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2.3 Die Religion der Frühbronzezeit
ОглавлениеMit der Frühbronzezeit (3300–2200/2000 v. Chr.) beginnt ein neues Stadium der Entwicklungsgeschichte der Menschen im Lande. Nun entstehen vor allem ab der Frühbronzezeit II große städtische Zentren mit oft mehr als 10 ha Größe. Diese Städte stellen die Menschen vor völlig neue Anforderungen. Während in den (abgesehen von Telelat Ghassul) relativ kleinen Orten des Neolithikums und Chalkolithikums jeweils weitgehend eine Eigenversorgung möglich war und nur einige Ortschaften sich durch eine Spezialisierung (z.B. Metallhandwerk in Fenan und in der Umgebung von Beerscheba) hervorhoben, bestimmte nun eine Arbeitsteilung den Lebensalltag. Derart große Städte waren auf Spezialisierungen und Handel angewiesen, aber auch auf Dienstleistungen. Getreide konnte nicht mehr allein von den ortsansässigen Bauern angebaut werden, sondern musste durch Handel erworben werden. Jede Ortslage spezialisierte sich auf Aktivitäten, mit denen ein besonderer finanzieller Überschuss zu erwirtschaften war. So wurden beispielsweise in der Frühbronzezeit Weinpflanzungen und Ölbäume kultiviert. Derartige Siedlungen erfordern aber auch eine völlig andere Gesellschaftsstruktur: Nun muss eine zentrale Autorität in der Form eines Fürsten das Zusammenleben organisieren; gleichzeitig müssen feste Regelungen (Gesetze) getroffen werden, um die oft große Anzahl an Stadtbewohnern einheitlich regieren zu können. Damit erhalten der Stadtkult, der Tempel in den Städten und die dort tätige Priesterschaft eine wesentlich größere Bedeutung.
Tempel (bzw. auch ihre Nachfolgebauten Synagoge, Moschee und Kirche) hatten von der Frühbronzezeit an bis in die Gegenwart hinein stets eine herausragende Funktion für den Kult einer Stadt inne. Folgende Tempel der Frühbronzezeit sind bislang mehr oder weniger sicher bestimmt:49
Frühbronzezeit I (3300–3000 v. Chr.)
– Megiddo Stratum XIX, Doppel-Tempel 4050 und 4047:50 Die beiden nebeneinanderliegenden Tempelbauten, in denen wahrscheinlich zwei Götter oder ein Götterpaar verehrt wurden, bestehen jeweils aus Breiträumen. Die wesentlichen Kultaktivitäten dürften im gemeinsam vorgelagerten Hof stattgefunden haben; im Hofbereich gibt es Bodenritzungen mit Jagd- und Kriegsszenen, wilden Tieren und einem Harfenspieler.51 Demnach war im Bereich des Kultes die Bitte um Jagd- und Kriegserfolg offenbar dominant. Die gesamte Frühbronzezeit scheint relativ kriegerisch gewesen zu sein, was sich natürlich auch wieder im Kult auswirkt. Die großen Städte waren in jener Zeit mit extrem massiven Stadtmauern gegen Feinde und Plünderungen geschützt. Mit dem Harfenspieler haben wir jetzt erstmals einen Nachweis für Tempelmusik.52 Rollsiegelabdrücke aus der Frühbronzezeit III, die allesamt im Norden des Landes gefunden wurden, belegen zudem einen (kultischen?) Tanz in jener Zeit.53
– Hartuv, wenige Kilometer südlich von Bet Schemesch in der Schefela gelegen:54 In dem Breitraumtempel waren an der Rückwand neun aufrecht stehende Steine (Masseben) angebracht. Diese dürften Ahnen repräsentieren, die hier verehrt wurden. Ein im rechten Winkel dazu angelegter, von der Form her gleicher Breitraum könnte ein mit dem Tempel in Verbindung stehender Verwaltungs- oder Wohnbau sein.
– Ai:55 Aus der ausgehenden Frühbronzezeit I stammt ein etwa 20 × 6,5 m großer Breitraum, der zunächst von der Ausgräberin J. Marquet-Krause als Palast, später aber auf Grund seiner Baustruktur als Tempel angesehen wurde. Allerdings lässt sich kaum etwas über den Kult aussagen.
