass öffnete“, murmelte Nedeam.
„Nur eines von vielen“, sagte Elodarion. „Es gab schon zuvor sehr starke Beben.“
„Das ist wahr“, räumte Nedeam ein.
„Nun, wie ich es sagte, sie werden immer stärker und kommen in immer kürzeren Abständen. Wir Elfen haben dies schon vor Jahrtausendwenden begriffen und erkannten, dass dieses Land dem Untergang geweiht ist. So suchten wir nach einer neuen Heimat, den neuen Ufern, die schließlich von Jalan entdeckt wurden. Als das Haus des Urbaums während des ersten großen Krieges gegen den Schwarzen Lord angegriffen wurde, da geriet Jalan unter den Bann der Grauen. Sein Wissen, das wir für unseren Aufbruch benötigten, schien verloren. Inzwischen begannen sich die Schwärme der See auszubreiten. Zwei weitere Suchschiffe, die wir hinausschickten, gingen verloren. Jahrtausendwenden vergingen und die Zeichen wurden immer bedrohlicher. Wir wussten, dass wir unsere Häuser verlassen mussten, und fürchteten schon, die Reise ins Ungewisse antreten zu müssen. Euch, Pferdefürst Nedeam, ist es zu verdanken, dass Jalans Wissen für uns gerettet wurde, und so brach unser Volk zu den neuen Ufern auf.“
Llaranya war ebenso blass wie die anderen. „So wussten unsere elfischen Häuser seit vielen Jahrtausendwenden, dass wir alle vom Untergang bedroht sind?“
„Es ist keine Bedrohung, mein Kind. Es ist eine Gewissheit.“
„So ist das elfische Volk geflohen, weil es wusste, dass dieses Land versinken würde?“
„Genau so ist es, mein Kind.“
„Und ihr habt alle anderen zurückgelassen?“
„Die neuen Ufer bieten nicht genug Raum für alle“, gab Elodarion bedauernd zu.
Nedeam erhob sich und sein Gesicht rötete sich vor Zorn. „Ihr wisst seit Jahrtausendwenden von der tödlichen Gefahr und habt eure Verbündeten und Freunde nicht einmal gewarnt?“
„Niemand hat uns nach dem Grund unserer Reise gefragt.“ Elodarion lächelte sanft. „Wir hätten es getan, wenn man uns danach gefragt hätte. Elfen können nicht lügen.“
„Aber sie können die Wahrheit verschweigen“, entgegnete Llaranya mit kalter Stimme. „Bei den Finsteren Abgründen, ich bekomme das Gefühl, dass ihr jeder Frage ausgewichen wärt, um eine Lüge zu vermeiden.“
„Elfen sind Meister des Wortes“, bemerkte Nedeam bitter. Er legte die Fingerspitzen aneinander. „Hätten sie die anderen Völker gewarnt, so hätte ein jedes versucht, sich ebenso in Sicherheit zu bringen. Aber es gab nicht genug Raum an den neuen Ufern und es gab nicht genug Schiffe, nicht wahr?“
„Wir brauchten Zeit, um genug Schiffe zu erbauen, und man hätte versucht, sie uns zu nehmen. Der Überlebenswille ist ein sehr starker Trieb.“
„Ganz offensichtlich.“ Nedeams Stimme troff vor Sarkasmus. „Aber ihr hättet den anderen Völkern die Möglichkeit geben können, selbst Schiffe zu bauen. Das Königreich von Alnoa versteht sich auf den Schiffsbau.“
„Das wäre dem Schwarzen Lord aber nicht verborgen geblieben“, gab Elodarion zu bedenken.
Der Pferdefürst atmete tief durch und nickte langsam. „Er hätte die Grenzen überrannt und ihr hättet euch nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Die anderen Völker sollten euch die Zeit verschaffen, die ihr für eure Flucht benötigt habt.“ Er schüttelte den Kopf. „Was seid ihr nur für widerliche und eigennützige Wesen.“
Jalan-olud-Deshay sprang erregt auf. „Wie kannst du es wagen, solche Worte zu sprechen?“
Llaranya strich Neliana übers Haar und in ihrem Blick lag Trauer. „Vater, du nimmst mir den Stolz, ein elfisches Wesen zu sein. Ich schäme mich zutiefst für das Verhalten meines Volkes.“
„Kind, wir sind gekommen, um euch zu retten und zu uns zu holen.“
„Ja, alle von elfischem Blut und Nedeam.“ Llaranya presste die Lippen aufeinander und seufzte schwer. „Lieber werde ich untergehen, als all unsere Freunde auf solche Weise zu verraten.“
„Wie viel Zeit haben wir noch? Wann wird dieses Land untergehen?“ Nedeam ging um den Schreibtisch herum und trat an die Seite seiner Gemahlin. „Da ihr so unerwartet kamt, vermute ich, dass uns nicht viel Zeit bleibt.“
„Es sind noch Jahreswenden“, erwiderte Elodarion. „Ich vermag nicht zu sagen, wie viele es genau sind. Das Erdzittern wird sich mehren und immer stärker werden. So lange, bis es das Land zerreißt und alles im Meer versinkt.“
Der Pferdefürst warf einen langen Blick auf die elfische Karte und die Länder, die darauf abgebildet waren. Er dachte an die Völker, die in ihren Reichen lebten und auf ihre Zukunft hofften.
„Dann werden wir diese Zeit nutzen und ebenfalls Schiffe bauen.“ Seine Stimme klang fest und entschlossen.
„Die Zeit wird kaum reichen und wenn der Schwarze Lord davon erfährt, wird er mit aller Macht angreifen.“ Jalan leckte sich über die Lippen. „Er wird alles überrennen und auslöschen. Ich bitte euch, kommt mit uns.“
Elodarion erhob sich und trat zu seinen Kindern. „Lotaras, Leoryn, denkt an eure Zukunft.“
„Wenn Llaranya und Nedeam bleiben, so werden auch wir das tun“, erwiderte die elfische Heilerin mit leiser Stimme. Lotaras nickte und seinem Gesicht war die Entschlossenheit anzusehen. „Wir Unsterblichen haben ein langes Leben, nicht wahr? Wie sollen wir es mit solcher Schande ertragen?“
Nedeams Stimme war beherrscht und kühl. „Ihr seid nicht länger willkommen in der Hochmark.“
Jalan und Elodarion schienen von einem körperlichen Schlag getroffen zu werden. Der Älteste des Hauses Deshay schien etwas erwidern zu wollen, aber Elodarion legte ihm die Hand an den Arm und schüttelte den Kopf. „Ein Pfeilschiff der Elfen wird vor der Küste kreuzen, falls ihr euch doch noch für das Leben entscheidet.“
„Geht“, erwiderte Nedeam abweisend. „Verlasst das Land, dessen Völker ihr dem Untergang überlassen wollt.“
Es gab nichts mehr zu sagen.
Während die Freunde schweigend ihren Gedanken nachhingen, ertönten im Burghof elfische Kommandos. Keiner blickte hinunter, als die Elfen das Land nun endgültig verließen.
„Wir müssen reden“, meinte Llaranya.
„Das werden wir.“ Nedeam beugte sich zu ihr und küsste sie und seine Tochter. „Doch ich will Arkarim und Fangschlag dabeihaben. Ich werde einen Schwertmann nach ihnen schicken.“
Lotaras ging zu der elfischen Karte. „Was sollen wir tun? Was können wir tun?“
Nedeams Lachen klang grimmig. „Überleben.“