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2.4 Die Religion der Mittelbronzezeit
ОглавлениеMit der Mittelbronzezeit (2200/2000–1550 v. Chr.)77 verfügen wir über die ersten Texte und damit auch über die ersten Informationen, welche Gottheiten konkret in der damaligen Zeit verehrt wurden (Kap. 3). Zunächst soll aber die materielle Hinterlassenschaft betrachtet werden.
Viele mittelbronzezeitliche Tempel bestanden auch in der Spätbronzezeit noch, während es so gut wie keine Kultkontinuität zur Frühbronzezeit gibt.78 Meist konservierten die Archäologen die spätbronzezeitlichen Tempel, so dass man die darunter liegenden Tempel der Mittelbronzezeit nur in ihren Ausmaßen kennt. Auch Kleinfunde und Installationen sind oft nur unzureichend erfasst.
In der Mittelbronzezeit gibt es mehrere unterschiedliche Arten von Heiligtümern:
– Offene Kultstätten ohne unmittelbar zugehörige städtische oder dörfliche Siedlung: Nahariyya, Tell Musa Stratum IV
– Offene Massebenreihe innerhalb einer Ortschaft: Gezer
– Tempel in kleineren Siedlungen: Tell et-Tin; Tell Musa Stratum V; Givʿat Sharrett bei Bet Schemesch; Megiddo Stratum XIVA; Tell Abu Hayyat Phase IV–II
– Mächtige Tempelbauten in den Städten: Megiddo Stratum X; Sichem Stratum XVI und XV; Hazor Areal H Stratum 3
– Kultanlage außerhalb der Stadtmauer: Aschkelon.
Anscheinend besaß nun jede Ortschaft ihren eigenen Kultbau. Der Tempel wurde zu einem Grundelement städtischer und dörflicher Bauplanung. Bemerkenswert ist die Größe und Massivität der Bauten zumindest in den großen Städten. In Megiddo ist der Tempel 21,5 × 16,5 m groß, in Sichem 26,3 × 21,2 m, in Hazor 19,75 × 18 m. Die Mauern sind bis zu 4 m stark. Die Bauten, die angesichts der Mauerstärke eine Höhe von etwa 10 m gehabt haben können und deren Eingangsbereich von zwei Türmen flankiert wurde, sind äußerst repräsentative Bauten im Stadtareal; B. Mazar hat sie treffend Migdal-Tempel („Turm-Tempel“) genannt.79 Innerhalb der Städte gab es kein einziges Gebäude, das in Bezug auf die Massivität mit den Tempeln vergleichbar ist. Der Ruhm der in den Städten verehrten Gottheit wurde durch die Architektur in dieser Zeit besonders betont. Solche Bauten, die das Stadtbild prägten, waren nur zu realisieren, wenn sie von einer starken Verwaltung organisiert wurden. Damit existierte weiterhin eine enge Beziehung zwischen Tempel und Palast in der Mittelbronzezeit. Die Götter sollten das Wohl des Fürstenhauses und der Stadt sichern, während der Fürst sich um die Aufrechterhaltung des Kultbetriebes kümmerte.
Der Grundriss der Tempelbauten hat sich in der Mittelbronzezeit gegenüber der Frühbronzezeit erheblich geändert. Nun entsteht immer mehr die Tendenz zum Langraum, während der Breitraum aufgegeben wird. Durch die vorgebauten Türme wird diese Tendenz noch einmal bekräftigt. Der Langraum betont sehr viel stärker die Heiligkeit der verehrten Gottheit, während im Breitraum stärker die Nähe und der unmittelbare Kontakt zur Gottheit architektonisch hervorgehoben werden.80 Die besondere Heiligkeit des Tempels demonstrieren auch die Temenosmauern, die die meisten Heiligtümer umgeben.
Gegenüber den frühbronzezeitlichen Tempeln wurde nun auf (Brandopfer-)Altäre verzichtet. Auch gibt es nun wesentlich weniger oder gar keine Depositbänke mehr. Die Gabe von Opfern an die Gottheit tritt damit erheblich in den Hintergrund.81 Auch scheint es kaum mehr Installationen im Tempelbereich gegeben zu haben. Von der Frühbronzezeit übernommen wurden die meist in Reihen aufgestellten Masseben. Sie finden sich in Megiddo Stratum XII und XI, Nahariyya Stratum IV(?), Tell Abu Hayyat Phasen 5 und 4 sowie in Tell Musa Stratum V. In Sichem flankieren vor dem Tempel zwei Masseben den Eingang, in Gezer gibt es eine Stelenreihe. In Byblos gibt es sogar eine Vielzahl von Masseben bzw. Obelisken,82 und auch in dem mittelbronzezeitlichen Tempel von Kamid el-Loz gab es eine Massebenreihe.83 Die meisten Masseben dürften wegen ihrer geraden bzw. phallusförmigen Gestaltung aber Götter oder männliche vergöttlichte Ahnen wiedergeben. Eine Massebe aus Tell Musa ist jedoch in der Form eines Frauenkörpers bearbeitet.
