Читать книгу Religionsgeschichte Israels - Michael Tilly - Страница 9
2.1 Die Religion des Neolithikums
ОглавлениеDie ersten relevanten künstlerischen Relikte finden wir im Bereich der südlichen Levante ab dem Natufium (12.000–8300 v. Chr.) und dann vermehrt im Neolithikum (9400–5800 v. Chr.). Während sich im Bereich der heutigen Türkei in Göbekli Tepe bereits um 9500 großartige Kultanlagen mit von Menschenhand bearbeiteten Reliefs nachweisen lassen,6 fehlen bislang eindeutig als solche zu identifizierende Kultbauten aus dem palästinischen Raum. Die Menschen lebten damals im Bereich des westlichen Karmel (Nahal Oren, Mugharet el-Wad, Mugharet el-Kebara), in Galiläa (ha-Yonim Cave), im zentralen Bergland Palästinas (Mugharet esh-Shuqba) und in der judäischen Wüste (‘Erq el-Ahmar, el-Khiyam, Umm ez-Zuwetine) noch weitgehend in Höhlen. Als älteste bislang entdeckte eigenständige Siedlung völlig abseits der Höhlen kann Enan/En Mallaha im Hulebecken gelten (10.500–8300 v. Chr.).
Über die Religion der Menschen dieser Zeit lässt sich bislang noch kaum etwas aussagen, denn die kulturelle Hinterlassenschaft ist äußerst gering. Die Figurinen eines Rindes und einer Gazelle, falls diese zoologischen Identifikationen zutreffen, zeigen die Bedeutung von Tieren für die damalige Gesellschaft an.7 Ob allerdings diese Objekte in irgendeinem Sinne religiös gedeutet werden können, ist unklar.
Erste konkrete Aussagen über die Religion der Menschen der damaligen Zeit können wir ab dem Neolithikum (ca. 9400–5800 v. Chr.) machen. Diese Epoche ist geprägt vom allmählichen Entstehen kleinerer Siedlungen und einer zunehmenden Bedeutung der Landwirtschaft für die Versorgung der Menschen anstelle der Jagd.
Von verschiedenen Orten der südlichen Levante8 wurden menschliche Schädel gefunden, die mit Asphalt oder Ton überzogen waren und damit einen lebendigen Eindruck der Verstorbenen wiedergeben sollten. Die ersten dieser Schädel wurden in Jericho bei den Ausgrabungen von Kathleen Kenyon in den Jahren 1952–1958 entdeckt. Der Befund in Jericho ist der umfangreichste und soll deshalb näher dargelegt werden.9 Alle diese Schädel können den jüngsten Phasen des PPNA (Pre-Pottery Neolithic A; 9400–8800 v. Chr.) und dem PPNB (Pre-Pottery Neolithic B; 8800–7000 v. Chr.) zugeschrieben werden. Eine erste, noch im späten PPNA praktizierte Art des Kultes war lediglich die separate Aufbewahrung der vom Torso gelösten Schädel. Im PPNB wurden die Schädel dann mit Ton und Muscheln lebensnah ausgestaltet. Zwölf der Schädel wurden mit Ton überzogen, fünf von ihnen zusätzlich bemalt. Zwei weitere Schädel sind bemalt, aber nicht mit Ton überzogen. Bei den mit Ton überzogenen Schädeln wurden Augen aus Muscheln eingelegt, um den Gesichtern so eine gewisse Lebendigkeit und Lebensnähe zu verleihen. Nur bei einem Fundstück war auch der Unterkiefer mit Ton überzogen. Zehn der Schädel stammen von Frauen, drei von Männern, bei einem weiteren Exemplar ist das Geschlecht unbestimmbar. Bei einem der männlichen Schädel weisen Malspuren auf einen Schnurrbart hin. Teilweise wurden die zugehörigen Körper unter dem Fußboden von Häusern bestattet.
Die Funde zeigen, dass hier offenbar eine kleine Gruppe der Verstorbenen eine besondere Verehrung genoss. Man wird von einem Ahnenkult sprechen können, wobei durch den Tonüberzug versucht wurde, die Erinnerung an die Ahnen vital zu halten. Dass zumindest in Jericho wesentlich mehr Frauen als Männer entsprechend verehrt wurden, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Fortpflanzung im Rahmen dieses Ahnenkults eine besondere Rolle spielte. An anderen Orten wurden jedoch teilweise nur Männerschädel gefunden. Die Schädel wurden in verschiedenen Häusern gefunden, so dass es sich jeweils um die Ahnen unterschiedlicher Familien handeln dürfte.10 Demnach war die Ahnenverehrung familien- und nicht ortschaftsbezogen, d.h., es handelt sich offenbar nicht um lokale Führungsgestalten oder Stadtfürsten.
