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Ein trauriger Weihnachtsabend
ОглавлениеKönig Georg in Dresden verliert die Geduld mit seiner geflohenen Schwiegertochter Luise. Zuerst sagt er sämtliche königlichen Anlässe ab, zudem verfügt er, dass alle Theater im ganzen Königreich Sachsen geschlossen bleiben, «anlässlich des schmerzlichen Ereignisses in der sächsischen Königsfamilie», wie es offiziell heisst. Tags darauf geht er noch einen Schritt weiter: Er befiehlt, dass der ganze Hofstaat der Kronprinzessin per sofort aufzulösen sei. Zudem weist er seine Behörden an, Luise am Überschreiten der Grenzen des Landes Sachsen zu hindern. Damit erklärt der König seine Schwiegertochter Luise noch vor Weihnachten zur unerwünschten Person. Oder mit anderen Worten: Sachsen lässt seine Kronprinzessin fallen.
Das hält das Quartett nicht davon ab, am 24. Dezember das Weihnachtsfest im Hotel zu feiern, sogar mit einem eigens dafür gekauften Christbaum. Die Stimmung in der Schweiz richtet sich nicht grundsätzlich gegen die illustren Gäste. Stellvertretend sei die Zeitung Der Bund aus Bern zitiert: «Wir gestehen auch einer Kronprinzessin und einem Erzherzog das Recht zu, ihr Privatleben einzurichten, wie es ihren Neigungen und Ansichten am besten entspricht. Wir Republikaner sind gewiss am wenigsten geneigt, uns gesittet zu entrüsten, wenn wir sehen, dass irgendwo Mächte des Temperamentes und des Blutes über das starre monarchische Prinzip den Sieg davon tragen. Und besonders sind wir zur Nachsicht gestimmt, wenn eine Frau wie die Kronprinzessin mit ihrem Freiheitsdrang sich gegen den Zwang veralteter Etikette auflehnt.»
Doch man kann in Genf auch andere Meinungen vernehmen. Am Weihnachtstag trifft ein Brief ein, der wenig Feststimmung verbreitet haben dürfte. Ein anonymer Verfasser schreibt an Luise: «Die Schande, die Sie dem sächsischen Könighause sowie dem Vaterland bereitet haben, kann gar nicht in Worte ausgedrückt werden und ruft die allgemeine Erbitterung aller edeldenkenden Menschen hervor. Eine derartige Besudelung der Ehe eines gekrönten Hauptes […] kann nur als ein Verbrechen angesehen werden, deren irdische Strafe Sie, nebst Ihrem Galan nicht entgehen können.» Die angedrohte Konsequenz ist heftig und wenig weihnachtlich: «Das Loos eines Attentats ist für Sie gezogen und bestimmt. […] Das Blut ihres Galans Giron wird zuerst fliessen.»
Ein solcher Drohbrief hinterlässt seine Spuren bei den Empfängern. Entsprechend schreibt Kriminalkommissar Schwarz in seinem Tagesbulletin: «Frau Kronprinzessin gibt sich hier den Anschein, als sei sie lustig und guter Dinge, obgleich sie es nach meiner augenscheinlichen Ueberzeugung durchaus nicht ist. Sie sieht auffallend blass und eingefallen aus und als ich ihr heute früh auf der Treppe begegnete, glaubte ich eher eine ältere kranke Frau als unsere Kronprinzessin zu sehen. Dem Ausdruck der Augen fehlt jeder Glanz.»
Ob mit oder ohne Glanz in ihren Augen – Luise empfängt nach Weihnachten im Hotelzimmer einen Reporter der Wiener Zeit, dem sie anvertraut: «Das war ein schrecklicher Weihnachtsabend. Wir zündeten den Baum an und beschenkten uns mit Kleinigkeiten, aber dann vermochten wir uns nicht mehr zu halten und weinten alle miteinander furchtbar.» Die Prinzessin fasst sich gleich wieder und markiert trotzige Stärke: «Aber wenigstens bin ich jetzt frei! Endlich dem Zwang entronnen.»
Die Journalisten mögen die Story sehr: Eine Kronprinzessin und ein Erzherzog türmen, weil sie Leute aus dem Volk lieben; zudem ist sie schwanger. Das ist Boulevardstoff vom Feinsten, auch für klassische Zeitungen, die sich zu dieser Zeit mehr und mehr für solche Themen öffnen. Darum versuchen aggressive Reporter im Genfer Hotel d’Angleterre, für ihr Lesepublikum zusätzliche Details zu erfahren. Es ist Weihnachten und Neujahr, also ohnehin Nachrichtenflaute, weshalb ihre Berichte umso gefragter sind. Luise, Leopold und André Giron empfangen Journalisten aus Deutschland, Österreich, Frankreich, der Schweiz und sogar aus Amerika und geben bereitwillig Auskunft, zum Beispiel den bekannten und auflagenstarken Zeitungen.
Le Figaro aus Paris.
Den Münchner Neuesten Nachrichten.
Dem New York Herald.
Leopold bekräftigt dabei, dass er möglichst bald frei sein und seine Geliebte heiraten wolle. Luise hofft, «die Ehe zu lösen», worauf sie Giron heiraten wolle, denn ihre Liebe zu ihm sei «viel zu innig».
In ihren Memoiren erwähnt Luise einen amerikanischen Reporter, der zu ihr gesagt haben soll: «Hören Sie, Prinzessin, ich werde diese Treppe, über die Sie schreiten, mit Banknoten bedecken, wenn Sie mir einige Worte sagen: Ist das nicht ein annehmbares Geschäft?» Sie aber lässt den Mann stehen und behauptet, dass sie nur sehr selten mit Reportern gesprochen habe – was so sicher nicht stimmt …