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Eine nützliche Bekanntschaft

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Tags darauf – der Kalender zeigt den 15. Dezember 1902 – packen die vier ihre wenigen Sachen im Grandhotel Bellevue in Zürich zusammen und fahren mit der Eisenbahn nach Genf. Der Grund für die Reise an den Lac Léman dürfte Leopolds Absicht sein, seine Wilhelmine Adamovic möglichst schnell zu heiraten, was ihm in Genf einfacher erscheint. Deshalb ist er geflohen, deshalb hat er sich an den Kaiser höchstpersönlich gewandt, deshalb will er auf alle seine Privilegien und den Titel eines Erzherzogs verzichten.

In Genf kennt Leopold bereits Rechtsanwalt Adrien Lachenal, der äusserst beschlagen, eloquent und gut vernetzt ist; schliesslich war dieser zuvor Bundesrat und sogar Bundespräsident gewesen. Zudem arbeitete Lachenal als Staatsanwalt, Richter, Grossrat, Nationalrat und Ständerat mit liberalem Parteibuch. Aus dem Bundesrat ist er aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten, jetzt wirkt er als famoser Redner und effizienter Strafverteidiger – unter anderem für Leopold, später auch mehrfach für Luise. Genf gilt zu dieser Zeit als vergleichsweise liberal: Ehebruch wird im Kanton Genf seit 1875 nicht mehr geahndet, was Luise sehr entgegenkommt. Hier kann sie sich sicher fühlen.

Die vier Reisenden kommen im Genfer Hotel d’Angleterre unter, am Quai du Mont-Blanc 17; sie mieten vier Zimmer mit direktem Blick auf den Genfersee, die Berge dahinter und den schon damals speienden Jet d’eau. Das Hotel liegt ganz in der Nähe des «Beaurivage», in welchem Kaiserin Elisabeth 1898 übernachtet hatte. Auf dem Quai direkt davor wurde sie ermordet. Genf, die ganze Schweiz und erst recht das Habsburgerreich waren schockiert und trauerten um die geliebte Kaiserin.

Das tragische Attentat scheint die vier Getürmten überhaupt nicht zu kümmern. Sie führen in Genf ein sorgenfreies, gemächliches Vorweihnachtsleben mit Spaziergängen und Einkäufen in der Stadt. Das erinnert an Joseph Roths Roman «Die Kapuzinergruft»: Dort teilt die adelige Hauptfigur mit ihrer Entourage «den skeptischen Leichtsinn, den melancholischen Fürwitz, die sündhafte Fahrlässigkeit, die hochmütige Verlorenheit, alle Anzeichen des Untergangs, den wir damals noch nicht kommen sahen. Über den Gläsern, aus denen wir übermütig tranken, kreuzte der unsichtbare Tod schon seine knochigen Hände. Wir schimpften fröhlich, wir lästerten sogar bedenkenlos.»


Erlebte die «schlimmsten Tage» seines Lebens: Friedrich August III., Luises Ehemann.

So lebt auch unser Quartett «sündhaft fahrlässig» und «bedenkenlos» in den Tag hinein, während im Hintergrund die Drähte heiss laufen. Denn Luises Ehemann Friedrich August III. erlebt «die zwei schlimmsten Tage» seines Lebens, wie er in einem Brief schreibt: Bei einem Jagdunfall hat er den Unterschenkel gebrochen, weshalb er sich kaum fortbewegen kann. Und er hat keine Ahnung, wo sich seine geflohene Frau aufhält. Er weiss nur, dass sie einen Liebhaber hat und Salzburg mit unbekanntem Reiseziel verlassen hat; zudem liess sie ihn mit den fünf Kindern sitzen, das jüngste ist gerade mal ein Jahr alt, das älteste knapp zehn. Sein Vater, König Georg von Sachsen, der ihn schon immer vor Luise gewarnt hatte, welche in dessen Augen eine verweichlichte und unzuverlässige Habsburgerin sei, nervt ihn ausserdem. Trotz des Wissens um ihre Affäre mit dem Sprachlehrer hält Friedrich August zu seiner Frau und schreibt in einem Brief: «Ich hänge an ihr trotz allem, was passiert ist, mit jeder Faser meines Herzens. Sie ist leichtsinnig, sie ist unklug, sie nimmt es mit der Wahrheit nicht immer genau, aber sie ist nicht schlecht von Natur.»

Nach zwei Tagen Ungewissheit findet die sächsische Geheimpolizei heraus, dass sich die entwichene Kronprinzessin nicht in Brüssel aufhält.

Sondern in Genf.

In der neutralen Schweiz.

Mit ihrer föderalen Gesetzgebung.

Im Hotel d’Angleterre.