Möglicherweise ebenfalls in den Bereich des Ahnenkultes verweisen einige aufgefundene anthropoide Masken. Zwei Steinmasken stammen aus einer Höhle im Nahal Hemar (PPNB).11 Von einer existiert leider nur noch der Unterkiefer; die andere, die in mindestens 16 Teile zerbrochen war, von denen 12 noch gefunden werden konnten, konnte weitgehend rekonstruiert werden. Sie ist aus lokalem Kalkstein gefertigt, gut geglättet, 24,8 cm hoch und 17,2 cm breit und entspricht damit der Größe des Gesichtes eines Erwachsenen. 18 am Rande eingebohrte Löcher zeigen, dass diese Maske mit Bändern an einem Kopf befestigt und so getragen wurde. Im Bereich um den Mund lassen sich noch einige wenige Asphaltspuren nachweisen. An einer Stelle ist der Abdruck eines Haares erhalten geblieben; daher dürfte die Maske einen männlichen Erwachsenen mit Schnurr- und Vollbart wiedergegeben haben. Auch entlang der ganzen Randzone der Maske lassen sich noch Haare nachweisen, so dass auch das Haupthaar an dieser Maske dekorativ wiedergegeben war. Das Gesicht der Maske wurde mehrfach bemalt, was einen Gebrauch über eine längere Zeitspanne hinweg nahelegen dürfte.
Eine vergleichbare Maske wurde in Dahariye12 knapp 20 km südwestlich von Hebron im südjudäischen Bergland gefunden. Artefakte des PPNB aus der unmittelbaren Nähe legen eine zeitliche Nähe zur Maske von Nahal Hemar nahe. Diese Maske aus Kalkstein weist 6 Bohrlöcher am Rande auf. Eine weitere derartige Maske, deren Herkunft nicht genau überliefert ist, befindet sich im Musée de la Bible et Terre Sainte in Paris.13 Eine Steinmaske, die im Besitz des Palestine Exploration Fund in London ist und aus er-Ram nördlich von Jerusalem14 stammt, kann vielleicht dieser Gruppe zugeordnet werden, obwohl die Datierung unklar ist und dieses Fundstück keine Bohrungen am Rand, aber auch keine Augen- und Mundöffnungen aufweist. All diese Fundstücke stammen demnach, soweit sie lokalisier- und datierbar sind, aus dem judäischen Bergland und der Zeit des PPNB und PPNC (7000–6400 v. Chr.).15
Die Funktion der Masken lässt sich nur annähernd bestimmen. Wegen des Fehlens von Nasenlöchern und des hohen Gewichts der Steinmasken wurden sie nicht von lebenden Personen verwendet. Daher dürften sie auf Totenschädeln aufgebunden worden sein. Der Fund von Resten von insgesamt 23 Skeletten im Nahal Hemar bestätigt diese Annahme. Die Masken sollten so – vergleichbar den modelierten Schädeln – die Erinnerung an die Verstorbenen wachhalten. Die Gestaltung mit Haaren wird den Schädeln einen lebendigen Charakter verliehen haben. Wir haben es hier mit einer lokalen, auf das judäische Bergland begrenzten Ausgestaltung des Totenkults in der Zeit zwischen maximal 7200 und 6000 v. Chr. zu tun.
In Ain Ghazal im Ostjordanland16 wurden nahezu lebensgroße Figuren aus Stroh gefunden, die mit einem weißlichen Gemisch aus Kalk und Lehm überzogen waren. Die insgesamt 32 Figuren (15 Ganzkörperplastiken, 15 Büsten, davon 3 mit Doppelkopf, und 2 Kopffragmente) wurden in zwei Deponierungen gefunden, die ins mittlere PPNB datieren. Die Verwendung eines Überzuges aus einem Kalk-Lehm-Gemisch ist durchaus bemerkenswert, denn Keramik konnte erst einige Jahrhunderte später hergestellt werden. Auch hierbei dürfte es sich um eine lokale Ausprägung eines Ahnenkultes handeln, bei der nicht nur der Schädel, sondern der gesamte Körper bildlich wiedergegeben wurde.