Frühbronzezeit II (3000–2700 v. Chr.) und III (2700–2200 v. Chr.) 56
– Arad im Negev:57 Der heilige Bezirk dieses Ortes bestand aus je zwei Doppeltempeln. Deren Breiträume waren jeweils an der Schmalseite aneinandergebaut. Sie stehen damit in einer Baukontinuität zu den Breitraumgebäuden des Chalkolithikums. Vor den beiden Doppeltempeln befand sich jeweils ein rechteckiger Altar, der wahrscheinlich für Brandopfer genutzt wurde. Altäre, auf denen Tiere verbrannt wurden, sind eine wesentliche Neuerung der Frühbronzezeit II und III. Außerdem gab es vor dem westlichen Doppeltempel noch ein Becken, das vermutlich – in Kontinuität zum chalkolithischen Kult – für Libationen verwendet wurde. In einem Tempel war eine Massebe aufgestellt.
– Bab edh-Dhra‘ auf der Lisan-Halbinsel:58 Während der Frühbronzezeit II und III existierte hier ein etwa 12 × 6 m großes Heiligtum. Diesem war ein halbrunder Altar (ca. 2 × 3 m) zum Verbrennen von Opfertieren vorgelagert.
– Megiddo Stratum XVIIIb:59 Von Tempel 4113 wurden nur sehr wenige Grundmauern gefunden, die möglicherweise als ein Breitraum mit vorgelagertem Eingangsraum zu rekonstruieren sind.
– Megiddo Stratum XVII–XV, Altar 4017:60 In der Frühbronzezeit II findet sich zunächst nur ein Altar mit einem Durchmesser von rund 9 m, auf dem Brandopfer geopfert worden sein dürften. Anschließend wurde Tempel 4040, ein Breitraum mit vorgelagerten Anten, vor den Altar gebaut. In Stratum XV errichtete man westlich des weiterhin benutzten Tempels 4040 die Doppeltempel 5192 und 5269. Vermutlich wurden nun in Megiddo drei gleichbedeutende Gottheiten nebeneinander verehrt. Weder über die Gottheiten noch über den Kult ist Näheres bekannt.
– Khirbet ez-Zeraqon:61 Während der Frühbronzezeit II und III existierten an diesem Ort im nördlichen Jordanien insgesamt drei Tempel gleichzeitig, die im Norden, Osten und Süden eines Hofes lagen; im Westen befand sich ein runder Altar mit ca. 5 m Durchmesser. Bei den Tempelbauten handelt es sich um Breiträume; bei zwei Bauten sind Eingangsbereiche mit besonders breitem Zugang vorgelagert. In den Tempeln gab es Bänke zum Niederlegen von Opfergaben. Im Südtempel war im Innern eine halbrunde Installation, möglicherweise für Libationen, angebracht. Auf dem Altar, der demjenigen von Megiddo sehr ähnelt, dürften Opfertiere verbrannt worden sein.
– Tell Yarmut („White Building“) in der Schefela:62 Ein Gebäude aus der Frühbronzezeit III könnte ein Tempel gewesen sein; allerdings wurde diese Bestimmung nicht anhand der kärglichen Funde vorgenommen, sondern allein anhand der Architektur (Breitraum). Vor dem Gebäude gab es ein Wasserbecken und einen Feuerplatz.
– Ai:63 In der Frühbronzezeit III wurde ein neuerlicher Tempel in Ai errichtet, der sich allerdings hinsichtlich seiner baulichen Gestaltung völlig von anderen zeitgleichen Tempeln unterscheidet. Wesentlich für die Bestimmung als Tempel waren rechteckige Ständer und eine kleine Altarnische, aber auch ganz ungewöhnliche zoomorphe Alabastergefäße, die möglicherweise für Libationen verwendet wurden.64
Frühbronzezeit IV/Mittelbronzezeit I (2200–2000 v. Chr.)
– Megiddo Stratum XIVA:65 Der Tempel 4040 wurde wesentlich verkleinert, die beiden anderen Tempel wurden aufgegeben. Der nun extrem kleine Tempel genügte offenbar der geringen Bevölkerungszahl in Megiddo in dieser Epoche.