Sofort reist eine neue Delegation aus Sachsen dorthin und quartiert sich ebenfalls im besagten Hotel ein. Die Leitung der Gruppe obliegt dem sächsischen Kriminalbeamten Arthur Schwarz, der auch schon in Brüssel nach Luise gesucht hat. In Genf entwickelt Kriminalist Schwarz einen Plan, wie er mit seinen Leuten die Kronprinzessin kidnappen und zurück nach Dresden bringen könnte.

Doch die Genfer Polizei ist wachsam, erfährt von der Absicht und bringt den Plan zum Scheitern; denn Genf duldet keine geheimen Aktionen ausländischer Polizei in der Stadt.

Daraufhin beschwert sich der Kanton Genf in Bern, sodass die Schweiz offiziell beim Königreich Sachsen vorstellig wird und sich wegen dieser Missachtung der Schweizer Souveränität beklagt: Auf Schweizer Boden jemanden zu entführen, stelle im Minimum einen «unfreundlichen Akt» dar, wie das in gewundenem Diplomatendeutsch heisst. Doch das sächsische Ministerium beeilt sich zu betonen, dass gar keine Entführung geplant gewesen sei. Beschwichtigend heisst es, ihre Kriminalkommissare hätten lediglich versucht, Luise zu einer freiwilligen Heimkehr zu bewegen. Danach hat es allerdings nicht ausgesehen.

Der sächsische Kriminalbeamte Arthur Schwarz muss also von einer gewaltsamen Entführung absehen; doch die scharfe Überwachung lässt er sich nicht nehmen. Dazu sitzt er tagelang im Empfangsbereich des Hotels und beobachtet von der Hotelhalle aus, wer wann mit wem ein- und ausgeht. Täglich sendet Schwarz seine Bulletins detailgenauer Beobachtungen dem Polizeipräsidenten von Dresden, Albin Hugo Le Maistre. Meistens unterschreibt der Überwacher seine Beobachtungen mit «Schwarz», manchmal aber auch mit «Niger» – welch fehlgeleitete Ironie! Um mehr Einzelheiten in Erfahrung zu bringen, fängt Schwarz die Post für die royalen Gäste ab, besticht Telefonistinnen und Zimmermädchen mit üppigen Trinkgeldern, um an weitere Informationen zu gelangen, führt genaue Erkundigungen auf der zweiten Etage des Hotels durch und zeichnet von Hand Pläne der Zimmer 7,8 und 9. Er hält auf den handgefertigten Grundrissen genau fest, welche Zimmer Durchgänge haben und vor allem, wo die Betten stehen: Jenes der Kronprinzessin steht direkt neben jenem von Giron, was er abermals als Beweis für den Ehebruch auslegt.


Hier halten sich Luise und Leopold auf: im Hotel d’Angleterre in Genf.

Arthur Schwarz schildert in einem seiner Bulletins die Arbeitsweise: Wenn er der Prinzessin «hier zufällig einmal begegnen muss, benehme ich mich natürlich höchst respektvoll, grüsse sie aber absolut nicht. Die anderen 3 Personen, die mich ja nunmehr alle von Ansehen kennen, ignoriere ich vollständig.» Erzherzog Leopold ärgert sich über die Anwesenheit des lästigen Kriminalbeamten aus Sachsen; deshalb erkundigt er sich bei Hotelier August Reichert, ob er gleich das ganze Hotel mieten könne, um Arthur Schwarz loszuwerden. Doch der Hotelier lehnt das Begehren mit Blick auf die anderen Gäste ab.

Weil die Entführung scheitert und Ehebruch in Genf für eine Verhaftung nicht ausreicht, beschreiten die Sachsen den rechtlichen Weg, um der Kronprinzessin habhaft zu werden. Sie bezichtigen Luise des Diebstahls und beantragen deshalb einen internationalen Haftbefehl. Die Kronprinzessin soll im Zustand geistiger Umnachtung alle sächsischen Kronjuwelen im Wert von 800 000 Mark gestohlen haben.

Doch diese Anschuldigung ist frei erfunden, denn Luise hat nur persönlichen Schmuck mit dabei, den sie geschenkt bekommen hat. Wir erinnern uns: Im Handkoffer hatte sie nur sehr begrenzt Platz. Sie führt viel weniger Werte mit sich, als sie in Dresden zurückgelassen hat. So wird die beantragte internationale Fahndung nach wenigen Tagen wieder aufgehoben, denn die Geisteskrankheit und die Anschuldigungen wegen des Diebstahls sind zu konstruiert und zu wenig glaubhaft. Doch schon agitieren und intrigieren die Sachsen weiter.

Luise und Leopold

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