Aus dem PPNA stammen auch die ersten figürlichen Darstellungen von Menschen.17 Während die ersten Abbildungen aus dem frühen PPNA hinsichtlich der geschlechtlichen Bestimmung noch zu allgemein gehalten sind, zeigen die etwas jüngeren Fundstücke in der Regel wohlbeleibte Frauen häufig in sitzender Haltung. Die Körperfülle dürfte als Ideal verstanden worden sein: In Zeiten, in denen die Ernährung noch mühsam abgesichert werden musste, symbolisierte ein wohlgenährter Körper Wohlstand und Reichtum. Sehr wahrscheinlich bildeten die in unterschiedlicher Qualität ausgeführten Figurinen – die Spannweite reicht von einfachen geritzten Steinkieseln bis hin zu elaboriert gestalteten Figurinen aus Ton im keramischen Neolithikum (6400–5800 v. Chr.) – den Wunsch nach ebendiesem Reichtum. Der bislang wichtigste Fundort ist Shaʿar ha-Golan wenige Kilometer südlich des Sees Gennesaret.18 Auf mehreren dort gefundenen Tonfigurinen ist eine Frau dargestellt, die mit einer Hand ihre Brust hält und diese somit zum Stillen präsentiert.19 Diese Haltung wird man nur – auch auf dem Hintergrund jüngerer Abbildungen mit demselben Motiv – in dem Sinne verstehen können, dass hier der Wunsch nach Fruchtbarkeit und Nachwuchs zum Ausdruck kommt. Einige Figurinen aus Shaʿar ha-Golan, Munhata und Byblos20 zeigen männliche Figurinen, bei denen der Phallus prominent hervorgehoben wurde. Dies dürfte gleichfalls die Bedeutung der Fruchtbarkeit und des Nachwuchses unterstreichen. Eine wahrscheinlich ins PPNB zu datierende Figurine aus Kalzit zeigt sogar den Liebesakt in sitzender Stellung.21 Möglicherweise erklärt dies auch, warum so viele weibliche Figurinen sitzend dargestellt sind.
Der Wunsch nach Fruchtbarkeit und Leben ist auch in den nachfolgenden Epochen Grundbestandteil der Religion. In unterschiedlichsten Formen findet dieser Wunsch immer wieder Ausdruck. Aus biblischen Texten wissen wir, dass die Geburt eines Sohnes für die Mütter eine höhere soziale Stellung nach sich zog (z.B. 1 Sam 1,5). Ob dies schon in früheren Perioden so war, muss allerdings offenbleiben. Da die Familie und damit auch der private Besitz nur durch Nachwuchs aufrechterhalten werden konnte, war der Kinderwunsch nicht nur ein wichtiger, sondern auch ein lebenssichernder Wunsch der Eltern. Nur so konnten sie im Alter oder bei Krankheit versorgt werden, nur so ließ sich die Zukunft sichern. Die Produktion solcher Figurinen symbolisiert somit den Wunsch nach Überleben und nach dem Fortbestand der Familie. Die Frage nach der Entstehung der Welt bzw. nach der Schöpfung stand für die einzelne Familie nicht so sehr im Mittelpunkt. Zentral war vielmehr die Frage nach dem sich immer wieder erneuernden Leben, sei es durch Nachwuchs der Menschen, sei es durch Fruchtbarkeit des Bodens oder aber der Tiere. Nur diese creatio continua sicherte das Überleben der Menschen. Die Frage nach der Schöpfung ist dagegen eine gelehrte Frage, die für die einfachen Menschen nur eine untergeordnete oder gar keine Rolle spielte und die deshalb erst relativ spät zu einer zentralen Frage gelehrter Schichten wurde.
Aus dem ausgehenden Neolithikum stammt der erste bislang archäologisch erfasste Tempel. Während die Funktion einer Anlage in Jericho, die von K. Kenyon als Tempel gedeutet wurde,22 in der Forschung noch immer umstritten ist, wird ein Gebäude aus dem Uvda Valley im südlichen Negev 40 km nördlich von Elat relativ einhellig als Kultbau gedeutet.23 In einem kleinen, nur 4 × 1,7 m großen Raum, offensichtlich ohne Zugang ausgefertigt, wurden 16 aufrecht stehende Steine (Masseben) entdeckt. Es kann vermutet werden, dass es in der nicht mehr vollständig erhaltenen Mauer ein Fenster gab, durch das man die Steine betrachten konnte. Die Masseben dürften Repräsentanten verstorbener Ahnen gewesen sein, wie dies auch in späteren Texten durch literarische Überlieferungen bestätigt ist24. Trifft diese Interpretation zu, dann würde der Ahnenkult, der ja auch sonst im Neolithikum neben dem Fruchtbarkeitskult eine zentrale Rolle spielte, mit dem Anfang des Tempelbaus in Verbindung stehen.
Eine Besonderheit wurde in unmittelbarer Nähe des Tempels entdeckt: In einem ca. 15 × 6 m langen Streifen wurden etwa lebensgroße Tierdarstellungen (Capriden [Bezeichnung für nicht näher bestimmbare Horntiere] und Leoparden) mit Hilfe von Steinsetzungen in den Boden gelegt. Während Capriden Jagdtiere darstellten, waren die Leoparden Angstgegner der Menschen. Möglicherweise wollte man mit diesen Steinsetzungen eine magische Macht über die Tiere ausüben, damit einerseits die Jagd erfolgreich verläuft und andererseits die Gefahren für die Jäger minimiert werden.25