Bei den metallenen Figurinen sind dagegen überwiegend Göttinnen dargestellt. O. Negbi führt für Palästina nur drei metallene Götterfigurinen, aber 39 Göttinnenfigurinen an.84 Noch eindeutiger wird der Befund, wenn man nach den in Heiligtümern verehrten Gottheiten fragt. In Megiddo Stratum XIIIB, XII und X sowie in Nahariyya, Tel Abu Hayyat Phase 4 und Tell Musa wurden im Tempelbereich Figurinen von Göttinnen gefunden. Daneben entdeckte man auch einige tönerne Vogelfigurinen, die als Symboltier der Fruchtbarkeitsgöttin zu interpretieren sind. Die Göttinnen sind jeweils nackt wiedergegeben. Damit stand eindeutig der Aspekt der Fruchtbarkeit im Vordergrund. Figurinen männlicher Gottheiten wurden an keinem einzigen Heiligtum gefunden. Lediglich in Aschkelon entdeckte man als Kultbild eine Stierfigurine, die man als Symboltier des Wettergottes interpretieren kann. Somit wurden in den Tempeln der Mittelbronzezeit vorwiegend (Fruchtbarkeits-)Göttinnen verehrt. Die Betonung dieses Aspektes ist in einer Kultur, die nach einer eher nomadisch ausgerichteten Phase in der Frühbronzezeit IV/Mittelbronzezeit I wieder einen stärker städtischen Charakter erhält, nicht verwunderlich. Je größer die Städte sind, umso mehr muss die Fruchtbarkeit des Bodens und der Tiere für das Überleben der Menschen sichergestellt werden. Dieser Aspekt wird daher von den verehrten Gottheiten besonders intensiv erbeten.
Dies wird auch durch die Siegel jener Zeit besonders betont. Siegel sind Ausdruck der privaten Frömmigkeit, und insofern sind sie ein besonders wichtiges Zeugnis der Religiosität. Auch auf ihnen finden sich in der Mittelbronzezeit auffallend viele Göttinnen, verbunden mit dem Aspekt der Fruchtbarkeit und des Lebens. Typisch für die Mittelbronzezeit sind Siegel mit nackten Göttinnen.85 Gelegentlich findet sich auf den Siegeln und anderen Bildträgern auch die ägyptisierte Form der Liebesgöttin: der (in der Regel frontal wiedergegebene) Hathorkopf mit der für diese Göttin so typischen Lockenfrisur.86 Der Fruchtbarkeitsaspekt von Mensch und Natur kann durch die Verbindung der (nackten) Göttin mit dem Baumkult bzw. mit Zweigen zusätzlich betont werden.87 Diese Kombination ist ein Charakteristikum der palästinischen Kultur und macht die Abhängigkeit der Menschen vom Ertrag der Erde und gleichzeitig auch den Wunsch nach Nachkommenschaft deutlich. Dieselbe Aussage kann aber auch durch das Ω-Zeichen ausgedrückt werden, das wahrscheinlich den Uterus wiedergibt und somit gleichfalls Fruchtbarkeit und Leben repräsentiert.88 Die Fürsorge für die werdende Mutter und den Fötus wird aber auch durch sog. Zaubermesser, auf denen Dämonen wie Thoeris, Bes oder geflügelte Schlangen eingraviert sind, ausgedrückt.89 Ihnen werden jeweils apotropäische Kräfte zugeschrieben, die vor allem bei der für Mutter und Kind gefährlichen Geburt wirksam werden sollen. Siegel und Amulette mit der Abbildung der Dämonen Thoeris (aufrecht stehende Nilpferdgöttin) und Bes (zwergenhafter Gnom), die besonders bei der Entbindung ihre schützende Kraft vermitteln sollen, beginnen mit der Mittelbronzezeit und finden sich dann vornehmlich und in großer Zahl in der Spätbronze- und Eisenzeit.90 Die Taube als Symboltier der Fruchtbarkeitsgöttin findet sich ab der Mittelbronzezeit vermehrt und drückt ebenfalls den Fruchtbarkeits- und Lebenscharakter in anschaulicher Form aus,91 scheint aber stärker in Syrien verbreitet gewesen zu sein.
