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2.2 Die Religion des Chalkolithikums26
ОглавлениеDie Kultur – und davon beeinflusst auch die Religion – des Chalkolithikums (Early Chalcolithic/Wadi Rabah Culture: 5800–5300 v. Chr.; Middle Chalcolithic: 5300–4500 v. Chr.; Late Chalcolithic: 4500–3600/3300 v. Chr.) lässt sich in drei Regionen einteilen:
1. Eine stark auf Metallverarbeitung (und Elfenbeinschnitzereien) bezogene Kultur im Süden (Becken von Beerscheba) und in der judäischen Wüste (En Gedi); wahrscheinlich kann auch der wichtige chalkolithische Ort Telelat Ghassul dieser Kultur zugeordnet werden
2. eine vor allem im Westen entlang der Küste verbreitete Kultur mit Sekundärbestattungen in Ossuarien27
3. eine vor allem im Golan und in Nordjordanien verbreitete Kultur, für die neben „Reihenhaussiedlungen“ u.a. Basaltständer mit menschlichen Gesichtern charakteristisch sind.28
Diese Kulturräume waren jedoch nicht völlig voneinander abgegrenzt, sondern hatten untereinander Handels- und Kulturkontakte,29 die sich sicherlich auch auf die Religion ausgewirkt haben. Außerdem haben die drei Kulturkreise eine Gemeinsamkeit, die sich allerdings bislang einer überzeugenden Deutung entzieht: Bei den Elfenbeinschnitzereien, bei den Ossuaren und bei den Basaltständern finden sich jeweils überdimensional große menschliche Nasen.30
Die wichtigste Fundgruppe der Metallgerätschaften (im Bereich von Beerscheba wurden bislang nur einzelne Fundstücke entdeckt, die jedoch beweisen, dass sich hier das Verarbeitungszentrum für Metall befand) stammt aus einem Hortfund im Nahal Mishmar am Toten Meer.31 Dort wurden Hunderte Gerätschaften entdeckt, die dort wohl mehrere Monate im Jahr jeweils eingelagert wurden und nur für kurze Zeit für ein nahe gelegenes Heiligtum in En Gedi hervorgeholt wurden. Bei den insgesamt 416 Metallgerätschaften handelt es sich um Äxte, Meißel, Hämmer, reich verzierte Szepter und Szepteraufsätze, Standarten und eigenartige „Kronen“ mit dekorativen Aufsätzen. Zumindest die „Kronen“ und die Standarten entziehen sich jeder praktischen Funktion und dürften im Rahmen von Prozessionen in dem Tempel eine Rolle gespielt haben. Teilweise sind die Szepter und Kronen mit Capridenköpfen oder mit Steinböcken verziert. Diese Tiere sind bis heute in der Judäischen Wüste präsent und sollen durch ihre Abbildung auf Kultgeräten möglicherweise den Jagderfolg symbolisieren. Auf einer ähnlichen „Krone“ sitzt bei einem Fundstück aus Gilat (s. dazu unten) eine nackte Frau bzw. Göttin. Vielleicht handelt es sich daher um stilisierte Götterthrone, die mit entsprechenden Symboltieren dekoriert werden konnten.