Betrachtet man all diese Tempel, lassen sich einige Gemeinsamkeiten beobachten:
– Zumindest an einigen Orten scheinen Doppel- oder sogar Dreifachtempel typisch gewesen zu sein. Auch wenn es keine sicheren Anhaltspunkte gibt, welche Gottheiten hier konkret verehrt wurden, könnte man bei den Doppeltempeln an ein Götterpaar denken.66
– An mehreren Heiligtümern gab es nun runde oder eckige Altäre für Brandopfer. Das Verbrennen von Opfertieren scheint in dieser Zeit eine typische Kulthandlung gewesen zu sein, die im 2. Jt. v. Chr. wieder aufgegeben wurde. Eine kleine Kultfigurine, die im Wohnviertel von Khirbet ez-Zeraqon entdeckt wurde, zeigt möglicherweise zwei Priester (eine Figur ist leider abgebrochen) vor einem Opferständer, auf dem ein Rinderkopf liegt. Der Opferständer könnte eine Miniaturwiedergabe eines runden Opferaltars sein.67
– Zumindest in Arad und in Khirbet ez-Zeraqon lässt sich eine Nachbarschaft von Tempel und Palast beobachten. Damit sind nun Kult und Politik eng aufeinander bezogen. Der Stadtgott bzw. die Stadtgötter sollten die Geschicke der Stadt lenken und sichern, dafür übernahm vermutlich die politische Führung eine dominante Rolle beim Bau und bei der Instandhaltung des Kultbaus.
– Die Tempelbauten waren anfangs in chalkolithischer Tradition Breitraumtempel. Allmählich wurden den Tempeln Vorräume vorgebaut. Der Außengrundriss wurde damit zunehmend quadratisch, während der eigentliche Kultraum noch ein Breitraum blieb. Durch die Vorbauten gab es einen Übergangsbereich vom Profanen zum Heiligen. Auch die Temenosmauern, die sich an manchen Heiligtümern finden, betonen den Charakter der Heiligkeit des Tempels und der Abgrenzung von der profanen Welt.
– Zum Teil finden sich Depositbänke, auf denen Opfergaben (z.B. Gefäße mit Getränken) niedergelegt werden konnten. Diese Depositbänke gab es im Chalkolithikum schon als Ausstattungselement von Wohnhäusern (z.B. in Arad); nun werden sie elementarer Bestandteil von Kultbauten.
– Neben dem Brandopfer spielten Libationen weiterhin eine große Rolle im Tempelkult.
– Die Verehrung von Ahnen wurde zumindest teilweise weiterpraktiziert. Masseben dürften nun die Ahnen repräsentiert haben.
Leider wissen wir nur sehr wenig über die Aufgabenbereiche der Götter jener Zeit und kennen ihre Namen überhaupt nicht. Die Kleinkunst gibt aber zumindest kleine Hinweise zur Funktion der Gottheiten. Die Verbindung von weiblicher Sexualität bzw. Fruchtbarkeit der Menschen und der Fruchtbarkeit des Ackerbodens wird durch eine kleine Figurine aus der Frühbronzezeit I ausgedrückt.68 Statt eines Kopfes befindet sich auf dem nackten Frauenkörper ein Gefäß für Libationen. Eine kleine Kalksteinstele aus Arad (Frühbronzezeit II), die in der Nähe der Doppeltempel gefunden wurde,69 zeigt – auch wenn die Deutung umstritten ist – wahrscheinlich ein Paar in einer Beischlafszene. Um beide Gestalten besser darstellen zu können, wurden sie kreuzförmig übereinander auf einem Bett dargestellt. Da die Köpfe in der Form einer Ähre wiedergegeben sind, haben wir auch hier wieder eine Kombination von Fruchtbarkeit der Menschen und Fruchtbarkeit des Ackerbodens vor uns. Ein Rollsiegelabdruck aus Khirbet ez-Zeraqon (Frühbronzezeit III)70 zeigt einen Mann und eine Frau beim Koitus a posteriori. Wieder steht hier – wie schon beim chalkolithischen Kult – die Sexualität und damit sicherlich auch der Wunsch nach Fruchtbarkeit der Frauen im Mittelpunkt. Auf einem Rollsiegel aus Tell Musa, 12 km nordöstlich von Bet Schean gelegen, wurde eine Pflugszene dargestellt, die die Fruchtbarkeit des Bodens thematisiert.71 Das Siegel aus der Frühbronzezeit II ist die bislang älteste palästinische Abbildung eines Pfluges. Auch die Fruchtbarkeit der Tiere – gleichfalls ein Wunsch, den man den Göttern entgegenbrachte und mit dem man das Überleben der Menschen sichern wollte – ist spätestens ab der Frühbronzezeit III auf Siegeln dargestellt. Typisch dafür ist nun das stehende Muttertier mit einem säugenden Kalb.72 Dieses Motiv wird bis ins 1. Jt. hinein eines der beliebtesten Motive der levantinischen Kunst bleiben.73 Siegel wurden nicht nur profan zum Abdrücken in Ton etc. benützt, sondern bildeten für ihren Besitzer immer auch ein Amulett und hatten damit auch eine religiöse Funktion.
