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5 Die Religion der Erzeltern
ОглавлениеDie Datierung der historischen Erzelterngestalten ist höchst problematisch. Setzte man früher Abraham gern in die Zeit des 18. Jh.s v. Chr. an, so ist man in der neueren Forschung davon abgewichen. Wir haben über die Erzeltern nur Erzählungen, die erheblich jünger als die Gestalten sind, über die berichtet wird. Nach heutigem Verständnis wurden selbst die ältesten Überlieferungen zu den Erzeltern allenfalls in der frühen Königszeit verschriftlicht. Da die mündliche Erinnerung in der Regel nach 100 Jahren verblasst und zudem die erzählten Vorstellungen immer wieder den realen Gegebenheiten der Gegenwart angepasst werden, können wir nur etwas über die erzählte Gestalt der Erzeltern aussagen, aber nahezu nichts über deren historische Gestalt. Dies gilt auch, wenn man die Erzeltern als typische Vertreter der Epoche um 1200 v. Chr. ansieht, wie dies in der neueren Forschung mehrfach vorgeschlagen wurde. Hinzu kommt, dass die Erzählungen nicht überliefert wurden, um historische Berichte für das Leben von Nomaden zu haben. Vielmehr ist mit den Erzelterngeschichten jeweils eine „Botschaft“ verbunden, etwa die besondere Pflege der Gastfreundschaft unter den Nomaden (Gen 18) im Gegensatz zu der Heimtücke der städtischen Bevölkerung (Gen 19), oder aber die Zusammengehörigkeit der semitischen Stämme bei gleichzeitiger Ausgrenzung mancher verwandter Stämme, mit denen man verfeindet ist (Gen 19,30–38).
Damit wird auch deutlich, dass wir die Religion der Erzeltern kaum erfassen können. Die Religion von Nomaden, wie sie im Hintergrund der Erzählungen steht, ist in der Bibel in der Regel von Städtern beschrieben worden. Erzählungen, die für die Kulturlandbewohner von großer Bedeutung waren, wurden im Verlauf des Überlieferungs- und Schriftwerdungsprozesses mit den Erzelterngestalten verbunden. Aus diesem Grunde soll hier auch nicht nach dem Gott der Väter und der Praxis der Religionsausübung im Umfeld der Erzeltern gefragt werden.226 Vielmehr soll die Fragerichtung sein, inwieweit sich in den Texten Gen 12–50 – wenngleich in der von Städtern verschriftlichten Form – Elemente der nomadischen Religion erhalten haben, die wir sonst im Alten Testament kaum erfassen können. Die Religion von Nomaden kennen wir ansonsten nur durch die schwer zu datierenden und meist nur aus Namensnennungen und einfachen Strichzeichnungen bestehenden Felszeichnungen227 und aus ethnographischen Berichten aus dem 19. Jh. n. Chr.228 Vergleicht man die ethnographischen Berichte mit den alttestamentlichen Erzählungen, lassen sich häufig gleichbleibende Grundstrukturen über die Jahrtausende hinweg beobachten. Daher sollen nachfolgend nicht literarkritische, sondern inhaltliche Überlegungen im Mittelpunkt der Darstellung stehen.
Die (literarisch späte und historisch problematische) Verbindung der Erzeltern mit wichtigen offenen Kultplätzen im Kulturland wie More bei Sichem (Gen 12,6), Mamre bei Hebron (Gen 13,18), Beerscheba (Gen 21,33) oder aber mit dem Heiligtum von Bet-El (28,10–22; 35,1–15) sollen die Bedeutung dieser Kultplätze betonen. Dies gilt auch für die weiteren Altarbaunotizen229 im Zusammenhang mit den Erzeltern. Nomaden dürften in den wenigsten Fällen Kultstifter für ein städtisches (!) Heiligtum gewesen sein. Der angebliche Altarbau Abrahams zwischen Bet-El und Ai (Gen 12,8) bezieht sich auf die Grenze zwischen Nord- und Südreich an eben dieser Stelle nach der Reichsteilung 926 v. Chr. und will eine zeitgeschichtlich relevante Aussage machen, dass das Südreich Juda unter dem besonderen Segen Gottes steht.230 Auch die Verbindung Abrahams mit dem Priester Melchisedek von Salem/Jerusalem (Gen 14,18–20) ist zweifelsohne von dem Anliegen getragen, Abraham mit dem (hasmonäischen) Königshaus in Jerusalem in Verbindung zu bringen.