Bei dem nur etwa 10 km von Nahal Mishmar entfernt gelegenen, durch eine gute Wegverbindung mit dem Höhlenfund verbundenen Heiligtum von En Gedi handelt es sich um ein ca. 20 × 5 m großes, als Breitraum gestaltetes Heiligtum mit einem vorgelagerten, 20×25 m großen Hof. Der Hof war mit einer Mauer umgeben und somit von der profanen Umgebung deutlich abgegrenzt.32 In dem Tempelbau gab es gegenüber dem Eingang eine halbrunde Steinsetzung. Am äußersten rechten Rand außerhalb des Halbrundes befand sich ein besonders hervorgehobener Kalkstein. Dieses Material ist in der näheren Umgebung nicht nachgewiesen, so dass dieser Stein über eine weite Distanz herbeigeschafft wurde. Auf ihm stand vermutlich die Kultfigurine des Tempels, ein mit Wassergefäßen33 beladener Bulle. Das Eingangstor in den Hofbereich war so ausgerichtet, dass jeder Besucher schon mit dem Betreten des Tores diesen Stein und die darauf stehende Kultfigurine unmittelbar im Blick hatte. Im Zentrum des Hofes befand sich eine kreisrunde Installation, in die vermutlich Wasserspenden (Libationen) gegossen wurden, die von einer nahegelegenen Quelle herbeigebracht wurden. Auf Grund der aufgefundenen Keramik – darunter „eistütenförmige“ Gefäße, die wohl für Libationen verwendet wurden34 – und der mit Wassergefäßen beladenen Kultfigurine dürfte ein Wasser- oder Libationskult in En Gedi eine herausragende Rolle eingenommen haben, was bei einer Kultstätte mitten in der Wüste auch verständlich ist.
Warum pilgerten Menschen zu einem Heiligtum oberhalb des Toten Meeres, in dessen näherer und weiterer Umgebung keine größere Siedlung existierte, und warum opferten die Menschen dort Wasser? Wasser symbolisiert Leben. Gerade mitten in der Wüste ist diese Symbolkraft besonders zentral. Gießt man dort Wasser aus, blühen innerhalb weniger Tage die im Boden vorhandenen Samen auf. Dieses Blühen hat man wohl als göttliche Gabe des Lebens verstanden. Fruchtbarkeit des Bodens war in einer Gesellschaft, die inzwischen den Ackerbau als Lebensgrundlage praktizierte (im Gegensatz zu den Jägern und Sammlern der vorangehenden Epochen), eine Lebensnotwendigkeit. Es ist gut vorstellbar, dass als Dank für die Ernte in einem solchen Heiligtum Gottesdienste praktiziert wurden, die die Fruchtbarkeit des Bodens symbolisch durch Wasserspenden zum Ausdruck brachten.
Mit der Beerscheba-Kultur steht möglicherweise auch Telelat Ghassul am Nordende des Toten Meeres in Verbindung, auch wenn bislang keine größeren Mengen an Metallfunden dort gemacht wurden. Die mit 25 ha Siedlungsfläche sehr große Stadtanlage – allerdings dürfte sie nicht in allen Bereichen gleichermaßen besiedelt gewesen sein – bestand zwischen 4500 und 3900/3800 v. Chr. Geomorphologische Untersuchungen zeigen, dass die Umgebung der Ortslage damals recht sumpfig gewesen sein muss, während die Region heute wüstenhaft ist. Von hier stammen einige Wandmalereien, die schwer zu deuten sind. Bei einem Bild35 könnte es sich um ein übermenschliches Wesen handeln, bei einem anderen36 vielleicht um Priester oder Schamanen (mit Masken?) vor einem Gebäude, vielleicht einem Tempel. Ein drittes Bild37 zeigt einen achtstrahligen Stern (vielleicht die Sonne?) sowie Häusergrundrisse, Tiere und menschliche Gestalten (Dämonen?). Bisher ist keine wirklich überzeugende Interpretation für diese Malereien geboten worden. Sie stehen aber sicher in einem kultischen Kontext.38