Angesichts der weitgehend fehlenden literarischen Zeugnisse für Göttinnen in der Mittelbronzezeit (s. Kap. 4) verbietet es sich, konkrete Namen für die Göttinnen jener Zeit zu bestimmen, wie dies gelegentlich z.B. für die Model aus Nahariyya (Aschtarot des Meeres) oder für ein Siegel mit einer gehörnten nackten Göttin (Aschtarot Qarnaim) vorgeschlagen wurde.92
Der Themenkreis der Fruchtbarkeit des Bodens, aber auch generell der Fruchtbarkeit und des Lebens, wird auch durch den Lebensbaum ausgedrückt. Das Motiv findet sich in Mesopotamien seit dem 3. Jt. und wurde auch in Palästina oft benutzt.93 Der Lebensbaum wird als göttlicher Baum verstanden, der die Tiere speist (vgl. die häufige Abbildung der am Lebensbaum aufsteigenden Capriden oder der vor bzw. unter dem Lebensbaum bzw. den Zweigen ruhenden Tiere).94
Die enge Beziehung zwischen Palast und Tempel bzw. zwischen irdischer und religiöser Macht wird durch die zahlreichen Herrscherabbildungen der Mittelbronzezeit als Statuen und Figurinen sowie auf Siegeln deutlich. Sie sind entweder sitzend, häufig zur Unterscheidung von Gottheiten mit einem Gefäß in der Hand, dargestellt,95 oder aber stehend mit einem kostbaren Mantel,96 manchmal mit dem Wulstsaummantel.97 Die Bildkunst jener Zeit zeigt klare Einflüsse von Syrien und Mesopotamien. Daher liegt die Vermutung nahe, dass die Herrscher, wie in Ägypten und Mesopotamien,98 auch in Syrien und Palästina spätestens nach dem Tod, vielleicht aber auch schon zu Lebzeiten vergöttlicht wurden. Gestützt wird diese These z.B. durch eine Basaltstatue eines sitzenden Fürsten aus dem Tempel H in Hazor und durch wesentlich größere, von der ikonographischen Gestaltung her aber identische Statuen, die am Eingang der Königsgräber von Qatna entdeckt wurden. Beide Funde machen – in Qatna sogar zusätzlich durch die reich ausgestatteten Königsgräber verdeutlicht99 – die kultische Verehrung zumindest der königlichen Ahnen deutlich.
In Ägypten ist die besondere Verbindung des falkenköpfigen Himmelsgottes Horus seit dem Alten Reich weit verbreitet. Horus schützt den König, der in Ägypten selbst ja auch wieder als göttergleich verstanden wurde. Entsprechend finden sich Horus und Horusfalke nun auch in Palästina im Kunsthandwerk auf Ohrringen und Siegeln.100 Gleiches gilt für die Uräusschlange. Das Gift der Kobra ist für Menschen tödlich, und daher war sie sehr gefürchtet. Wer die Kobra aber unter seiner Kontrolle hat z.B. der Pharao, der dies symbolisch durch die Abbildung der Kobra an seiner Krone ausdrückt, steht unter ihrem Schutz; nur für die Feinde des Pharaos oder des Königs kann die Schlange dann noch gefährlich werden. Diesen Schutz erbittet man sich durch die Abbildung der Uräusschlange auf Siegeln,101 aber ab der Mittelbronzezeit auch auf Keramikgefäßen, Kultgeräten und als Metallschlangen.102 In der Spätbronze- und Eisenzeit nahmen die entsprechenden Abbildungen noch weiter zu. Wie die Uräusschlange vermittelt auch der Löwe einen besonderen Schutz für all jene, die ihn beherrschen und denen er als apotropäisches Schutztier dient. Daher findet er sich ab der Mittelbronzezeit häufig auf Siegeln.103 Der Löwe kann als eigenständiges Motiv stehen, aber auch als Sieger über menschliche Feinde, Tiere oder chaotische Wesen wie das Krokodil. Schließlich wird der Schutz auch durch mythologische Mischwesen wie Sphingen mit Tierkörper und Menschengesicht ausgedrückt. Diese finden sich auch auf palästinischen Siegeln ab der Mittelbronzezeit.104