Sohnesverheißungen durch überirdische Wesen (Gen 15,4; 16,1–16; 17,16.19; 18,10; 21,1–7) gehörten gleichermaßen zur religiösen Überlieferung der Nomaden wie der Sesshaften, da durch die Verheißung eines Sohnes der Fortbestand der Familie gesichert ist. Dies gilt auch für das Bekenntnis einer Frau, die Mutter geworden ist und dafür Gott dankt (Gen 30,22–24). Landverheißungen (Gen 13,15; 15,7.13–16.18–21; 17,8; 25,3f. u. ö.) ergeben dagegen nur Sinn für Sesshafte, nicht für wandernde Kleinviehzüchter. Für sie ist nicht der Besitz von Land, sondern das Finden von Weideflächen von Bedeutung. Viele Texte, die sich auf Landverheißungen beziehen, stammen aus einer Zeit, in der gerade Land verloren gegangen ist (z.B. nach 733/722 bzw. nach 587 v. Chr.). Die Texte wollen damit den Bewohnern des Kulturlandes die Rückgabe des verloren gegangenen Landes verheißen. Der Kauf einer Grabstätte im Kulturland mit einer Bestattung, wie sie nur im Kulturland üblich war (Gen 23), dürfte auch kaum aus nomadischem Milieu stammen. Vielmehr will Gen 23 in einer Art „notariellem Kaufvertrag“ deutlich machen, dass die schon vorher bekannte und im Kulturland als Erinnerungsstätte ausgestaltete angebliche Grabstätte der Erzeltern ordnungsgemäß erworben wurde. Da es sich hierbei um einen priesterschriftlichen Text handelt und Hebron in nachexilischer Zeit außerhalb des Territoriums Judas lag, werden mit diesem Text Besitzansprüche auf ein Stück Land verdeutlicht.
Gut möglich ist, dass im nomadischen Bereich eine besondere Art von Götterbildern, die transportabel und nicht in einem Heiligtum aufgestellt waren, existierten (hebr. teraphim; Gen 31,19.34.35). Da diese Teraphim aber ansonsten vor allem im Kulturland belegt sind, könnte es sich auch um eine Übertragung auf das nomadische Milieu handeln. Ohnehin ist bis heute nicht geklärt, was man sich konkret unter den Teraphim vorzustellen hat.231
Nomadische Traditionen dürften dagegen Gottesbegegnungen widerspiegeln, wie sie z.B. Hagar in der Wüste hatte (Gen 16,7–14; 21,14–21). Auch die Auseinandersetzung Jakobs mit – in der ursprünglichen Überlieferung – einem Flussdämon (Gen 32,23–33) stellt eine solche Begegnung mit einem überirdischen Wesen dar, das in der Volksüberlieferung wachgehalten und an einem bestimmten Ort lokalisiert wurde. In Gen 31,13 stellt sich eine Gottheit als „der Gott, der dir in Bet-El erschienen ist“ vor, also ohne Namensnennung, sondern in Bezug auf eine vorherige Gottesbegegnung. Auch hinter Gen 22, das in der heutigen Form eindeutig eine späte Lehrerzählung über einen vorbildlich und in jeder Form Gott gehorsamen Glauben ist, steht das Wissen um Gottesbegegnungen in Notsituationen. Die Namensnennung des Berges „Gott sieht“ (Gen 22,14) bzw. des Landes Morija (Gen 22,2) dürfte ursprünglich konkrete Regionen in der Gegend um Beerscheba gemeint haben. Erst in einer zweiten Phase wurde diese Erzählung dann mit dem Jerusalemer Tempelberg verbunden. Solche Plätze der religiösen Erinnerung wird es in der mündlichen Überlieferung immer wieder gegeben haben, und mit ihnen werden konkrete Erzählungen über die Gottesbegegnung verbunden worden sein. Archäologisch sind solche Stätten allerdings kaum nachweisbar, weil sie keiner besonders sichtbaren Zeichen bedurften. Allenfalls wurden vielleicht Steine als Masseben aufgestellt und gesalbt, die an die Gottesbegegnung erinnern sollten (vgl. Gen 28,10–22 für das Heiligtum in Bet-El). Steinsetzungen oder Steinhaufen können im nomadischen Milieu aber auch als Erinnerungszeichen für Vertragsabschlüsse verwendet worden sein (Gen 41,43–52). Eine solche Steinsetzung gehört insofern auch in den religiösen Bereich hinein, als bei Vertragsschlüssen immer Gottheiten als Garanten des Vertrages angerufen wurden (vgl. Gen 31,53). Ob allerdings die vielen, häufig in Gruppen aufgestellten Steinsetzungen im Negev und Sinai232 wirklich mit Gottesbegegnungen oder Vertragsschlüssen zu verbinden sind oder nicht eher einen Windschutz bei Lagerplätzen darstellen, ist noch unklar.