Zur Beerscheba-Kultur gehören auch aus Elfenbein geschnitzte Figurinen.39 Sie können sowohl männlich als auch weiblich ausgestaltet sein, wobei die Figurinen nackt dargestellt sind und die primären Geschlechtsmerkmale deutlich hervorgehoben wurden. Eine Frauenfigurine ist deutlich schwanger dargestellt. Wieder dürfte hinter diesen Figurinen der Fruchtbarkeitskult stehen. Die Fruchtbarkeit von Menschen war – wie auch die Fruchtbarkeit des Bodens – für das Überleben der Menschen wichtig und wurde deshalb auch im Rahmen der Religion von den Gottheiten erbeten.40
Dem südlichen Kulturkreis ist ein weiterer Tempel zuzuordnen, der in Gilat 15 km südöstlich von Gaza gefunden wurde.41 Der Kultkomplex besteht aus drei Breitraumgebäuden (je etwa 3,5 × 7 m groß), einem Becken (für Libationen?), einer Herdanlage, mehreren Silos und einer großen Plattform mit etwa 4 m Durchmesser. C14-Datierungen zeigen an, dass die Kultbauten aus der zweiten Hälfte des 5. Jt.s und aus der ersten Hälfte des 4. Jt.s v. Chr. stammen. Zwei Funde verdienen eine besondere Betrachtung.42 Eine 31 cm hohe Tonfigurine zeigt eine nackte Frau, die auf einer „Krone“ sitzt und ein „Butterfass“ (eigentlich ein Wassergefäß) auf dem Kopf hält.43 Die Vulva ist wieder besonders hervorgehoben. Die Figurine wurde mit roten Streifen bemalt. Es fällt auf, dass – obwohl andere Farben zur Verfügung gestanden hätten – in der vorrömischen Zeit eigentlich nur schwarze, braune und rote Farbtöne für die Bemalung von Figurinen und Keramik verwendet werden.44 Die rote Farbe dürfte „Leben“ repräsentieren, was gut zu einem Fruchtbarkeitskult passen würde. Auch das Wassergefäß auf dem Kopf würde für eine Lebensmetaphorik sprechen.
In Gilat (aber auch in anderen Orten Palästinas)45 wurde ein aus Stein gefertigtes violinförmiges Idol gefunden, das in sehr schematischer Form Kopf, Arme, Taille und Hüften46 zeigt. In gewisser Weise erinnern diese Idole an die neolithischen Stroh- und Tonfigurinen aus En Ghazal. Ähnliche Steinidole stammen auch aus Westanatolien und der Ägäis, so dass sie wohl eher von dort abzuleiten sind. Die Gestaltung als Frauenkörper lässt wieder an einen Fruchtbarkeitskult und an eine dargestellte „Ur-Göttin“, vielleicht verbunden mit einem Ahnenkult, denken. Es ist bemerkenswert, dass während des Chalkolithikums der Bereich der Fruchtbarkeit eindeutig mit Göttinnen verbunden wird, während männliche Götterabbildungen zwar existieren, aber doch eher selten sind.
Die Ossuare, die vornehmlich in der Küstenregion gefunden wurden, dienten der Zweitbestattung der Toten. Nachdem der Körper skelettiert war, wurden die Knochen in den Ossuaren ein zweites Mal bestattet. Die kastenförmigen Tonossuare sind in der Regel auf der Vorderseite mit roter Farbe – der Farbe des Blutes und des Lebens – bemalt und weisen eine dominant vorspringende Nase auf. Gelegentlich ist neben der Nase ein Augenpaar abgebildet. Es bietet sich auf dem Hintergrund der religiösen Entwicklung von den Anfängen im Neolithikum her an, in diesen Ossuaren auch eine Art Ahnenkult zu sehen. Die verstorbenen und vielleicht inzwischen auch vergöttlichten Ahnen werden so in einer hervorgehobenen Form aufbewahrt und dank der roten Farbe wieder zu Leben – wenngleich in einer transzendenten Form – erweckt.47
Ähnlich dürften wohl auch die basaltenen Ständer aus dem Golan und Nordjordanien zu deuten sein.48 Die Ständer, die in den Wohnhäusern aufgestellt waren, zeigen deutlich menschliche Gesichter mit ausgeprägter Nase. Sie weisen auf der Oberfläche eine Vertiefung auf, auf der möglicherweise (vegetabile) Gaben niedergelegt wurden. Die Ständer stehen damit wahrscheinlich auch im Rahmen eines Ahnenkultes, der somit im palästinischen Chalkolithikum Kulturgrenzen überschreitend war.