Ein bislang einzigartiger Fund aus dem ausgehenden 3. Jt. v. Chr. (Frühbronzezeit IV/Mittelbronzezeit I), der zweifellos von Mesopotamien her beeinflusst ist und vielleicht als Handelsprodukt nach Palästina gekommen ist, wurde in En Samiye 16 km südöstlich von Silo gemacht.74 Ein janusköpfiges Wesen mit Stierleib wird von einer aufrecht gerichteten Schlange angegriffen. Eine zweite Schlange ist unter einer Sonnenscheibe dargestellt, die auf einem Band aufliegt, das von zwei Personen (Himmelsträgern?) gehalten wird. Das janusköpfige Mischwesen könnte den Chaoskampf,75 repräsentiert durch die Schlange, darstellen, während das zweite Bild die geordnete Welt mit dem Sonnengott und der unterworfenen Schlange wiedergeben könnte. Folgt man dieser Interpretation des Bildes, dann wird hier die von Göttern geordnete Welt, in der das Chaos kontrolliert und in seine Grenzen gewiesen wird, abgebildet.
Bei den Bestattungen wurden – in Fortführung neolithischer Traditionen – gelegentlich die Schädel separat in den Grabkammern aufgestellt.76 Jedoch scheint der Ahnenkult nun bei der Bestattungspraxis eine viel geringere Rolle zu spielen. Stattdessen wurden Masseben in den Heiligtümern aufgestellt. Den Toten wurden Grabbeigaben für ein Leben im Jenseits beigegeben. Dies zeigt an, dass man spätestens ab der Frühbronzezeit, wahrscheinlich aber schon früher, von einem Weiterleben der Toten in einer anderen Welt ausging. Die Toten mussten für dieses Leben mit Nahrung und wichtigen Gegenständen des Alltags ausgestattet werden.
Eine besondere Bestattungsart findet sich in Bab edh-Dhra‘ auf der Lisanhalbinsel. Während der Frühbronzezeit II und III lag hier der zentrale Friedhof für Südpalästina. Im Umfeld des gerade einmal 3,5 ha großen Ortes befinden sich geschätzt rund 20.000 Gräber mit über 500.000 Bestattungen – eine viel zu große Anzahl für die Bewohner eines so kleinen Ortes. Offenbar hatte man sich an diesem Ort auf die Bestattung von Toten spezialisiert. Ihnen wurden im Grab Gefäße beigegeben, die speziell hier für den Totenkult produziert und an keinen anderen Orten gefunden wurden. Möglicherweise spielte die charakteristische Lage von Bab edh-Dhra‘ für die Wahl dieses auf Bestattungen spezialisierten Ortes eine wesentliche Rolle: Hier an der tiefsten Stelle des Landes und der ganzen Erde (was man natürlich damals noch nicht wusste) war man der Unterwelt (Scheol) besonders nahe. Demnach kann man annehmen, dass es spätestens seit der Frühbronzezeit II schon eine Vorstellung von der Unterwelt gab.