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6 Ugarit und Emar – wichtige Umwelttexte für die Spätbronzezeit und für das Alte Testament 6.1 Die Texte aus Ugarit
Оглавление1928 entdeckte durch Zufall ein syrischer Bauer in der Bucht von Minet el-Beida eine Grabanlage. Die Funde verschwanden im Antikenhandel, die Nachricht über den Fundplatz erreichte jedoch den französischen Gouverneur der Region, der wiederum den Direktor der Französischen Archäologischen Kommission in Beirut, Charles Virolleaud, informierte. Man beauftragte den jungen Archäologen C. F. A. Schaeffer (1898–1982), im Frühjahr 1929 mit einer Grabungskampagne im Bereich des Friedhofs und des benachbarten 18 m hohen Siedlungshügels von Ras Schamra („Fenchelhügel“) zu beginnen. Damit begann eine lange Serie spektakulärer und für die Religionsgeschichte des Nahen Ostens extrem bedeutsamer Ausgrabungen. Ugarit – so hieß die ausgegrabene Siedlung auf Grund von Texten, die man in der Stadt selbst gefunden hat – war seit dem Neolithikum besiedelt und erlebte seine größte Blüte in der Spätbronzezeit. Schon 1929 wurde eine Bibliothek mit damals noch unbekannten Keilschriftzeichen entdeckt. Inzwischen wurden Hunderte von Texten in ugaritischer oder akkadischer Keilschrift gefunden.233 Das Ugaritische stellt eine vereinfachte Keilschrift mit 30 Zeichen dar, mit denen nicht – wie im Akkadischen – Silben, sondern Buchstaben wiedergegeben werden. Die Verwendung einer Buchstabenschrift war sinnvoll wegen der vielen internationalen Kontakte, die die bedeutende Handelsstadt aufwies. Akkadische oder ägyptische Zeichen konnten die Händler des westlichen Mittelmeerraumes nicht erlernen; dazu waren diese Schriftsysteme viel zu schwierig. Die vereinfachte Keilschrift Ugarits und in ihrer Wirkungsgeschichte das phönizische Alphabet ermöglichten es aber, die jeweiligen Schriften relativ leicht zu erlernen und so Verträge etc. festzuhalten.
Die Texte aus Ugarit umfassen diverse Gattungen. Nachdem anfangs mehrere konkurrierende Zählsysteme im Umlauf waren, hat sich heute weitgehend die Einteilung von KTU („Keilschrift-Texte aus Ugarit“) durchgesetzt. Demnach werden die Texte in folgende Gattungen gegliedert:
KTU 1 | Literarische und religiöse Texte |
KTU 2 | Briefe |
KTU 3 | Rechtstexte |
KTU 4 | Wirtschaftstexte |
KTU 5 | Schreiberübungen |
KTU 6 | Inschriften (aus Siegeln, Elfenbeinen etc.) |
KTU 7 | Nicht klassifizierte Texte |
KTU 8 | Unlesbare Tafeln und unbeschriftete Fragmente |
KTU 9 | Unpublizierte Texte |
KTU 10 | Ugaritische Texte in syllabischer Schreibweise234 |
Für die Religionsgeschichte sind natürlich in erster Linie die fast 180 Texte von KTU 1 relevant. Auch die assyrischen religiösen Texte aus Ugarit verdienen eine besondere Beachtung, sind aber bei weitem noch nicht so intensiv aufbereitet wie die ugaritischen Texte.
Die wichtigsten religiösen Texte liegen, wenngleich auch verstreut, heute in einer guten Übersetzung in der Reihe TUAT235 vor. Darüber hinaus gibt es mehrere gute Übersetzungen in anderen Sprachen. Die folgende Übersicht nennt den Ort der Übersetzung in TUAT und gibt eine kurze Bezeichnung des Inhalts an:
Die Texte sind von hoher Bedeutung für die Religionsgeschichte Palästinas, da Palästina und Syrien stets eine weitgehend homogene Region bildeten. Zwar waren die hethitischen und mesopotamischen Einflüsse in Syrien im 2. Jt. v. Chr. immer dominanter als etwa in Palästina, das stärker von Ägypten beeinflusst war; trotzdem ist die Landschaftsstruktur, die letztendlich wiederum einen prägenden Charakter für die Religion hat, in Syrien und Palästina sehr ähnlich. Gleichzeitig mit den ersten Übersetzungen ugaritischer Texte wurde auch auf die engen Verbindungen zum Alten Testament aufmerksam gemacht. Trotz der oftmals gleichen Götternamen – El, Baal, Dagan, Yamm/Jam, Raschap/Reschef, Aschera, Anat und Astarte spielen in Ugarit eine große Rolle und werden auch im Alten Testament erwähnt – muss man sich aber auch immer der Unterschiede bewusst sein. Die ugaritischen Texte stammen aus dem 15.–13. Jh. v. Chr. Die biblischen Texte werden dagegen zunehmend in die exilische bzw. nachexilische Zeit datiert; älter als das 10. Jh. v. Chr. ist kaum ein Text des Alten Testaments. Der zeitliche Abstand beträgt demnach zwischen beiden Textgruppen u.U. 1000 und mehr Jahre. Aber auch der räumliche Abstand ist enorm. Das Gebiet Israels und Judas von Dan bis Beerscheba erstreckt sich auf etwa 120 km Luftlinie. Der Abstand von Jerusalem nach Ugarit beträgt dagegen fast 400 km. Und schließlich gibt es auch starke Differenzen in der Sozialstruktur. Ugarit war in der damaligen Zeit eine Weltstadt. Das dicht besiedelte, oft mit zweistöckigen Häusern bebaute Stadtareal umfasst etwa 22 ha und war dank des internationalen Handels kosmopolitisch ausgerichtet. Hier finden sich Funde aus dem Mittelmeerraum neben solchen aus Mesopotamien. Die meisten Siedlungen in Israel und Juda waren dagegen sehr ländlich geprägt und kaum mehr als 2 ha groß (von Jerusalem, Samaria und wenigen anderen Orten abgesehen).
Trotz der Differenzen, die immer berücksichtigt werden müssen, bieten die Texte von Ugarit wichtige Informationen für die Religion in der Antike. Erstmals liegen hier Eigenzeugnisse der kanaanäischen Religion vor. Und erst mit Hilfe dieser Texte war es möglich, die Aufgabenbereiche vieler Gottheiten, von denen man bis dahin allenfalls die Namen kannte, näher zu erfassen.